Читать книгу Ruhrpott, Venedig, Tanger - tot! 3 Krimis - Alfred Bekker - Страница 22
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Als Linda schließlich zurückkehrte, war Patrick noch nicht zurück. Sie fand Harald Storm im Garten, wo er mit einem schon etwas älteren Gast saß und offenbar in eine lebhafte Unterhaltung verwickelt war.
"Ich mache mir Sorgen!", hörte sie den Gast sagen. "Ernsthafte Sorgen!"
"Nicht jetzt", erwiderte Harald Storm, als er Linda bemerkt hatte.
"Entschuldigen Sie", sagte Linda. "Es war nicht meine Absicht, zu lauschen."
"Kommen Sie ruhig und setzen Sie sich zu uns!", forderte Harald. Er deutete auf seinen Gast. "Dies ist Dr. Andretti, ein guter Freund."
Linda reichte Dr. Andretti die Hand. "Sie sind Patricks Arzt, nicht wahr?"
"Nun, eigentlich praktiziere ich gar nicht mehr", sagte Andretti, der mit starkem italienischem Akzent sprach. "Ich habe mich hier zur Ruhe gesetzt, weil meine Frau Marokkanerin ist, Sie verstehen?"
"Sicher."
"Dreißig Jahre haben wir in meinem Land - Italien - gelebt und da habe ich zu ihr gesagt, jetzt, wo es möglich ist, können wir die nächsten dreißig Jahre in deinem Land verbringen! Ich hielt das für fair!"
Dr. Andretti lächelte breit. Seine dunklen Augen wurden ganz schmal dabei.
"Was ist los mit Patrick?", fragte Linda ohne Umschweife.
"Er hat Angstzustände und leidet unter Schlaflosigkeit. Damit kam er zu mir. Ich habe ihm wirksame Medikamente gegeben und ihm eine Psychotherapie angeboten. Ich habe eine umfassende Ausbildung auf diesem Gebiet absolviert." Dr. Andretti sah das Erstaunen in Lindas Gesicht und beugte sich etwas vor. "Machen Sie nicht so ein Gesicht, Linda. Das ist nichts ungewöhnliches. Ich habe Ihren Verlobten gründlich untersucht. Seine Angstzustände und wahrscheinlich auch die Schlaflosigkeit hatten, so war ich mir sicher, keine körperlichen Ursachen, sondern seelische. Er hat Angst zu versagen und wenn Sie sich vor Augen halten, unter welchem Erfolgsdruck er beruflich steht, ist das überhaupt kein Wunder! Was mir allerdings Sorgen bereitet ist etwas anderes..."
"Und was?", hakte Linda nach.
"Die letzte Nacht. Harald hat mir erzählt, was geschehen ist. Und Sie haben ihn ja auch gesehen."
"In wie fern macht Ihnen das Sorgen?"
"Sehen Sie, in den Therapiegesprächen, die wir hatten, erzählte mir Patrick immer wieder von Träumen. Er träumte, das Mondlicht ihn wecken würde, dass er hinausliefe in das Labyrinth der Gassen Tangers, getrieben von einem Drang, dem er nicht widerstehen könnte. Ich hielt das für Träume des Suchens und der Ungewissheit. Er ist sich seiner selbst nicht sicher, so interpretierte ich das."
"Und jetzt?", fragte Linda.
Dr. Andretti atmete hörbar aus und nahm einen Schluck von dem Cool Drink, der vor ihm auf dem Tisch stand, und der inzwischen sicher ganz warm geworden war.
"Vielleicht waren das keine Träume, Miss Jordan. Sondern Reste verschütteter Erinnerungen."
"Ich verstehe nicht!"
"Somnambulismus nennt man das - Mondsüchtigkeit. Das ist ein Phänomen, das in der Fachliteratur durchaus beschrieben wird. Es ist ein Zustand, der dem Schlafwandeln sehr ähnlich ist."
"Patrick sagte, er könne sich nicht erinnern."
"Das ist typisch", sagte Dr. Andretti.
"Was kann man dagegen tun?"
"Vor allen Dingen sollte man nachts auf ihn aufpassen. Medikamente helfen da nur selten, aber ich könnte es mit Hypnosesitzungen probieren. Ich habe ihn bereits wegen seiner Angstzustände damit behandelt und er hat gut darauf angesprochen..."
In diesem Augenblick kam Jaffar in den Garten. Aber er kam nicht allein. Ihm folgte ein Uniformierter. Der Mann war hochgewachsen und in Jaffars Alter, aber seine Haare waren schon deutlich ergraut. Sein Schnauzbart war recht buschig, der Blick seiner Augen kühl und prüfend.
"Monsieur Tarek ist hier, um Sie zu sprechen", wandte sich Jaffar etwas hilflos an Harald Storm.
"Welch eine Freude, Sie zu sehen, Sie haben sich schon lange nicht mehr bei uns sehen lassen", rief Harald, der den Uniformierten gut zu kennen schien. Der Schweizer wandte sich kurz an Linda und erläuterte: "Monsieur Tarek ist stellvertretender Polizeichef hier in Tanger!"
