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- KAPITEL 1 -

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- T E I L I -

Alles begann mit einem Bauwerk

Und da kam endlich der Tag, auf den der ursprünglich aus Perth (Australien) stammende Architekt James Edgar Richter sehnsüchtig gewartet hatte. Gott belohnte seinen unermüdlichen Fleiß, seine disziplinierte Arbeitsweise und seine schlaflosen Nächte, in denen er unzählige Gebäude skizzierte und sie gegeneinander verglichen oder miteinander kombiniert hatte.

Nach zwei Jahren intensivster Arbeit, bei der er nichts dem Zufall überließ und jeden entscheidenden Schritt selbst überwachte, stand nun sein größtes Werk von mächtigen Abdeckplanen aus undurchsichtiger Plastik verhüllt und wartete darauf, nicht nur von Fachleuten, sondern von der ganzen Welt bestaunt zu werden, die aus aller Welt nach London gekommen waren, nur um zu den glücklichen Zeugen dieses einmaligen Spektakels zu gehören.

6. Juni 1999.

Ein Tag, den James Edgar niemals vergessen und an den er sich bis zu seinem Tode mit allen Einzelheiten genauestens erinnern würde, als hätte sich alles eben abgespielt. Es war der Tag, an dem er nicht nur seinen vierzigsten Geburtstag, sondern auch die Einweihung seines wichtigsten Werkes, das er als „The baby of my dreams“ bezeichnete, feierte.

Der Himmel über London war blau und wolkenlos. Die Sonne zeigte sich bereits in frühen Morgenstunden von ihrer schönsten Seite und schickte ihre Strahlen in einem angenehmen und wohldosierten Wärmegrad auf die Erde, als wollte auch sie zu diesem Tag, der Londons Geschichte veränderte, ihren Beitrag leisten.

Das Baby von Edgars Träumen wurde an diesem 6. Juni 1999 in einer volksfestähnlichen Veranstaltung und in Anwesenheit von Tausenden von Begeisterten enthüllt und in seiner vollen Pracht der Öffentlichkeit vorgestellt.

Fernsehsender aus allen Ländern, Journalisten und andere Berichterstatter warteten schon seit den frühen Morgenstunden auf diesen Moment. Tausende von weißen Tauben und Luftballons in diversen Farben flogen gen Himmel just in dem Moment, in dem die riesige Plastikplane, um die Spannung zu erhöhen, nur stockend heruntersegelte. Jubelrufe und Applaus der Zuschauer in Begleitung der Musik aus gigantischen Boxen gaben diesem Augenblick die Atmosphäre eines Siegeszuges der Armee, die nach einer unerbittlichen Schlacht erhobenen Hauptes voller Stolz nach Hause zurückkehrte und nun von ihren Frauen, Kindern und anderen Zurückgelassenen begeistert empfangen wurde.

Der enthüllte Gebäudekomplex war nicht irgendein monströser Betonklotz mit viel Schnick Schnack aus glänzenden Metallrohren, die mit mehreren Zentimetern durchmessenden Drahtseilen miteinander verbunden waren, sondern das Bauwerk des Jahrhunderts. Es war ohne wenn und aber „die Mutter aller Werke.“

Für dieses Werk bekam der Architekt James Edgar Richter die lang ersehnte Trophäe „International Golden Award for Grand Master of Building“, die als wichtigste Anerkennung auf dem Gebiet der Architektur galt und nur alle fünf Jahre einmal vergeben wurde. Im Vergleich zu dem Ruhm durch diese Auszeichnung spielte die zusätzliche Dotierung in Höhe von einhunderttausend nur eine nebensächliche Rolle. Wer sie einmal bekam, konnte sicher sein, dass sein Name unsterblich wurde. Man würde diesen Namen bis zur Ewigkeit in den Enzyklopädien der Baukunstlegenden treffen.

Das International Trade and Money Center, kurz ITCM, das in manchen Fachkreisen als „das achte Weltwunder der Moderne“ bezeichnet wurde, ragte mitten in London in den Himmel und stahl sämtlichen Bauten in der Umgebung ihren einstigen Glanz. Sie wirkten im Schatten des ITCM wie Bauern auf einem Schachbrett, die darauf warteten, um für den König geopfert zu werden.

Nicht nur die Form, sondern auch die Größe des ITCM war eine Superlative, sodass am Tag der Eröffnungsfeier die englische Post ihre eigens dafür entworfenen Sonderbriefmarken auf den Markt brachte, die von ihrer Form her ebenfalls eine Novität darstellten. Sie waren nicht wie üblich quadratisch, sondern oval und wirkten mehr wie ein Emblem, als eine Briefmarke.

