Читать книгу Meine Reise in die Welt der Gewürze - Alfons Schuhbeck - Страница 17

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Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich einmal meinen Geburtstag in Beirut feiern würde. Doch das Leben ist einfallsreicher als die Fantasie. Und so stehe ich jetzt auf der Gartenterrasse eines herrschaftlichen Anwesens hoch über der Küste des Libanon, schaue hinunter auf den Hochhauswald seiner Hauptstadt Beirut und fühle mich eher wie in New York als im Nahen Osten. Verwandte von Freunden von Bekannten haben für mich spontan eine Feier organisiert, als sei ich ein uralter Freund der Familie und nicht irgendein Koch auf der Durchreise. Es sind Menschen von überwältigender Gastfreundschaft, alter libanesischer Geldadel, viel zu vornehm, um zu protzen, viel zu herzlich, um arrogant zu sein, viel zu rührend, um es nicht ehrlich zu meinen. Und sie haben mir zu Ehren einige der besten Köche des Landes eingeladen, in das mich meine Reise in die Welt der Gewürze aus einem einzigen Grund geführt hat: Wen auch immer man fragt – alle sagen, dass die libanesische Küche die beste der arabischen Welt sei.


Die Stadt aber, auf die ich blicke, verdient einen ganz anderen Superlativ. Nicht die Beste, Schönste, Magischste des Morgenlands ist sie, sondern die Eigenartigste. Eine kluge Frau hat mir gerade auf der Feier gesagt, dass Beirut ein Ort voller Widersprüche an der Grenze zum Wahnsinn sei. Genauso habe ich ihn heute erlebt. Wie verrückt wachsen die Wolkenkratzer aus dem Boden – und dazwischen rotten Kriegsruinen vor sich hin, übersät mit Einschusslöchern wie Pockennarben. Die Straßen sind voller Jaguars, Range Rovers oder Porsches – und zwischen ihnen ächzen rostige Mercedes-Taxen aus den Siebzigerjahren wie altersschwache Mulis die Hügel hinauf.

Die Stadt schwimmt in Geld, weil die Libanesen seit 3000 Jahren, seit den Zeiten der Phönizier, vielleicht die begabtesten Kaufleute der Welt sind – und trotzdem sieht Beirut an manchen Stellen aus wie Dritte Welt. Der alles beherrschende Bau ist die Hariri-Moschee mit ihren leuchtend blauen Kuppeln und himmelsstürmenden Minaretten – und großmütig lässt sie direkt neben sich Platz für eine Kirche der maronitischen Christen, in der die Messe noch immer auf Aramäisch gelesen wird, der Muttersprache von Jesus Christus.


»Unsere Heimat ist wie eine große Familie«, sagen die Libanesen. »Meistens vertragen wir uns, aber manchmal gibt es eben Streit.« Und manchmal auch Mord und Totschlag. 1975 eskalierte der Familienzwist zu einem mehr als fünfzehn Jahre dauernden Bürgerkrieg. Jeder kämpfte gegen jeden, Schiiten gegen Sunniten, gegen Drusen, gegen Christen, und am schlimmsten soll es gewesen sein, als sich die Christen sogar untereinander zerfleischten. Das schöne, alte Beirut, das vor dem Krieg als »Paris des Ostens« gerühmt wurde, haben die Panzer und Haubitzen fast vollständig ausgelöscht. Wenigstens die Altstadt hat man in einem eigenwilligen Mischmasch aus französischer Klassik und arabischem Traditionalismus wiederaufgebaut und mit lauter Luxusgeschäften von Dior bis Tiffany vollgestopft. Doch ihre Künstlichkeit klebt an ihr wie ein böser Fluch.

Ich rufe mir jetzt all das ins Gedächtnis, was ich heute in Beirut gesehen habe – etwa den Bioerzeugermarkt hinter der neuen Altstadt, auf dem zwischen Jachthafen und Kriegsruinen ausschließlich kleine, lokale Produzenten ihre Waren verkaufen dürfen: Obst und Gemüse, Honig und Öl, Brot und Snacks, Kräuter und Gewürze wie die berühmte »Sieben-Pfeffer-Mischung«, die auch Zimt, Nelken, Muskatnuss und Koriander enthält.


Ich gehe von Stand zu Stand, nasche hier und da, frage die Marktfrauen nach ihren Gewürzen und Küchengeheimnissen, lasse mir jedes Wort haargenau übersetzen, weil ich alles wissen muss. Denn erst das Verstehen der fremden Küche gibt jemandem wie mir das Recht, sie verändern zu dürfen. Verständnis, Respekt und Demut sind die Grundlagen jeder Weiterentwicklung. Das habe ich in vielen Jahren als Küchenchef gelernt.

