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DER HERD IST EIN HEILIGER ORT Die Kunst des Kochens und Würzens im antiken Griechenland

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Die Götter Griechenlands liebten Gewürze genauso glühend wie die Menschen. Kaum einen Gott gab es, der nicht irgendein Lieblingsgewürz hatte, und kaum ein Gewürz, das nicht einen göttlichen Paten besaß. Lorbeer zum Beispiel war viel mehr als nur ein Gewürz von dieser Welt. Für den Göttervater Zeus waren seine Blätter heilig. Die Siegerkränze bei den Olympischen Spielen wurden aus Lorbeer geflochten. Die Priesterinnen des Orakels von Delphi kauten Lorbeerblätter, um mit den Göttern in Kontakt zu treten. Und die Nymphe Daphne verwandelte sich in einen Lorbeerbaum, um vor dem aufdringlichen Dichtergott Apollon sicher zu sein – deswegen war der Lorbeer für die Griechen auch das Sinnbild der Dichtkunst.

Genauso göttlich war der Granatapfel. Paris übergibt Aphrodite diese Frucht als Zeichen ihres Sieges beim Wettbewerb mit Hera und Athene um den Rang der schönsten aller Frauen. Der schreckliche Totengott Hades wiederum raubt Persephone, die Tochter der Erdgöttin Demeter, die aber mit einer nicht minder schrecklichen Drohung die Rückgabe ihres Kindes erzwingt: mit der Drohung des ewigen Winters. Da Persephone in der Unterwelt aber schon von einem Granatapfel genascht hat, muss sie Jahr für Jahr für eine gewisse Zeit als Gemahlin des Hades in die Unterwelt zurückkehren – so sind nach der griechischen Mythologie die Jahreszeiten entstanden. Eine besonders schaurige Geschichte steckt hinter den Harztropfen der Myrrhe: Sie sollen nichts anderes als die Tränen der Nymphe Myrrha sein, die von den zürnenden Göttern wegen ihres Ungehorsams in einen Baum verwandelt wurde. So hatte jedes Gewürz in Griechenland einen mythologischen Duft.

Die einflussreichste Epoche der Weltgeschichte

Die Wiege des Abendlands stand in Griechenland – und wir alle lagen in dieser Wiege, die mehr als 3000 Jahre alt und immer noch intakt ist. Denn keine andere Epoche der Weltgeschichte war einflussreicher und folgenschwerer als die Antike. All die philosophischen, moralischen, politischen Ideen, die das alte Griechenland entwickelte, bestimmen bis heute unser gesellschaftliches Zusammenleben, unser Verständnis von Recht und Gesetz, unser Streben nach Glück – und auch unseren Umgang mit Gewürzen.

Die Antike begann etwa 1200 vor Christus, als sich die griechischen Stadtstaaten allmählich herausbildeten und den Mittelmeerraum kolonisierten, ohne allerdings ein starkes, homogenes Reich wie später das römische Imperium zu errichten. Ihren geistigen Höhepunkt erreichte sie mit der Blüte Athens im 5. und 4. Jahrhundert vor Christus und dem Wirken der drei berühmtesten Philosophen der Geschichte: Sokrates, Platon und Aristoteles. Niemals zuvor hatte die europäische Zivilisation solche Höhen erreicht wie damals, niemals zuvor hatten die Menschen – sofern sie freie Bürger und keine Sklaven waren – so kultiviert gelebt. Und niemals zuvor hatten sie so gut gekocht, gegessen, gewürzt, wobei Gewürze gleichermaßen in der Mythologie und der Medizin, in der Küche und selbst im Krieg eine zentrale Rolle spielten. Thymian zum Beispiel galt als Symbol des Mutes. Deswegen badeten die Soldaten vor einer Schlacht in Wasser, das mit Thymian aromatisiert war. Nach dem Kampf rieben sie sich dann mit Lorbeerzweigen ab, um sich symbolisch vom vergossenen Blut zu reinigen.

