Читать книгу Das Super Krimi Paket Dezember 2021: 12 Romane in einem Buch - 1800 Seiten Thriller Spannung - Alfred Bekker - Страница 47

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6. Kapitel


Lorant fuhr zum Tatort. Er hatte sich den Weg auf der Karte genau angesehen. Diesmal bog er nicht auf den Parkplatz zwischen Landhaus und Meerwarthaus ab, sondern fuhr ein Stück weiter. Eine Abzweigung führte zu einem Campingplatz.

Der Schlagbaum, der sonst den Zugang zum Meer für Fahrzeuge versperrte, war oben. Lorant passierte ihn, fuhr bis zu einer Art Wendehammer. Dort stellte er den Wagen ab.

Ein Fahrrad- und Spazierweg zog sich parallel zum Ufer des Großen Meeres durch Schilfareale, dann weiter in Richtung Meerwarthaus.

Links befand sich der Hafen des Campingplatzes, zu dem auch eine ins Meer hineinragende Halbinsel und ein Stichkanal gehörten. Das verrostete Tor war offen.

Ein paar Surfer schoben ihre Bretter auf Rädern zur Halbinsel. Der Wind hatte spürbar zugenommen. Und er war eisig, passte überhaupt nicht zu dem Sonnenschein, der den ganzen Tag geherrscht hatte.

Rechts befand sich jene Hafenbucht, die sich zwei Segelclubs teilten, wie die Aushänge in einem Schaukasten überdeutlich machten.

Eine Karte machte die Aufteilung klar.

Das Tor war geschlossen.

Die Sonne stand bereits ziemlich tief, hatte sich rot-orange verfärbt und spiegelte sich im glitzernden Wasser. Ein einmaliges Farbenspiel. Wie auf einer Postkarte!, dachte Lorant.

Ein Ort, viel zu schön, um zu sterben. Und zu morden! Aber offenbar hatte jedes Paradies seine Schlange. Eine Naturkonstante gewissermaßen.

Lorant ging am Zaun entlang, der das Gelände abschirmen sollte. An den Zaun schloss sich ein Flachdachgebäude an, dem seine Vergangenheit als Sanitär- und Umkleidehaus einer Badeanstalt deutlich anzusehen war.

Im hinteren Teil des Gebäudes war eine Töpferei untergebracht.

Ein Mercedes war über den Spazierweg bis direkt vor die Töpferei gefahren.

Ein grauhaariger, bärtiger Mann, dessen Frisur an die zerzauste Haarpracht eines Wikingers erinnerte, war damit beschäftigt, Kisten aus dem Kofferraum des Wagens heraus ins Innere der Töpferei zu transportieren.

Neben der Töpferei gab es einen freien Durchgang zum Hafengelände.

"Moin!", sagte der Töpfer.

"Hallo!", erwiderte Lorant.

"Kann man hier durch oder kriegt man dann Ärger?", fragte Lorant.

Der 'Wikinger' starrte Lorant etwas verwirrt an.

"Ey, wie meinst du das denn?", fragte er.

Ein Ex-68er!, dachte Lorant. Leicht zu identifizieren an der höflichen und etwas distanzierten Anrede 'ey', kombiniert mit dem Vertrauen schaffenden 'du', selbst bei völlig fremden Personen.

Lorant deutete in Richtung Wasser.

"Da will ich hin!", sagte er.

"Na, warum gehst du dann nich'?"

"Dann werde ich mal gehen!"

"Tu das. Aber die Wiese steht fast ganz unter Wasser. Keine Gummistiefel dabei?"

"Nein."

"Selber Schuld."

Blöder Sack!, dachte Lorant und passierte den ungefähr zwei Meter breiten Durchgang neben der Töpferei. Als der gepflasterte Bereich aufhörte, stand er wenig später bis zu den Knöcheln im Wasser, sank dabei förmlich in den Schlamm ein.

So ein Mist!, dachte er und spürte dabei die Feuchtigkeit in seine Turnschuhe hineinkriechen. So hatte er sich das nicht vorgestellt.

Er fragte sich, warum noch niemand auf die Idee gekommen war, hier Reis anzupflanzen. Lorant erinnerte sich an Reportagen über Südostasien, in denen man mit Reisbauern mit riesigen Strohhüten hinter ihren gewaltigen Zebu-Ochsen her knietief durch das auf ihren Reisfeldern stehende Wasser stapfen sah.

War das nicht eine landwirtschaftliche Alternative für Norddeutschland?

Schließlich gab es in der EU doch Rindfleischberge und Milchseen. Aber von einem Reisüberschuss hatte Lorant noch nie etwas gehört.

Liegt wahrscheinlich am schlechten Wetter, dass man das hier nicht macht!, ging es ihm durch den Kopf.

