Читать книгу Das Super Krimi Paket Dezember 2021: 12 Romane in einem Buch - 1800 Seiten Thriller Spannung - Alfred Bekker - Страница 56
14. Kapitel
ОглавлениеBlutrot leckte das Mündungsfeuer aus dem Revolverlauf heraus. Der Knall war ohrenbetäubend. Lorant zuckte zwar zur Seite, aber keine noch so schnelle Reaktionszeit hätte ihn vor der Revolverkugel retten können.
Das Gesicht des Weißblonden war zu einer Grimasse des Hasses geworden.
Sekundenbruchteile, bevor der Revolver abgedrückt wurde, hatte der Große seinen Kumpanen erreicht und ihm den Arm zur Seite geschlagen. Der Schuss ging knapp an Lorant vorbei.
"Bist du verrückt?", schrie der Große. "Willst haben nix wie Ärger?" Er fuhr auf Russisch fort. Die beiden schrien sich an.
"Ich bring es um, das Schwein!", rief der Weißblonde.
Die Erwiderung auf Russisch konnte Lorant nicht verstehen.
Schließlich zog der Große seinen Komplizen am Arm, führte ihn hinaus.
Einen Augenblick lang hörte Lorant noch die Schritte ihrer schweren Stiefel auf dem Asphalt.
Ächzend erhob sich der Detektiv. Das war knapp, dachte er.
Aber wer immer die zwei Eindringlinge auch gewesen waren - es handelte sich nicht um Profis. Die Situation, dass jemand sie dabei erwischte, wie sie den Geschäftsinhaber zusammenschlugen, schien sie vollkommen überfordert zu haben. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass genau so eine Überforderung zu einer Tragödie führt, rief Lorant sich ins Gedächtnis.
Lorant humpelte zum Tresen.
Eine Sekunde lang überlegte er, die Polizei zu rufen, damit die sich an die Fersen der beiden Flüchtigen heften konnte. Aber dann entschied er sich dagegen. Und das lag nicht nur an den zwiespältigen Erfahrungen, die er bislang mit Kriminalhauptkommissar Meinert Steen von der Emder Kripo gemacht hatte. Es war ja letztlich auch nicht ganz auszuschließen, dass es bei den Kollegen von der verbeamteten Truppe auch professionell arbeitende Kollegen gab.
Nein, Lorants Zögern hatte einen anderen Grund.
Er wollte zuerst mit Ubbo Sluiter reden.
Sofern das möglich war.
Ubbo Sluiter lag reglos am Boden. Nur sein Rücken hob und senkte sich ganz leicht. Ein Zeichen dafür, dass er atmete. Und lebte. Immerhin etwas, dachte Lorant.
Als er sich zu dem Geschäftsinhaber hinunterbücken wollte, verzog er das Gesicht. Er stöhnte auf. Ziemlich ungeniert und laut sogar, denn außer Ubbo Sluiter war ja niemand im Laden.
Und wenn der dadurch aus seiner Benommenheit geweckt wurde -—um so besser!
Der Ischias machte Lorant zu schaffen.
Gut, dass du nicht mehr im Straßeneinsatz bist!, dachte er. Er kniete nieder, rüttelte Ubbo Sluiter bei den Schultern.
"Herr Sluiter! Alles in Ordnung?"
Sluiter rührte sich, spannte die Muskeln seiner Oberarme an und stemmte sich hoch. Er setzte sich auf, hielt sich den Kopf.
Ubbo Sluiter sah kreidebleich aus.
"Sind..."
"Ja, die beiden sind weg."
"Wer sind Sie?"
"Lorant."
"Ah..."
"Ich nehme an, Ihre Mutter hat Ihnen von mir erzählt."
"Hat sie."
"Eigentlich war ich eher zufällig hier, weil ich mich mit Ihnen über den Tod Ihres Vaters unterhalten wollte."
"Verstehe."
"Da sah ich, dass diese beiden Kerle über Sie herfielen."
Ubbo Sluiter atmete tief durch. Er wischte sich über die Augen, betastete dann mit schmerzverzerrtem Gesicht einige Stellen an seinem Oberkörper.
"Die beiden haben Sie ganz schön in die Mangel genommen."
"Schweinehunde!"
"Ich habe gehört, Sie hatten Schwierigkeiten mit einer so genannten Russengang, die versucht hat, Schutzgelder bei Ihnen einzusammeln."
"Ja, hatten wir. Aber wir haben die Polizei eingeschaltet und außerdem unsere Geschäfte von Mitarbeitern eines privaten Wachdienstes sichern lassen."
"Davon hat mir Ihre Mutter nichts erzählt."
