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- KAPITEL 7 -
ОглавлениеAm Nachmittag des 19. Mai 2002, also ca. 18 Stunden vor dem Jahrestag des unvergesslichen Attentats auf ITMC, stand der deutsche Kanzler vor dem Spiegel in seinem Büro und rückte seine rote Seidenkrawatte zurecht.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte.
Er drehte sich um und schaute den roten Apparat genervt an. Seine Hände hielten immer noch den Knoten seiner Krawatte fest. Insgeheim hoffte er, dass der Klingelton, der an einen Wecker ähnelte, gleich verstummte.
Als er mehrere Sekunden, wie versteinert, dastand und das Telefon, entgegen seiner Hoffnungen, weiterklingelte, ging er zum Schreibtisch, ließ sich auf den Ledersessel fallen und starrte auf das rot blinkende Lämpchen, wie ein Magier, der durch Hypnose sogar das Telefon zum Verstummen bringen könnte.
Die Klingel dachte aber weder an das Aufhören, noch daran sich von einem Magier beeinflussen zu lassen. Das schrille Läuten hallte in den Ohren des deutschen Kanzlers und löste bei ihm tobende Kopfschmerzen aus. Auf einmal wurde ihm mulmig im Bauch. Kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Er hörte eine gespenstische Stimme, die ihm ankündete, dass er eine Hiobsbotschaft zu hören bekommen würde, sobald er den Hörer abnahm.
Er fand bei sich nicht den Mut, den Hörer anzufassen, geschweige denn abzunehmen.
Das Unbehagen in der Magengegend nahm zu und verkrampfte die gesamte Oberbauchmuskulatur.
„Verdammtes Gerät, hör endlich auf!“, schrie er wütend.
Diesen Wutanfall konnte er sich leisten, da er alleine war.
Das Telefon hörte prompt auf zu bimmeln.
Erleichterung. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Er lächelte zufrieden.
„Nein! Nicht schon wieder! Scheiß-Ding!“
Das Telefon begann erneut zu schellen.
Er streckte seine Hand und zog sie sofort wieder zurück, bevor sie den Hörer berührte, als hätte er eben ein glühendes Eisen angefasst. Der Apparat schellte unbeeindruckt weiter. Seine Hand wanderte erneut in Richtung Hörer und gleich wieder zurück.
Sein Verstand teilte ihm mit, dass sein Verhalten kindisch und nutzlos war. Ihm blieb keine andere Alternative. Er musste den Hörer abnehmen. Sein Amt verpflichtete ihn zu antworten.
„Ja?“, brüllte er unfreundlich in den Hörer. Er klang so brutal, so ungewohnt, dass er seine eigene Stimme nicht wiedererkannte.
„Herr Bundeskanzler?“, fragte eine tiefe Baritonstimme.
Voller Wut erkannte er zuerst die Stimme des BND-Chefs nicht. Seine unfreundliche Stimme klang erneut.
„Ja, was ist denn?“
„Ich bin es, Herr Bundeskanzler, Sebastian Hamann, BND.“
„Ach, Herr Hamann, bitte entschuldigen Sie meinen Ton. Ich war beschäftigt. Sie wissen schon“, log er.
Am anderen Ende der Leitung hörte er den BND-Chef lachen. „Klar, doch. Kein Problem.“
Der Kanzler beruhigte sich relativ schnell und klang völlig normal.
„Was kann ich für Sie tun, Herr Hamann?“
Sein Gesprächspartner sprach weiter und erzählte ihm wohl ein Märchen, das er nicht verstand; vielleicht wollte er es einfach nicht verstehen.
„Wer? Al-Charufi? Wer ist denn um Himmels Willen Al-Charufi?“, fragte er hintereinander und zog verständnislos die Augenbrauen zusammen.
„Al-Charufi ist der Terrorist, der das vergangene Jahr ...“
Der Kanzler ließ seinen Gesprächspartner nicht zu Ende reden.
„Ach ja, ach ja! Ich weiß jetzt, wer Al-Charufi ist. Was ist denn mit ihm? Ist er tot? Wurde er gefasst?“
Ein schauderhaftes Gefühl überkam ihn, als er die Erläuterungen des BND-Chefs verinnerlichte. Er musste sich mit der linken Hand an der Sessellehne festhalten, als drohte er jederzeit vom Sessel herunterzurutschen.
