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HUNDERTTAUSEND NACHTIGALLENZUNGEN Das Römische Reich und die Lust an der Dekadenz
ОглавлениеDas römische Imperium war ein Glücksfall der Geschichte. Fast ein halbes Jahrtausend lang, etwa von Christi Geburt bis zum Untergang Roms im 5. Jahrhundert, herrschten von Galiläa bis Britannien, von der Iberischen Halbinsel bis zum Schwarzen Meer, von der Libyschen Wüste bis zum Limes in Germanien Frieden und Wohlstand, und das Dasein war – zumindest für die freien Bürger – so angenehm wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Die Barbaren wurden zivilisiert, der römische Lebensstandard wurde zum Maß aller Dinge, und die halbe Welt sprach nun Latein. Rom war der Mittelpunkt des Abendlands, eine Millionenstadt, die sogar eine Berufsfeuerwehr besaß und einen Circus Maximus, in dem 250 000 Menschen die Wagenrennen verfolgen konnten. Die Römer bauten überall luxuriöse Badeanstalten, legten ein Abertausende Kilometer langes Straßennetz an, machten ganze Landstriche urbar und verbreiteten den Weinbau in halb Europa. Vor allem aber in der Kunst des Kochens und der Meisterschaft des Würzens erreichte man ein fabelhaftes Raffinement – wieder gingen Zivilisation, Kultiviertheit und Gewürze quasi Hand in Hand durch die Geschichte.
Allerdings waren die Römer am Anfang ihres Aufstiegs eher anspruchslose Esser. Erst die Kriege gegen das hellenistische Griechenland öffneten ihnen im 2. Jahrhundert vor Christus die Augen. Sie kamen in Kontakt mit der griechischen Kochkunst, staunten nicht schlecht und beschlossen, in ihrem Reich eine kulinarische Revolution anzuzetteln: Künftig sollten alle Belange des Kochens höchste Wertschätzung genießen. Die Revolution glückte, die Römer verwandelten sich in leidenschaftliche Gourmets, jeder bessere Haushalt leistete sich einen guten Koch, und die Meister ihres Fachs genossen ungeheures Ansehen. Für talentierte Köche, die immer Sklaven waren, wurden höhere Preise gezahlt als selbst für die besten Verwalter. Und bei den Spitzenkräften gab es kein Halten mehr. Der römische Historiker Sallust bot für den Koch des Cassius Nomentamus unfassbare 100 000 Sesterzen – ein Landarbeiter hätte fast siebzig Jahre lang für diese Summe arbeiten müssen, denn er verdiente nur vier Sesterzen pro Tag.
Der Germane ist wirklich kein Gourmet
Rom nutzte weiterhin die Handelsrouten der Griechen und Phönizier, spannte aber gleichzeitig ein dichtes Netz an Verkehrswegen kreuz und quer durch das Imperium. Dadurch gelangten Gewürze und Kräuter selbst in die entlegensten Winkel des Reichs, die dort bis dahin völlig unbekannt waren. So wurden mediterrane und exotische Gewürze nördlich der Alpen populär. Die Römer lebten in Gallien, Germanien und Britannien in großen Landhäusern, die »Villa rustica« hießen und immer auch einen Kräuter- und Gewürzgarten hatten. Dort wuchsen Wunderpflanzen wie Melisse, Dill, Bohnenkraut oder Borretsch, von denen die Gallier oder Germanen noch nie etwas gehört hatten – und die sie begeistert in ihre Küche aufnahmen. Das zeigt sich daran, dass viele deutsche Bezeichnungen für Kräuter und Gewürze aus dem Lateinischem abgeleitet sind, etwa Pfeffer, Zimt, Fenchel und Minze.