"Hat Sie wohl vergessen zu erwähnen. Ein Computer ist sie schließlich nicht."
"Aber sie weiß genau, was sie will, oder?"
"Ja, das stimmt wohl."
"Und sie glaubt auch genau zu wissen, dass Ihr Vater keinen Unfalltod erlitt?"
Anstatt zu antworten, versuchte Sluiter aufzustehen.
Lorant half ihm dabei, zuckte dann zusammen, als er eine ungeschickte Bewegung machte, die ihn seinen Ischias wieder spüren ließ.
"Sie hat es aber auch ganz schön erwischt."
"Kennen Sie einen guten Arzt, der ein Reizstromgerät hat?"
"Dr. Purwin in Moordorf."
"Dann werde ich dort bei Gelegenheit mal vorbeischauen."
Ubbo Sluiter stützte sich auf den Tresen. Das Telefon stand ganz in der Nähe. Aber er machte keine Anstalten, die Polizei zu rufen. Lorant nahm sich vor, auf diesen Punkt zurückzukommen.
Später.
Er fragte: "Sind Sie auch der Meinung, dass Ihr Vater ermordet wurde?" Ubbo zuckte die Achseln.
"Was weiß ich?"
"Wäre nicht schlecht, wenn Sie mich ein bisschen unterstützen, Herr Sluiter. Ich meine, wenn mir die Polizei schon nicht hilft..."
Der sonst so blasse und eher zurückhaltende Ubbo Sluiter brauste jetzt plötzlich auf. "Herrgott noch mal, was soll das denn? Ich kann Ihnen auch nicht mehr dazu sagen, als Ihnen meine Mutter oder die Kripo schon gesagt haben! Alles andere ist doch Kaffeesatzleserei."
Ein gewagter Vergleich für jemanden, der wahrscheinlich gar keinen Kaffee trinkt, sondern selbstverständlich klassisch-ostfriesischen Tee!, ging es Lorant durch den Kopf.
"Ihre Mutter glaubt, dass Ihr Vater erschlagen wurde. Und ich habe inzwischen Hinweise gefunden, dass es so gewesen sein könnte." Lorant erzählte Sluiter kurz und knapp von dem Kugelschreiber, den er gefunden hatte. "Ein Indiz, mehr nicht. Aber immerhin etwas. Ihr Vater könnte bei der Töpferei getötet und dann zum Boot gebracht worden sein."
Ubbo schien zum ersten Mal wieder alle Sinne beisammen zu haben, seit die beiden Schläger aufgetaucht waren und ihn in die Mangel genommen hatten. Er sah Lorant mit einem Blick an, den dieser nicht so richtig zu deuten wusste. Wovon sprach dieser Blick? Skepsis? Unglauben? Verwunderung? Vielleicht von allem ein bisschen. Warum gibt es eigentlich Spezialisten für das Erkennen und Vergleichen von Handschriften - aber keine Spezialisten für die Interpretation von Blicken?, ging es Lorant durch den Kopf.
"Vielleicht waren es diese Typen!", meinte Ubbo dann. "Ich meine, es würde zumindest einen Sinn ergeben. Wir haben denen die Hölle heiß gemacht. Es wurde zwar letztlich niemand festgenommen, aber es dürfte sie schon ziemlich geärgert haben, dass die Polizei sich diese Gang mal vorgeknöpft hat."
"Ich glaube nicht, dass die beiden das waren."
"'Wenn du uns nochmal die Bullen auf Hals hetzt -—du bist tot wie dein Vater!' -—das hat einer der Kerle gesagt, während er mich zusammenschlug. Ich erinnere mich jetzt wieder. Meine Güte, ich hatte so eine Scheiß-Angst."
"Ist das der Grund, warum Sie jetzt nicht die Polizei rufen?"
"Einen Augenblick."
Blut lief aus Ubbos Sluiters Nase heraus.
Er versuchte den Strom aufzuhalten, dann ging er durch eine Seitentür davon. Dort musste sich ein Waschraum mit WC oder so etwas befinden. Jedenfalls hörte Lorant, wie ein Wasserhahn aufgedreht wurde. Reichlich konfus, der Junior-Chef!, dachte Lorant. Ubbos Tragik war wohl, dass er trotz der Tatsache, dass sein Vater tot war, noch immer eine Art Junior-Chef war.
Betonung auf Junior, nicht auf Chef. Und das würde wohl auch so bleiben, bis sich eines Tages seine Mutter mal aus der aktiven Arbeit zurückzog.