„Was? Ein Video?... Wann?... Ich muss aber gleich auf die Versammlung des Bundesverbandes der deutschen Bauern und anschließend auf die Jahrestagung der Sudetendeutschen… verstehe… so eine Kacke… dann muss ich mich von jemandem vertreten lassen. Ja… gute Idee… Dann treffen wir uns in ein paar Minuten im Konferenzraum.“
Der Kanzler knallte wutentbrannt den Hörer auf, schloss seine Augen und rieb sie mit beiden Händen.
Ihm fiel der Traum von der Nacht ein, weswegen er so schlecht geschlafen hatte.
Er war der König eines Landes, an dessen Namen er sich nicht erinnerte. Er lief mit seiner Garde über einen Marktplatz, den er noch nie gesehen hatte, obwohl dieser sich unmittelbar vor dem Tor seines Schlosses befand.
Die Menschen mit den unterschiedlichsten Hautfarben und Gesichtsformen knieten ehrergiebig vor ihm und legten ihre Stirne auf den Boden.
Alles kam ihm merkwürdig vor. Diese Leute, ihr Verhalten, die Umgebung… alles wirkte unnatürlich. Fremd.
Am Ende des Marktplatzes begegnete er einem älteren, blinden Mann mit einem langen, weißen Bart und einem mächtigen Buckel, sodass sein Oberkörper fast parallel zur Erde stand.
Obwohl dieser Mann blind war, spürte der König die durchdringenden Blicke seiner von einer weißen Schicht bedeckten Augen am ganzen Körper, als würden sie Tausende von kleinen Nadeln auf ihn feuern. Der alte Mann grinste selbstsicher und herausfordernd. Seine dünnen, livide verfärbten Lippen gaben einen einzigen Schneidezahn frei, der unter den Sonnenstrahlen funkelte als wäre er aus Gold. Der König hielt reflektorisch seine rechte Hand zum Schutze der eigenen Augen wie ein Schirm davor.
Ein rhythmisches Frösteln bereitete ihm ein Unbehagen, sodass er sein Gewand enger um den Körper zog, obwohl die Mittagssonne unbarmherzig ihre sengenden Strahlen auf die Erde schickte.
Der König kam mit kleineren Schritten vorsichtig näher, bis er knapp einen Meter vor dem alten Mann stand, der immer noch grinste. Der König rechnete mit einer Verbeugung oder einem Knien des Alten, was aber zu seiner Empörung und auch Überraschung ausblieb. Der Alte dachte überhaupt nicht daran und fixierte mit seinen weißen, kalkähnlichen Augen das Gesicht des Königs.
„Wer bist du?“, fragte der König und versuchte, furchterregend zu wirken.
„Ich bin der, den du fürchtest“, antwortete der Alte mit einer für sein Alter ungewöhnlich kräftigen Stimme, die in den Ohren des Königs dröhnte.
Der Boden unter seinen Füßen bebte.
„Weißt du nicht, dass ich der König bin, der Herrscher des ganzen Landes?“, brüllte der König verärgert.
Er dachte, bei dieser Frage gebrüllt zu haben. Seine Ohren hörten allerdings nichts als eine leise, ängstliche und unsichere Stimme.
„Weißt du nicht, dass ich der Henker der Könige bin?“, entgegnete der Alte.
Der Boden bebte erneut.
„Soldaten!“, schrie der König und drehte sich um, um seinen Soldaten den Befehl zu geben, den alten Mann festzunehmen. Erschrocken stellte er aber fest, dass weit und breit kein einziger Soldat zu sehen war. Aufgeregt drehte er sich in alle Richtungen und suchte nach ihnen. Vergeblich.
Bis auf diesen alten Mann, der immer noch dreist grinste, sah er niemanden.
Ein Gefühl der Einsamkeit, der Verlassenheit übermannte ihn. Sein Hals wurde trocken. Auf einmal verspürte er einen großen Durst.
„Ich bin der König“, schrie er erneut mit einer diesmal krächzenden Stimme, die nun noch leiser klang.