Wie bitter nötig die kulinarische Zivilisierung der germanischen Barbaren durch die Römer war, kann man beim Historiker Tacitus nachlesen. Er schrieb im 1. Jahrhundert mit einer gewissen Verachtung in seiner »Germania«, einer Schrift über Sitten und Gebräuche unserer Vorfahren: »Ihre Nahrung ist schlicht. Ohne Aufwand, ohne Raffinesse vertreiben sie den Hunger.«
Sie kommen mit Gold an und fahren mit Pfeffer ab
Der Handel mit Gewürzen erreichte in der Blütezeit Roms unfassbare Ausmaße und war ein Garant für den Wohlstand des Imperiums. Hundert Millionen Sesterzen sollen die Römer jedes Jahr für Würzmittel ausgegeben haben, nach heutigem Verständnis mehrere Milliarden Euro. Das schreibt kein Fantast, sondern der sehr ehrenwerte Plinius der Ältere, ein weit gereister römischer Offizier und Flottenadmiral, der 79 nach Christus beim Ausbruch des Vesuv in Pompeji starb, weil er dort die Rettung der Menschen organisieren sollte. In seiner »Naturgeschichte« nehmen Gewürze wie Kardamom, Zimt oder Ingwer einen breiten Raum ein, oder auch Kreuzkümmel, den er das »beste aller Gewürze« nennt. Und er berichtet von einem weltumspannenden Handel mit Gewürznelken, die aus Hinterindien über Griechenland nach Rom gelangten. Bei so viel Heißhunger auf Gewürze ist es kein Wunder, dass sie im alten Rom mit großem Eifer gefälscht und gestreckt wurden. Plinius erwähnt den Trick, langen Pfeffer, die teuerste Pfeffersorte von allen, mit ägyptischem Senf oder Wacholderbeeren wundersam zu vermehren. Und echte chinesische Zimtrinde fand sich schnell in Gesellschaft schnöden Lorbeers wieder.
Das mit Abstand beliebteste Gewürz der römischen Küche war der Pfeffer in allen Farben. Man pfefferte sogar seinen Wein und seinen Essig, selbst über Desserts streute man ihn mit Vorliebe und reichlich. So gewaltig waren die Mengen an Pfeffer, die im indischen Hafen Muziris an der Malabarküste für Rom an Bord gingen, dass ein tamilischer Dichter nur über die Heerscharen an Gewürzhändlern staunen konnte: »Sie kommen mit Gold an und fahren mit Pfeffer ab«, schrieb er. Der Pfeffer, der bis zu den Römern in der Menschheitsgeschichte eine Kostbarkeit fast so teuer wie Gold gewesen war, wurde nun zu einem Alltagsgewürz. Vierzig Gramm – das entspricht dem Inhalt eines gängigen Pfefferstreuers – kosteten zwei Sesterzen, also etwa so viel wie der Tagessold eines römischen Soldaten. Im Jahr 92 nach Christus errichtete man in Rom sogar einen Pfefferspeicher, um der Unmengen des Gewürzes Herr zu werden. Aber auch die Provinzen mussten nicht darben. In Trier stieß man auf Pfefferetiketten aus Blei, in der englischen Stadt Hoxne auf einen Pfefferstreuer in Menschenform. Und der Gotenkönig Alarich, der im Jahr 410 Rom plünderte, war vielleicht ein grober Klotz, aber genauso ein lernfähiger Feinschmecker: Er nahm als Beute unter anderem 5000 Pfund Pfeffer mit nach Hause.
Anisgebäck für die Gladiatorenkämpfe
Das Lieblingsgewürz der Barbaren war offenbar der Kreuzkümmel. Der in Rom hoch geachtete griechische Historiker Poseidonios berichtet im 1. Jahrhundert vor Christus, dass die Kelten gebratenen Fisch mit Kreuzkümmel würzen und ihn außerdem »in ihr Getränk werfen«, also ihr Bier damit aromatisieren. Weitaus beliebter als heute muss Anis gewesen sein. Plinius schreibt, dass Anis »für die Köche und die Ärzte« wachse. Der Dichter Vergil lobte überschwenglich die römischen Aniskekse. Und bei Ausgrabungen im Kolosseum hat man unter den Sitzreihen Anisgebäck gefunden. Es wurde vermutlich vom Publikum während der Gladiatorenkämpfe genascht. Heute unverzichtbare Kräuter der italienischen Küche wie Rosmarin und Salbei wurden hingegen vergleichsweise selten verwendet. Basilikum benutzte man in der Antike gelegentlich, er galt aber auch als Unglückskraut. Aus seinen Blättern, so glaubte man, wachsen Skorpione und Würmer. Erst im Mittelalter wurde er zu einem hoch geschätzten Würzmittel, und zu den vornehmsten Aufgaben der Hausfrau gehörte die Pflege des empfindlichen Basilikumstocks. In Giovanni Boccaccios berühmter Dichtung »Das Dekameron« gräbt Lisabetta als Zeichen der Wertschätzung den abgeschlagenen Kopf ihres Liebhabers unter einer Basilikumpflanze ein.
