Читать книгу In die Mündung geschaut: Thriller Doppel - Alfred Bekker - Страница 21

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Für den Weg zur angegebenen Adresse am Boulevard Mao Tse-Toung nahmen Ina und Mark ein Taxi und nicht etwa den Wagen, den Berenger ihnen als eine Art Amtshilfe der CIA für die Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt hatte.

Nur ein einheimischer Fahrer hatte jetzt noch eine realistische Chance, den Treffpunkt rechtzeitig zu erreichen.

Ein paar Minuten später stiegen Karels und Fellmer in einen uralten Ford Kombi, der allerdings mit so vielen Ersatzteilen unterschiedlichster Herkunft gespickt war, dass man sich durchaus fragen konnte, ob die Typenbezeichnung überhaupt noch zutraf.

Die Adresse, die Berenger angegeben hatte, gehörte zu einem fünfstöckigen, ziemlich heruntergekommenen Gebäude im Kolonialstil. Die eingravierte Jahreszahl 1895 über dem Türbogen war noch erkennbar, während man die dazugehörige Inschrift mit dem Meißel zerstört hatte. Wahrscheinlich war dies im Rahmen der Revolutionsexzesse nach der Machtergreifung durch die Roten Khmer geschehen, als die so genannten Wahrzeichen der dekadenten Bourgeoisie eliminiert wurden.

Karels und Fellmer bezahlten das Taxi und stiegen aus. Auf der anderen Straßenseite begann der Toul Tom Pong Markt. Stimmengewirr mischte sich mit dem Straßenlärm. Chinesische Händler boten ihre Ware feil und verständigten sich mit ihren Kunden auf Französisch, der Sprache der ehemaligen Kolonialherren. Ein Schwall von würzigen Gerüchen wehte aus den Garküchen herüber.

Zwei Männer in bunten, über der Hose getragenen Hemden fielen Fellmer auf. Sie blickten in Richtung der beiden Europäer, wandten aber schlagartig den Kopf, als dieser zu ihnen hinüberschauten. War das nur asiatische Zurückhaltung oder hatten die beiden Fellmer und Karels beobachtet?

„Siehst du die beiden Typen dort?“, fragte Fellmer, ohne sich dabei zu Karels herumzudrehen.

Ina zuckte die Schultern.

„Die haben uns die ganze Zeit über angeglotzt - na und?“

„Der Linke ist bewaffnet.“

„Woher willst du das du das wissen?“, fragte Karels mit leicht spöttischem Unterton. Sie hatte den Eindruck, dass der Mustersoldat Fellmer ihr gegenüber lediglich seine Perfektion herausstellen und etwas angeben wollte.

„Da war eine charakteristische Beule unter seinem Hemd.“

„Ach - und da glaubst du gleich, dass die Typen unseretwegen hier sind.“

„Ich gehe eben immer vom ungünstigsten Fall aus.“

„Mark, in diesem Land gab es fast vierzig Jahre lang Krieg - abgesehen von kleineren Friedensphasen dazwischen, die diesen Namen gar nicht verdienen. Was glaubst du, wie viele Waffen da im Umlauf sind!“

Ein Mann kam jetzt durch das Portal des fünfstöckigen Gebäudes im Kolonialstil herab. Er ging direkt auf Karels und Fellmer zu.

„Sie sind Mister Fellmer und Miss Karels?“, fragte der Kambodschaner in gebrochenem Englisch.

„Ja?“, bestätigte Fellmer.

„Ich soll Sie zu Mister Berenger bringen. Wenn Sie mir bitte folgen würden...“

„Okay.“

Der Kambodschaner führte die beiden Europäer die insgesamt fünf Stufen des Portals hinauf. Fliegende Händler und Bettler hatten diese Stufen besetzt. Es waren vor allem amputierte Minenopfer.

Trotz der großen Anstrengungen, die vor allem die UNO-Truppen in den neunziger Jahren unternommen hatten, waren nach wie vor weite Gebiete des Landes vermint und so kamen täglich neue Opfer hinzu. Dazu gab es auch immer wieder Funde von Blindgängern. Sowohl Artilleriegranaten als auch von den Amerikanern abgeworfene Bomben, die aus irgendwelche Gründen nicht explodiert waren, jahrzehntelang irgendwo unentdeckt im Schlamm vor sich hingerostet hatten und dreißig Jahre später irgendeinen armen Reisbauern in Stücke rissen.

Der Kambodschaner führte Fellmer und Karels ins Innere des Hauses, in dem offenbar Dutzende von Familien untergebracht waren. Es herrschte selbst unten im Foyer des Hauses Enge. In einer Garküche wurde Fisch gedünstet. Rauch hing in der Luft und konnte nirgends richtig abziehen. Kinder spielten dazwischen. Fellmer fiel der hohe Anteil von Männern im erwerbsfähigen Alter auf, von denen offenbar keiner einer Arbeit nachging.