Er griff nach seinem Schwert, konnte es aber aus seinem Halfter nicht herausziehen, da ein kräftiger Stockschlag seine rechte Hand erlahmte. Schmerzentbrannt schrie er den alten Mann an:
„Ich bin doch der König!“
„Und ich bin der Henker aller Könige.“
„Soldaten! Wo seid ihr denn? Soldaten…!“
Der alte holte mit seinem Stock erneut aus und war gerade dabei, ihn auf den Kopf des Königs nieder brausen zu lassen.
Bevor der Stock ihn erreichen konnte, schlug der Kanzler seine Augen auf und war froh über den mächtigen Druck in der Blasengegend, der ihn aufweckte.
Er saß wie versteinert an seinem Schreibtisch. Ihm wurde heiß.
Das wiederholte Läuten des Telefons holte ihn in die Realität zurück. Wie in Trance griff er nach dem Hörer und meldete sich.
„Jaaa?“
„Wir warten immer noch auf Sie, Herr Kanzler“, sagte die männliche Stimme, die keinem anderen gehörte als dem BND-Chef Hamann.
„Ja.. ja… ich bin gleich bei Ihnen“, sagte er und legte auf. Er stemmte sich mühsam hoch und verließ wider Willen das Zimmer, wie ein Soldat, der gezwungen war zum Krieg zu ziehen.
Als er die Tür des Konferenzraumes öffnete, drehten sich die Köpfe aller Anwesenden ruckartig zu ihm.
Er spürte, wie mehrere neugierige Blicke ihn anstarrten, als stünde er splitternackt vor ihnen oder hätte etwas Merkwürdiges an.
„Ich bin etwas zu spät, glaube ich“, sagte er und ging zu seinem Platz.
Auf dem großen Plasmafernseher lief gerade eine Sendung über das Attentat vom 20. Mai 2001. Das ITMC brannte nieder. Riesige Flammen loderten über den Trümmerhaufen. Leichen… Verletzte… Schreie…
„Haben Sie Herrn Lehmann Bescheid gesagt, wegen meiner Termine“, fragte er seine Sekretärin, Frau Schönwolf, die unmittelbar hinter ihm saß und bereit war, jede Aufgabe sofort zu notieren.
„Er ist über alles informiert. Er müsste hier irgendwo sein“, antwortete sie mit einer melodisch klingenden Stimme.
„Hier bin ich“, meldete Lehmann, der sich gerade mit dem Verteidigungsminister unterhielt.
Lehmann war der Vizekanzler und vertrat bereits mehrmals den Kanzler auf diversen Veranstaltungen. Er war Mitte vierzig und hatte einen athletischen Körperbau. Er beendete schnell sein Gespräch mit dem Verteidigungsminister und marschierte zum Kanzler hin, der mit den Augen seinen Schritten folgte.
„Jetzt müssen Sie sich aber beeilen, Herr Lehmann“, sagte der Kanzler.
„Machen Sie sich keine Gedanken. Dank unserer lieben Frau Schönwolf bin ich über alles bestens informiert und wie Sie sehen, schon unterwegs.“
Kaum sprach Lehmann seinen Satz zu Ende, verließ er schon den Raum und schloss leise die Tür hinter sich.
Der Kanzler hätte beinahe „Witzbold“ gesagt, konnte sich aber noch rechtzeitig beherrschen.
Nun lief auf dem Bildschirm ein Portrait über Al-Charufi mit vielen Bildern aus früheren Zeiten und, soweit bekannt, einige Details über sein Leben.
Mahmoud Maghsum Al-Charufi war ein gut gebauter Mann Mitte dreißig und hatte eine glatte, hellbraune Haut. Auf allen Aufnahmen trug er maßgeschneiderte, sportliche Anzüge und sah elegant aus. Hochwertige maulbeerseidene Krawatten von Armani waren seine Markenzeichen. Mit seiner Größe von etwa 1.80 m und entsprechender Figur könnte er ohne weiteres in einem Katalog als Model auftreten und verschiedene Konfektionsartikel vorstellen. Seine glatten, nach hinten gekämmten, schwarzen Haare blieben dank Haar-Gel stets perfekt modelliert. Lange schwarze Wimpern umgaben freundlich strahlende, schwarze Augen. Die dichten, harmonisch gebogenen Augenbrauen gaben ihm leichte weibliche Züge. Seine Adlernase sah zwar in seinem schmalen Gesicht mächtig aus, stand aber völlig im Einklang mit den dicken Lippen, die wesentlich heller waren, als die übrige Hautfarbe.