Statt Rosmarin und Salbei war das längst ausgestorbene Gewürz Silphium fester Bestandteil jeder römischen Küche. Es wuchs an einem einzigen Ort im gesamten Imperium: in Kyrene in Libyen. Man verwendete die Blätter und Wurzeln, vor allem aber das Harz, das durch Anritzen der Rinde gewonnen und als Aphrodisiakum geschätzt wurde. Glaubt man Plinius, wogen die Römer den Milchsaft des Silphiums in Silber auf. Und als Cäsar 49 vor Christus den römischen Staatsschatz plünderte, fand er zu seiner großen Freude fast eine halbe Tonne Silphium vor. Doch die Begierde der Menschen wurde der Pflanze zum Verhängnis. Durch Raubbau verschwand sie im 1. nachchristlichen Jahrhundert. Das allerletzte Silphium soll laut Plinius als Geschenk auf dem Tisch von Kaiser Nero gelandet sein.
Der wahre Feinschmecker verfeinert mit Ferkelhoden
Die Frage, wie Silphium schmeckte, wird für immer unbeantwortet bleiben. Die Frage, wie Garum schmeckt, wollen wir gar nicht beantwortet wissen. Denn die fermentierte Fischsauce, eine Weiterentwicklung des griechischen Garos, ließe uns heute wahrscheinlich Reißaus nehmen. In Rom aber wurde sie eines der beliebtesten Würzmittel, das auch als Medizin bei Brandwunden, Tierbissen, Geschwüren, Ohrenschmerzen oder Krätze zum Einsatz kam. Garum wurde im Prinzip nicht anders hergestellt als Garos: Man gewann die Brühe aus möglichst fetten Fischen und Meeresfrüchten, die man zerkleinerte, vermengte und drei Monate lang in der prallen Sonne stehen ließ. Das Ganze stank natürlich fürchterlich, deswegen befanden sich die Garum-Fabriken stets außerhalb der Ortschaften. Ab und zu wurde umgerührt, dann die Flüssigkeit abgeseiht, gesalzen, gefiltert und in Amphoren gefüllt. Ähnlich wie beim Olivenöl war die erste Marge, die man gewann, die reinste und teuerste; sie hieß »Jungferngarum«. Die begehrteste Fischsauce des Imperiums stammte aus Cartagena in Spanien und wurde aus Makrelen gewonnen. Plinius schreibt, dass nur Parfüm teurer war als das spanische Garum. 6,5 Liter kosteten die ungeheure Summe von 1000 Sesterzen. Und als Gipfel des Raffinements verfeinerten die Gourmets ihr Garum mit Honig, Gurken, Trüffeln, Dill, Koriander, Fenchel, Sellerie, Oregano, Raute, Minze, Liebstöckel, Thymian, Salbei, Pfeffer, Zimt, Gewürznelken und Bockshornklee. Den wahren Exzentrikern unter den Feinschmeckern war das freilich zu profan. Sie nahmen lieber Gebärmütter von Jungsäuen und Hoden von Ferkeln.
Essen war im alten Rom nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern immer auch lustvolle Unterhaltung. Als besonders vornehm galt es, seine Gäste mit kunstvoll verfremdeten Speisen zu verblüffen, sodass man im ersten Augenblick gar nicht wusste, was man aß. Wie bizarr es dabei zuweilen zuging, wird in einer Episode des »Satyricon« geschildert, eines satirischen Romans aus der Zeit von Kaiser Nero, dessen Autor gewiss übertreibt, aber auch viel Wahres schreibt: »Das Gastmahl des Trimalchio« handelt vom Festessen eines ehemaligen Sklaven, der zu sehr viel Geld gekommen ist und jetzt seine Gäste beeindrucken will. Deswegen lässt er seinen Koch kulinarische Zaubertricks vollführen und aus einem Schwein alles Erdenkliche zubereiten – »aus der Gebärmutter einen Fisch, aus Speck eine Ringeltaube, aus Schinken eine Turteltaube und aus einem Schulterstück ein Hühnchen«. Danach gibt es dann Siebenschläfer mit Honig glasiert und Mohnsamen bestreut, dann Pfaueneier mit Feigendrossel in gepfeffertem Eidotter, anschließend Saueuter in Pfeffersauce.
