Читать книгу Lacroix und die Toten vom Pont Neuf - Alex Lépic - Страница 7

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Nur noch der letzte Tropfen aus dem Zapfhahn auf die Schaumkrone, dann stellte Yvonne das kalte Bier vor Lacroix auf den alten Zinktresen. Das Glas war beschlagen, der Schriftzug Meteor von perlendem Tauwasser umrahmt. Lacroix’ Lieblingsbrauerei aus dem Elsass. Für gutes Bier musste man mindestens in die Nähe von Deutschland.

»Commissaire. Willkommen zurück, es kommt mir vor, als wärst du jahrelang bei den Wilden gewesen. Ça va, mon cher?«

Lacroix hatte sich sehr auf die Rückkehr an seinen Tresen gefreut, auf Yvonne, seine Wirtin, doch die Ereignisse des Vormittags hatten die Freude getrübt.

»Heute Morgen ging es besser«, sagte er verdrießlich, »aber vielleicht kannst du meinen Tag retten. Was gibt es heute?«

»Chou farci. Ihr wart doch in der Auvergne, du bleibst also kulinarisch im Urlaub.«

»Später sehr gern. Aber vorher möchte ich noch eine Weile nur hier sitzen.«

Er trank einen Schluck Bier. Der malzige Geschmack legte sich auf seine Zunge und belebte seine Sinne innerhalb von Sekunden. Lacroix wischte sich den Schaum aus dem Bart. Er würde sich bald rasieren müssen. In den Ferien hatte er sich gehen lassen.

»Selbstverständlich«, antwortete sie und rief in die Küche: »Chou farci in zwanzig Minuten.«

Idefix, Yvonnes brauner Yorkshireterrier, bestätigte die Bestellung mit einem Bellen.

»Alors, was ist los? Alain war eben hier und hat gesagt, an der Brücke sei alles abgesperrt. Ist das dein Fall?«

Lacroix nickte und nahm noch einen Schluck. »Es ist am frühen Morgen passiert. Ein erbärmlicher Mord. Ein Clochard. Direkt unter dem Pont Neuf.«

»Der arme Teufel.«

»Für einen Clochard hatte er offenbar jede Menge Geld bei sich.«

»Alain hat von oben Blut gesehen, hat er gesagt.«

Der alte Obsthändler hatte mit seinen über achtzig Jahren nichts Besseres zu tun, als früh aufzustehen, viel zu arbeiten und endlose Fußmärsche durch die Stadt zu unternehmen. Immer dort hin, wo etwas los war.

»Es war viel Blut. Sehr viel.«

»Was denkst du? Ein Raubmord?«

»Wahrscheinlich. Das Opfer hatte keine Angehörigen. Keine familiären Dramen. Und er war sogar bei der Leiterin der Obdachlosenunterkunft, in der er manchmal schlief, beliebt. Leider wusste offenbar jeder, dass er verhältnismäßig viel Geld bei sich trug. Ein sanfter alter Mann, der Klarinette spielte.«

»Etwa George, der Virtuose?«

Lacroix musste lächeln. »Yvonne, du fährst nie Metro, läufst immer nur die paar Meter von deiner Wohnung hierher, aber natürlich kennst du ihn?«

»Mein lieber Commissaire, du weißt doch, wie es ist …«

O ja, das wusste er. Yvonne kannte jeden von hier bis Belleville. Jeden, der interessant genug war, dass sie über ihn nachdenken und, noch besser, über ihn plaudern konnte. Geheimnisse, Gerüchte, Klatsch und Tratsch, das war die Währung, die in den alten Pariser Bars und Bistros zählte. Und Yvonne Abeille war eine meisterhafte Wirtin. Lacroix saß jeden Morgen, jeden Mittag und oft auch am Vorabend zum Apéro bei ihr im Chai de l’Abbaye. Er sah sie häufiger als seine Frau, und schon oft hatte sie ihm bei seinen Ermittlungen geholfen.

»Weißt du mehr über ihn?«

»Er spielte sehr schön, erst neulich stand er tagelang vor der Metrostation Odéon. Es war wunderbar. Er hätte in die Opéra gehört.«

Sie drehte sich um und bediente einen älteren Herrn am anderen Ende der Theke. Kein Stammgast, Lacroix hätte ihn dann gekannt.