So wie Lorant die resolute Dame kennen gelernt hatte, würde das wohl erst dann geschehen, wenn Bernhardine Sluiter sich entweder in einem Zustand fortgeschrittener Demenz oder in einem Eichensarg befand. Und bis dahin mochten noch Jahrzehnte vergehen. Keine guten Aussichten für Ubbo, überlegte Lorant. Außer, der Junior-Chef hatte nichts gegen seine ewige Kronprinzenrolle.
Schließlich kam Ubbo zurück, hielt sich mehrere Lagen Toilettenpapier vor die Nase. "Das fängt immer wieder an zu bluten."
"Lassen Sie's röntgen. Könnte gebrochen sein."
"Sehen Sie mal zu, dass Sie nicht mehr humpeln!"
"Keine Sorge. Aber zu einem anderen Punkt: Diese Kerle wollten Sie offenbar einschüchtern. Aber nicht umbringen. Sie haben nicht einmal mich umgebracht, obwohl es gerade ziemlich knapp war..."
"Ich danke Ihnen ja auch sehr. Sie haben Mut."
"Geschenkt. Es geht mir um etwas anderes."
"Worum?"
"Ich glaube nicht, dass diese Leute Ihren Vater umgebracht haben."
"Ach, sind Sie auch noch Hellseher?"
"Der Mord an Ihrem Vater war eine Art Inszenierung."
"Was? Spinnen Sie jetzt total?"
"Bedenken Sie: Jemand hat ihn extra auf das Boot geschleift, dann dafür gesorgt, dass das Boot hinaustrieb."
"Der Mörder -—mal vorausgesetzt, es war überhaupt ein Mord -—wollte, dass die Tat nicht so schnell entdeckt wird!"
"Das konnte er so nicht erreichen, Herr Sluiter. Es wäre dann doch viel leichter gewesen, den Toten mit einem Stein zu beschweren und in einem der nahen Tümpel und Kanäle zu versenken. Es hätte eine Ewigkeit gedauert, bis man ihn gefunden hätte."
"Ich weiß nicht."
"Und was diese beiden Schlägertypen angeht, die hätten Ihren Vater wahrscheinlich einfach liegen lassen."
"Alles Theorie, Herr Lorant."
"Ich könnte mich ja mal mit den beiden unterhalten. Vielleicht erweist sich dann, ob an meiner Theorie was dran ist! Ich wette, Sie kennen sogar die Namen!"
"Der Große heißt Ferdinand. Nachname weiß ich nicht mehr."
"Und der Weißblonde, der auf mich geschossen hat?"
"Victor."
"Und dessen Nachnamen kennen Sie auch nicht?"!
"Herrgott noch mal, was soll das eigentlich? Wollen Sie hier ein Verhör mit mir durchführen? Bin ich hier vielleicht verdächtig, meinen Vater umgebracht zu haben, glauben Sie das?"
Du bringst mich glatt auf eine Idee, dachte Lorant, behielt seinen Gedanke aber tunlichst für sich. Ein Junior-Chef, der es leid war, immer Junior zu bleiben... War das nicht zumindest eine psychologische Grundkonstellation, die durchaus in einem Mord enden konnte? Es wäre nicht der erste Fall dieser Art gewesen, mit dem Lorant zu tun gehabt hätte. Aber andererseits sprach auch einiges dagegen. Das eher vorsichtige Temperament beispielsweise, das Ubbo an den Tag legte. Die Bravheit. Konnte ein so braver Mensch, der im Hauptberuf Sohn zu sein schien, eine so schreckliche Tat planen, dem eigenen Vater eins über den Schädel geben, um ihn dann mit dem Segelboot auf eine Reise ohne Wiederkehr zu schicken?
Und was, wenn er jemanden dafür angeheuert hat?, überlegte Lorant. Jemanden, der die Drecksarbeit für ihn gemacht hätte.
All das, wozu er selbst niemals in der Lage gewesen wäre?
Nein, auch das war abwegig.
Andererseits...
Manche stillen Wasser waren tief. Fast alle Tötungsdelikte, das wusste Lorant aus seiner aktiven Polizei-Zeit, entpuppten sich letztlich als Beziehungstaten. Am naheliegendsten war es daher eigentlich immer, im nächsten Verwandten- und Bekanntenkreis nach einem möglichen Motiv zu suchen.
Cui bono?
Wem nützt es? Die berühmte Frage, die am Anfang jeder Mordermittlung stand. Aber hatte Ubbo Sluiter der Tod seines Vaters wirklich etwas genutzt? Die Frage war einstweilen noch nicht eindeutig zu beantworten.
Unterdessen fuhr Ubbo Sluiter fort: "Vielleicht sehen Sie zu viel fern oder verstehen einfach nichts von Ihrem Job. Meine Mutter hätte Sie nie engagieren sollen. Ich war von Anfang an dagegen."