Die Kühnheit der phönizischen Seefahrer

Um den ungeheuren Appetit auf Gewürze stillen zu können, war ein intensiver Handel notwendig. Er lag im 1. Jahrtausend vor Christus zu großen Teilen in den Händen der Phönizier, der begabtesten und kühnsten Seeleute ihrer Zeit. Sie machten Tyros im heutigen Libanon und später Karthago im heutigen Tunesien zu den wichtigsten Umschlagplätzen für Würzmittel, übernahmen in Kleinasien von arabischen Zwischenhändlern Weihrauch, Pfeffer oder Ingwer aus dem Jemen, dem Horn von Afrika, Indien und China, versorgten damit den gesamten Mittelmeerraum und wagten es sogar, die Säulen des Herkules zu passieren – so nannte man in der Antike die Straße von Gibraltar. An der Iberischen Halbinsel entlang segelten sie nach Norden, um Gewürze gegen Zinn aus Britannien oder Bernstein aus der Ostsee einzutauschen.


Die Kaufleute aus den griechischen Stadtstaaten eröffneten sich später ihre eigenen Handelswege über Land, um nicht nur von den Phöniziern abhängig zu sein: Sie kamen den Gewürzkarawanen bis an die Ufer des Roten und Schwarzen Meeres entgegen, weil sie selbst die Gewinnspannen abschöpfen wollten. So entstanden neue Gewürzrouten von der Mündung des Don bis zur Mündung des Nil. Die Knotenpunkte in diesem dichten Netz aus Handelswegen waren Athen, Korinth und Syrakus. Alexander der Große stieß dann im 4. vorchristlichen Jahrhundert in ganz neue Dimensionen vor: Seine triumphalen Feldzüge dehnten das hellenistische Reich bis zum Indus aus – fast bis zu den Anbaugebieten so begehrter Gewürze wie Pfeffer. Alexandria, die prachtvollste Stadt des hellenistischen Griechenlands mit der größten Bibliothek der Antike, wurde jetzt zur Herzkammer eines wahrhaft weltweiten Gewürzhandels. Hier liefen alle Stränge zusammen. Zimt aus China gelangte über die Seidenstraße, über Pamir, Turkmenistan, Persien und Antiochia in die Stadt des größten Feldherrn der Altertums. Pfeffer und Weihrauch, selbst Nelken und Muskatnüsse kamen auf Schiffen von den Molukken im heutigen Indonesien über Malaysia, Indien und Ceylon an die Küste des Roten Meeres, an der sie auf Karawanen umgeladen und nach Alexandria transportiert wurden.

Wann genau die Griechen anfingen, systematisch Gewürze in ihrer Küche zu verwenden, lässt sich nicht bestimmen. Man weiß aber, dass schon sehr früh, in der minoischen Kultur auf Kreta und der mykenischen Kultur auf dem griechischen Festland zwischen 3000 und 1000 vor Christus, Gewürze für die Parfümherstellung verwendet wurden. Auch zum Färben wurden Kräuter und Gewürze seit frühesten Zeiten benutzt. Bei Ausgrabungen in einer Parfümmanufaktur auf Zypern, die wohl um 1850 vor Christus errichtet wurde, fand man Reste von Koriander, Lorbeer, Myrte, Lavendel und Rosmarin. Und ein Fresko auf der Insel Santorin aus dem frühen 2. Jahrtausend vor Christus zeigt Safranpflückerinnen bei der Arbeit. Safran war beliebt als Färbemittel, als Ingredienz von Parfüm und auch als Medizin, etwa bei Augenleiden und Entzündungen der Gebärmutter.


Ein ganzes Volk im Parfümrausch

Heute ist Alkohol die Basis der Parfüms. In der Antike waren es Öle, dadurch waren sie dickflüssiger als unsere Duftstoffe. Der griechische Naturforscher Theophrast beschreibt ausführlich die Herstellung von Parfüm, bei der unter anderem Oliven- und Sesamöl zur Fixierung von Rosenduft benutzt wurde. Rosenparfüm war wahrscheinlich der beliebteste Duft der Antike. Zimt wurde nach dem Vorbild des pharaonischen Ägyptens zu einer weiteren, überaus beliebten Ingredienz für Parfüm, die erst Jahrhunderte später in die Küche Eingang fand. In der klassischen Zeit vom 6. Jahrhundert an wurden Düfte zu einer Art Volksdroge. Die Athener benutzten sie so exzessiv, dass sich der athenische Staatsmann Solon gezwungen sah, seine Mitbürger zur Mäßigung aufzurufen. Viel hat es nicht genutzt. In der Agora von Athen, dem Herz der Stadt, wimmelte es von Parfümläden, in denen Männer so selbstverständlich einkauften wie Frauen. Die Männer liebten es, sich beim Sport mit Olivenöl einzureiben, das zuvor mit Majoran aromatisiert worden war.


