Читать книгу Killerland: Krimi Koffer 10 Krimis auf 1300 Seiten - Alfred Bekker - Страница 51

Оглавление

15


Zwanzig Minuten später saßen wir im Zimmer von Director Jay Chang Lee.

Zwanzig Minuten ohne Gerede hatte ich hinter mir.

Die letzten quasselfreien Minuten für diesen Tag.

Vielleicht für die Woche.

Man sollte sein Glück genießen, wie es kommt, denn man weiß nicht, wann die Wiederholung läuft.

Das Büro unseres Chefs im Dienstgebäude des Special Cases Field Office New York war einfach und zweckmäßig eingerichtet.

Spartanisch war das richtige Wort.

Telefone, Rechner, Sitzmobiliar, Schreibtisch, Konferenztisch.

Alles abwaschbar.

Und im Gegensatz zu allen anderen Büros, die ich kenne, liegt hier niemals irgendetwas herum, was da nicht hingehört.

Keine Ahnung, wie unser Chef das hinbekommt.

Aber es gab eben Geheimnisse, die wohl ewig ungeklärt bleiben würden.

Die Abwesenheit von Unordnung in diesem Büro war für mich ein Fall aus den sogenannten X-Files oder Cold Cases. Rätselhaft und unlösbar.

Ein Blick auf meinen eigenen Schreibtisch in dem Dienstzimmer, das ich mir mit Lew Parker teilte, war Beweis genug für diese Aussage.

Unser Chef Jay Chang Lee lehnte sich mit der Hüfte an seinen Schreibtisch, hatte die Arme verschränkt und machte ein ziemlich ernstes Gesicht.

Und dafür hatte er auch allen Grund.

Die Fahndung nach den beiden Killern von Ugarimov lief zwar, aber die Angaben des Security-Mannes erwiesen sich als nicht sehr detailliert. Die Phantombilder waren entsprechend wenig aussagekräftig.

„Es ist fünf Minuten vor zwölf“, erklärte Mister Jay Chang Lee dann. „Wenn es uns nicht gelingt, denjenigen zu stoppen, der zur Zeit seine Killer losschickt, dann fliegen uns bald die Brocken um die Ohren! Außerdem liegen mir dauernd die Kollegen der Presseabteilung in den Ohren. Der dritte Tote in dieser verdammten Serie und wir haben noch immer nichts in den Händen... Wir brauchen langsam Ergebnisse!“

Lew und ich saßen in den Ledersesseln der kleinen Sitzgruppe, die Director Jay Chang Lee für Besprechungen in seinem Büro diente. Uns gegenüber saß mit übereinandergeschlagenen Beinen Special Agent Cleve Carravaggio.

Sein Partner Orry Ermikoah lehnte an der Fensterbank und lockerte sich die exquisite Seidenkrawatte.

Die beiden hatten sich intensiv mit Rizzos' und Dominicanez' wirtschaftlichen Verflechtungen beschäftigt, worüber sie einiges an Daten mitgebracht hatten. Die Computerausdrucke lagen auf dem Tisch verstreut und ich hatte mir das eine oder andere auch etwas genauer angesehen.

Ich fühlte plötzlich das Bedürfnis, in der Nase zu popeln, weil mich da irgendwas juckte. Aber das ging natürlich nicht.

Nicht in Anwesenheit von Director Jay Chang Lee.

Bei Lew hätte ich da inzwischen keine Hemmungen gehabt. Ich hatte im Wagen schließlich auch schonmal mitbekommen, wie Lew gefurzt hatte, nachdem wir zwischendurch einen Hamburger mit vielen Zwiebeln in einer Snack-Bar genossen hatten. Schwule sind eben auch nicht ganz so reinlich und gepflegt, wie man immer behauptet.

Aber bei Director Jay Chang Lee war das etwas anderes. Bei ihm tat man so etwas einfach nicht. Um keinen Preis der Welt. Das hatte eigentlich auch gar nichts mit seinem Rang oder einem besonderen Respekt ihm gegenüber zu tun, sondern mit etwas anderem.

Irgendwie hatte unser Chef etwas an sich, dass jegliche Äußerungen von Menschlichkeit - ganz gleich, aus welcher der zahlreichen dafür in Frage kommenden Körperöffnungen sie auch immer hervordringen mochten - von vorn herein verbot.

Genau gesagt, konnte man sich manchmal fragen, ob unser Chef selbst überhaupt ein Mensch war, oder nicht vielleicht ein fischkalter Alien, gegen den selbst Mister Spock wie eine gefühlsduselige Tunte gewirkt hätte.

Ich erwies mich also als tapfer.

Und popelte nicht.

Obwohl das meiner Konzentrationsfähigkeit mit Sicherheit sehr gut getan hätte.

Ich hörte den Dressman in unserem Team reden.

Agent Ermikoah hatte eine durchdringende Stimme, die sich wie eine Messerklinge durch meine Gedanken schnitt und mich sehr schnell von dem juckenden Popel in meiner Nase ablenkte.

Zumindest zeitweilig.

Aber was, so frage ich, ist schon von Dauer?

„Ist irgendetwas, Murray?“, fragte jetzt unser Chef.

„Nein, Sir.“

„Das ist gut, Murray, denn das bedeutet, dass wir jetzt auch Ihre vollkommene Aufmerksamkeit haben.“

„Ja, Sir.“

„Sehr gut, Murray. Denn die brauchen wir auch.“

„Natürlich, Sir“, sagte ich.

Arschloch, dachte ich.

