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3.4 Explizites Wissenexplizites Wissen – implizite Fertigkeitenimplizite Fertigkeiten

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Das Langzeitgedächtnis kann in zwei unterschiedliche Subsysteme unterteilt werden: in das deklarative/explizite und in das implizite System (vgl. Jäncke 2021: 426). Es wird angenommen, dass (sprachliche) Informationen in diesen Gedächtnissystemen unterschiedlich aufgenommen, verarbeitet und gespeichert werden.

Bei den im deklarativen GedächtnissystemGedächtnissystemdeklaratives gespeicherten Informationen soll es sich um explizites Wissen u.a. in Form von Faktenwissen (semantisches Subsystem) handeln. Explizites Wissen ist dem BewusstseinBewusstsein zugänglich und kann daher auch versprachlicht werden. Eine Grammatikregel, die im Unterricht explizit vermittelt wird und von den Lernenden gelernt und wieder bewusst abgerufen werden kann, wäre ein Beispiel hierfür.

Im Gegensatz hierzu sind im impliziten GedächtnissystemGedächtnissystemimplizites Informationen gespeichert, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind und daher auch meist gar nicht oder nur schwer beschrieben werden können. Ein Subsystem des impliziten Gedächtnisses stellt das prozedurale Gedächtnis dar. In diesem sollen Fertigkeiten gespeichert sein, die sich nur durch Üben über einen längeren Zeitraum entwickeln können (learning by doing) (vgl. Jäncke 2021: 487). „Je besser die Fertigkeit beherrscht wird, desto weniger bewusster Kontrollaufwand und Aufmerksamkeit müssen eingesetzt werden“ (ebd.: 487). Dies hat den Vorteil, dass weitere kognitive Ressourcen zur Bewältigung anderer Aufgaben zur Verfügung stehen (ebd.).

Es wird davon ausgegangen, dass die Grammatik der Erstsprache implizit erworben und im prozeduralen GedächtnisGedächtnisprozedurales gespeichert wird (z. B. Jäncke 2021, Paradis 2009). L1-Sprecher:innen bilden Äußerungen nicht mühevoll und kontrolliert einer explizit gelernten Regel entsprechend, sondern haben den Vorteil, dass dieser Prozess automatisiert erfolgt und kognitive Ressourcen schont. So fällt es z. B. beim impliziten SprachgebrauchSprachgebrauch leichter, sich auf den Inhalt einer Äußerung zu fokussieren oder sogar einer anderen Tätigkeit nebenher nachzugehen. Daher gilt auch für Sprechende einer Fremd- oder Zweitsprache eine implizite SprachverarbeitungSprachverarbeitung als erstrebenswert. Es wird jedoch kontrovers diskutiert (→ die sogenannte SchnittstellenSchnittstellen-Frage (Interface-HypothesenInterface-Hypothesen)), ob und auf welche Weise explizit vermitteltes Wissen in einem Fremd- oder Zweitsprachenunterricht dazu beitragen kann, dass implizite sprachliche Fertigkeiten erworben werden.

Interface-Hypothesen

Krashen (1981; 1985) vertritt die Annahme, dass keine Schnittstelle zwischen explizitem und implizitem Wissen existiert und gilt somit als ein Vertreter der Non-Interface-PositionNon-Interface-Position. Krashen (1981) unterscheidet strikt zwischen Lernen mit Bewusstsein und Erwerb ohne Bewusstsein und misst dem bewussten Lernen sehr wenig Relevanz für den rezeptiven und produktiven Spracherwerb von älteren L2-Lernenden bei. Explizites, dem Bewusstsein zugängliches Wissen könne lediglich den Sprach-Output als eine Art Monitor (die sogenannte Monitor-Hypothese) überwachen. Insofern habe explizites Wissen keinen Einfluss auf den impliziten Spracherwerb, womit Krashen sich von den folgenden Positionen unterscheidet.

Paradis (2009) wird ebenfalls als ein Vertreter der Non-Interface-Position angesehen, da er verneint, dass eine Schnittstelle zwischen explizitem Wissen und impliziten linguistischen Fertigkeiten existiert. Er lehnt dabei jedoch vor allem den Begriff Schnittstelle ab und geht durchaus davon aus, dass explizites Wissen indirekt einen positiven Einfluss auf den Aufbau impliziter linguistischer Fertigkeiten haben und es zu einem Wechsel von einer deklarativen zu einer prozeduralen Verarbeitung kommen kann.

