Читать книгу Ruhrpott, Venedig, Tanger - tot! 3 Krimis - Alfred Bekker - Страница 14
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"Das hat Sie jetzt sicher sehr erschüttert", sagte Harald Storm gedehnt, nachdem sie wieder in dem großzügigen Wohnzimmer mit Blick auf den Garten Platz genommen hatten.
Jaffar stellte ihnen beiden wortlos den Tee hin.
"Er wirkt völlig heruntergekommen", stellte Linda fest.
"Sicher hat er ab und zu ein Glas Wein oder Bier getrunken, aber er war nie ein Trinker!"
"Solche Dinge brechen manchmal ganz plötzlich aus", sagte Storm in einem Tonfall, der Mitgefühl signalisierte.
"Als ich Patrick zum letzten Mal sah, war er ein aufstrebender Anwalt, den ich wegen seiner überkorrekten Kleidung manchmal sogar aufgezogen habe", berichtete Linda.
Sie hatte einfach Gefühl, mit jemandem über das zu reden, was sie bewegte. Und wer bot sich da eher an als Harald Storm.
Zwar kannte sie ihn kaum, aber immerhin schien er sich recht fürsorglich um Patrick zu kümmern. "Ich verstehe das nicht", murmelte sie kopfschüttelnd. "Hat er Ihnen erzählt, weswegen er hier in Tanger ist?"
Storm zuckte die Achsel. "Wegen irgend einer Rechtssache, aber genaueres hat er mir nicht gesagt und ich habe ihn auch nicht gefragt."
"Ihnen ist sicher der Internationale Umweltfond ein Begriff."
"Ist das nicht so eine Umweltorganisation, die sich in aller Welt gegen Zerstörung der Natur, Atomversuche und dergleichen einsetzt?"
Linda nickte.
"Ja. Patrick sollte diese Organisation hier zusammen mit einem marokkanischen Kollegen vor Gericht vertreten..."
"Ich hatte mich auch schon gewundert, was ein englischer Anwalt wohl in Marokko will."
"Sein Spezialgebiet ist internationales Recht", sagte Linda. Sie war selbst überrascht darüber, wie das alles so aus ihr heraussprudelte. Aber es tat ihr gut, mit jemandem zu reden. "Vielleicht haben Sie davon gehört. Irgendein Chemie-Unternehmen will hier in der Gegend ein Werk errichten die Abwässer in eines der fischreichsten Meeresgebiete der Welt leiten..."
Storm zuckte die Schultern.
"Seit ich hier lebe, lese ich kaum noch die Zeitung", behauptete er. "Aber ich glaube schon, dass ich davon gehört habe. Wissen Sie, ich habe Patrick im MARCO POLO kennengelernt. Da gehe ich ab und zu zum Essen hin. Wir kamen in der Hotelbar irgendwie ins Gespräch und er klagte darüber, dass im MARCO POLO soviel Betrieb sei. Er sei beruflich in Tanger und bräuchte eigentlich ein ruhiges Apartment. Und da habe ich ihm gesagt, dass ich genau das richtige für ihn hätte. Sie sehen ja, dass das Haus hier für mich zu groß ist und da ich gerade einen finanziellen Engpass hatte und Ihrem Verlobten helfen wollte, habe ich ihm angeboten, er könnte sich bei mir einmieten. Außerdem..."
Er sprach nicht weiter, sondern nahm stattdessen einen Schluck von seinem Tee.
"Ja?", fragte Linda.
"Ich will es Ihnen ganz offen sagen: Patrick braucht Hilfe, Miss Jordan und vielleicht könnten Sie..."
Eine heisere Stimme unterbrach Storm grob.
Die Stimme kam von der Treppe her und Linda sprang sofort auf. "Patrick!", rief sie.
Er wankte jetzt durch die Tür ins Wohnzimmer. Und dabei sah er ziemlich elend aus. Was war aus dem gutaussehenden, ehrgeizigen jungen Mann nur geworden. Ein Schatten seiner selbst war er jetzt, kaum in der Lage, auf zwei Beinen zu stehen.