„Immerhin haben wir jetzt einen Anhaltspunkt“, meinte Ermikoah. „Dominicanez und Ugarimov hatten beide Gelder in einer Import/Export-Firma, von der wir vermuten, dass sie in Wahrheit nur dem Zweck dient, schwarzes Geld weiß zu waschen. Rizzos und Dominicanez wiederum hatten ihr Geld in einem Chemie-Unternehmen, das seine Sonderabfälle durch eine inzwischen in Konkurs gegangene Transportfirma entsorgen ließ, von der wir vermuten, dass sie zu Ugarimovs Imperium gehörte!“

„Ein ziemlich vager Zusammenhang“, meinte Director Jay Chang Lee. „Ich weiß nicht, ob uns das wirklich weiterbringt. Aber verfolgen Sie die Spur trotzdem weiter.“ Mister Jay Chang Lee verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere und sah mich an. „Was ist mit der Witwe?“

„Ich traue ihr ohne weiteres zu, ihren Mann umgebracht zu haben. Nicht aus Eifersucht, dazu wirkte sie mir zu kühl... Aber vielleicht, weil sie jetzt über 'Big Vlads' Vermögen verfügen kann...“

„Und das soll ja ganz beachtlich sein“, warf Lew ein.

Ich fuhr fort: „Aber nachdem wir jetzt den ballistischen Bericht auf dem Tisch haben und feststeht, dass Dominicanez, Rizzos und Ugarimov tatsächlich von denselben Tätern ermordet wurden, glaube ich nicht an die schöne Jelena als Auftraggeberin.“

„Hat das einen bestimmten Grund, Murray?“, erkundigte sich Mister Jay Chang Lee.

Ich zuckte die Achseln.

„Instinkt, Sir.“

Mister Jay Chang Lee seufzte. „In diesem Fall hoffe ich beinahe, dass der Sie mal täuscht... Sonst stehen wir nämlich mit völlig leeren Händen da.“

„Vielleicht kennen wir nur noch nicht den Zusammenhang zwischen den Toten und der schönen Witwe, Murray“, gab Lew zu bedenken.

Ich zuckte die Schultern.

„Kann sein.“

Mein Blick ruhte auf den Computerausdrucken. Wir hatten es mit einem komplizierten Geflecht aus Firmen, Scheinfirmen, Strohmännern und Leuten zu tun, die schwarzes Geld wie Heu hatten und daraus Weißes machen mussten.

Rizzos, Dominicanez, Ugarimov...

Alles große Bosse, die selbst kaum noch ein Risiko eingingen. Das trugen die kleinen Handlanger, die dann erwischt wurden.

So war das allzu oft.

Jeder von uns hatte nicht selten über diese Tatsache geflucht. Die Kleinen wurden gehenkt, die Großen notgedrungen und mit Unterstützung guter Anwälte laufengelassen.

Doch jetzt hatte jemand ausgerechnet diese Großen ins Visier genommen. Unerbittlich. Mann für Mann. Und sehr professionell.

Ich atmete tief durch. Orry erläuterte noch einiges zu den wirtschaftlichen Verflechtungen der Gangstersyndikate, deren Oberhäupter über den Jordan geschickt worden waren. Aber ich hörte kaum zu.

„Der, der diese Killer geschickt hat, muss sehr viel Geld haben“, sagte ich dann irgendwann. „Denn wer immer Leute wie Ugarimov umbringt, weiß, dass er sich danach zur Ruhe setzen muss und nie wieder in Aktion treten kann... Zumindest nicht in den USA.“

Mister Jay Chang Lee sah mich interessiert an. „Worauf wollen Sie hinaus, Murray?“

„Ich frage mich, ob die schöne Jelena Geld genug dafür zur Verfügung hatte - ich meine, bevor sie Big Vlads Erbin wurde!“

„Der voraussichtlichen Erbin von Big Vlad hätte doch jeder Kredit gegeben“, erwiderte Orry skeptisch.

„Auch ein Lohnkiller? Normalerweise wird da im Voraus gezahlt. Und im Fall des Scheiterns hätten die Mörder dieses Geld auch dringend gebraucht, um sich vor Ugarimovs Leuten in Sicherheit zu bringen. Vermutlich wäre es ihnen trotzdem nicht gelungen.“

Jetzt meldete sich Cleve Carravaggio zu Wort. „Diese Jelena soll übrigens in Ugarimovs Reich durchaus nicht nur die Rolle einer anschmiegsamen Mafia-Braut gespielt, sondern auch in den Geschäften mitgemischt haben. Jedenfalls gibt es dahingehende Gerüchte.“

„Tatsache ist aber, dass sie nicht einmal ein eigenes Giro-Konto besessen hat!“

Ich grinste. „Anschmiegsam war diese Katze nun wirklich nicht...“

Mister Jay Chang Lee musterte uns einer nach dem anderen mit einer Miene, die Entschlossenheit signalisierte. „Ich denke, der einzige Weg, der Erfolg verspricht ist ein Trampelpfad durch diesen Dschungel da!“ Und bei diesen Worten deutete er auf die Computerausdrucke, auf denen das komplizierte Geflecht aus Firmen und Scheinfirmen dargestellt wurde. „Irgendwo dort liegt der Schlüssel - oder es greift ein Hai nach dieser Stadt, der groß genug ist, diese gefräßigen Piranhas allesamt zu schlucken!“

In diesem Moment öffnete sich die Tür.

„Wenigstens ein Lichtblick“, meinte Cleve mit Blick auf das Tablett mit den Kaffeebechern, das Karen, die fürsorgliche Sekretärin des Chefs, hereintrug.

Sie setzte das Tablett auf den schlichten Tisch zwischen den Ledersesseln.

„Bitte bedienen Sie sich!“, forderte sie uns auf. Und da Karen den besten Kaffee weit und breit macht, brauchte sie das keinem von uns zweimal zu sagen.

Killerland: Krimi Koffer 10 Krimis auf 1300 Seiten

Подняться наверх