Читать книгу Männer ohne Möbel - Alexandra Stahl - Страница 14
SOMETHING SERIOUS,
I GUESS
ОглавлениеEr kommt aus dem Internet, aus Frankreich und zu spät.
I’m still at the studio of SCSSR on Marx Street.
Von SCSSR habe ich noch nie gehört, ich hatte ja noch nichts mit seinem Leben zu tun. Dass er ihn oder sie oder es namentlich erwähnt, lässt auf Kreise schließen, in denen Menschen damit beschäftigt sind, auf angestrengte Weise interessant zu sein.
Und jetzt gibt es auch noch einen Liveticker.
Als wäre er ein Ereignis.
Längst habe ich geschrieben, dass ich am Tresen warte. Doch mein Handy vibriert ohne Pause.
Now I’m here :)
I’m outside
With a white racing bike
I’m wearing all black
And a black hat
Locking my bike
:-)
R u outside or inside?
Daran ist direkt vieles falsch. Er hat meine Nachricht nicht richtig gelesen, er hat ein Rennrad, er hat ein weißes Rennrad, er beschreibt die Farbe des Rennrads, er benutzt Buchstaben statt Wörter, er macht Emoticons, er macht zwei Emoticons …
Trotzdem warte ich, bis Antoine vor mir steht, Hose, Hemd, Schildkappe, alles schwarz, in der Hand die Schlüssel zu einem weißen Rennrad, ich erkenne ihn mühelos :-)
– They made it too short!
Er lächelt und deutet auf seine Kappe. Es stellt sich heraus, dass SCSSR ein Friseur ist. Vokale sind verpönt, wenn man jung, wild und international ist. Auch Ntn ist jung und international und sogar ein bisschen wild. Als wir zwei Gin Tonic vor uns stehen haben, holt er eine Weinflasche aus seinem Rucksack.
– You want some water?
– You have water in a wine bottle?
– Yes, I prefer drinking water from a distinctive bottle.
Gleich darauf kramt er wieder etwas hervor, diesmal ein schwarzes Sony-Ericsson-Handy. Natürlich ein Tastentelefon. Dass er mit dem Ding die ganzen Nachrichten getippt hat, ist beeindruckend, aber noch kein Grund, sich zu verlieben.
Demonstrativ legt er das Telefon auf den Tisch. Weil ich nichts dazu sage, tut er es selbst.
– I try to avoid the Internet whenever I can.
Ich überlege, wie ich mich an seinen Tonfall gewöhnen kann. Er klingt, als habe er den Frieden auf Erden in seinem schwarzen Rucksack und suche noch jemanden, der ihm den abkauft.
Der Alkohol hilft.
Ich trinke schnell, er nippt. Irgendwann frage ich, wieso er so langsam trinke, und er erklärt, seine Freunde hätten gesagt, er trinke zu viel und zu schnell, jetzt wolle er nicht mehr zu viel und zu schnell trinken.
Überhaupt seine Freunde. Er schmeißt mit Namen um sich, Anna, Raphael, Sebastian, Leo, als würde ich die alle kennen. Raphael ist sein bester Freund.
– He’s my bestie. He’s the fluffiest person ever.
Ich denke an das Fell eines Hundes.
Antoine erzählt sehr lange sehr ernst von seiner Arbeit. Irgendetwas mit Lichtmaschinen und 3-D-Druckern und Veganismus, das Wort sustainable fällt öfter. Nach einer Weile scheint er sich zu erinnern, dass ich neben ihm sitze.
– But I don’t want to talk so much about myself. What about you?
Ich erzähle irgendetwas.
Er sagt zu allem so schnell Ja, dass es klingt wie Jiii-a, aber als ich fertig bin, greift er nichts auf. Stattdessen stellt er Fragen, als würde er eine Liste abarbeiten.
– Do you speak French?
– Not anymore.
– Jiii-a! What kind of music do you like?
– 90s … Sometimes I search for my youth on …
– Jiii-a! Are you vegan?
– No.
– Jiii-a!
– And you?
– I am vegan, but it is okay you eat meat. There are bodies that need meat!
Diese ewig gleichen Gespräche. Wie eine Bewerbung.
Dabei mag man jemanden eben oder nicht. Und ich habe eigentlich gar keine Lust, noch mehr zu sagen. Bei jedem Satz überlege ich, ob sich die Mühe lohnt. Man hat ja alles schon so oft erzählt. Und wie anstrengend es ist, sich mit Leuten zu beschäftigen, die komplett anders ticken. Wie mit Kindern oder Alten. Am Ende ist man immer müde. Antoine stellt die Frage aller Fragen.
– So what do you want?