"So, Hilfe brauche ich also, ja?", rief Patrick. "Ich brauche niemanden", knurrte er dann vor sich hin. "Hört Ihr? Ich brauche niemanden!" Er stolperte vorwärts. Die Augen waren weit aufgerissen. Linda sprang zu ihm und stützte ihn.
"Patrick, ich bin's!"
Er sah sie an. Seine früher so strahlend blauen Augen sahen jetzt wässerig aus. Patrick schien einige Augenblicke lang durch Linda hindurchzublicken, dann erst begriff er, wen er vor sich hatte. "Linda!"
Sie führte ihn zum nächstgelegenen Sessel, in den er sich ächzend fallenließ. "Patrick, was ist mit dir geschehen?"
"Was machst du hier, Linda?"
"Du hast mir nicht mehr geschrieben. Und telefonisch hast du dich auch nicht mehr gemeldet. Was sollte ich denn da denken?"
Er zuckte die Achseln. Linda konnte den Ausdruck in seinem Gesicht nicht so recht deuten. Er gähnte ungeniert.
"Und?" fragte er. "Was hast du gedacht?"
Sie verschränkte die Arme unter der Brust. "Ich habe mir Sorgen gemacht!", erklärte sie ernst.
"Du hättest nicht herkommen sollen!"
"Ach, nein?"
"Nein."
"Patrick, sag mir, was geschehen ist!"
"Nichts!"
Was ist nur mit ihm geschehen?, fragte sie sich verzweifelt.
Irgend etwas schien ihn völlig verändert zu haben. Vielleicht kann man wieder vernünftig mit ihm reden, sobald er nüchtern ist, dachte sie. Vielleicht... Sie ging zu ihm hin und beugte sich über ihn. Er war indessen in sich zusammengesackt und in einen merkwürdigen Dämmerzustand verfallen. Sein Blick ging ins Nichts. Lindas Hand strich über sein Haar.
"Fahr zurück nach London, Linda", murmelte er.
"Willst du das wirklich?"
Eine Weile schwieg er, dann schüttelte er ganz leicht den Kopf.
"Nein. Ja. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts..." Er verzog das Gesicht und fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirn, so als hätte er Schmerzen.
"Hör zu, Patrick, ganz gleich, was passiert ist - ich liebe dich immer noch. Aber sollte das umgekehrt für dich nicht mehr gelten, dann musst du mir das schon erklären!"
Er sah sie mit einem trüben, nach innen gekehrten Blick an und öffnete halb die Lippen.
Aber es kam kein einziges Wort heraus.
Er schluckte. Und sein Blick wirkte sehr traurig und sehr verzweifelt. Mein Gott, was hatte ihn nur so verändert? Linda fühlte wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Es war, als ob eine kalte, glitschige Hand sich auf ihre Schulter legte.
Patrick kam ihr auf einmal so fremd vor, wie ein Mensch den sie nicht im mindesten kannte. Das erschreckte sie.
Aber sie wusste, dass sie sich jetzt in der Gewalt halten musste. Sie musste stark sein und die Nerven behalten.
"Linda", hörte sie Patrick dann krächzen. Die Kraftlosigkeit seiner Stimme versetzte ihr einen Stich.
"Linda, ich weiß nicht, was mit mir los ist... Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen."
"Du musst dich ausschlafen", sagte indessen Harald Storm.
"Deine Verlobte wird sicher für länger hierbleiben und ich habe auch nichts dagegen, wenn sie mit einzieht. Das Haus ist ja groß genug..."
Patrick sagte nichts. Er saß einfach nur da, wankte dabei leicht hin und her. Sein Blick war in den Garten gerichtet, aber nicht an einen bestimmten Punkt. Irgend etwas stimmte mit seinen Augen nicht. Linda war es gleich aufgefallen, schon als sie Patrick oben im Zimmer gesehen hatte. Sie hatte nur nicht gleich gewusst, was es war, was da nicht stimmte.
Aber jetzt wurde es ihr klar. Es waren die Pupillen. Sie waren unnatürlich geweitet.
"Kommen Sie Linda", hörte sie unterdessen die Stimme von Harald Storm, der Patrick an der Schulter fasste. "Helfen Sie mir! Wir bringen ihn wieder nach oben."