Dann werde ich Kamal vorgestellt, dem Initiator des Markts, der mir erklärt, welche große Idee hinter dieser kleinen Sache steckt: Der Markt ist der einzige Ort im Libanon, an dem die Angehörigen der verschiedenen Religionen und Volksgruppen gemeinsam essen und einkaufen, anstatt sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Christen, Drusen, Schiiten, Sunniten kommen mit Einkaufstaschen hierher, nicht mit Gewehren. »Das hier«, sagt Kamal vorsichtig lächelnd, »das ist nicht nur ein Markt. Das ist Versöhnung, wenigstens einmal pro Woche.«




Auch das also erlebe ich auf meiner Reise in die Welt der Gewürze: nicht nur Städte wie Damaskus, die auf einem Fundament aus Tausenden Jahren Geschichte ruhen, sondern ebenso Orte wie Beirut, die ihre Vergangenheit mutwillig vernichtet haben.

Gedankenverloren stehe ich an der Promenade, an der alles neu und nichts alt ist, zwischen angelnden Großvätern und Fußball spielenden Kindern, zwischen Teeverkäufern und Obstsaftpressern. Ich blicke auf das Meer und versuche mir vorzustellen, dass einst phönizische, dann griechische, später römische, schließlich venezianische Gewürzhändler über dieses Meer an die Küste des Libanon segelten, an der sie Zimt, Ingwer, Pfeffer, Nelken und Muskat gegen Gold tauschten. Hier landeten die Kreuzritter, um das Grab Christi in Jerusalem zu befreien und gleichzeitig an die Quelle der Gewürze zu gelangen. Und ganz nebenbei lernten sie im Heiligen Land die Küche der Kalifen mit ihrer grandiosen Kunst des Würzens kennen und brachten sie begeistert mit nach Hause. Es ist schwer, sich das alles vorzustellen.


»Wir leben in einer Stadt«, haben mir die Menschen in Beirut immer wieder gesagt, »die im Angesicht ihrer tragischen Geschichte gar nicht weiß, ob sie eine Zukunft hat, und deswegen die Gegenwart wie einen Tanz auf dem Vulkan in vollen Zügen genießt.« Nach mir die Sintflut, scheint das Lebensmotto von ganz Beirut und vor allem von jenen blendend schönen Frauen zu sein, die so aufreizend hochhackig die Uferpromenade entlangstöckeln, dass es jedem genierlichen Menschen die Schamesröte ins Gesicht treibt. Minirock statt Tschador, High Heels statt Burka – in Beirut ist es offenbar eine Sünde, seine Schönheit zu verbergen.

Die Menschen hier lieben jede Art von Fleischeslust. Ich habe einen Metzger gesehen, der sich auf einem Schild vor seinem Geschäft stolz »Kunsthandwerker des Fleisches« nennt. Ich bin in einem Feinkostgeschäft gewesen, das sich vornehm als »Boutique des guten Geschmacks« bezeichnet. Ich habe in einem winzigen armenischen Familienrestaurant, kaum größer als ein Esszimmer, die wunderlichsten Dinge gegessen: Bauchspeicheldrüsen, Knochenmark, Kalbshirn, allesamt geheimnisvoll gewürzt, und – als sei man im Schlaraffenland – gebratene Vögelchen in Granatapfelmelasse, nicht größer als eine Pflaume. Wo, wenn nicht hier, sollte ich die beste Küche des Morgenlands finden? Wann, wenn nicht jetzt auf meiner Geburtstagsfeier hoch über den Dächern von Beirut?


Es ist ein wunderbares Fest. Der Hausherr, ein Grandseigneur mit silbernem Haar, safrangelbem Seidentuch und tadellosen Manieren, ist glänzend in Form und unterhält mit großer Geste seine Gäste. Wir stehen dicht gedrängt und laut plappernd in seiner Küche, und im Rausch der Begeisterung erklärt er mir, dass die libanesischen Olivenöle direkt vom göttlichen Olymp kommen und die libanesischen Chilipasten die besten des Erdenrunds sind.




Jede Köstlichkeit, jede Kostbarkeit hält er mir zum Probieren unter die Nase, während um uns herum ein halbes Dutzend Köche ein Buffet mit allen Klassikern der libanesischen Küche zaubert: Es gibt das Kichererbsenmus Hummus, den Petersiliensalat Tabouleh, pürierte Auberginen, gebratene Wüstentrüffel, scharfe Bratwürste, Huhn am Spieß, gefüllte Weinblätter, Tatar von der Ziege, gewürzt mit Kreuzkümmel und Zimt, süßem Pfeffer und Zatar, einer Mischung aus Thymian, Sesam, Sumach, Salz und Olivenöl.


