Читать книгу Das Super Krimi Paket Dezember 2021: 12 Romane in einem Buch - 1800 Seiten Thriller Spannung - Alfred Bekker - Страница 61

18. Kapitel

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Als Lorant die Praxis von Dr. Purwin erreichte, verschwand die Sonne gerade hinter dem Horizont. Das Licht brach sich in den tiefen Wolken. Ein Aquarell aus Dutzenden von verschiedenen Rottönen stand postkartenreif am Himmel.

Lorant parkte den Wagen vor der Praxis, genoss einige Augenblicke lang den Anblick.

Dann ging er zur Tür.

Sie stand einen kleinen Spalt offen. In dieser Sekunde wusste Lorant, dass hier etwas nicht stimmte. Er gab der Tür einen Stoß, so dass sie sich vollends öffnete. Dann trat er ein.

"Dr. Purwin?", fragte er.

Er ließ den Blick durch die Praxis schweifen, sah kurz in das Wartezimmer mit den Ledersesseln hinein, in denen er nur für ein paar Minuten hatte Platz nehmen dürfen.

Dann nahm Lorant sich die Behandlungszimmer vor.

Schließlich fand er Purwin hinter seinem Schreibtisch.

Mit starren, weit aufgerissenen Augen starrte der Arzt ihn an.

Blut war aus mehreren klaffenden Wunden heraus geflossen.

"Nein", flüsterte Lorant. Endlich wollte jemand freiwillig mit ihm reden und jetzt konnte er nicht mehr.

Lorant blickte kurz auf die Boßel-Kugel auf dem Parkett-Boden. Das musste ja so sein, dachte er. Fragte sich nur, was der Mörder damit bezweckte.

Eine Inszenierung! Du warst schon auf dem richtigen Weg!, durchzuckte es Lorant. Hier führt ein Wahnsinniger eine Art grausiges Theaterstück auf und macht uns alle zu seinen Zeugen.

Lorant fuhr sich mit einer beiläufigen Geste über das Gesicht.

Wer war das Publikum bei dieser Inszenierung? Vielleicht war das die entscheidende Frage, die ihn näher an den bislang unbekannten Regisseur dieses Dramas der Grausamkeiten brachte.

Bleib konsequent bei deinem ersten Gedanken!, mahnte ihn eine Stimme aus dem Hinterkopf. Wenn dies eine Inszenierung ist, dann dürfte jemand wie Ubbo Sluiter kaum der Urheber sein!

So viel Kreativität traute Lorant dem biederen Berufs-Sohn einfach nicht zu, da mochten stille Wasser dem Sprichwort nach noch so tief sein. Genial wurden sie dadurch nicht unbedingt.

Nicht einmal auf eine perverse Art.

Lorant umrundete den Schreibtisch, gab sich dabei große Mühe, nicht in die Blutlache hineinzutreten. Auf dem Boden lag ein Zettel, so, als wäre er Purwin aus der Hand gefallen, nachdem sich die Muskeln seiner Finger im Tode entspannt hatten. Lorant hob den Zettel auf. Eine Zahlenfolge. Vielleicht eine Telefonnummer.

Lorant steckte den Zettel ein. Dann wandte er sich dem Telefon zu. Der Hörer lag daneben und war an einer Seite kaputt.

Stücke waren aus dem Plastik herausgesplittert, als habe jemand mit etwas Hartem daraufgeschlagen. Der Detektiv nahm ein Taschentuch, drückte kurz auf die Gabel, betätigte dann die Wahlwiederholungstaste. Dann nahm er den Hörer ans Ohr.

Sekunden später ließ ihn das Klingeln seines eigenen Handys zusammenzucken.

Lorant unterbrach die Verbindung, legte den Telefonhörer wieder ungefähr so hin, wie er ihn vorgefunden hatte. Auf dem Display seines Handys stand Purwins Nummer.

Offenbar war das Gespräch, das Purwin mit Lorant geführt hatte, sein letztes gewesen. Wen immer er danach noch hatte anrufen wollen, es war nicht mehr dazu gekommen. Der Mörder hatte ihn daran gehindert.

Lorant suchte aus dem Menue seines Handys die Nummer der Emder Kriminalpolizei.