Eine ganze Stadt badet in Safran
Die Römer waren veritable kulinarische Künstler und dazu maßlose Schlemmer. Im Laufe der Jahrhunderte trieben sie es immer toller, bis sie schließlich den Gipfel der Dekadenz erklommen und allerlei kulinarischen Schabernack trieben – etwa das Waschen der Füße mit gewürztem Wein, von dem der Dichter Plutarch berichtet. Gewürze spielten bei den Verschwendungsorgien eine zentrale Rolle. Und mit Feuereifer gingen die Kaiser beim lustigen Sittenverfall voran. Kaiser Elagabalus ließ im 3. Jahrhundert nach Christus sein Schwimmbad mit exotischen Gewürzen parfümieren und mit Safran färben, dem teuersten Gewürz der Welt. Hadrian ordnete hundert Jahre zuvor sogar an, Safranwasser über die Stufen eines Theaters rinnen zu lassen, damit sie wie Gold glänzten. Und Nero befahl, für einen Triumphzug ganze Straßenzüge in Rom mit Safran zu bestreuen.
Was der Kaiser kann, kann ich schon lange, sagte sich der Aristokrat Metellus Scipio und veranstaltete ein Gelage, bei dem Drosseln für 60 000 Sesterzen auf den Tisch kamen – ein einfacher Römer hätte für diese Summe sein ganzes Leben lang arbeiten müssen. Das war aber noch nichts gegen das Mahl, das sich der offensichtlich höchst erfolgreiche Schauspieler Aesop zubereiten ließ. Es gab Nachtigallen und andere Singvögel für 100 000 Sesterzen. Unsterblichen Ruhm und ewige Hochachtung im Kreis seinesgleichen erlangte auch ein Prasser namens Octavius, der 5000 Sesterzen für eine einzige, anscheinend besonders prachtvolle Seebarbe zahlte. Und von einer besonders hübschen Blüte der römischen Dekadenz berichtet Athenaios in seinem Gastmahl der Gelehrten: Bei Gelagen tunkte man Tauben in parfümiertes Wasser und ließ sie dann durch den Raum flattern, damit sie die Gäste mit einem feinen Parfümregen benetzten.
Apicius – der verrückteste Gourmet der Antike
Wenn es das Idealbild des dekadenten, antiken Erzschlemmers gibt, dann kann es nur einer sein: Marcus Gaius Apicius, der berühmteste, verwegenste, verrückteste Gourmet des römischen Imperiums. Seine Unsterblichkeit verdankt er dem Kochbuch »De re coquinaria«, das ihm zugeschrieben wird, der Nachwelt allerdings nur in einer Version aus dem 4. Jahrhundert nach Christus erhalten ist. Es ist die älteste erhaltene Rezeptsammlung der Antike, war viele Jahrhunderte lang das wichtigste Kochbuch des Abendlands und gilt als bedeutendste Quelle für die römische Kochkunst überhaupt. Apicius war ein Gewürzfanatiker, der größten Wert auf die Vielschichtigkeit der Aromen legte. Je komplizierter ihre Struktur war, umso besser. Er verwendete alles, was der Kräutergarten und die Gewürzmärkte hergaben – Silphium aus Libyen, die fermentierte Fischsauce Garum, Schalotten, Lauch, Kresse, Majoran, Oregano, Thymian, Asantwurzel, Rucola, Kümmel, Koriander, Pfeffer, Flohkraut, Salbei, Kerbel, Schnittlauch, Zimt, Majoran, Dill, Binsenwurzel, Alant, Kardamom, Bohnengras, Wacholderbeeren, Liebstöckel, Meerrettich, Mohnsamen und vieles mehr.