Und zur Krönung serviert man uns das Lamm, am Stück mit Kopf, perfekt gegart, das Fleisch zart wie eine Mousse. Nur eines fehlt ihm seltsamerweise: Gewürze.

Wieder gehe ich auf die Terrasse, schaue hinab auf die Lichter des Libanon, der jahrhundertelang eine Drehscheibe des Weltgewürzhandels war, und frage mich, warum in der libanesischen Küche so sparsam, manchmal sogar einfallslos gewürzt wird – und warum es vor allem immer dieselben Gerichte gibt. Man hätte das Lamm auf ein Bett aus Orangen- und Zitronenschalen, Thymian und Rosmarin, Ingwer und Knoblauch legen können, damit die Aromen beim Garen ins Fleisch einziehen. Man hätte in den letzten fünfzehn Minuten die Haut einritzen und mit einer Gewürzpaste einreiben können, das wäre wunderbar geworden. Warum hat das niemand gemacht? Wer erklärt mir das? Ich blicke mich um – und finde niemanden.

Doch dann naht die Rettung in letzter Sekunde. Sie taucht in Gestalt eines weißen Ritters auf – nur mit Hut statt Helm. Plötzlich steht er vor mir, redet wie ein Wahnsinniger auf mich ein, und nach zwei Minuten ist mir klar: Das ist er! Joe Barza ist mein Mann, mein schönstes Geburtstagsgeschenk an diesem Abend!

Joe Barza ist ein wilder Bursche mit Spitzbart, Hammerwerferkreuz, Ohrring in Besteckform und Glatze, die er als leidenschaftlicher Hutsammler permanent unter einer Kopfbedeckung versteckt. Er war Fallschirmjäger und Bodyguard eines libanesischen Präsidenten, der ermordet wurde. Anscheinend hat Joe kein Talent zum Menschenlebenretten und verlegte sich deswegen aufs Kochen. Heute hat er eine gut gehende Beratungsfirma für schlecht gehende Restaurants, die er nicht immer mit Geduld und Sanftmut auf Trab bringt. Und in seiner Kochfernsehshow, erzählt mir Joe, sei er sowieso der böse Bube.

Vor allem aber ist Joe Barza ein Revoluzzer, ein Bilderstürmer, ein Gotteslästerer, der den Heiligen Gral der libanesischen Küchenklassiker mit dem Vorschlaghammer zertrümmert. Zuerst wurde er dafür als Vaterlandsverräter verdammt, doch inzwischen begreifen immer mehr Menschen, dass er eine Mission hat: die Befreiung der Küche aus dem Gefängnis der Einfallslosigkeit und Traditionshörigkeit – genauso, wie ich vor vielen Jahren eine Mission hatte, als ich der bayerischen Küche einen Weg aus ihrer fetttriefenden Selbstgefälligkeit zeigte. Joe und ich, wir sind also Brüder im Geiste, umarmen uns stürmisch und verabreden uns für morgen früh an seinem Herd.


Joe Barza ist am nächsten Tag nicht zu bremsen, improvisiert wie der Teufel, lässt keinen Stein seiner Heimatküche auf dem anderen. Er legt mit seiner ganz eigenen Pesto-Variante los, mischt Thymian, Rucola, Minze, Koriander, Knoblauch, Pinienkerne, Olivenöl, pulverisierten Joghurt, schwarzen Pfeffer und Zitronensalz mit Hummus. Ich koste, lerne, lobe, grüble – sehr gut, Joe, ich würde nur etwas mehr Knoblauch nehmen und das Pesto mit flüssigem Joghurt cremig abschmecken. Joe ist aber schon, bevor ich es ihm sagen kann, bei der nächsten Kreation, einem roten Hummus, der seine Farbe Tomatenmark und einer Chilipaste verdankt und mit Walnüssen veredelt wird. Das schmeckt noch besser, vielleicht fehlen nur ein paar Korianderblätter, um die Geschmacksextreme auszubalancieren. Doch allein die Tatsache, dass sich jemand traut, dem immer gleichen, kleistergrauen Kichererbsenmus eine andere Farbe und einen anderen Geschmack zu geben, verdient einen Orden.