Der Beamte am anderen Ende der Verbindung hieß Jansen und wirkte alles andere begeistert, als Lorant ihm einen Mord meldete. "Tut mir leid für Ihre Kollegen, dass sie jetzt wahrscheinlich aus dem Feierabend gerufen werden, aber ich hab's mir ja auch nicht ausgesucht", meinte der Detektiv.

Jansen ermahnte ihn anschließend noch, nichts anzufassen und sich bis zum Eintreffen der Kollegen keinesfalls vom Tatort zu entfernen, um sich für Befragungen zur Verfügung zu halten.

"Ja, ja, ich kenne die Prozedur", murmelte Lorant nur.

Er unterbrach die Verbindung.

Als nächstes wählte er die Nummer, die auf dem Zettel stand, den er bei dem Toten gefunden hatte.

Bingo!, dachte er. Es handelte sich tatsächlich um eine Telefonnummer.

Allerdings nahm niemand ab.

Also würde er es später noch einmal probieren.

Die Zeit bis zum Eintreffen der Polizei wollte Lorant noch nutzen, um sich ungestört umsehen zu können.

Die erste Überprüfung galt dem Medikamentenschrank. Er wirkte völlig unberührt.

Von den Praxisräumen gab es einen Zugang zum privat genutzten Trakt des Hauses. Lorant passierte ihn. An der Garderobe im Flur hingen ausschließlich Männersachen. Auch ein Blick ins Bad sprach dafür, dass Dr. Purwin offensichtlich ein Single war. Das großzügige, sehr weiträumige Wohnzimmer wirkte fast ein bisschen unpersönlich. Es war in schwarz und weiß gehalten. Kühle, moderne Sachlichkeit, so konnte man diesen Stil umschreiben. Auf einem niedrigen Tisch lagen ein paar Motorradzeitschriften. Ein Foto an der Wand zeigte den braven Arzt in Ledermontur auf einer Harley.

Ein Mann mit zwei Gesichtern, dachte Lorant.

Eine Art Feierabend-Easy-Rider.

Etwa zwei Regalmeter Bücher besaß Purwin. Ein paar medizinische Nachschlagewerke älteren Datums -—Lorant nahm an, dass die neueren im Behandlungszimmer zu finden waren—-, außerdem ein Windows-Handbuch und einige dickleibige Romane von Stephen King und John Saul. Noah Gordons MEDICUS lag quer.

Aber auf der leicht zerfledderten Ausgabe des MEDICUS lag etwas, das Lorants Interesse weckte. Ein Streichholzbriefchen, auf dem die Silhouette einer nackten Frau aufgedruckt war. Ein Schattenriss. Instinktiv nahm Lorant das Briefchen, öffnete es.

Von den Streichhölzern war keines benutzt worden. Auf der oberen Innenseite stand COME TO THE X-RAY CLUB!!! mit drei Ausrufungszeichen.

Sieh an, da verbringt also ein lediger Arzt seine wenigen freien Stunden!, dachte Lorant. Was er mit dieser Information anfangen würde, wusste er noch nicht. Er legte das Briefchen zurück, hörte gleichzeitig die Polizeisirenen.

Für einen Blick ins Schlafzimmer blieb leider keine Zeit mehr. Lorant sah zu, so schnell wie möglich wieder zurück in die Praxis-Räume zu gelangen.

Beamten in Uniform und in Zivil stürmten herein.

"Sie sind der Mann, der uns angerufen hat?", wurde Lorant angesprochen.

"Bin ich."

"Jansen, Kripo Emden."

"Wo bleibt denn Ihr Herr und Meister,

Kriminalhauptkommissar Steen?"

"Nur Geduld, Herr..."

"...Lorant."

"Hauptkommissar Steen wird gleich eintreffen. Warten Sie hier bitte so lange. Ich habe mit ihm telefoniert, und er hat mir gesagt, dass er Sie unbedingt sprechen will!"

"Oh, welche Ehre!"

"Kein Grund, sich etwas darauf einzubilden!"

Lorant zuckte die Achseln.

Die Praxis von Dr. Purwin glich einem Taubenschlag. Der Gerichtsmediziner wurde verständigt. Draußen suchten weitere Beamte nach Spuren. Offenbar war jeder verfügbare Beamte im ganzen Kreisgebiet mobilisiert worden. Ein so großer Aufwand verwunderte Lorant etwas.

Schließlich traf Steen ein. Zunächst nickte er Lorant nur knapp zu, ließ sich dann das Arbeitszimmer zeigen.

