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Linda ließ sich von einem Taxi zum Haus von Dr. Andretti bringen, um ihn zur Rede zu stellen. Seine Aussage war für Tarek offenbar sehr wichtig gewesen. Wenn man den Arzt dazu bewegen konnte, etwas davon zurückzunehmen - vielleicht konnte das Patrick helfen.

Eine marokkanische Hausangestellte des Arztes öffnete Linda die Tür.

"Dr. Andretti ist nicht zu Hause", behauptete sie.

"Ich muss ihn sprechen!"

"Tut mir leid, das geht nicht!"

Linda drängte die Frau einfach zur Seite und war einen Augenblick später bereits in der großzügigen Eingangshalle, die sie mit schnellen Schritten durchquerte.

Die Hausangestellte zeterte herum und ließ einen wütenden Wortschwall in Lindas Richtung über ihre Lippen kommen. Da der Großteil aber Französisch und Arabisch war, konnte Linda ohnehin nur wenig davon verstehen.

Linda ließ sich nicht beirren.

Erst bei der Tür zu Dr. Andrettis Arbeitszimmer holte die Hausangestellte Linda ein und fasste sie ziemlich grob am Arm.

Aber da hatte Linda längst die Klinke heruntergedrückt und die Tür zur Praxis aufgerissen.

Dr. Andretti saß an seinem Schreibtisch und blickte ziemlich verdutzt auf.

"Miss Jordan."

Die Hausangestellte zuckte die Achseln. "Es tut mir leid, Doktor, aber ich konnte diese Frau einfach nicht aufhalten!"

"Schon gut", sagte Andretti. "Lassen Sie uns bitte allein."

"Wie Sie wünschen!"

Sie warf Linda einen ärgerlichen Blick zu, schloss dann die Tür hinter sich und ging.

Dr. Andretti erhob sich und ging um seinen Schreibtisch herum auf Linda zu.

"Guten Tag, Miss Jordan. Ich kann mir denken, weswegen Sie mich aufsuchen, aber bevor Sie..."

"Warum haben Sie das getan, Dr. Andretti?", fuhr Linda ihm dazwischen. "Wissen Sie eigentlich, in welche Schwierigkeiten Sie Patrick gebracht haben? Und er hat Ihnen absolut vertraut!"

"Und wissen Sie eigentlich, in welche Schwierigkeiten er mich gebracht hat?", erwiderte Dr. Andretti. Seine Augen waren schmal dabei geworden und sein Blick hatte jetzt etwas Falkenhaftes bekommen. "Was sollte ich tun, Miss Jordan? Tarek nicht die Wahrheit sagen? Das hätte bedeuten können, dass ich meine Aufenthaltserlaubnis hier verliere."

"Sie haben Patrick in einem Licht erscheinen lassen, das ihn wie einen Mörder aussehen lässt!"

Andretti sah sie ernst an.

Er hob die Augenbrauen und sagte dann mit ernüchternder Kälte: "Und? Ist er das nicht vielleicht auch? Niemand kann da sicher ein, Sie auch nicht, Miss Jordan - so sehr sie ihn auch lieben mögen!"

Linda atmete tief durch und verschluckte die bissige Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag.

Er hat recht!, ging es ihr durch den Kopf. Was Patrick anging konnte auch sie sich nicht sicher sein. Schließlich hielt er selbst es für möglich, das Phantom zu sein.

"Wussten Sie, dass die Morde dieses Phantoms erst begannen, nachdem Patrick hier in Tanger eintraf?", hörte sie unterdessen Dr. Andretti sagen.

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein."

"Tarek hat es mir gesagt."

"Vielleicht könnten Sie Ihre Aussage gegenüber Tarek noch einmal überdenken, Dr. Andretti", begann Linda dann sehr vorsichtig.

Aber der Arzt schüttelte energisch den Kopf.

"Ich kann es nicht", sagte er. "Schon das, was ich bisher getan habe, kann ich nur sehr schwer mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich bin nämlich nicht von mir aus zur Polizei gegangen. Und so wie es jetzt aussieht, hätte ich das tun müssen. Ihr Verlobter ist krank, Miss Jordan. Und vielleicht eine Gefahr für die Allgemeinheit!"

In Lindas Kopf drehte sich alles. Dr. Andrettis Worte waren wie ein Schlag vor den Kopf.

Aber es mochte gut sein, dass er recht hatte.

Alles in Linda sträubte sich dagegen, zu glauben, dass der Mann, den sie liebte jenes Phantom war, das nachts den Tod in die engen Gassen Tangers brachte.

Mein Gott, ich kenne ihn doch!, ging es ihr durch den Kopf.

Aber andererseits gab es Tatsachen. Tatsachen, die sie anerkennen musste.

"Ich weiß, dass es schwer für Sie sein muss, zu akzeptieren, was ich Ihnen gesagt habe. Ich habe mich zunächst auch an der Möglichkeit festgeklammert, dass Mr. Allen unschuldig ist.

Und nachdem ich ihn unter Hypnose befragt habe, dachte ich, die Sache sei geklärt - zumindest für mich. Aber ich hatte mich offenbar geirrt."

"Sie können nichts tun, Dr. Andretti?"

"Jedenfalls nicht das, was Sie von mir verlangen. Und nun entschuldigen Sie mich bitte..."

"Natürlich."

Er geleitete sie hinaus. Linda fühlte sich wie betäubt.

Alles erschien ihr wie ein furchtbarer Alptraum.

Gemeinsam mit Dr. Andretti ging sie in die Eingangshalle.

Die marokkanische Hausangestellte kam ihnen entgegen.

"Dr. Andretti, ich habe hier Ihre Post", sagte sie akzentschwer.

Sie war sehr ungeschickt.

Ein Teil der Post rutschte ihr aus der Hand, als sie sie dem Arzt reichen wollte. Ein Journal de Tanger war darunter und mehrere Briefe, viele davon in Luftpostumschlägen.

Es war ein Reflex, der Linda zu Boden blicken ließ, und das, was sie da sah, ließ sie stutzen.

Auf einem der Umschläge stand ganz deutlich in großen blauen Buchstaben ein Name, der ihr bekannt war.

SCARLETTI.


Ruhrpott, Venedig, Tanger - tot! 3 Krimis

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