Читать книгу Meine Reise in die Welt der Gewürze - Alfons Schuhbeck - Страница 5
ОглавлениеICH WÜRZE, ALSO BIN ICH
Warum der Mensch ohne Gewürze nicht sein kann
Trinke einen Safrantee, und du fühlst dich fröhlich.« So lautet ein persisches Sprichwort, das uns ein fantastisches Versprechen gibt: Gewürze machen glücklich. Wer die Geheimnisse ihres Geschmacks und ihrer Wirkung kennt, führt ein besseres, zufriedeneres, fröhlicheres Leben. Das haben die Menschen schon immer gewusst und deswegen vom Anbeginn der Zeit Gewürze geschätzt, gesucht, gehandelt. Und deswegen ist es nicht tollkühn, sondern legitim, die Geschichte der Menschheit als Geschichte der Gewürze zu erzählen. Ohne sie hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen. Ohne sie wäre unsere Welt heute nicht dieselbe. Wie tief die Wurzeln unseres Würzens in die Anfänge aller Zivilisation zurückreichen, zeigt das Beispiel des Kreuzkümmels, eines der ältesten Gewürze der Welt, wenn nicht das älteste überhaupt: Auf Englisch heißt er cumin, auf Spanisch comino – und in der 5000 Jahre alten Sprache Mesopotamiens kamunu.
Vermutlich verwenden die Menschen schon so lange Gewürze, solange sie kochen. Keinen Zweifel gibt es daran, dass seit den frühesten Hochkulturen eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Zivilisation und Barbarei die Beherrschung der Kochkunst war. Im alten China oder in der Antike war man stolz auf die eigene kulinarische Kultiviertheit, während man jene Völker als roh und unzivilisiert verachtete, die einfach aßen und ihr Essen nicht würzten.
Weihrauch für die Pharaonen, Zimt für die Mesopotamier
Gewürze sind das früheste Beispiel der Globalisierung. Schon in der Antike gab es einen weltumspannenden Gewürzhandel von China, Indonesien und Indien über Persien und Arabien bis nach Europa. Doch am erstaunlichsten ist, dass dieser Handel in der Menschheitsgeschichte niemals zum Erliegen kam. Keine Zeitenwende, keine hundertjährigen Kriege, keine Pestepidemien konnten ihn stoppen. Der Heißhunger der Menschen nach Gewürzen war einfach zu groß.
Betrachtet man die Geschichte der Menschen als Geschichte der Gewürze, erkennt man verblüffende Zusammenhänge: Die geistige und zivilisatorische Blüte des antiken Abendlands etwa von 500 vor bis 400 nach Christus ist identisch mit jener Zeit, als Griechen, Phönizier und Römer den Gewürzhandel rund um das Mittelmeer und weit darüber hinaus dominierten und Gewürze im Überfluss vorhanden waren. Der Niedergang des Abendlands nach dem Kollaps des Römischen Reichs bedeutete in Europa auch den Anbruch einer Epoche, in der exotische Gewürze kaum eine Rolle spielten. In jener Zeit gewann die arabischislamische Welt die Kontrolle über den Gewürzhandel – und genau jetzt, im 7. und 8. Jahrhundert, begannen Aufstieg und Blüte der arabischen Reiche, die so lange dauerten, solange die Araber die Herren der Gewürze waren. Und die Renaissance Europas im späten 15. und 16. Jahrhundert fällt exakt in die Zeit der überseeischen Expansion Spaniens und Portugals, deren wichtigstes Motiv die Suche nach Gewürzen war. Nach den triumphalen Fahrten von Vasco da Gama, Christoph Kolumbus und all den anderen Entdeckern dauerte es nicht lange, bis die Europäer wieder den weltweiten Gewürzhandel beherrschten – und bald die ganze Welt.
Die einzige Medizin, die schmeckt
Die Globalisierung der Gewürze hat derart gründlich funktioniert, dass ihre Ursprünge längst verwischt sind und sie sich auf dem gesamten Planeten ausgebreitet haben. Die Paprika ist für uns heute der Inbegriff von ungarischer Puszta, doch sie stammt aus Amerika. Die Kapuizinerkresse halten wir für ein typisches Kraut aus den Klostergärten, doch in Wahrheit ist sie ein Souvenir der spanischen Konquistadoren aus der Neuen Welt. So vieles wissen wir nicht mehr über die Geschichte und Herkunft der Gewürze und kolportieren stattdessen die immer gleichen Legenden, etwa die Mär, dass die Menschen früher ihr Fleisch übermäßig stark würzten, um den Verwesungsgeschmack zu überdecken – das ist Unfug, denn wer sich teure Gewürze kaufen konnte, konnte sich natürlich auch das frischeste Fleisch leisten.
Dass die Menschen ohne Gewürze nicht leben können, hat aber nicht nur kulinarische, sondern geradezu existenzielle Gründe. Denn jahrtausendelang waren sie die einzige wirksame Medizin. Seit gerade einmal 150 Jahren wissen wir, was Viren und Bakterien sind und wie die Pharmakologie sie bekämpfen kann. All die Zeit davor hatte man keine Ahnung davon, doch man war nicht dumm: Die Menschen wussten, wie Gewürze und Heilkräuter wirken. Sie wussten nur nicht, warum sie es taten. Deswegen wurden Gewürze prinzipiell mit göttlichen oder mystischen Eigenschaften in Verbindung gebracht. Aus der Unkenntnis zog man genau die richtigen Schlüsse. Und so sind Küche und Medizin, Ernährung und Gesundheit immer Verbündete gewesen, keine Feinde und kein gegenseitiges Korrektiv.
Gewürze sind die einzige Medizin, die schmeckt. Dieses wunderbare Wissen ignorieren wir heute viel zu oft. Stattdessen ernähren wir uns unvernünftig und versuchen dann, uns mit einer Chemikalie in Pillenform gegen Sodbrennen zu behelfen, anstatt unser Essen mit verdauungsförderndem Kreuzkümmel oder Koriander zu würzen. Müssten ein Hippokrates oder eine Hildegard von Bingen das heute mit ansehen, würden sie nur ungläubig den Kopf schütteln. Unsere Ahnen waren in manchem klüger. Wir sollten von ihnen und ihrer Geschichte lernen. Wir sollten lernen, wieder richtig zu würzen.