Al-Charufi stammte aus der Königsfamilie von Saudi-Arabien und war schon von Haus aus millionenschwer. Er handelte hauptsächlich mit Diamanten und Öl und war ein gern gesehener Gast im Kreise der High Society.
Sein Hauptwohnsitz war zwar Washington. Da er aber in Paris, New York, London, Tokio, Moskau und vielen anderen Städten ein Haus hatte, fühlte er sich überall heimisch.
Es folgten dann einige Bilder, die Al-Charufi mit bekannten Personen zeigten, u. a. mit dem US-Präsidenten, dem englischen Premierminister und UN-Generalsekretär.
Gleich nach diesem Portrait Al-Charufis erschien auf dem Bildschirm eine junge Sprecherin, die ankündigte, dass sie nun ein dem Fernsehsender Al-Jazeera zugespieltes Videoband senden, mit dem sich Al-Charufi seit dem Attentat am 20. Mai 2001 zum ersten Mal der Öffentlichkeit zeigte.
Der Bildschirm verdunkelte sich für einige Sekunden. Danach glitten zahlreiche schwarz-weiße Wellen vom unteren zum oberen Rand.
Im Konferenzraum herrschte plötzlich bis auf einen hohen, bis zu diesem Zeitpunkt von keiner einzigen Person wahrgenommenen Ton des Fernsehers, eine Totenstille.
Alle Augen starrten voller Spannung auf den Bildschirm.
Keiner im Raum wagte sich zu bewegen. Sogar die Atmung der Anwesenden wurde oberflächlich. Die Lungen entfalteten sich nur noch mit Minimalbewegungen der Brustkörbe.
Nun erschien auf dem Bildschirm ein flimmerreiches, unscharfes Standbild, das drei Personen zeigte.
In der Mitte saß Mahmoud Maghsum Al-Charufi auf einem Kissen und schaute auf einen Zettel, den er mit beiden Händen festhielt. Anstatt des jungen gut gepflegten Mannes, den man aus den kurz zuvor ausgestrahlten Bildern kannte, sah man nun einen nicht nur abgemagerten, sondern deutlich früh gealterten Mann mit kahl geschorenem Kopf und einem wüsten Vollbart. Die ausdrucklosen Augen sahen müde und ohne Glanz aus. Sein Nacken und der Körper waren in einem weißen Jeleba eingehüllt.
Rechts und links von ihm standen zwei bis auf die Zähne bewaffnete Al-Qaida-Kämpfer in einer Kampfuniform. Ihre Gesichter waren von einer schwarzen Maske mit zwei kleinen Öffnungen verdeckt, durch die hasserfüllte dunkle Augen direkt in die Kamera blickten. Beide Männer, der Statur nach müsste es sich bei beiden um männliche Personen handeln, trugen zusätzlich zu den Waffen und Munitionen am Körper auch noch eine Bazooka auf der Schulter.
Im Hintergrund zierte eine palästinensische Flagge mit goldenem Saum die Wand. In der Mitte der Flagge glänzten ein in arabischen Lettern geschriebener Satz und darunter wohl die englische Übersetzung:
„The Future belongs to us“
Das Bild flackerte abermals und wurde zunehmend unscharf, sodass man jetzt kaum etwas erkennen konnte. Es folgten neue Sequenzen von schwarz-weißen Wellen, die immer wieder von dem anfangs gezeigten Standbild unterbrochen wurden.
„Ist das alles?“, fragte der Bundeskanzler höhnisch. „Sagt bloß nicht, dass ich meine wichtigen Termine wegen dieser blöden Aufnahme abgesagt habe.“
Er blickte fragend in die Runde, bekam aber keine Antwort. Die Anwesenden konnten nicht mehr wissen als er. Denn auch sie kannten den Film nicht.
