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DER SCHLECHTESTE HAUSARZT
VON NEUKÖLLN

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Wenn ich es mir recht überlege, bin ich schon mein ganzes Leben unzufrieden. Und jetzt warte ich auch noch seit einer Stunde auf den schlechtesten Hausarzt von Neukölln. Das jedenfalls steht auf der Wand neben dem Schreibtisch. Vielleicht hat er mich nur schon in sein Zimmer bitten lassen, damit ich nichts mehr erwarte, wenn er kommt. Er hat die Bewertungen aufgehängt, die seine Patienten über ihn ins Internet gestellt haben. Man hätte meinem Arzt Sterne geben können, maximal fünf, alle gelb. Hier ist aber nur ein Stern gelb und von einem zweiten noch ein Drittel, der Rest ist grau. Er hat das alles wirklich eingerahmt.

Inkompetent und unfreundlich

Weiß Bescheid, aber guckt einen nicht an

Voll der Asi

Nee Danke ey!?

Hat sich immer in die Augen gefasst und nicht zugehört

Unfreundlich und arrogant, aber kompetent

Hasst seine Patienten und sich selbst

Nie wieder!!

Nie wieder!! Das würde ich auch gerne sagen, als er endlich reinkommt, mich aber nicht ansieht, mich auch nicht begrüßt, sich einfach nur hinsetzt.

– Was führt Sie zu mir?, fragt er den Schreibtisch.

Treffender wäre: Wie haben Sie trotz allem zu mir gefunden? Oder besser noch: Wieso stehen Sie jeden Morgen auf und machen Ihr Bett, als wäre das jemandem wichtig? Und warum prüfen Sie, ob der Herd ausgeschaltet ist, wenn Sie das Haus verlassen, so als würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn alles abfackelt?

– Ich bin irgendwie erkältet.

Er hebt den Kopf. Die Nase ist gut.

– Irgendwie erkältet?

– Ja?

– Sie klingen aber gar nicht erkältet.

– Ich weiß, man hört es mir nicht an ...

Man hört mir so vieles nicht an, aber ihm ja auch nicht. Zum Beispiel, ob er zuhause eine Frau sitzen hat, die ihn im Internet bewertet.

Weiß nix und guckt mir nur auf die Brüste

Voll der Asi Nee Danke ey!?

Fasst mir immer an den Arsch und hört nicht zu

Unpünktlich und arrogant, aber sieht gut aus

Hasst unsere Kinder und sich selbst

Nie wieder!!

Er spielt mit seinem Kugelschreiber. Ich rutsche auf meinem Stuhl weiter nach hinten, falls er ihn nach mir wirft.

– Sie wollen eine Krankschreibung?

– Sie könnten mich ja mal abhören?

In seinem Gesicht verändert sich etwas. So wie der erste Schnaps einen Trinker belebt.

– Ich soll Sie abhören und nach einer Erkältung suchen, die Sie gar nicht haben?

– Also, ich bin schon erkältet.

– Na, kommen Sie.

Er deutet auf die Liege. Ich huste ein bisschen beim Aufstehen und gehe auch gebückt, so als würde irgendein Elend auf meine zarten Schultern drücken. Das ist nicht mal gelogen. Als ich mich hinlegen will, sagt er, sitzen reicht.

Er kommt neben mich. Sein Stethoskop steht ihm wahnsinnig gut. Ich schreibe Bewertungen im Kopf.

Liebt seinen Kugelschreiber

Hat so schöne Sommersprossen auf der Nase

Hört einen ab, obwohl man gar nicht krank ist

Das Metall ist kalt, und seine Finger sind es auch. Ich atme besonders langsam ein und wieder aus, damit es länger dauert. Er könnte mich auch ein bisschen streicheln. Meine Haut ist weich, das mögen viele, aber er nimmt das Stethoskop aus seinen Ohren und von meinem Rücken. Vielleicht hat er zuhause eine von diesen Frauen, die immer Verständnis haben. Vor allem, wenn Dinge gut aussehen so wie er und nichts mit Fremdsprachen zu tun haben so wie Pornos.

– Rauchen Sie?

– Nein, aber.

– Ja, das hab ich mir schon gedacht.

Bestimmt bucht sie alle drei Monate ein Zimmer in einer Stadt, die sie nicht kennen, damit sie die Welt und sich selbst immer wieder neu entdecken.

– Ich schreib Sie die Woche krank, das reicht ja wohl?

– Ja, wenn ...

– Gut.

Wir schauen uns an. Er fasst sich wirklich oft ans Auge. Und er weiß wahrscheinlich auch nicht mehr, wie er da hineingeraten ist. Beim Frühstück reden sie manchmal über das Umland, und er denkt an Reihenhäuser, deren schiefe Dächer ihn an die asymmetrischen Haarschnitte alter Frauen erinnern. Genau solche wären dann seine Nachbarinnen. Und der Friedhof wäre auch ums Eck. Dabei war er früher auf den Partys seiner Studentenverbindung schon um zehn so besoffen, dass er ins Gebüsch kotzte, in sein Zimmer schlich und zwei Stunden schlief, bevor er zurück auf die Feier ging. Irgendwie lässig. Richtig lebensfroh. Jetzt sind er und seine Frau jeden Samstag bei Ulrich und Ulrike eingeladen, bei Uli & Ike. Die machen alles gemeinsam und lachen dabei und meinen es so.

– Gute Besserung, falls man das so sagen kann.

Ich finde, man kann schon.

– Ja, dann, danke.

– Bedankt hat sich hier noch keiner.

– Ja, das kann ich mir vorstellen ...

Er öffnet den Mund, aber ich bin schneller.

– Ich mein, wegen der Bewertungen da.

Er winkt ab.

– Ach so, ja, das war ein Geschenk von meiner Frau, die ist Grafikdesignerin. Und verrückt.

Er verschwindet in sein restliches Leben.

Vermutlich eher Rest als Leben.

Männer ohne Möbel

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