Читать книгу Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 77
Оглавление1
Ich stand schon mit gepacktem Koffer im Flur, da fiel mir ein, dass ich noch einmal ins Wohnzimmer musste. Ich setzte den Koffer ab, nahm mir vor, nicht zu ihr hinzuschauen, aber tat es dann doch.
Innerlich verfluchte ich ihren Mörder.
Damit meinte ich nicht so sehr dieses willige Mordwerkzeug namens Deschner, sondern denjenigen, der ihn auf den Weg gebracht hatte. Das war der eigentliche Schweinehund.
Jedenfalls sagte ich mir das. Immer wieder, bis ich fast daran glaubte.
Fast.
Wenn ich ganz ehrlich gewesen wäre, hätte ich auch mir selbst Vorwürfe machen müssen. Aber wer ist in einem solchen Augenblick schon ganz ehrlich?
Ich ging an ihr vorbei zum Wohnzimmerschrank und räumte die Fotoalben heraus, die Tina mit großer Akribie angelegt hatte.
Ich wusste, dass sie chronologisch geordnet waren, schließlich hatte ich sie mir oft genug ansehen müssen. Es war eine von Tinas Lieblingsbeschäftigungen gewesen, in alten Alben herumzublättern.
Im ersten Dutzend spielte ich keine Rolle, aber in den letzten beiden waren fast fünfzig Fotos, auf denen ich zu sehen war. Ich fing an, sie einzeln herauszuknibbeln, aber das war mir dann zu langwierig. So nahm ich die Alben an mich und stopfte sie einen Augenblick später zu der Pistole in den Diplomatenkoffer.
Ich schloss die Wohnung sorgfältig ab. Eine Weile würde es schon dauern, bis irgend jemand darauf kam, was hier los war. So hatte ich zumindest einen gewissen Vorsprung - und den hatte ich auch bitter nötig.
Ich brachte meine Sachen in den Volvo. Dann blickte ich mich nach einem BMW um, sah aber keinen. Ich überlegte, ob ich nicht vielleicht besser zusah, dass ich ich endlich wegkam.
Aber wohin?
Kopflos davonzulaufen hatte wenig Sinn. Es würde mich nur zu einer leichten Beute für meine Jäger machen.
Und was dann?
Ich musste mir gut überlegen, was ich tat. Jemand hatte mich töten wollen und dabei den einzigen Menschen erwischt, der mir wirklich etwas bedeutete. Ich wollte wissen, wer dahintersteckte.
Und dann? Wenn ich es wusste?
Ich hatte keine Ahnung, was dann war. Da war ein diffuses Gemisch aus Hass und dem Bedürfnis nach Rache in mir. Jemand hatte mein Leben zerstört und sollte dafür bezahlen! Aber ich wusste nicht, ob es gut war, diesem explosiven Gefühlsgemisch nachzugeben. Gut für mich.
Aber das war eine Stimme, die ich in diesem Moment einfach überhörte.
Ich setzte mich ans Steuer des Volvo, drehte den Zündschlüssel herum und brauchte zwei Versuche, ehe ich den alten Schrottkasten gestartet hatte.
Dann fuhr ich einmal um den Pudding und suchte die Nebenstraßen nach einem BMW ab.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass dieser Deschner es unbedingt darauf abgesehen hatte, lange zu laufen, zumal sowohl die nächste Bushaltestelle, als auch die nächste U-Bahn-Station einen Fußmarsch von einer guten Viertelstunde bedeutet hätten. Und für einen Killer war das zu lang. Unterwegs gab es zu viele Leute, die ihn nachher vielleicht identifizieren konnten, so sagte ich mir in meiner trivialen Phantasie.
Ich hoffte es, dass es so war.
Beinahe wollte ich schon aufgeben, da wurde ich doch noch fündig. Ein blauer BMW war ziemlich rücksichtslos auf den Bürgersteig geparkt worden. Ich stellte den Volvo ins Halteverbot und stieg aus. Als ich den BMW erreicht hatte, drehte ich mich kurz um. Aber in dieser Seitenstraße war im Moment so gut wie nichts los. Um so besser. Ich ließ den Schlüssel in die Tür gleiten und drehte ihn herum. Er passte.