Wie ein Derwisch saust Joe in seiner Küche herum, vom Mixer zum Herd, von der Fritteuse zum Schneidebrett, und lässt sich von seiner Kreativität forttragen wie von einem fliegenden Teppich. Er bestreicht haarfeine Vermicelli-Nudeln mit geklärter Butter, wickelt in dieses Engelshaar den kräftigen Halloumi-Käse, frittiert das Ganze und vollendet es mit einem Tupfer Pesto. Er formt aus Linsen, Bulgur und gerösteten Zwiebeln ein Püreenest und füllt es mit einer Mischung frisch wie der Tau aus Tomaten, Petersilie, Zitrone, Minze, Granatapfelkernen, süßsaurer Granatapfelmelasse. Dann würzt er es mit Ingwer, Zimt, Nelken, Muskatnuss und Pfeffer. Die Auberginen röstet er ganz traditionell, um Raucharomen zu gewinnen, hackt sie aber zu einem Concassé klein, anstatt sie zu pürieren, um diese schleimige Konsistenz zu vermeiden. Danach verfeinert Joe sie mit Balsamico, Sesampaste und rohem weißem Bulgur, der die überschüssige Flüssigkeit bindet und den Auberginen eine körnige Konsistenz gibt – kleine Tricks, große Wirkung. Und ein spontaner Geniestreich ist sein Rote-Beten-Püree, das nur ein bisschen Sesampaste, Zitronensaft und Balsamico braucht, um in den kulinarischen Adelsstand erhoben zu werden. Jetzt noch ein Chutney aus Mispeln dazu, und wir wären im Himmelreich, sage ich Joe, der heftig nickt.

Ab und zu geht mit ihm der Gaul durch, dann schießt er Löcher in die Wand. Bei seinem Milchreis, der Variante eines traditionellen libanesischen Desserts, ist es sogar ein richtiger Krater. Er kann – wie jeder anständige Revolutionär – einfach nicht aufhören und wirft alles, was ihm in die Hände fällt, in den armen Milchreis: Semmelbrösel, Mozzarella, Halloumi, Orangenwasser, Rosenwasser und als Krönung der Maßlosigkeit das weihrauchartige Harz des Aprikosenbaums. Ich schlage eine andere Variante vor, eine Gewürzmilch aus Safran, Kardamom, Zimt, Ingwer und einer Prise Chili, der den Geschmack so gut am Gaumen hält. »Fabelhafte Idee«, sagt Joe, und schon machen wir uns ans Werk.


Am letzten Abend sitze ich in einem Restaurant am Hafen von Beirut, blicke auf die lichterfunkelnden Hügel, fühle mich eher wie in Nizza als im Nahen Osten, denke über meine Erlebnisse nach – und bekomme plötzlich ein Kribbeln, das Kribbeln der Erkenntnis. Ich glaube, ich weiß jetzt, worum es geht. Jetzt habe ich es endlich begriffen: Die Küche des Libanon und vieler anderer arabischer Länder ist voller Stolz, aber ohne Ehrgeiz. Zuzeiten der Kalifen war sie unglaublich fantasievoll. Doch jetzt gibt sie sich mit einem kleinen Kanon an Klassikern zufrieden, den niemand zu verändern oder zu hinterfragen wagt. Kaum jemand denkt darüber nach, welche Möglichkeiten in dieser Küche und ihren Gewürzen stecken. Das ist ein ungehobener Schatz. Mir kommt es vor, als hätten die Leute vor vielen Jahrhunderten den Schlüssel zum kulinarischen Serail einfach weggeworfen und bis heute nicht wiedergefunden.

Nun bin ich mir meiner Sache ganz sicher: Das eigentliche Ziel meiner Reise in die Welt der Gewürze ist nicht das Morgenland. Dort finde ich vielleicht den Schlüssel, aber nicht die Schatztruhe. Die muss ich mir selbst füllen. Bei allem Respekt vor der traditionellen libanesischen Küche ist es die Aufgabe von Köchen wie Joe Barza und mir, ihre Gerichte weiterzuentwickeln. Bei aller Würde, die diese großartigen Klassiker haben und die auch ich ihnen niemals nehmen wollte, könnten sie eine kleine Revolution ganz gut vertragen. Jetzt werde ich pathetisch und sage: Die grandiose Küche der Kalifen hat im Mittelalter die europäische Schmalkost aus dem finsteren Loch der Einfallslosigkeit geführt und sie das Raffinement gelehrt. Nun ist es an der Zeit, sich dankend mit aller Bescheidenheit dafür zu revanchieren.


Meine Reise in die Welt der Gewürze

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