Wein, Weib, Gesang – das wilde Treiben auf den Symposien

Eine ganz besondere Rolle spielten Gewürze bei den Symposien, den geselligen Trinkrunden, bei denen Musikstücke gespielt, lyrische Gesänge vorgetragen und sehr viele Becher Wein getrunken wurden. Doch damit war es mit den leiblichen Genüssen noch lange nicht vorbei. In ganz Athen berüchtigt war ein Mann namens Stratokles, genannt »der Ausschweifungsmeister«, der im Ruf stand, jede gewünschte Prostituierte für ein Gelage herbeischaffen zu können. Da ist es kein Wunder, dass sich Philosophen wie Klearchos von Soloi über die Sittenlosigkeit ihrer Landsleute empörten. Diese Saufbrüder unterhielten sich bei Trinkgelagen, so meinte Klearchos entsetzt, nicht nur darüber, welcher Fisch wie am besten zu kochen sei, sondern befragten sich auch gegenseitig ganz offen, »welche Stellung beim Geschlechtsverkehr am angenehmsten ist«. Und da die Klugheit der alten Griechen auch überaus praktische Züge hatte, wussten sie ganz genau, wie man ein Symposion möglichst angenehm gestaltet. Ein gewisser Hikesios von Smyrna empfahl seinen Zechkumpanen, sich den Kopf vor dem Symposion mit einer Salbe aus Bockshornklee und anderen Gewürzen einzureiben, damit man nicht so schnell betrunken wird. Er kannte aber noch mehr Tricks: »Rosenduft passt zu einem Trinkgelage, ebenso Myrrhe und Quitte, Letztere wirkt auf den Magen und ist für Lethargiker angemessen. Mädesüß, das ebenfalls auf den Magen wirkt, hält den Verstand klar. Majoran- und Thymiandüfte passen ebenfalls zu einem Trinkgelage, ebenso Safran.«

Die Liebe der Griechen zu gutem Essen und gutem Wein war spätestens mit dem Beginn der klassischen Zeit um 500 vor Christus voll entbrannt. Das Kochen war ein allgegenwärtiges Thema, leidenschaftlich wurde über alle Fragen der Kulinarik debattiert, pausenlos traf man sich zu Festmahlen, die sehr gerne in Trinkgelagen mündeten. Und die besten Köche der griechischen Stadtstaaten waren hoch angesehene Persönlichkeiten, wobei die Küchenchefs aus dem griechisch besiedelten Sizilien als die Besten der Besten galten. In einem Werk des Komödiendichters Kratinos des Jüngeren gibt es diese hübsche Stelle, die alles sagt: »Spürst du, welch süßen Geruch dieses Land hat und wie ein gar würziger Rauch aufsteigt? In dieser Schlucht muss anscheinend ein Weihrauchverkäufer wohnen – oder ein sizilianischer Koch.«

Schwertlilienzwiebeln – das Viagra der Antike

Die wichtigste Quelle für die Küche und die Esssitten, die Bedeutung des Genusses und die Lust am Exzess, die Wertschätzung von Kräutern und den Gebrauch von Gewürzen in der Antike ist »Das Gastmahl der Gelehrten« des griechischen Grammatikers Athenaios. Es besteht aus fünfzehn voluminösen Büchern mit erfundenen Tischgesprächen kluger Gäste über alle Aspekte des Essens und ist gespickt mit Zitaten aus literarischen und philosophischen Werken. Auch Dutzende von Rezepten und Gerichten werden beschrieben, etwa geräucherte Fischstückchen mit Kapern, Salat mit scharfer Senfsauce oder dünne Fleischscheiben mit Hyazinthen-, Asphodelos- und Schwertlilienzwiebeln – sie galten als das Viagra der Antike.