Sonst saß niemand mehr an dem langen Tresen, die Mittagszeit war vorbei. Im Bistro waren noch drei Tische besetzt, schöne alte Holztische vor den mit rotem Leder bespannten Bänken. Draußen in der Herbstsonne saßen Touristen unter den obligatorischen Heizstrahlern, die Lacroix verabscheute. Er wollte seine Pfeife rauchen, ohne von oben gegrillt zu werden. Yvonne tat ihm auch diesen Gefallen und ließ den Strahler über seinem Stammplatz rechts neben der Tür immer aus.

Lacroix zog sein Notizbuch aus der Manteltasche und fing nach einem weiteren Schluck Bier an, die Einzelheiten des Tatorts und die Leiche zu skizzieren. Mit einem feinen Bleistift schraffierte er die Umrisse der Blutlache. Das Blatt war nun fast vollständig schwarz. Er besah sich die Skizze, rief sich die Wunde in Erinnerung. Wer war zu so einer Tat fähig? Für hundert Euro Beute?

Die Befragung der Obdachlosen im Heim hatte sie nicht weitergebracht. George Maille war stets freundlich gewesen, hatte aber niemanden an sich herangelassen. Allerdings wussten alle, dass er nicht schlecht verdiente und dass er sein Geld immer im Rucksack bei sich trug. Das wäre ein Motiv. In einer Stadt, in der schon für weniger als hundert Euro getötet wurde.

Lacroix notierte sich die Einzelheiten des Gesprächs mit Madame Renaud und einige Nebensächlichkeiten, die sich während der Befragungen in sein Gedächtnis eingebrannt hatten. Er kannte diese Fälle: Ein Opfer ohne Familie und ohne Feinde ließ sie meistens ohne Anhaltspunkte zurück. Je anonymer der Tod, desto schwieriger seine Aufklärung. Hatte Mercier ihm den Fall deshalb übertragen? Weil er wusste, dass es kompliziert werden würde?

Yvonne riss ihn aus seinen Gedanken, als sie ein Glas kalten Brouilly vor ihn stellte.

»Magst du ihn noch kalt, oder bist du schon im Winter angekommen? Die Roulade kommt auch gleich.«

Lacroix sah sie gedankenverloren an. Erst dann kam er zu sich. »Nein, diese Woche trinke ich ihn noch kalt.«

Die Rotweine aus dem Beaujolais oder dem Rhônetal trank Lacroix mit Vorliebe gekühlt, bis es der Herbst nicht mehr zuließ. Am meisten jedoch freute er sich auf das Brot. Auf die dunkle Kruste des Pain Poilâne aus der weltberühmten Bäckerei in der Rue du Cherche-Midi, auf das er in Mont-Dore in der Auvergne hatte verzichten müssen. Yvonne stellte den Brotkorb vor Lacroix auf den Tresen, es folgte das Senftöpfchen, und dann kam der weiße Teller mit der roten Schrift des Chai de l’Abbaye.

»Bon appétit«, rief sie und ließ ihn allein, wie er es mochte.

Wie lange kannte der Commissaire dieses Gericht nun schon? Und wie lange liebte er es … Der erste Schnitt, der erste Bissen. Die Wirsingkohlroulade war kross angebraten und dann lange gebacken worden, Wirsing und Hackfleisch durchzogen einander. Lacroix nahm immer ein kleines Stück von beidem, tunkte die Gabel in die leicht scharfe Tomatensauce mit den zarten Möhrenscheiben, dazu das dunkle mehlbestäubte Brot mit dem scharfen moutarde. Die Rückkehr nach Paris war gelungen, auch wenn die Zeit mit Dominique in den Bergen wirklich schön gewesen war.

»Commissaire«, rief Yvonne, gerade als er sein Mahl mit einem letzten Stück Kohlroulade beschließen wollte. »Pierre-Richard ist am Telefon: Er will dich treffen. Um fünf Uhr.«

Lacroix nickte und griff nach einem weiteren Stück Brot. Offenbar hatte sein Bruder etwas in Erfahrung bringen können.

»Ich werde da sein.«

Lacroix und die Toten vom Pont Neuf

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