Beim jedem seiner Schritte entstand ein watschendes Geräusch.

Der 'Wikinger' war mit seinen Packarbeiten offenbar fertig.

Jetzt stand er neben dem Eingang seines Töpferladens und beobachtete Lorant.

"Hab' ich ja gesagt!", stieß er hervor, als Lorant sich umdrehte.

Lorant lag eine ziemlich ätzende Erwiderung auf der Zunge, aber dann wurde seine Aufmerksamkeit durch etwas anderes abgelenkt.

Durch einen winzigen leuchtend blauen Punkt.

Und der passte irgendwie farbmäßig nicht in diese Wiese mit ihrem sattgrünen Gras und dem dunklen, mit Schlamm gesättigten Wasser.

Lorant bückte sich, griff in die Matsche und holte einen Kugelschreiber aus der Brühe.

"Na, Gold gefunden?", lachte der 'Wikinger'.

"Ja, so etwas ähnliches", murmelte Lorant und betrachtete den Kugelschreiber genauer. Er drehte ihn herum, wischte mit dem Zeigefinger die Matsche weg. SLUITER BOOTS- UND SEGELBEDARF NESSERLÄNDER STRASSE 34 XXXX EMDEN war darauf gedruckt worden. Die Postleitzahl von Emden war allerdings nicht mehr zu lesen, weil dort die äußere Farbschicht abgeblättert war.

Lorant stapfte zurück zu dem 'Wikinger', zeigte ihm den Stift.

"Hier ist vor kurzem jemand ums Leben gekommen, der so hieß, nicht wahr?", fragte Lorant.

"Wieso interessiert dich dat denn? Polizei?"

"Nein. Privatdetektiv."

Lorant kramte in seinen Jackentaschen herum, suchte nach seinem Ausweis.

"Nich' gut sortiert, wa?"

"Hier!", hielt Lorant ihm seine eingeschweißte Karte entgegen. Irgendwelche legalen Befugnisse waren damit in Deutschland zwar nicht verbunden, aber in der Regel machte Lorant damit großen Eindruck. Die Macht des Fernsehens war eben letztlich doch stärker als die des Bürgerlichen Gesetzbuches und seiner Bestimmungen.

Lorant nahm dem 'Wikinger' den Kugelschreiber wieder aus der Hand.

"Das ist ein Beweisstück!", meinte der Haarige. "Das musst du den Bullen geben!"

Sieh an, dachte Lorant. In Wahrheit also doch ein Spießer!

Wie tröstlich.

"Das mache ich auch."

"Also der Sluiter, der ist dahinten auf seinem Boot umgekommen."

"Welches ist es denn?"

"Der rotweiße Jollenkreuzer."

"Der, an dem JERRY dransteht?"

"Ja."

"Wieso nannte Gretus Sluiter sein Boot JERRY?"

"Was weiß ich? Vielleicht ist er JERRY COTTON-Leser!"

"Und ich dachte immer, Segler benennen ihre Boote nach ihren Frauen, um sie gnädig zu stimmen."

"Warum gnädig stimmen?"

"Weil sie so viel Zeit auf dem Boot und so wenig mit ihren Frauen verbringen."

Der Wikinger machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Ey, du redest 'nen Quatsch!" Dann deutete er hinaus zu den Booten. "Am besten du fragst mal Ihno Carstens, den Hafenmeister vom Yachtclub. Dahinten siehst du ihn an seiner Jolle herumschrauben. Der Ihno muss den Toten gut gekannt haben. Schließlich waren sie im selben Yacht-Club."

"Und Sie? Sind Sie nicht im Yacht-Club?"

"Ey, nix für ungut, abba mit deinem 'Sie' gehst du mir auf die Eier!"

"'Tschuldigung, war keine Absicht."

"Also ich bin nich' im Yacht-Club, sondern bei der Konkurrenz auf der anderen Hafenseite."

"Ach so."

Lorant betrachtete noch einmal kurz den Kugelschreiber. Die Witwe scheint recht gehabt zu haben, dachte er. Die Ermittlungen waren offenbar nicht sonderlich sorgfältig durchgeführt worden.

Sonst hätte man den Kuli einfach nicht übersehen dürfen.

Wahrscheinlich hatte man gar nicht danach gesucht.

Lorant sah sich um, ließ den Blick schweifen. Was, wenn Gretus Sluiter nicht auf oder an seinem Boot starb, sondern genau hier?, dachte er. Ein Schlag auf den Kopf, Sluiter sank zu Boden, der Täter schleifte ihn davon und dabei verlor er den Stift.

So konnte es gewesen sein.

Lorant war gespannt darauf, was sein staatlich-bezahlter Kollege Kriminalhauptkommissar Meinert Steen dazu sagen würde, wenn er ihn darauf ansprach.

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