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Lacroix’ Schreibtisch war leer. Wie immer. Nicht, weil er moderne Geräte verabscheute – nun gut, auch deshalb. Aber nicht mal er würde ein Festnetztelefon als modernes Gerät bezeichnen. Doch auf seinem Schreibtisch wollte er trotzdem keins haben. Ebenso wenig wie ein Faxgerät oder gar einen Computer. Lacroix mochte während eines Falles keinerlei Ablenkung, und er fürchtete, jegliche Elektronik würde seine Aufmerksamkeit fesseln und ihn um die Früchte seiner Gedanken bringen. So standen in dem kleinen quadratischen Büro nur der große Schreibtisch aus altem Eichenholz und ein abschließbarer Schrank, darin Akten von unabgeschlossenen Fällen, die ihm keine Ruhe ließen. Sonst nichts.

Der wichtigste Ort aber war die Glasscheibe, die sein Büro vom Großraum trennte. Heute Morgen konnte er noch durch sie hindurchsehen, bald aber – wie bei jedem neuen Fall – würde sie sich nach und nach füllen mit den Fotos, Namen und Verbindungen aller an der Tat Beteiligten: Opfer, Zeugen, mögliche Verdächtige. Sogar Menschen, die nur zufällig am Tatort vorbeigegangen waren und mit denen der Commissaire gesprochen hatte, wurden dort verewigt – wenn Rio oder Paganelli so geistesgegenwärtig gewesen waren, ein Foto zu machen. Sie wussten, dass der Commissaire darauf angewiesen war, und mittlerweile klappte es auch fast jedes Mal.

So konnte Lacroix vor der Scheibe sitzen, die Fotos anschauen und sinnieren. Kein Telefonklingeln konnte ihn ablenken. Das hatte allerdings auch zur Folge, dass er für jedes Telefonat ins Nebenzimmer musste.

Diesmal war es ein wenig anders. An der Wand hingen exakt zwei Fotos: das von George Maille und das von Madame Renaud aus der Obdachlosenunterkunft. Rio hatte es aus dem Internet heruntergeladen und aufgehängt. Paganelli hatte auf den Quais doch noch zwei, drei Obdachlose angetroffen, auf Fotos von ihnen wollte Lacroix jedoch verzichten. Sie hatten nichts gesehen oder gehört, und es bestand kein Zusammenhang zwischen ihnen und diesem Fall. Er wollte die Männer, die ohnehin in ständiger Angst lebten, nicht unnötigerweise irgendwo hineinziehen.

Das war’s. Es gab keine Zeugen, keine Verdächtigen. Die Holländerin, die die Leiche gefunden hatte, war verschwunden, und Lacroix machte sich keine Hoffnung, sie zu finden. Ein Zeugenaufruf würde nichts bringen. Paris wimmelte vor Touristen, aber kaum einer sprach Französisch, und im Urlaub machte auch niemand den Fernseher an oder las die Lokalzeitungen.

So saßen die drei Polizisten in dem kleinen Büro zusammen, wie sie es immer taten, denn Lacroix machte sich nur ungern die Mühe, den Besprechungsraum in der ersten Etage aufzusuchen. Rio hatte café gekocht, den nur sie trank. Paganelli trank überhaupt keinen, Lacroix nur den aus dem Chai de l’Abbaye, seinem Stamm- bistro.

»Das wird eine knifflige Kiste«, sagte Paganelli und sprach damit aus, was Lacroix dachte, wenn er es auch anders formuliert hätte.

»Was denken Sie?«, fragte er den Korsen.

»Es gibt offenbar niemanden, der etwas gesehen hat. Keine Zeugen und keine Familienangehörigen. Das einzige Motiv ist die fehlende Kohle. Doch wen sollen wir da festnehmen? Auf Geld sind in Paris doch alle aus.«

Lacroix nickte. »Das fehlende Geld. Und das fehlende Instrument. Rio, würden Sie die Kollegen beim Raub informieren? Sie sollen bei den bekannten Hehlern nachfragen, ob ihnen eine Klarinette angeboten wurde.«

»Mache ich, Commissaire. Und meinen Sie, die Videoüberwachung könnte uns weiterbringen? Soweit ich weiß, sind die Metrostationen ringsum überwacht, genau wie der Justizpalast und der Quai des Orfèvres. Und dann den Fluss hinauf Notre-Dame, auf dem Vorplatz der Kathedrale gibt es auch Kameras. Nur eben am Pont Neuf selbst nicht.«

»Wir sollten es auf jeden Fall versuchen. Auch wenn George Maille vermutlich vor Betriebsbeginn der Metro ermordet wurde. Und warum sollte der Täter ausgerechnet über den Vorplatz laufen? Andererseits: Prüfen sollten wir es. Ein Klarinettenkoffer ist doch recht auffällig.«

»Soll ich noch mal runtergehen und nach Obdachlosen suchen, die etwas gesehen haben könnten?«

»Nein, das mach ich gleich in der Mittagspause. Besorgen Sie sich bitte die Videoaufzeichnungen und sichten sie, Paganelli. Und Sie, Rio, fragen bitte bei der Gerichtsmedizin nach, ob wir am Nachmittag schon Genaueres über den Toten erwarten können. Vielen Dank einstweilen!«

Sie gingen hinaus. Lacroix hatte nicht vor, selbst an die Seine zu gehen. Sein Magen knurrte. Aber er wusste schon, wer die Recherche für ihn übernehmen würde.

Lacroix und die Toten vom Pont Neuf

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