"Warum denn?"
"Weil so einer wie Sie nichts als Ärger bringt. Und letztlich wird doch nichts erreicht. Sehen Sie die Sache mit den Russen an: Die Polizisten haben ein riesiges Buhei veranstaltet, Leute festgenommen und was kam am Ende raus?"
"Na?"
Warum sollte sich Lorant nicht auch Ubbos Version dieser Geschichte anhören. Der Detektiv sah ihn ruhig an.
"Am Ende haben sich die alle gegenseitig Alibis gegeben. Die halten doch zusammen und ich bin am Ende der Dumme! Das haben Sie ja heute gesehen, die spazieren hier herein, schlagen mich windelweich und ich kann nichts dagegen tun! Gar nichts!" Ubbo machte eine Pause. Sein Gesicht hatte die Farbe gewechselt. Von superblass in dunkelrot. Eine Ader an seinem Hals pulsierte. "Ich möchte nicht, dass Sie wegen dieser Schläger irgendetwas unternehmen, Lorant!"
"Nicht mal die Polizei anrufen?"
"Nicht einmal das."
"Wird mir schwer fallen."
"Ich hoffe, dass wir uns verstanden haben. Ich will einfach keinen Ärger."
"Ich sehe dabei zwei Probleme!"
"Es ist mir gleichgültig, was Sie sehen. Halten Sie sich einfach an das, was ich Ihnen gesagt habe."
"Erstens kann ich es nicht ausstehen, wenn Dinge unter den Teppich gekehrt werden."
"Ach, ein Rächer der Enterbten? Spielen Sie mir nichts vor, Lorant! Ihnen geht es doch nur um Ihr Geld! Alles andere ist jemanden wie Ihnen doch gleichgültig."
"Da unterschätzen Sie mich gewaltig."
"Glaube ich nicht."
"Aber, was das Geld angeht..."
"Ja?"
"Da sind wir bei Zweitens, Herr Sluiter."
"Ich bin gespannt."
"Ihre Mutter bezahlt mich. Nicht Sie. Und deswegen werde ich mir auch allenfalls von ihr irgendwelche Vorschriften machen lassen." Lorant lächelte dünn. "Zumindest das haben wir gemeinsam!"
"Sehr witzig."
"Und dann kommt noch Drittens: Ich bin fast über den Jordan dabei gegangen, als ich Sie vor diesen Schlägern geschützt habe."
"Erwarten Sie jetzt Dankbarkeit?"
"Ein bisschen schon."
"Soll ich Ihnen 500 Euro geben? Ist das damit erledigt? Vielleicht bewegt Sie das dann ja auch dazu, MEINE Anweisungen ernst zu nehmen."
Lorant schüttelte den Kopf.
"Ich will genauere Angaben zu den beiden Typen. Zum Beispiel die Nachnamen. Sonst müsste ich zu Kommissar Steen gehen und ihn danach fragen. Allerdings käme ich dann nicht umhin, ihm von dem heutigen Vorfall zu erzählen. Und Sie kämen dann insofern in die Bredrouille, weil Sie erklären müssten, weshalb Sie diesen Überfall nicht zur Anzeige gebracht haben."
Ubbo Sluiter ließ die Faust auf den Tresen sausen. Außerdem vergaß er, das Toilettenpapier weiter an seine Nase zu drücken.
Blut tropfte hinunter.
"Erpresser!", knurrte Ubbo.
"Wenn ich einer wäre, würde ich die 500 Euro nehmen und noch mal das Doppelte verlangen."
Zweifellos hatte Ubbo Sluiter noch irgendeine sehr unfreundliche Erwiderung auf Lager. Aber er schluckte sie herunter, denn in diesem Moment tauchte ein Mann in der Tür auf. Lorant schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Sein Haar war bereits erstaunlich dünn und hatte einen Rotstich. Das markanteste Kennzeichen seines Gesichts war die ziemlich lange Nase, die genau in der Mitte eine Art Knick hatte.
"Ey, was is'n hier los?", stieß er hervor.
Lorant nahm an, dass es sich um einen der Angestellten des Sluiter'schen Geschäfts handelte.
"Die Namen!", forderte Lorant unmissverständlich an Ubbo Sluiter gewandt. Die Stimme des Detektivs bekam dabei einen fast metallischen Klang.
"Hören Sie, ich weiß es nicht..."
"Sie haben doch eine Anzeige aufgegeben!"
"Nur gegen Unbekannt."