Das ITCM bestand aus viel Glas und ähnelte einer Fontäne, in deren Mitte sich ein ebenfalls aus Glas bestehender Globus befand. Dieser drehte sich so wie die Welt sachte um die eigene Achse. Abends, wenn die Dunkelheit ihre Macht über Londons Dächern ausbreitete, gingen die mit empfindlichen Sensoren betriebenen Lichter in einer bestimmten Reihenfolge an und aus und erweckten den Eindruck, als handelte es sich bei der Fontäne tatsächlich um riesige Wasserstrahlen, die die Weltkugel in der Mitte hüpfen und drehen ließen.

Zusätzlich wechselte dieser gläserne Globus in dreiminütigem Takt seine Farbe mit einem so harmonisch fließenden Übergang, dass das menschliche Auge nicht in der Lage war, festzustellen, wann eine Farbe aufhörte und wann die nächste begann.

Vier Staaten, die USA, England, Italien und die Bundesrepublik Deutschland, ließen gemeinsam dieses Objekt als Hauptsitz der International Trade and Money Center errichten.

Mit 50% gehörte der Hauptanteil dem amerikanischen Staat. England und Deutschland beteiligten sich mit jeweils 20% und Italien mit 10% an den Gesamtkosten.

In ITMC wurden die Preise für die wichtigsten Konsumgüter der Welt, wie z. B. Platin, Diamanten, Gold und Öl, festgelegt und verhandelt. Bis auf einige wenige Ausnahmen wickelten alle Länder der Welt ihre Geschäfte direkt über ITMC ab. Die zu den Ausnahmen gehörenden Länder, wie z. B. Russland und China, erweckten nach außen hin zwar den Eindruck, von diesem Handelscenter unabhängig zu sein. Betrachtete man allerdings die Staaten, mit denen sie ihren Handel betrieben und sich den Reglementierungen von ITMC unterwerfen mussten, so brauchte man kein Hellseher zu sein, um festzustellen, dass auch diese so genannten Ausnahmestaaten ihren Handel indirekt über ITMC abwickeln ließen.

Mehr als 80% des Welthandels fand in diesem Gebäude seinen Käufer und Verkäufer. Milliarden von US-Dollar flossen über ein kompliziertes, elektronisches Netzwerk innerhalb von wenigen Minuten in alle Richtungen der Welt und wechselten ihren Besitzer.

Den empfindlichsten Teil des ITMC bildete die Computerzentrale, die von den Mitarbeitern als „the brain“ genannt wurde. Sie beanspruchte eine ganze Etage in der Mitte des Globus und wurde strengstens überwacht. Sie transferierte alle ein- und ausgehenden Daten in Sekundenschnelle, speicherte sie automatisch auf einen Mikrochip und legte zusätzlich eine Sicherung auf Mikrofilm an.

Die Berechtigung für den Zugang in die Etage, in der sich the brain befand, erhielt nur das Team, bestehend aus zehn Spezialisten aus der Computerbranche. Allen anderen Mitarbeitern wurde der Zutritt in diese Etage verwehrt, besser gesagt verboten. Um in die Computerzentrale gelangen zu können, musste sich jedes Mitglied dieses Spezialteams, das in der Führungsebene unter dem Namen „member of brain“ bekannt war, drei unterschiedlichen Testverfahren unterwerfen.

Bereits vor dem Eingang der beiden separat, eigens dafür erbauten Lifte mussten sie zuerst einen personenbezogenen, achtstelligen Geheimcode eingeben, der aus Zahlen, Buchstaben und Sonderzeichen bestehen musste. Danach wurden die Abdrücke aller fünf Finger der rechten Hand und beide Iriden (Mehrzahl von Iris) eingescannt. Hinzu kam, dass jedes member of brain alleine sein musste, um per Lift in die Etage der Computerzentrale zu gelangen.

Stiegen mehrere Personen gleichzeitig in den Fahrstuhl ein, so blieb er stehen und bewegte sich keinen Millimeter, auch wenn alle Personen dem so genannten Sicherheitssystem bekannt waren und sich zuvor lege artis identifiziert hatten.

Mit dieser raffinierten Methode wollte man die Auffahrt für einen Außenstehenden unmöglich machen. So hätte auch ein Terrorist nicht einmal die Möglichkeit, sich durch Geiselnahme eines Mitarbeiters Zugang in das Gehirn des ITMC zu verschaffen.

Unterließ irgendeine Person diese Erkennungsprozeduren oder wurde ein falscher Code eingegeben bzw. passten die Hand- oder Irisstrukturen nicht zu den gespeicherten und regelmäßig aktualisierten Daten, so ging die Lifttür nicht einmal zu. Eine Fahrt nach oben war somit unmöglich. Gleichzeitig ertönte ein lauter Alarm, der eine schwer bewaffnete Truppe aus Sicherheitskräften mobilisierte, die binnen von drei Minuten auf der Stelle waren.