Nach ein paar Minuten kam er zurück und wandte sich an Lorant. "Kommen Sie, wir gehen ins Wartezimmer."

"Nichts dagegen."

Augenblicke später ließen sie sich in den Ledersesseln nieder.

"Sie haben hier wirklich nichts angefasst, Lorant?"

"Für wen halten Sie mich."

Lorants Handy klingelte. Er ging an den Apparat, wies den Anruf mit einem Knopfdruck ab. "Das sind Ihre Kollegen. Die haben wohl die Wahlwiederholungstaste von Purwins Telefon gedrückt."

"Er hat mit Ihnen zuletzt telefoniert?"

"Ja."

"Warum?"

"Er wollte mir etwas sagen, was für den Mordfall Sluiter wichtig sei."

"Und was?"

"Wenn ich das wüsste. Ich war auf dem Rückweg aus Oldenburg und versprach, in einer Stunde hier zu sein. Dann habe ich ihn so gefunden."

Steens Gesicht wurde dunkelrot. "Sie waren in Oldenburg", sagte er gedehnt. Dabei spielte er nervös mit seinem Dienstausweis herum.

"Ja, stimmt", bestätigte Lorant.

"Dann sind Sie für den Trouble verantwortlich, den wir heute hatten!"

Lorant lächelte dünn. "Haben Ihre Kollegen Ihnen ein bisschen Feuer unter dem Hintern gemacht?"

"Spielen Sie sich nicht so auf, Lorant. Viel haben Sie in diesem Fall auch noch nicht erreicht."

"Naja, wenn Sie jetzt auch schon davon überzeugt sind, dass es einen FALL überhaupt gibt, dann bin ich schon ganz zufrieden. Frau Sluiter hat wochenlang versucht, diese Meinungsänderung bei Ihnen zu bewirken und ist kläglich gescheitert."

Meinert Steen holte eine Zigarettenschachtel hervor, steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an. Wenn Lorant etwas nicht ausstehen konnte, dann war es Zigarettenrauch. Und so klinisch rein, wie Praxis und Wohnung des ermordeten Arztes Dr. Purwin aussahen, hätte das dem Toten auch nicht gefallen.

Kein Respekt mehr vor den Verblichenen!, dachte Lorant und hustete demonstrativ.

"Sie sind nicht mehr ganz auf dem Laufenden, Herr Lorant."

"So?"

"Inzwischen ist die Tatwaffe gefunden worden, mit der Gretus Sluiter wahrscheinlich umgebracht wurde."

"Ach!"

"Ein Ruderholz. Es waren noch Blutspuren dran."

"Nach so langer Zeit?"

"Der Mörder hat es unter ein Boot geschoben, das umgedreht an Land lag. Er muss es aus einem der anderen Boote genommen haben. Vielleicht hatte es auch jemand liegengelassen. Dann hat er es genommen, um Sluiter zu erschlagen und unter dem Boot verschwinden lassen. Sieht fast nach einer Spontanhandlung aus. Jedenfalls nicht nach einer durchdachten und von Anfang an geplanten Aktion."

"Zumindest nicht in diesem Punkt", musste Lorant zugeben.

"Sie waren in Oldenburg beim Kollegen Vanderbehn?"

"Ja."

"Und der hat Ihnen eine Liste von Vermissten gezeigt?"

"Schon möglich!"

"Nun halten Sie nicht so hinter dem Berg damit, Lorant! Wir sollten zusammenarbeiten."

Lorant hob die Augenbrauen. Er fragte sich, ob das Angebot seines Gegenübers ernst gemeint war. Wahrscheinlich nicht, dachte Lorant. Es gefällt ihm nur nicht, dass ich auf eigene Faust ermittle und ihm ein Stück voraus bin.

Spring über deinen Schatten, Lorant!, meldete sich eine Stimme in ihm. Es geht darum, einen Mörder zu fangen. Ihn daran zu hindern, weitere Menschen umzubringen.

Dass er das tun würde, hatte Lorant im Gefühl. Er hatte keine Erklärung dafür, nichts, was sich irgendwie durch Fakten belegen ließ. Es war einfach nur seine Ansicht. Der Mörder hatte noch nicht erreicht, was erreichen wollte.

Wer ist das Publikum?, durchzuckte es Lorant wie ein greller Blitz. Vergiss diese Frage nie. Sie ist der Schlüssel. Ganz bestimmt...

