Читать книгу Ruhrpott, Venedig, Tanger - tot! 3 Krimis - Alfred Bekker - Страница 10
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Es dauerte nicht lange und die Fähre machte im Hafen von Tanger fest. Für die Zollformalitäten kamen einige Beamte an Bord, dann konnten die Passagiere an Land. Ein Heer von selbsternannten Fremdenführern, Straßenverkäufern und Gepäckträgern wartete auf die aussteigenden Touristen. Ein paar Meter weiter stand eine lange Reihe von Pkw, von denen viele bereits Museumswert haben mussten, die als Taxis dienten. Linda war kaum über die Landungsbrücke gegangen, da hatte sie Brian in dem Gewühl auch schon verloren. "Ein Taxi? Madame, wollen Sie ein Taxi?", kam es ihr aus mindestens einem halben Dutzend Kehlen entgegen. Manche davon gehörten noch halben Kindern.
Einen Augenblick lang stand Linda einfach nur da und ließ das alles über sich ergehen, was auf sie einstürmte. Brian hatte recht gehabt. Viele der Menschen, die ihr gegenüberstanden, trugen jene Gewänder, die er Djellaba genannt hatte. Es war, als befände sie sich auf einmal in einer anderen Welt. Im Hintergrund leuchtete ein großer Kuppelbau. Vielleicht eine Moschee, vielleicht auch irgend ein anderer Prachtbau.
Sie fühlte sich ein bisschen, wie in ein Märchen aus tausend und einer Nacht versetzt, aber sie wusste noch nicht so recht, ob es wirklich ein Märchen oder ein Alptraum werden würde.
"Hotel, Madame?"
"Gutes Hotel, Madame? Sehr preiswert!"
Schließlich sagte sie: "Ich möchte zum Hotel MARCO POLO. Kennt das jemand hier?"
"Kommen Sie mit, ich bringe Sie hin!", sagte eine resolute, aber helle Stimme in akzentschwerem Englisch. Sie gehörte einem Jungen, sicher nicht älter als elf oder zwölf. Ehe sie sich versah hatte er ihre Hand genommen und führte sie mit sich. Das MARCO POLO war Patricks letzte Adresse gewesen.
Dort verlor sich seine Spur. Und wenn sie ihn finden und herausbekommen wollte, was geschehen war, dann musste sie dort ansetzen. Irgend jemand musste sich dort an ihn erinnern. Der Junge führte sie zu einem Taxi. "Hotel Marco Polo", sagte der Junge und setzte sich ebenfalls in den Wagen. Der Taxifahrer nickte. "Das ist mein Onkel", sagte der Junge, als er auf ihn deutete.
"Verstehe...", murmelte Linda.
"Wollen Sie vorher noch bei der Bank vorbei? Um Geld umzutauschen?"
"Meinetwegen", seufzte Linda. Das war in der Tat kein schlechter Gedanke, denn sie hatte keinen einzigen marokkanischen Dirham in der Tasche. Während der Fahrt sah Linda aus dem Fenster. Sie kamen unter dem prächtigen Stadttor hindurch unter dem ein Polizist in perfekt sitzender Uniform und in sehr steifer Haltung seinen Posten bezogen hatte.
Das Stadttor war in orientalischen Stil errichtet. Auf der Straße fuhren neueste Mercedes-Modelle neben Eselskarren, mit denen Berber aus den nahen Bergen ihr Gemüse zum Markt brachten. Das Taxi bog ab. Sie fuhren vorbei an der verwinkelten, wie ein einziger orientalischer Basar wirkenden Altstadt in die Neustadt, wo es Hochhäuser und Bankgebäude gab, die ebenso in London oder Paris hätten stehen können.
"Das Taxi wartet hier auf Sie, Madame", sagte der Junge. "Soll ich Sie begleiten? Ich kann Ihnen alles zeigen!"
Linda war zu gestresst, um nein zu sagen. Und vielleicht war es ganz sinnvoll, wenn er mitkam. Schließlich kannte er sich aus - obwohl diese Bank sicher kaum Unterschiede zu einer Bank irgendwo anders auf der Welt aufwies.
"Ist der Bankdirektor vielleicht ein Vetter von dir?"
"Nein", lachte er. "Er ist der Mann der Schwester meiner Mutter!"
Dann stiegen sie aus. Linda ließ den Blick über die Passanten schweifen. Sie sah Männer in dunklen Anzügen und solche in knöchellangen Djellaban und mit Fezen auf dem Kopf.
Sie sah Frauen, die bis unter die Augen verschleiert waren neben Frauen, die in Miniröcken dahergingen. Ein verwirrendes Bild. Der Junge begleitete sie in die Bank. Er übersetzte für sie und wusste auch sonst genau, was zu machen war. Er schien solche Dinge wirklich nicht zum erstenmal zu tun. Dann stiegen sie wieder ins Taxi und es ging zum MARCO POLO. Erst als sie vor dem Hotelgebäude hielten, fiel Linda auf, dass der Wagen gar kein Taxometer hatte.
"Wie viel bin ich schuldig?", fragte Linda.
"Wie viel waren unsere Dienste Ihnen wert?", fragte der Junge. Linda begriff. Sie hatte einen Fehler gemacht, in dem sie nicht vorher den Preis festgemacht hatte. Jetzt sollte gehandelt werden, aber Linda stand danach nicht der Sinn. Sie war keine Touristin, die unbeschwert diese Stadt genießen konnte. So gab sie sowohl dem Jungen als auch dem Taxifahrer einige Scheine. Offenbar viel zu viel, denn die beiden hatten plötzlich leuchtende Augen.
"Wenn Sie ein anderes Hotel wollen, eines das viel preiswerter ist, würden wir Sie gerne hinbringen", sagte der Junge.
Aus ihm würde sicher mal ein großer Basar-Händler.
Linda konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, auch wenn es etwas matt blieb.
"Das Hotel gehört einem Verwandten von dir, nicht wahr?"
"Woher wissen Sie das?"
"Ich habe es geraten."
"Es ist sehr schön. Sie zahlen die Hälfte und haben einen Blick aufs Meer! Auf das wunderschöne, blaue Meer..."
"Nein danke, ich bleibe hier", erwiderte Linda, bevor der Junge damit beginnen konnte, die Herrlichkeit dieses Ausblicks allzu ausführlich zu beschreiben.
"Schade", sagte er. Aber er stieg dennoch aus, um ihr die Tür aufzumachen.