Als die Baupläne des ITCM dem von den Bauträgern beauftragten Konsortium vorlegt wurden, gab es eine einstimmige Begeisterung. Jedes Konsortiumsmitglied stimmte gleich für den Bausbeginn.

Bei den Versicherungen lief es jedoch nicht so reibungslos. Schon vor dem Beginn der Bauphase lehnten die konsultierten Gesellschaften die Übernahme der Versicherung ab. Denn die Höhe der veranschlagten Versicherungssumme sprengte jeden erdenklichen Rahmen. Der Grund für die Höhe der Versicherungssumme lag darin, dass diese nicht nur das Gebäude, sondern auch das Know-how, die gesamte Einrichtung, aber auch die Mitarbeiter involvierte.

Keine einzige Gesellschaft zeigte sich bereit, diesen gigantischen und kostspieligen Bau zu versichern. Die Investoren trafen sich regelmäßig und suchten nach Lösungen. Sie diskutierten unermüdlich mit den Vertretern der größten Versicherungen der Welt. Jedes Treffen endete mit einem klaren „Nein“ vonseiten der Versicherungen.

Nachdem etliche solcher Treffen fruchtlos blieben, erwog man sogar, den Bauplan fallen zu lassen und dafür in verschiedenen Ländern kleinere Objekte zu errichten.

Das Risiko war sowohl für die Investoren als auch für die Versicherungen viel zu groß. Ein solch bedeutendes Gebäude, in dem das profitabelste Geschäft der Welt abgewickelt werden sollte, mit fehlendem Versicherungsschutz kam für die Investoren auf keinen Fall in Frage. Die Versicherungskonzerne wiederum scheuten sich vor der schwindelerregenden Versicherungssumme, die alleine bei der Erwähnung die Nackenhaare zu Berge steigen ließ. Es handelte sich nämlich um eine Versicherungssumme in Höhe von fünfzehn Milliarden US-Dollar, die in der bisherigen Versicherungsgeschichte nicht einmal annähernd erreicht wurde.

Nach intensivsten Bemühungen und ewigen Verhandlungen bürdete ein Konsortium von vier Versicherungsgesellschaften diese Last doch noch auf sich. Man einigte sich statt fünfzehn auf eine Summe von 10,6 Milliarden US-Dollar und somit immer noch auf eine Rekordsumme.

Zwei Deutsche Versicherungen, die German Insurance Union (5 Milliarden US-Dollar) und Allgemeiner Versicherungsbund Deutschlands (2,6 Milliarden US-Dollar), übernahmen mit 7,6 Milliarden US-Dollar den Hauptanteil der Versicherungssumme. Die restlichen drei Milliarden US-Dollar wurden zu gleichen Anteilen von einer englischen und einer amerikanischen Versicherungsgesellschaft übernommen. Italienische Versicherungsgesellschaften hielten sich von Anfang an zurück und wirkten nicht mit.

Das ITMC beschäftigte insgesamt über 1800 Leute aus verschiedenen Nationen. Zusätzlich zu Englisch mussten alle Angestellten, die sich um die entsprechenden Geld- bzw. Handelsgeschäfte kümmerten, über mindestens zwei weitere Fremdsprachen in Wort und Schrift beherrschen. Die meisten von ihnen sprachen sogar mehr als vier Sprachen perfekt, als handelte es sich bei ihnen um ihre Muttersprachen.

Zusätzlich zu den Besuchern, die mit ITMC geschäftlich zu tun hatten, kamen täglich Hunderte von Schaulustigen, um dieses Jahrhundertwerk zumindest von außen zu betrachten und einige Erinnerungsfotos zu schießen.

Es gab zwar täglich mehrere Führungen, die von der Organisation for ITMC-Visiting organisiert und durchgeführt wurden. Diese waren aber bereits noch vor der Einweihung des Gebäudes bis auf weiteres ausgebucht.

Einzelne Personen, die einen Besuch nicht über diese Organisation buchen konnten, mussten den Alternativweg suchen und in einer unendlichen Schlange vor den Ticketschaltern Wartezeiten von mehreren Stunden in Kauf nehmen.

Um diese Menschenmenge, die an manchen Tagen eine Zahl von bis zu 50 Tausend Menschen erreichte, verkehrstechnisch zu bewältigen, erweiterte die Stadt London ihr U-Bahnnetz und errichtete eine neue Haltestelle unter dem Namen „ITMC Station.“

Die U-Bahnen fuhren in der Zeit von sieben Uhr morgens bis acht Uhr abends in Fünfminutentakt. Außerhalb der Hauptgeschäftszeiten nur noch alle zwanzig Minuten.

Der Betrug

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