Wenn Apicius die Grundzutaten für ein einfaches Rezept beschreibt, klingt das so: »Kalte Sauce für gekochtes Wildschwein: Pfeffer, Wiesenkümmel, Liebstöckel, gemahlener Koriander, Dill- und Selleriesamen, Thymian, Oregano, Zwiebel, Honig, Essig, Senf, Fischbrühe und Öl.« Apicius genoss einen Ruf wie ein Donnerhall als Gewürzjongleur und Schöpfer extravaganter Speisen. Er erfand das Mästen von Schweinen mit Feigen und bereitete Flamingo- und Nachtigallenzungen so kunstvoll wie kein Zweiter zu. Allein vier Rezepte seines Buchs beschäftigen sich mit Kuheutern und der Gebärmutter von Säuen. Selbst mit den Fußsohlen von Kamelen wusste er etwas anzufangen. Vom strengen Moralisten Seneca wurde Apicius deswegen als Verderber der Sitten verdammt. Legendär ist der Bericht des römischen Philosophen über den Tod dieses grandiosen Gourmets: Eines Tages soll er festgestellt haben, dass sein Vermögen nur noch lächerliche zehn Millionen Sesterzen beträgt – für normale Menschen ein unvorstellbarer Reichtum, für ihn aber eine Summe, die ihm nicht angemessen erscheint, um stilvoll weiterprassen zu können. Also nimmt er Gift und entsagt der Welt. Seneca meinte nur fassungslos: »Gipfel des Wohllebens: sich mit zehn Millionen Sesterzen für bettelarm zu halten! Nun glaube noch einer, dass es auf die Größe des Vermögens, nicht des Geistes ankomme.«
Tausend Leckerbissen, um die Gier zu erregen
Im antiken Griechenland hatten noch die großen Philosophen Platon und Aristoteles ihre Landsleute für deren glühende Liebe zum Essen und für das maßlose Würzen getadelt. In Rom hingegen schwiegen die meisten Denker und ließen es sich stattdessen selbst gut gehen. Einer der ganz wenigen Kritiker war ebenjener Seneca, der die ungesunde Völlerei und die »prahlerische Küche« mit ihrem exzessiven Gebrauch von Gewürzen anprangerte. Besonders das Garum erregte seinen Zorn, diese »kostspielige Jauche aus verdorbenem Fisch, die durch faulige Salzlake brennende Schmerzen in den Eingeweiden verursacht«. Dekadente Köche, so Seneca, hätten »tausend Leckerbissen erfunden, um die Gier zu erregen«. Und in einem Brief an seinen Freund Lucilius schrieb er resigniert: »Über die Unzahl der Krankheiten brauchst du dich nicht zu wundern: Zähle die Köche.«
Die exzessive Verwendung von Gewürzen war zwar immer wieder Gegenstand von Hohn und Spott in der Literatur, doch Maß hielten die Römer deswegen noch lange nicht. Eine herrliche Passage aus dem »Pseudolus« des Satirikers Plautus schildert, wie unbekümmert Roms Köche in die Gewürzkiste griffen: »Ich würze nicht so, wie die anderen Köche es tun. Die servieren mit ihren Gerichten ganze Wiesen – sie füttern die Gäste wie Weidevieh und stopfen sie mit grünen Kräutern voll, die sie mit noch mehr Kräutern würzen. Dann kommt frischer Koriander rein, Fenchel, Knoblauch, Pastinaken, daneben häufen sie Sauerampfer, Kohl, Mangold, dazu ein Pfund Silphium und dann noch eine geballte Ladung Senfkörner. Das ist dann so scharf, dass ihnen selbst die Augen triefen, noch bevor sie es klein geschnitten haben.«
Kulinarische Raffinesse ist Teufelswerk
Einen ganz anderen Ton bekam die Kritik an den Gewürzorgien der Römer, als die christliche Kirche dominanter wurde. Der Kirchenlehrer Clemens Alexandrinus geißelte im 3. nachchristlichen Jahrhundert die römische Völlerei, weil sie zu einer Abstumpfung der Seele und zu Vergesslichkeit führe. Ganz und gar nicht geheuer waren ihm vor allem die Gewürze und »Wohlgerüche« wegen ihrer luststeigernden Wirkung. Wollust und Ausschweifungen seien die unvermeidliche Folge, wenn man so koche wie Apicius. Stattdessen sang Clemens Alexandrinus das Loblied der einfachen christlichen Küche, die jede kulinarische Raffinesse für Teufelswerk hielt. Doch trotz der küchenfeindlichen Haltung der Kirche ließen sich die Menschen nicht von den Gewürzen abbringen. Die Kirche musste schließlich kapitulieren und wurde im Laufe der Jahrhunderte selbst zu einer ungestümen Gewürzliebhaberin, wie später noch erzählt werden soll.
