Читать книгу Lacroix und die Toten vom Pont Neuf - Alex Lépic - Страница 11
9
ОглавлениеDie blauen Rundumleuchten tauchten den Justizpalast in ein gespenstisches Licht. Es waren jede Menge Polizeiwagen vor Ort. Ein toter Obdachloser war tragisch, aber für die leiderprobten Pariser Beamten kein echter Grund zur Sorge. Zwei tote Obdachlose in zwei aufeinanderfolgenden Nächten aber waren etwas ganz anderes. So sah das die Leitstelle.
Lacroix war nicht die ganze Strecke zu Fuß gegangen, wie er es sonst häufig zu tun pflegte. Heute war es wichtig, schnell am Tatort zu sein, deshalb war er nur bis zur Assemblée Nationale gegangen und hatte die Seine überquert. Er hatte Glück und erwischte dort den ersten 24er-Bus des Tages. Der hatte ihn direkt zum Pont Neuf gebracht, zusammen mit gähnenden Frühaufstehern. Der wachhabende Polizist salutierte und hob das Absperrband, damit Lacroix, die Pfeife schon im Mund, sich nicht bücken musste.
»Guten Morgen, Rio, Paganelli.«
Sie sahen nur kurz auf, dann fiel auch sein Blick auf den Leichnam. Es schien, als sei es noch mehr Blut als gestern. Die Lache war noch nicht getrocknet. Es war so viel, dass Capitaine Rio mit ihren Schuhen in dem frischen Blut stehen musste, um überhaupt an die Leiche zu gelangen.
»Es kann noch nicht lange her sein«, bemerkte sie.
Doch die Vorgehensweise war dieselbe, das sah Lacroix auf den ersten Blick: Ein Mann, etwas jünger als George Maille, mit schwarzem dichten Haar. Die Augen standen offen, waren blutunterlaufen. Die Hände lagen verkrampft neben dem Toten. Die Wunde am Hals war riesig. Ein Schnitt mit mächtiger Gewalt ausgeführt, die Kehle klaffend offen zurückgelassen. Doch diesmal war die Wunde ausgefranst, Hautfetzen hingen herab, als wäre der Schnitt nicht ganz so sauber ausgeführt worden.
»Wo ist Docteur Obert? Und wer hat den Mann gefunden?«
»Der Docteur geht nicht ans Telefon. Die Zentrale schickt gerade einen Wagen zu seiner Wohnung. Dort oben sitzt ein anderer Clochard, er hat den Mann gefunden und uns sofort angerufen«, sagte Rio.
Lacroix trat näher. Hinter dem Mann stand ein Rucksack, deutlich kleiner als der des ersten Opfers. Daneben lagen drei leere Bierdosen, die klein gedrückt waren, als hätte sie ein Riese in der Faust zerknüllt.
Er griff in die Jackentasche des Toten und vermied dabei, ihn zu berühren. Nichts. Dann sah er, dass eine Hosentasche ausgebeult war. Er beugte sich tiefer und entnahm der speckigen Jeans ein kleines Portemonnaie. Wieder war kein Geld darin. Es konnte sich also um Raubmord handeln, falls überhaupt etwas in dem Portemonnaie gewesen war. Lacroix zog die carte d’identité des Mannes hervor.
»Bertrand Valls«, las er. »Geboren 1955 in Douai, Nord-Pas-de-Calais. Wieder eine Amtsadresse, dieses Mal vom Rathaus im Zwanzigsten. Finden Sie alles über den Mann heraus, Paganelli. Fahren Sie am besten direkt ins Büro. Rio und ich machen hier weiter.«
»Alles klar. Ich mach mich auf die Socken.«
»Sieht nicht gut aus«, sagte Rio, als sie sich den Schnitt näher besah. »Ich weiß nicht, ob man da schnell tot ist. Das sind erbärmliche Schmerzen, denke ich. Als wenn man Lämmer schächtet.«
Rio war auf einem Bauernhof auf Mayotte aufgewachsen. Sie hatte keinerlei Berührungsängste, egal ob Tier- oder Menschenblut.
»Es ist eine elende Schweinerei«, rief Lacroix auf einmal wie aus dem Nichts und fing an, auf und ab zu laufen. »Ich habe mich benommen wie ein Amateur. Warum habe ich nicht über einen Folgemord nachgedacht?«
Die Kollegen schwiegen und sahen betreten zu Boden.
»Und nun stehen wir hier keine vierundzwanzig Stunden später vor dem nächsten Toten. Merde!«
»Commissaire«, sagte Rio mit ruhiger Stimme, »wie oft haben wir solche Fälle: ein Streit oder ein Raub oder irgendetwas in der Art? Das gibt es doch in der Szene immer wieder. Machen Sie sich keine Vorwürfe. Das konnten wir nicht vorhersehen. Es sah gestern aus wie ein einfacher Mord aus Habgier. Ein Einzelfall. Nun aber …«
Lacroix fröstelte. Es war heller geworden, doch die Sonne war nicht zu sehen. Dichte Wolken belagerten den Pariser Morgenhimmel. Es würde der erste echte Herbsttag werden.
»Gut, Rio. Ich gehe hoch zu dem Mann, der ihn gefunden hat. Können Sie hier auf den Docteur warten? Ich möchte schnelle Ergebnisse, und zwar auch zum Tod von George Maille. Falls wir es wirklich mit jemandem zu tun haben, der es auf die Obdachlosen abgesehen hat …«