Es war ein wirklich schöner BMW. Sicher nicht älter als zwei Jahre und in einem äußerst gepflegten Zustand. Und der Tank war voll.
Im Handschuhfach fand ich die Papiere, ausgestellt auf Deschners Namen.
Und dann fand ich noch etwas. Eine Karte.
Ich faltete sie auf.
Es waren zwei Kreuze darauf. Eines bezeichnete offensichtlich meine, beziehungsweise Tinas, Adresse. Das andere lag an einem See. Daneben war eine Zahl angegeben. Ich sah genauer hin. Ja, ich kannte die Gegend, war sogar schon einmal dortgewesen.
Es gab da eine Ferienhaussiedlung. Alles Nur-Dach-Häuser von denen eins wie das andere aussah. Selbst die Richtung, in die ihre Giebel zeigten war dieselbe. Die Giebel zeigten allesamt zum See hin. Ich erinnerte mich. Tina und ich waren ein paar Mal im nahen See baden gewesen. Die Zahl stand vermutlich für die Hausnummer.
Ich packte die Karte wieder zusammen und fragte mich, was Deschner dort wohl verloren gehabt hatte.
Er war wohl kaum in diese Gegend gekommen, um hier Ferien zu machen, sondern um einen Job zu erledigen.
Oder auch zwei.
Zwei Kreuze, zwei Jobs. Ich fand das logisch.
Ich entschied mich kurzerhand dafür, den alten Volvo gegen den BMW einzutauschen. Der BMW hatte jedenfalls die entschieden längere Lebenserwartung. Außerdem brauchte ich jetzt ein Fahrzeug, auf das ich mich absolut verlassen konnte. Ich ging zu meinem Volvo, schraubte die Nummernschilder ab und nahm meine Sachen, die ich dann auf den Rücksitz des BMW packte. Dann fuhr ich los. Ich dachte daran, dass ich noch einen Auftrag zu erfüllen hatte und fragte mich, ob ich ihn wirklich ausführen sollte. Wenn nicht, hatte ich zwei Parteien, die mich jagten. Wenn doch, dann würde zumindest Deschners Auftraggeber alles daran setzen, mich doch noch zur Strecke zu bringen. Vermutlich würde er das so oder so tun.
Eigentlich hatte ich ja auch noch etwas Zeit, um diese Sache endgültig zu entscheiden. Und ganz gleich, was auch geschah: Hunderttausend hatte ich auf meinem Konto in Zürich. Und das war schon einmal eine einigermaßen gute Voraussetzung, um doch noch lebend aus dieser Sache herauszukommen.
Ich beschloss, mir als erstes einmal dieses Ferienhaus anzusehen, bei dem Deschner ein Kreuz gemacht hatte.
Ein Kreuz...
Eine makabere, unfreiwillige Symbolik.
Ich hoffte, dass es nicht dasselbe bedeutete, wie jenes Kreuz, das Tinas Adresse bezeichnete!
Mit dem BMW dauerte es eine knappe halbe Stunde, bis ich den Ferienpark erreicht hatte.
Ich stellte an einer etwas einsameren Stelle den Wagen für einen Moment an den Straßenrand, griff mir den Koffer mit der Pistole und nahm die Waffe heraus. Ich lud sie und steckte sie seitlich in Jackett-Tasche. Den Schalldämpfer ließ ich im Koffer. Der machte die Waffe zu lang und unförmig. Und im Moment hatte ich ja auch keineswegs die Absicht jemanden zu erschießen. Jedenfalls nicht, wenn es sich vermeiden ließ.
Schließlich fuhr ich weiter und suchte nach der Hausnummer, die auf der Karte angegeben gewesen war.
Schließlich fand ich sie. Sie gehörte zu einem schmucken Holzhaus mit Balkon und einer Grundstücksparzelle von vielleicht fünfhundert Quadratmetern. Ein Wagen stand in der Einfahrt, daher war anzunehmen, dass der Besitzer zu Hause war. Ich ließ den BMW ein paar Meter weiter stehen und näherte mich dann dem Haus. Ein Mann schob sein Surfbrett auf einem kleinen Handwagen an mir vorbei und wollte offenbar in Richtung See damit. Er sah mich kurz an, aber durch die superdunkle Sonnenbrille, die er trug, konnte er vermutlich ohnehin nicht allzuviel erkennen.