Durch explizite formfokussierende Verfahren kann die Aufmerksamkeit von älteren L2-Lernenden1 auf sprachliche Strukturen gelenkt werden und sie können dadurch unterstützt werden, die Oberflächenstruktur des Inputs zu bemerken (siehe Noticing-Hypothese) und diese Zielstrukturen anschließend selbst in bedeutungsvollen Kommunikationssituationen zu gebrauchen.

Durch den Gebrauch könne dann Intake von Input abstrahiert werden (ein unbewusster Prozess) und nur dieser Intake kann zum Aufbau impliziter Fertigkeiten beitragen (ebd.; zum Unterschied zwischen Input und Intake, s. im folgenden Kap. 3.5). Wurde die Zielstruktur gänzlich verinnerlicht und die Fertigkeit im prozeduralen Gedächtnis durch Intake-Abstraktion aufgebaut, findet ein Wechsel bei der Verarbeitung vom deklarativ-expliziten zum prozedural-impliziten Gedächtnis statt und die Zielstruktur kann aus diesem Gedächtnissystem automatisiert abgerufen werden (vgl. Paradis 2009: 68).

Ellis (2005) als Vertreter der Weak-Interface-HypotheseWeak-Interface-Hypothese geht ebenfalls davon aus, dass es für L2-Lernende hilfreich sein kann, wenn ihre Aufmerksamkeit durch (mehr oder weniger) explizit formfokussierende Verfahren auf sprachliche Muster oder Konstruktionen gelenkt wird, damit diese sprachlichen Strukturen von den Lernenden memoriert und anschließend gebraucht werden können. Werden diese Strukturen dann im bedeutungsvollen (rezeptiven/produktiven) Sprachgebrauch immer wieder aus dem Arbeitsgedächtnis abgerufen, können implizite Lernprozesse (z. B. Kategorisierungsprozesse) initiiert werden (vgl. Ellis 2005: 320–321) (siehe auch den gebrauchsbasierten Ansatz), die den Aufbau prozeduraler Fertigkeiten begünstigen.

Nach der Weak-Interface-Position kann explizites Wissen einen positiven Einfluss auf den Aufbau impliziter Fertigkeiten haben, indem hierdurch die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes sprachliches Phänomen gelenkt, Noticing (s. Kap. 3.5) verbessert und der Gebrauch einer Zielstruktur angeregt werden kann.

In DeKeysers (z. B. 1997, 2015, 2020) Strong-Interface-PositionStrong-Interface-Position nimmt deklaratives, explizites Wissen eine noch zentralere Rolle ein als bei den anderen Positionen, da er davon ausgeht, dass das explizite Wissen für die Sprachaneignung teilweise sogar benötigt wird. Nach DeKeyser könne durch intensives Üben anhand geeigneter Aufgabenformate deklaratives, explizites sprachliches Wissen prozeduralisiert und dadurch nach und nach zu automatisiertem explizitem Wissen (nicht implizitem Wissen) werden.

DeKeyser geht von keiner Umwandlung des Wissens aus, sondern hebt lediglich hervor, dass explizites Wissen eine kausale Rolle für den Aufbau prozeduralen und automatisierten Wissens spielt (vgl. DeKeyser 2015: 103). Prozedurales und automatisiertes Wissen setzt er dabei nicht mit implizitem Wissen gleich. Das durch Üben entstehende automatisierte explizite Wissen gleiche lediglich in seiner Funktion implizitem Wissen.

(vgl. Kohl-Dietrich & Maiberger, im Druck)

Nach Kohl-Dietrich & Maiberger (im Druck) vereint die verschiedenen Schnittstellen-Positionen neben ihren erheblichen Unterschieden die gemeinsame Annahme, dass unter bestimmten Bedingungen explizites Wissen für die Sprachaneignung förderlich sein kann. Entscheidend dabei ist, die Aufmerksamkeit der Lernenden auf sprachliche Strukturen zu lenken, die ihnen aufgrund ihrer bisherigen Sprachlern- und Spracherwerbserfahrungen Schwierigkeiten bereiten könnten (z. B. Cintrón-Valentín & Ellis 2015). Diese Verfahren können in ihrem ExplizitheitsgradExplizitheitsgrad variieren (z. B. explizite Instruktion, Inputflut etc.) (s. Kap. 3.6).

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