"Wissen Sie, wo ich die beiden finden könnte? Ich wiederhole mich ungern, aber Steens Büro in Emden-West ist nur ein paar Minuten weg von hier!"
Ubbo atmete tief durch. Er starrte seinen Angestellten an und giftete diesem dann entgegen: "Ja, glotz mich nicht so an, Kilian! Fang schon mal an aufzuräumen!"
Kilian schluckte.
"Is' ja gut, Chef!"
"Gar nix ist gut!"
"Jo, jo, schwer im Stress, was?"
Kilian ging an Lorant vorbei, umrundete den Tresen und verschwand in einem der hinteren Räume. Jetzt werden alle Spuren verwischt, dachte Lorant mit dem professionellen Bedauern eines ehemaligen Polizisten - eine Haut, die er einfach nicht von sich streifen konnte. Wahrscheinlich würde sich daran auch niemals etwas ändern.
"Wie Sie wollen, dann bespreche ich das mit Steen. So hartleibig wie Sie ist ja nicht mal der!" Mit diesen Worten humpelte Lorant in Richtung Tür.
"Warten Sie!", rief Ubbo.
Lorant blieb stehen, ohne sich umzudrehen.
Ubbo Sluiter näherte sich von hinten. "Victor, der Typ mit den gefärbten Haaren..."
"Was ist mit dem?"
"Der ist Türsteher im X-Ray."
"Was soll das sein?" Lorant machte sich jetzt doch die Mühe, sich halb herumzudrehen.
"Ein Nachtclub. Liegt mitten auf der Wiese im Gewerbegebiet bei Aurich."
Lorant verzog spöttisch das Gesicht.
"Woher wissen SIE denn, wer im X-Ray Türsteher ist?", grinste er.
Ubbo Sluiters dünnlippiger Mund blieb gerade wie ein Strich. Auch während er sprach. Entsprechend verkrampft hörten sich seine Worte auch an. "Wir teilen offenbar nicht denselben Humor, Herr Lorant."
"Ist mir auch schon aufgefallen."
"Ich habe jetzt zu tun."
"Eine Frage hätte ich doch noch!"
"AUF WIEDERSEHEN, Lorant!"
Er betonte das AUF WIEDERSEHEN etwas eigentümlich, so als wollte er Lorants Hochdeutsch imitieren.
Lorant nahm es gelassen hin.
Ungerührt stellte er seine Frage.
"Was haben Sie für eine Erklärung dafür, dass sich im Boot bei der Leiche Ihres Vaters eine Boßel-Kugel befand?"
Ubbo runzelte die Stirn.
"Wie?" Er wirkte verwirrt.
"Sorry, ich kann nur Hochdeutsch."
"Worauf wollen Sie hinaus? Mein Vater war in einem Boßel-Verein. Ich übrigens auch. Meine Güte, fast jeder boßelt hier, das ist nichts Besonderes."
"Trotzdem ungewöhnlich, so ein 'Sportgerät' oder wie immer man das auch bezeichnen mag, mit ins Segelboot zu nehmen. Finden Sie nicht?"
"Was weiß ich!"
Er zuckte die Achseln.
Lorant holte den Artikel über den Toten in Oldenburg-Huntetal aus der Innentasche seines Jacketts und hielt ihn Ubbo hin. Ubbo nahm den Ausschnitt, las den Artikel durch. Lorant studierte dabei jede Regung im Gesicht seines Gegenübers.
Manchmal waren Gesichter wie offene Bücher. Wie Fenster zur Seele. Aber das Gesicht von Ubbo Sluiter gehörte leider nicht dazu. Es blieb ziemlich ausdruckslos. Schließlich reichte Ubbo Lorant den Artikel zurück.
"Worauf wollen Sie hinaus?"
"Sehen Sie nicht die Parallele?"
"Die Boßel-Kugel bei der Leiche."
"So ist es."
"Meinen Sie, die beiden Fälle haben was miteinander zu tun?"
Lorant zuckte die Achseln und steckte das Zeitungsstück wieder ein. Er machte ein unbestimmtes Gesicht. "Weiß ich noch nicht!", meinte er. "Vielleicht kann man das beantworten, wenn die Identität des Opfers in Oldenburg bekannt wird."
"Dürfte nicht so leicht sein..."
"Das stimmt."
Ein Wagen fuhr indessen auf den Parkplatz vor dem Sluiter'schen Geschäft. Entweder handelte es sich um den zweiten Angestellten oder den ersten Kunden. Lorant humpelte hinaus. Hoffentlich kann ich überhaupt Auto fahren!, durchfuhr es ihn. Es war schon ein paar Jahre her, dass ihm der Ischias das letzte Mal Ärger gemacht hatte.