Tarek erwiderte das Lächeln seines Gegenübers nur sehr verhalten.
"Ich bin leider dienstlich hier", erklärte er etwas gestelzt. "Wo ist Mr. Allen?"
"Er ist nicht da, worum geht es?", fragte Linda.
Tarek atmete tief durch und behielt seine steif wirkende Haltung. "Sie werden sicher schon gehört haben, was hier ganz in der Nähe geschehen ist. Ein Mann ist erwürgt worden, ein Brite..."
"Wie heißt der Mann?", fragte Linda.
Tarek sah sie nachdenklich an, dann erwiderte er. "Brian McCauly."
"Oh."
"Kannten Sie ihn?"
"Nur flüchtig. Ich lernte ihn auf der Fähre kennen."
Jetzt mischte sich Harald ein. "Warum kommen Sie dazu uns, Tarek? Und was wollen Sie in dem Zusammenhang von Mr. Allen?"
Tarek holte dann etwas aus einer der zahlreichen Taschen hervor, die auf seiner Uniform aufgenäht waren. Es war eine Uhr. "Deswegen", erklärte der stellvertretende Polizeichef von Tanger kühl und legte die Uhr mit dem Zifferblatt nach unten auf den Tisch. Auf der Rückseite waren deutlich eingravierte Initialen zu lesen: P.A. - wie Patrick Allen!
"Das lag in unmittelbarer Nähe des Tatortes", erläuterte Tarek.
Harald nahm die Uhr und betrachtete sie.
"Ja, das könnte Patricks Uhr sein." Er zuckte die Achseln.
"Er muss sie da draußen verloren haben... Aber ich verstehe nicht, was das mit dem Tod dieses armen Briten zu tun haben soll?"
"Ich muss annehmen, dass Mr. Allen am Tatort war - und zwar gestern Nacht."
Harald hob die Augenbrauen und warf ein: "Er kann die Uhr auch zu einem anderen Zeitpunkt verloren haben, woher wollen Sie das so genau wissen, Monsieur Tarek?"
"Am Tag würde eine solche Uhr nicht lange herumliegen, verstehen Sie? Wir fanden den Toten am frühen Morgen, bevor hier die Geschäfte losgehen... Und was Mister Allen angeht, so kann er uns vielleicht wertvolle Hinweise geben."
Harald sah zu Linda hinüber, die ziemlich angespannt dasaß.
Patrick war in der letzten Nacht draußen, das war eine Tatsache. Aber wenn das jetzt herauskam, dann würde Tarek in dieser Richtung weiterermitteln.
"Patrick war die ganze Nacht nicht außer Haus", sagte Harald dann mit glasklarer Stimme, die nicht den Hauch von Unsicherheit verriet. "Seine Verlobte, Miss Jordan, kann das bezeugen, denn sie schliefen im selben Zimmer."
"Stimmt das, Miss Jordan?", fragte Tarek.
"Ja", nickte Linda. "Ich glaube auch nicht, dass er Ihnen irgendwelche Anhaltspunkte geben kann. Aber Sie können ihn ja selbst fragen, wenn er wieder zurückkehrt."
Tarek zuckte die Achseln.
"Das dürfte in dem Fall nicht viel Sinn haben...", murmelte er.
"Haben Sie schon irgendwelche Anhaltspunkte - was dieses geheimnisvolle Phantom betrifft?", mischte sich Dr. Andretti ein, der bislang schweigend zugehört hatte.
Tarek machte ein unbestimmtes Gesicht.
"Wir wissen nicht viel. Nur, dass das Phantom nach den Spuren, die wir gefunden haben, höchstwahrscheinlich barfüßig war..."
Das versetzte Linda einen Stich. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Harald, den dieselben Gedanken zu plagen schienen wie sie. Wie in Trance bekam Linda noch mit, wie Tarek sich verabschiedete. Jaffar geleitete ihn hinaus.
Einen Augenblick lang saßen sie dann schweigend da, bis Dr. Andretti schließlich an Linda gewandt sagte: "Sie müssen jetzt sehr auf Patrick aufpassen."
"Glauben Sie denn, dass Patrick..." Linda wagte es kaum, die schreckliche Vermutung auszusprechen.
Harald sah Linda ernst an. "Ich weiß nicht, was Patrick in der letzten Nacht - und in denen davor da draußen gemacht hat. Aber ich wollte ihn vor Schwierigkeiten bewahren!"
"Dafür danke ich Ihnen. Aber könnte er eine solche Tat wirklich begehen - und sich dann nicht daran erinnern? Dr. Andretti, was sagen Sie dazu? Sie kennen Patrick..."
Dr. Andretti hob die Augenbrauen und kratzte sich am Hinterkopf. "In seinem Zustand wäre das denkbar, ja... Ich glaube, ihr Verlobter ist ernsthaft krank."
"Können Sie ihm helfen?"
"Ich werde mein bestes tun, Miss Jordan. Ich kann jetzt nicht auf ihn warten, aber wenn er nachher zurückkommt, dann schicken sie ihn doch bitte zu mir..."