Ich wartete, bis er weg war.
Mein Blick ging die Fenster des Holzhauses entlang. In einem der Räume brannte Licht, obwohl es jetzt heller Tag war. Ich überprüfte den Sitz meiner Automatik und entschied mich dann, es erst einmal mit dem geraden und direkten Weg zu versuchen.
An der Haustür gab es sogar eine Klingel. Ich drückte auf den Knopf. Zweimal, kurz hintereinander. Aber es reagierte niemand. Ich hatte die Rechte in der Jackentasche und umklammerte den Pistolengriff. Noch einmal wollte ich nicht unvorbereitet in die Falle gehen. Man soll das Glück schließlich nicht herausforden.
Ich versuchte es noch einmal mit der Klingel und wieder ohne Erfolg. Aber ich war überzeugt davon, dass jemand im Haus war. Möglich, dass dieser Jemand mich gar nicht sehen wollte. Ich umrundete das kleine Haus. Nach hinten hinaus war eine Terrasse. Die gläserne Hebetür stand offen.
Ich zog die Automatik. Sicher war sicher. Und dann tastete ich mich vorsichtig in dieses Nur-Dach-Haus, von dem ich mir unter anderen Umständen gewünscht hätte, es würde mir gehören.
Nachdem ich die Gardinen zur Seite geschlagen hatte, hatte ich freie Aussicht auf ein ziemlich derangiertes Wohnzimmer.
Zwei der drei Korbsessel waren umgestoßen, der niedrige Glastisch hatte einen Sprung.
Ich sah etwas Rotes auf dem Teppichboden.
Blut.
Ich dachte an das Kreuz und lauschte. Aber da war nichts zu hören. Langsam ahnte ich, dass ich hier auf niemanden mehr stoßen würde. Zumindest auf niemanden, der noch lebte. Es war so, wie ich anfangs vermutet hatte. Deschner hatte hier einen Job auszuführen gehabt und ihn ganz offensichtlich auch erledigt.
Das Wohnzimmer sah aus, wie nach einem Kampf und ich fragte mich, ob Deschner wirklich so ein Stümper gewesen war, dass er eine solche Arbeit nicht einigermaßen sauber über die Bühne bringen konnte.
Vielleicht hatte es ja auch am Gegner gelegen.
Als ich in den Flur trat, sah ich erneut einen Blutfleck und noch etwas anderes. Etwas, das mir einen Stich versetzte.
Eine Brille.
Eine Brille deren Gläser so dick waren, dass sie den Sturz aus Gesichtshöhe besser überstanden hatten, als die Fassung.
Langsam brachte ich zwei und zwei zusammen. Ich lief die Treppe hinauf. Davon abgesehen, dass ich immer noch die Automatik in der rechten hielt, war nicht mehr besonders vorsichtig. Ich warf in jeden der vier Räume, die sich im Obergeschoss befanden einen kurzen Blick. Im Bad wurde ich dann fündig.
Ich sah einen Mann, dessen Hände und Füße mit Klebeband gefesselt waren. Er hing halb in der Badewanne, die bis über den Rand gefüllt war. Ein roter Strom von Blut war aus einer Platzwunde an der Stirn gekommen und hatte sich mit dem Wasser in der Wanne vermischt. Ich steckte die Automatik weg und zog den Kopf etwas in die Höhe, damit ich das Gesicht sehen konnte. Es wunderte mich kaum noch, als ich in die verzerrten Züge des grauen Mannes blickte.
Jemanden immer wieder bis kurz vor dem Ertrinken unter Wasser zu tauchen war eine der ältesten Foltermethoden und erfreute sich zumindest seit dem Mittelalter einer gleichbleibend hohen Beliebtheit. Und genau das hatte man man mit dem hier gemacht.
Letztlich war er aber wohl nicht durch Ertrinken gestorben, sondern durch Genickbruch. Sein Mörder - ich nahm an, das es Deschner war - hatte offenbar auf Nummer sicher gehen wollen. Oder das Ertränken war ihm schlicht zu zeitraubend gewesen, nachdem er alle Antworten bekommen hatte, die er brauchte.
Zum Beispiel meine Adresse.
Tinas Adresse.
Verdammt.