Immer dieses Gerede, was man wolle. Ich würde gern mal sagen: Naja, die Liebe meines Lebens, wie wir alle, aber ich glaube nicht, dass du das bist!
Aber ich sage:
– Something serious, I guess.
Antoine nickt zufrieden.
Auch er wolle etwas Ernsthaftes. Sein bestie Raphael heirate bald, und Raphael und Anna seien ein wunderbares Paar. Er glaube an die Liebe und wolle sein Leben nicht mit Menschen verschmutzen, die nicht an die Liebe glauben würden.
– I don’t want to pollute my life with people who don’t believe in love.
Als wären Zyniker ein Umweltproblem.
Hier glaube keiner an die Liebe, nur an die schnelle. Deswegen habe er überlegt, zurück nach Paris zu ziehen, dort lebten die Menschen monogam. Ich sei die Erste, die nicht nur Sex von ihm wolle.
Es ist aber nicht so, dass ich Sex von ihm will.
Ich will ja gar nichts von ihm.
Nicht mal einen Schluck Wasser.
Nur versäume ich, das zu sagen, so dass er seine Ausführungen damit beendet, dass wir das nächste Mal eine Pizza essen könnten, im Laden von Leo, nur keine mit Rucola, Rucola könne er nicht gut verdauen. Sonntag habe er noch nichts vor.
Ich habe mal gelesen, dass Menschen Pläne machen, weil sie Angst vor dem Tod haben. Und ich fürchte, dass ich die ewige Grabesruhe einem Leben mit Antoine vorziehe.
Er sieht auch ein bisschen aus wie Millhouse von den Simpsons. Und der Rest in dieser Cocktailbar spielt sich selbst. Die Frauen tragen Plateauschuhe und weiße T-Shirts in XL, die sie in Unterbrust-Hosen gesteckt haben. Die Männer auch. Es gibt Gruppenumarmungen. Als ein kleiner Hund einer der Frauen ans Bein springt, ruft sie: Oh mein Gott, ein Hund! Als hätte sie noch nie einen gesehen. Und vielleicht hat sie das wirklich nicht.
Ich überlege, ob ich lästern soll, da zieht Antoine ein i-Pad aus seinem Rucksack. Es ist nicht schwarz und kein Tastentelefon, beides finde ich seltsam, sage aber nichts. Ich habe auch keine Gelegenheit dazu, denn er führt mir jetzt seine Freunde vor. Er preist sie an wie Tiere auf einer Rasseschau: Aren’t they beautiful? He’s so fluffy! She’s the fluffiest one! Look how pretty he is! Oh, I love them all!
Er wischt sich von Foto zu Foto, während ich nur blasse Künstler sehe. Sie sehen gar nicht aus wie richtige Menschen. Eher wie Werbung für Menschen. Menschen, die niemals lachen oder essen, und Anna ist gar nicht Anna, sondern Hannah, aber Antoines Akzent hat das H unterschlagen.
Schließlich dreht er sich eine Zigarette, recht langsam, dann sitzt er da mit ihr. Mehr passiert nicht, er hält sie nur zwischen seinen Fingern. Ich kann mich nicht konzentrieren, weil ich auf die Zigarette starren muss. Ich verstehe nicht, wieso sie aus bleiben soll. Man dreht Zigaretten doch nicht, um sie zu halten. Man dreht sie, um sie in sich hineinzusaugen!
– Don’t you want to light your cigarette?
– I don’t have a lighter.
Ich deute auf die beiden Trinker neben uns. Dinosaurier kurz vor der Ausrottung. Sie haben graue Pferdeschwänze und volle Biere, vor denen zwei Feuerzeuge liegen. Aber Antoine schüttelt den Kopf.
– I don’t want to interfere. I respect their privacy.
Da greife ich nach einem der beiden Feuerzeuge. Die Trinker schauen, als wäre neben ihnen ein Ufo mit der Aufschrift Frau gelandet. Antoine steckt die Zigarette in den Mund, ich zünde sie an.
– Merci!
– Ja …
Ohne jede Überleitung fängt er an, über seine sexuellen Vorlieben zu reden. Seine Exfreundinnen habe er eher dominiert, das hätten sie gemocht, außer einer. Nur eigentlich werde er selbst gerne ein bisschen härter behandelt, genau genommen sogar sehr hart. Deswegen habe er überlegt, ob er schwul sei, mit einem Mann ließe sich das sicher gut ausleben. Wie das bei mir sei?
Ich gehe zur Toilette.
Auf der Kabinenwand steht: Your smile is the best you can wear.
Und drunter: I bet a fat woman wrote that!
Und drunter: I bet a small dick wrote THAT …
Und drunter: Beware of the limbo dancer