Gewürze gab es im klassischen Griechenland in Hülle und Fülle, wobei sie – wie schon in Mesopotamien und dem Ägypten der Pharaonen – gleichermaßen in der Küche und der Medizin Verwendung fanden. Zimt wurde aus China importiert und als Königin der Gewürze angesehen. Fenchel war nicht nur eine Art Volksgewürz, sondern auch ein Symbol des Sieges. Knoblauch galt als das Allheilmittel der Armen und wurde als Abführmittel empfohlen. Petersilie war so begehrt, dass man die besten Qualitäten aus Mazedonien herbeischaffte. Denn sie schmeckte nicht nur gut, sondern soll überdies ein ausgezeichneter Kraftspender gewesen sein, der Inbegriff von Stärke: Herkules bekränzte sich gern mit Petersilie statt mit Lorbeer. Mohn, Sesam und Leinsamen wurden schon um 400 vor Christus als Würzmittel dem Brotteig beigemischt. Auch Dill, Kapern, Zwiebeln, Lauch, Koriander, Kreuzkümmel, Ysop, Safran, Salbei und Rauke gehörten selbstverständlich in jede gute Küche, genauso wie die fermentierte Fischsauce Garos, die später bei den Römern als Garum überaus beliebt werden sollte. Weder ihr Geschmack noch ihr Geruch können sehr fein gewesen sein. Denn für sie wurden Sardellen und Makrelen zu einem Teig verknetet, der mit reichlich Salz angesetzt und dann in einem irdenen Krug zwei, drei Monate lang in der sengenden Sonne stehen gelassen wurde – nichts für delikate Nasen.


Grollende Philosophen, schlemmende Bürger

Einige sehr einflussreiche Griechen rümpften indes nicht nur über die Fischsauce Garos die Nase. Platon und Aristoteles, den größten Philosophen des Abendlands, waren die ständige Schlemmerei und Genusssucht ihrer Landsleute ein Dorn im Auge. Die beiden Großdenker mögen Geistesgenies gewesen sein, Gourmets waren sie ganz gewiss nicht. Sie verachteten das gute Essen, weil es ihrer Meinung nach die Menschen am vernünftigen Denken hinderte. Für sie war Völlerei prinzipiell der Feind des Verstands – eine Geisteshaltung, die sich im deutschen Sprichwort vom vollen Bauch, der nicht gerne studiert, niedergeschlagen hat.

Platon befand kategorisch, dass Kochen »keine Kunst« sei, also keine Wissenschaft, sondern bestenfalls eine »Geschicklichkeit«. Er schimpfte über die Maßlosigkeit seiner Mitbürger beim Essen und ihre Sucht nach Delikatessen, über all die »ausländischen Leckereien« und die schädliche »Mannigfaltigkeit von Speisen«. Und ganz besonders grimmig verdammte er die »Gewürze« und »Süßigkeiten«, von denen die Griechen den Hals nicht voll bekommen konnten. Stattdessen pries er die trostlose, lustfeindliche Kost der Spartaner – ausgerechnet der Spartaner, die so streng waren, dass Dicke in ihrem Staat Geldstrafen zahlen mussten; ausgerechnet der Spartaner, über deren Küche dieses berühmte Bonmot eines Griechen aus Süditalien kursierte: »Natürlich sind die Spartaner die tapfersten Männer der Welt. Aber jeder, der nur irgendwie bei Trost ist, würde lieber zehntausend Tode sterben, als sich ein so schlechtes Essen vorsetzen zu lassen.« Noch radikaler war Aristoteles: »Kochen ist ein knechtisches Gewerbe«, befand er, eines freien Mannes nicht würdig, höchstens etwas für Sklaven, die im klassischen Griechenland alle körperlichen Tätigkeiten verrichten mussten – und tatsächlich waren die Köche in der Antike ausnahmslos Sklaven.

Unser Denken wird bis heute von Platon und Aristoteles geprägt, unsere Küche zum Glück nicht. Und zum Glück waren die beiden Philosophen mit ihrer Lobpreisung der spartanischen Schmalkost in der Minderheit. Andere berühmte Denker wie Heraklit vertraten eine ganz andere, nämlich Volkes Meinung: »Der Herd«, sagte der lebenskluge Philosoph, »ist ein heiliger Ort.« Und genau diese Maxime sollten die Römer, die das Erbe der Griechen antraten, mit größter Lust beherzigen.

Meine Reise in die Welt der Gewürze

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