Читать книгу Lacroix und die Toten vom Pont Neuf - Alex Lépic - Страница 12

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Die Sanitäter hatten ihm eine Decke umgelegt, doch der Mann zitterte immer noch am ganzen Körper. Eben nahm er einen Schluck aus seinem Flachmann, ein gebürstetes glänzendes Fläschchen. Lacroix sehnte sich nach seinem ersten café. Und zurück in sein warmes Bett. Neben Dominique, am besten in der Auvergne. Hauptsache, weit weg von hier. Er nickte dem Sanitäter zu und ging zu dem Mann, der offensichtlich aus Nordafrika stammte. Er hockte auf der Quaimauer und starrte ins Leere.

»Monsieur, mein Name ist Commissaire Lacroix. Es tut mir leid, dass Sie das sehen mussten. Ich muss Ihnen dennoch einige Fragen stellen.«

Der Mann reagierte nicht, er blickte weiter die Straße runter in Richtung Notre-Dame.

»Monsieur?« Lacroix hatte etwas lauter gesprochen, und nun schaute der Mann auf, sah ihm in die Augen.

»Oui? Wer sind Sie?«

»Commissaire Lacroix von der Police nationale. Wie heißen Sie?«

»Bakir.«

»Bakir, gut. Sie haben den Toten gefunden?«

Bei diesen Worten fing der Mann wieder an zu zittern, senkte den Blick. Hinter ihnen wurde der Himmel heller, doch die Wolkendecke blieb dicht und undurchdringbar. Lacroix zog den Mantel enger um sich.

»Ich … Ja, ich kam von dahinten. Er zeigte Richtung Kirche. Ich wollte hier die Treppe nehmen hinauf zum Marché aux fleurs. Da sitze ich jeden Tag.« Er zeigte auf das Schild, das aus seinem Rucksack ragte. Taub und stumm, stand darauf in krakeliger Schrift. Bitte um eine Spende für meine Familie. »Ich hab sofort gesehen, wie viel Blut da ist. Ich wusste ja, was gestern passiert war, und habe sofort gedacht: verdammt.« Er schüttelte fortwährend den Kopf. »Ich dachte erst, dass Sie gestern nicht richtig saubergemacht haben. Aber dann sah ich ihn da liegen. Ich bin hin, ich wollte es gar nicht sehen. Wissen Sie, ich habe im Krieg in Algerien genug Leichen …« Seine Stimme brach ab. Der Mann kämpfte mit den Erinnerungen, die der Tote in ihm geweckt hatte. »Er ist so brutal gestorben, ich habe das auf den ersten Blick gesehen. Ich musste schnell weg, ich habe sofort die Polizei gerufen.«

»Wann war das genau?«

»Um halb fünf vielleicht. Ich bin gern früh da oben. Ab halb sechs kommen die ersten Markthändler und die Früharbeiter in die Préfecture, da kann ich noch ein Schwätzchen halten.«

Der Marché aux fleurs fand täglich auf der Place Louis Lépine statt, genau gegenüber von der Polizeipräfektur auf der Île de la Cité. In einer Ansammlung von Pavillons aus dem letzten Jahrhundert wurden von früh bis spät die schönsten Blumen und Pflanzen der Stadt angeboten, von Händlern, die noch echte Unikate waren.

»Haben Sie jemanden gesehen? Kam Ihnen jemand entgegen?«

Bakir schüttelte den Kopf. »Da war niemand.«

»Kennen Sie die Brüder Pogorzelsky?«

Sofort fing der Mann wieder an zu zittern. »Meinen Sie, die haben etwas …«

»Sie kennen sie also?«

Statt einer Antwort krempelte der Mann seinen linken Ärmel hoch. »Sehen Sie, Commissaire.«

An seinem Oberarm waren mehrere Brandwunden, runde Löcher, die Haut war schwarz geworden von der Hitze. Sie war verbrannt und entstellt auf alle Zeit. Es war die empfindlichste Stelle des Arms, und Lacroix wusste sofort, was passiert war.

»Zigaretten?«

Bakir nickte. »Ich wollte ihnen kein Geld geben. Weil ich nicht konnte. Ich hatte nur acht Euro verdient, ich musste doch etwas essen.« Er kämpfte mit den Tränen.

»Und dann haben die Brüder Ihnen die Arme verbrannt?«

Der Mann nickte. »Es war nicht ein Mal, es war mehrfach. Immer wieder tun sie das.«

»Weil sie Schutzgeld eintreiben? Von den Obdachlosen?«

»Ja, von jedem hier. Sie sind sehr stark und haben viele Leute, die für sie arbeiten. Alles Russen. Aber es würde sich ohnehin niemand gegen sie wehren. Die haben Messer, und der eine hat sogar eine Pistole, hat mir jemand erzählt.«

»Waren Sie damit«, Lacroix zeigte auf die Wunden, »bei der Polizei?«

Bakir lachte bitter. »Ach, Commissaire, darüber lachen die flics doch nur. Die Jungs von der CRS schlagen uns, wann es ihnen passt. Meinen Sie, die nehmen von mir eine Anzeige auf? Gegen zwei Tschetschenen, die auch noch im Drogengeschäft sind? Wie sagen Sie in Frankreich: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die flics würden mich auslachen. Gewalt unter Obdachlosen? Das kommt ihnen sehr gelegen. Denen wäre es doch nur recht, wenn ein Irrer uns alle umlegt, wie den armen Kerl da.«

Er zeigte Richtung Leiche, dort, weit unter ihnen, seine Stimme war immer lauter geworden.

Lacroix wusste, dass er recht hatte, bis auf seine letzte Schlussfolgerung. Der Kerl, der Obdachlose tötete, würde nicht einfach davonkommen.

»Kannten Sie den Toten?«

»Wir kennen uns alle. Das war Bibi. Ich weiß nicht, wie er richtig hieß. Ein Kerl aus dem Norden. Er hatte mal eine richtige Familie, hat er immer erzählt. Aber ich kannte ihn nur vom Sehen. Er war ein Säufer, und ich mag keine Männer, die zu viel trinken. Habe mich von ihm ferngehalten.«

»Hatte Bibi auch Schulden bei den Tschetschenen?«

»Alle, die hier leben, haben Schulden bei denen, wie sie es sagen. Aber das ist ganz egal. Wenn die Brüder sich überlegen, dass du heute dran bist, bist du dran. Und in letzter Zeit sind sie noch nervöser gewesen, als müssten sie ihr Revier verteidigen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Keine Ahnung. Gerüchte, jemand wolle ihnen den Rang ablaufen. Sie sind jedenfalls richtig aggressiv. Es wird alles immer schlimmer. Für uns arme Leute wird Paris immer schlimmer. Die Menschen, die normalen Menschen, haben genug eigene Probleme und achten schon nicht mehr aufeinander. Wie sollen sie da auf uns achten?«

»Glauben Sie, die würden auch einen Mord begehen, die Brüder, meine ich?«

»Das sind Tschetschenen!«

Lacroix und die Toten vom Pont Neuf

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