"Also gut", sagte Lorant schließlich. Er erhob sich, ging ein paar Schritte in Richtung des Fensters, um der immer dichter werdenden Qualmwolke zu entfliehen. "Unter den Vermissten gibt es einen, der hier aus der Gegend kommt. Eilert Eilerts, 52 Jahre alt und zuletzt als Bar-Mixer im X-Ray beschäftigt."

"Die Liste kenne ich auch", sagte Steen. "Und selbstverständlich bin ich auch mit dem Fall Eilerts vertraut. Ich möchte auf keinen Fall, dass sie seine Familie aufsuchen und ihr erzählen, dass die Leiche in Huntetal vielleicht derjenige ist, den sie vermissen... Noch ist nämlich nichts erwiesen. Wir müssen die Gesichtsrekonstruktion der Gerichtsmediziner in Bremen abwarten."

Abwarten, abwarten, abwarten...

Auch eine Ermittlungsmethode, dachte Lorant. Aber eine, von der er sich geschworen hatte, sie möglichst nicht mehr anzuwenden. Jahrelang hatte er das tun müssen. Aber diese Zeiten waren längst vorbei.

"Ich soll die Hände in den Schoß legen."

"Wenn Sie's übers Herz bringen, Lorant..."

"Kann ich nicht versprechen."

"Sie erschweren uns ansonsten die Arbeit."

"So ein Quatsch."

Eine Pause entstand.

Die Tür des Wartezimmers wurde geöffnet. Jansen kam herein. "Wir haben die wahrscheinliche Tatwaffe gefunden."

Steen sprang auf. "Und?"

"Ein Baseballschläger. Lag etwas entfernt in einer Grabenböschung, so als hätte ihn jemand in aller Eile weggeworfen und gehofft, dass er im Graben versinkt. Letzte Sicherheit gibt natürlich erst ein Vergleich des DNA-Materials."

"Logisch."

"Und noch was... Auf dem Hof gibt's eine Bremsspur, die wahrscheinlich von einem Motorrad stammt."

"Wahrscheinlich von einer Harley!", meinte Lorant. "Und diese Harley gehörte Purwin selbst!"

Die ziemlich perplexen Blicke der beiden Polizisten genoss der Detektiv regelrecht. "Prüfen Sie es ruhig nach!", forderte er.

Steen schüttelte den Kopf. "Nein, ich glaub's Ihnen ja. Allerdings hatte ich gedacht, dass der Doc seine Maschine längst verkauft hat!"

"Hat er das Ihnen mal angekündigt?"

Steen antwortete nicht darauf, sondern erwiderte: "Die Fragen stelle ich hier."

"War Dr. Purwin vielleicht in einer finanziellen Krise, die sich plötzlich zum Besseren gewendet hat?"

"So gut kannte ich ihn nun auch wieder nicht. Schließlich bin ich nicht sein Steuerberater."

"Sondern nur sein Boßel-Freund."

"Ist lange her. Der steife Doc hat nix mehr mitgemacht."

Steen atmete tief durch. "So richtig lustig war's mit ihm eigentlich auch nie."

"Sagen Sie mal, wohnen Sie eigentlich hier in der Nähe? Sie waren doch schon im Feierabend und trotzdem so schnell hier!"

"Gleich habe ich ein Loch im Bauch von Ihrer Fragerei, Herr Lorant. Vielleicht lassen Sie mich hier jetzt einfach mal meine Arbeit machen."

Lorant zuckte die Achseln.

"Ich nehme an, dass Sie jetzt keine Fragen mehr an mich haben."

"Im Moment nicht."

Lorant ging zur Tür, Jansen machte ihm Platz.

Der Detektiv blieb noch einmal kurz stehen und drehte sich zu Kriminalhauptkommissar Meinert Steen herum.

"Vielleicht denken Sie mal über folgendes nach: Was haben der Barmixer eines Sündenbabels, ein erzfrommer, biederer Geschäftsmann und ein Arzt, dessen Spezialität es ist, Privatpatienten von chronischen Krankheiten zu heilen, miteinander gemein? Es muss da irgendetwas geben, denn höchstwahrscheinlich sind alle drei von demselben Täter umgebracht worden!"

Steen verzog das Gesicht, nahm die Zigarette aus dem Mund und erwiderte: "Wenn ich es weiß, werden Sie in der Zeitung davon lesen können!"

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