Der Kambodschaner führte die beiden ISFO-Kämpfer durch den Hintereingang des Hauses wieder ins Freie. Sie gelangten in einen Hinterhof, der von allen Seiten durch mindestens dreistöckige Häuser begrenzt war.

Auch hier herrschte Gedränge.

Stimmengwirr erfüllte die Luft. Händler boten Ziegen und Schafe feil, aber auch Hühner und anderes Geflügel.

In diesem Hinterhof schien sich ein kleinerer Ableger des Toul Tom Pong Markts etabliert zu haben.

Landwirtschaft mitten in einer Millionenstadt!, ging es Fellmer durch den Kopf. Es war kam zu glauben.

Der Kambodschaner, der sie hier her geführt hatte, war plötzlich verschwunden.

Irgendwo in der Menschenmenge hatte er sich verdrückt.

„Da ist Berenger!“, rief Karels Fellmer ins Ohr und deutete mit dem ausgestreckten Arm auf einen Mann mit kaukasischen Gesichtszügen, der sich durch die Menge arbeitete. Der Amerikaner fiel schon auf Grund seiner Größe sofort auf unter den Kambodschanern, bei denen selbst die Männer in der Regel nicht größer als 1,65 m waren.

Berenger sah schlecht aus.

Er wirkte bleich wie die Wand.

An der Stirn wies er eine Schürfwunde auf.

Das Hemd war fleckig.

Blut suppte an einer Stelle durch den dünnen Baumwollstoff.

In Fellmer schrillten sämtliche Alarmglocken. Sein Instinkt für Gefahr meldete sich, ohne den ein Elitesoldat im Einsatz keine große Überlebenschance hatte. Irgendetwas stimmte hier nicht.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Fellmer, dass die beiden Kerle in den bunten Hemden ihnen gefolgt waren.

Berenger taumelte auf Fellmer und Karels zu.

Seine Augen waren weit aufgerissen.

Die Pupillen extrem geweitet.

„Schnell!“, murmelte er. Seine Stimme klang schwach und heiser.

„Was ist mit Ihnen passiert?“, fragte Karels.

Fellmer fiel erst jetzt auf, dass Berenger humpelte.

Blut kam aus dem linken Hosenbein heraus und zog eine dünne Spur hinter ihm her. Er streckte die Hand aus.

„Schnell...weg!“, schrie er wie von Sinnen.

Der Laserpunkt eines Zielerfassungsgerätes tanzte umher und verharrte für Sekundenbruchteile mitten auf Berengers Stirn. Fellmer versetzte dem CIA-Agenten kurz entschlossen einen Stoß. Zu spät. Die Kugel traf, riss Berenger nach hinten. Ein zweiter Schuss ließ seinen Körper zucken. Er sank blutüberströmt zu Boden. Ein Aufschrei durchlief die Menge. Menschen stoben plötzlich davon, als sie begriffen, was mit Berenger geschehen war. Fellmer riss die Automatik unter dem Hemd hervor.

An einem der zum Hinterhof ausgerichteten Fenster stand ein Mann mit einem hochmodernen Sturmgewehr.

Es handelte sich um einen Kerl mit kaukasischen, kantig wirkenden Gesichtszügen. Das Haar war kurz und blond. Unterhalb des linken Auges befand sich ein Muttermal von der Größe eines Daumennagels.

Wieder tanzte der Laserstrahl der Zielerfassung.

Fellmer duckte sich, schnellte zur Seite.

Ein Schuss schlug dicht neben ihm in den Boden ein.

Der Lieutenant riss die Pistole hoch und feuerte.

Zwei Schüsse lösten sich kurz hintereinander aus Fellmers Waffe.

Das intensive Nahkampfschießtraining, das der ehemalige KSK-Soldat der Bundeswehr hinter sich hatte, war nicht umsonst gewesen. Seine Kugel traf den Gewehrschützen im Oberkörper.

Der Mann schwankte.

Hob sein Sturmgewehr leicht an.

Taumelte vorwärts und stürzte aus dem Fenster.

Sein Körper überschlug sich einmal bevor er auf dem Boden aufschlug. Schreiend rannten die Menschen zur Seite. Ohrenbetäubendes Stimmengwirr dröhnte Fellmer und Karels in den Ohren.

Fellmer sah, wie sich die beiden Kerle mit den bunten Hemden brutal durch die Menge wühlten. Rücksichtslos stießen sie Männer, Frauen und Kinder zur Seite.