Die Haltung der Kirche war nicht frei von Heuchelei, schließlich wimmelt es in der Bibel von Geschichten, in denen Gewürze eine Rolle spielen. Der Evangelist Matthäus schreibt zum Beispiel: »Weh euch Gesetzeslehrern und Pharisäern! Ihr Scheinheiligen! Ihr gebt Gott den zehnten Teil von allem, sogar von Gewürzen wie Anis und Kümmel, aber um die entscheidenden Forderungen seines Gesetzes – Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue – kümmert ihr euch nicht!« Und jeder kennt das Gleichnis vom Senfkorn, das zwar winzig ist, aber trotzdem mächtig wächst.
Der Untergang des römischen Imperiums
Kein Reich währt ewig auf Erden, selbst Rom nicht. Im Jahr 395 wurde das Imperium geteilt. Keine hundert Jahre später ging der westliche Teil in den Stürmen der Völkerwanderung unter, während der östliche Teil in gestutzter Form überlebte. Dadurch verschob sich der Schwerpunkt des Gewürzhandels in Richtung Oströmisches Reich, das auch Byzanz genannt wird. Dessen Hauptstadt Konstantinopel, das heutige Istanbul, stieg zur ebenbürtigen Konkurrentin von Alexandria als Umschlagplatz für Gewürze auf und entwickelte einen weltumspannenden Handel mit allen Arten von Würzmitteln, sogar mit Muskatnuss und Gewürznelken aus Indonesien. In der neuen Kaiserstadt wurde es üblich, an Fastentagen den Erbsenbrei mit Muskat zu würzen und das Wasser mit Pfeffer, Anis und Kreuzkümmel zu aromatisieren. Gewürze blieben im Oströmischen Reich ein Allgemeingut. Selbst arme Leute hatten genug davon. So beschreibt ein byzantinischer Gedichtzyklus die Vorratskammer einer einfachen Familie und erwähnt neben verschiedenen Obst- und Gemüsesorten, Käse, Oliven und Honig auch Pfeffer, Kreuzkümmel und Kümmel.
Der kulinarische Einfluss Anatoliens und des Nahen Ostens auf die römische Küche wurde nun stärker. Jetzt aß man das Fleisch von Gazellen, Wildeseln und Sperlingen und wickelte die Speisen nicht mehr in Feigenblätter ein, sondern in Weinblätter – eine Tradition, die bis heute in Griechenland und der Türkei lebendig ist. Aufwendige Süßspeisen, die häufig mit Gewürzen und Früchten verfeinert wurden, fanden nun ebenso Eingang in die Küche von Byzanz. Der erste Beleg für die Verwendung von Zucker in Europa stammt aus byzantinischer Zeit. Bis ins Mittelalter war Konstantinopel berühmt für seine Süßigkeiten – ein beliebtes Souvenir bei den durchreisenden Kreuzrittern des 12. Jahrhunderts waren Kekse und kandierte Früchte –, und Istanbul ist es noch immer.
Schluss mit Orgien und Unzucht
Mit einer ganz besonderen Spezialität der antiken Ess- und Tischsitten war allerdings Schluss, dafür sorgte gnadenlos das Christentum: mit dem sündhaften kulinarischen Lotterleben der Griechen und Römer. Mahlzeiten und Trinkgelage endeten jetzt nicht mehr in Orgien, sondern blieben gesittete Veranstaltungen. Wer ins Gasthaus ging, wusste, dass die leiblichen Genüsse auf den Gaumen beschränkt bleiben würden, wie diese Passage aus der Lebensbeschreibung des heiligen Theodor von Sykon zeigt: »An der Straße stand ein Gasthof, der von einem wunderschönen Mädchen, Maria, und der Mutter und Schwester Marias betrieben wurde . . . In dem Haus wohnte ein gottesfürchtiger Mann namens Stephanos, der sich darauf verstand, kunstfertig zubereitete Gerichte herzustellen. Die Frauen waren unterdessen recht anständig geworden, denn sie hatten ihren Beruf als Prostituierte aufgegeben und waren dem Pfad der Nüchternheit und Frömmigkeit gefolgt.«