Beide hatten inzwischen automatische Pistolen hervorgezogen und fuchtelten damit herum.

Karels bemerkte es auch.

„Ich hatte mit den beiden Typen doch recht!“, rief Fellmer.

Ohne Rücksicht auf die Passanten feuerte einer der beiden Kambodschaner auf Fellmer und Karels. Der Schuss ging uns Leere.

Die beiden ISFO-Kämpfer rannten vorwärts, drängten sich zwischen den Menschen hindurch. Weitere Schüsse wurden abgegeben. Aber damit taten sich die Verfolger keinen Gefallen. Die Panik unter den Menschen im Hinterhof wurde dadurch nur noch weiter gesteigert. Menschen liefen ihnen in den Weg. Es gab kaum ein Durchkommen.

Die Fluchtbewegungen der Passanten hatten keinerlei einheitliche Richtung.

Menschen wurden zu Boden gestoßen, andere stolperte über sie.

Fellmer und Karels gerieten ebenfalls in diesen Strudel hinein.

Sie kämpften sich so gut es ging durch die Menge und erreichten schließlich eine der Hauswände. Fellmer stieg durch ein offen stehendes Fenster. Die Bewohner starrten ihn nur entgeistert und wie erstarrt an.

Ina Karels folgte ihm.

Die beiden ISFO-Kämpfer gingen durch enge Räume, die mit Dutzenden von Personen bevölkert waren.

Kleine Werkstätten befanden sich hier ebenso wie Wohnräume. Oft wurde der Platz doppelt genutzt. Sie erreichten einen Korridor und gelangten schließlich zum Ausgang.

Fellmer atmete tief durch, als sie endlich ins Freie gelangten.

Eine schmale, kleine Gasse lag vor ihnen, die bereits nach fünfzig Metern eine Biegung machte.

„Dieses Viertel gleicht einem Ameisenhaufen!“, knurrte Fellmer.

Sie liefen zur Biegung.

Ein Motorradkarren kam ihnen entgegen. Er war mit Obst und Gemüse beladen. Fellmer und Karels mussten ihm ausweichen.

„Was war das für ein Typ, der auf uns geschossen hat?“, fragte Karels. „Einen Neuen Roten Khmer stelle ich mir eigentlich anders vor!“

„Der Kerl wirkte auf mich eher wie ein ganz gewöhnlicher Profikiller!“, erklärte Fellmer.

Sie liefen weiter die Gasse entlang, bogen erst nach links, dann wieder nach rechts.

Unter den Kambodschanern fielen die beiden Europäer natürlich sofort auf. In Sicherheit waren sie noch lange nicht.

Schließlich gelangten sie zur 396. Straße.

Ein Taxi setzte einen kambodschanischen Fahrgast am Straßenrand ab.

Fellmer nutzte die Gelegenheit, sprach mit dem Fahrer und wenige Augenblicke später stiegen Karels und der junge Lieutenant ein.

Das Taxi fuhr los.

Wie aus einem Instinkt heraus blickte sich Fellmer um.

Die beiden Kerle in den bunten Hemden kamen aus einer Seitengasse und blickten sich etwas orientierungslos um.

„Wollte der Killer nur Berenger ausschalten – oder auch uns?“, fragte Ina.

„Die Killer“, verbesserte Fellmer und deutete durch die Rückscheibe. „Die beiden Typen da hinten gehören auch dazu.“

Karels blickte sich ebenfalls um und nickte.

„Berenger wurde vermutlich befoltert“, sagte sie. „Er hatte zweifellos erhebliche Verletzungen und ich bin mir fast hundertprozentig sicher, dass man ihm beim Verhör Drogen verabreicht hat.“

„Es wäre interessant zu erfahren, ob es dieselbe Verhördroge war, die auch McConnery bekommen hat“, meinte Fellmer.

„Das wird wahrscheinlich niemand untersuchen“, erwiderte Karels.

„Nichts gegen diese Stadt, Ina – aber wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden. Die werden uns weiter jagen.“

„Mark, die wissen anscheinend mehr über unsere Mission, als uns lieb sein kann!“

„Aber Berenger kann nicht die Quelle ihres Wissens sein.“

„Bist du dir da sicher?“

Mark Fellmer zuckte die Achseln.

Ina hatte Recht.

Sie erreichten das Hotel. Ein flaues Gefühl machte sich in Marks Magengegend breit, wenn er an den weiteren Verlauf des Einsatzes dachte. Ihr Ziel waren die berühmten Ruinen von Angkor in der Nähe von Siem Reap am Tonle Sab-See.

Es fragte sich nur, ob sie dort auch bereits erwartet wurden.


In die Mündung geschaut: Thriller Doppel

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