„Weiß jemand, wie lange dieser Blödsinn noch dauert?“
Auch auf diese Frage erhielt er keine Antwort. Alle Augen waren, wie verzaubert, immer noch auf dem Bildschirm fixiert.
Als der Bundeskanzler tief Luft holte und den Mund aufmachte, um erneut zu sprechen, änderte sich das anfangs gezeigte Bild und wurde lebendig.
Der sitzende Al-Charufi bewegte sich; langsam und überlegt.
Er begann, den Text auf dem Zettel, den er zwischen den Händen hielt, abzulesen. Seine Stimme klang abgekämpft und kränklich. Trotzdem war seine Sprache gut verständlich, wie bei einem Lehrer, gesittet und gelehrig.
Jeder Satz, jedes Wort wurde durch einen Simultandolmetscher sofort ins Deutsche übersetzt:
„Bismillahi al-Rahman al-Rahim,
Heute ist der 19. Mai 2002. Mein Name ist Mahmoud Maghsum Al-Charufi. All diejenigen, die meinen Namen nicht kennen oder womöglich vergessen haben sollten, möchte ich an die Ereignisse am 20. Mai 2001 in London erinnern.
Der Tag der Gerechtigkeit.
Das war der Tag, an dem ich, Mahmoud Maghsum Al-Charufi, das wertvolle Blut meiner Glaubensbrüder, das bei ihrem Kampf für eine gerechte Welt fließen musste, gerächt habe.
Das war der Tag, an dem alle Nationen der Welt, die auf beiden Ohren taub waren und wie eine Schlange eine lange, gespaltene Zunge hatten, lernen mussten, die seit Jahrhunderten andauernden Stimme meiner Glaubensbrüder endlich zu hören und zu registrieren.
Der 20. Mai 2001 war nur der Anfang; sozusagen die Kostprobe…“
Der Kanzleramtssprecher, der in der ersten Reihe auf dem letzten Stuhl saß, fing an zu husten und erntete gleich missbilligende Blicke der anderen, sodass er mit seinem Taschentuch den Mund zuhalten musste, um den störenden Husten zu dämpfen.
„… meines Kampfes und gleichzeitig auch des Kampfes meiner Brüder, die all die Jahre unter der menschenverachtenden und islamfeindlichen Haltung durch Israel, Amerika und Europa gelitten haben und auch heute noch leiden.
Während in Israel unsere Kinder und Frauen barbarisch ermordet werden und sich die Erde mit ihrem Blut rot färbt, schaut die ganze Welt zu und freut sich wie Schakale über diese Gräueltaten.
Was hat die UNO bis heute getan, außer mit den Beiträgen, die sie von den islamischen Ländern eintreibt, Israel mit modernsten Waffen zu rüsten, um sie wiederum gegen den Islam zu benutzen und ein Genozid gegenüber meinen Glaubensbrüdern zu verüben…?“
Der Kanzler konnte sich nicht mehr beherrschen. Er bewegte sich ungeduldig auf dem Sessel und massierte seine Stirn.
„ Der tickt doch nicht richtig!“, sagte er und versuchte dabei, einen Lachanfall zu unterdrücken.
Das war der Startschuss für die Bemerkungen der Anwesenden.
„ Er benötigt dringend einen Psychiater“, pflichtete ihm seine Sekretärin Frau Schönwolf bei.
„ In einer Klapsmühle wäre er besser aufgehoben“, bemerkte der BND-Chef Hamann.
Jeder gab schnell seinen Kommentar ab, sodass nach knapp einer Minute wieder völlige Stille im Konferenzraum herrschte.
„… aber nun ist die Zeit gekommen, uns zu wehren.
Wir sind bereit, für unsere Ideologien… alles… herzugeben und zu opfern! Jede Seele, die im Kampf gegen Israel, Amerika oder Europa ihren Besitzer verlässt, wird ihren Platz im Paradiese Allahs finden.
Hiermit rufe ich alle meine islamischen Brüder auf, an unserem heiligen Krieg teilzunehmen, um die Länder zu vernichten, die uns all die Jahre unterdrückt und ausgebeutet haben.
Oh Amerika, oh Deutschland, oh Frankreich oder wie ihr alle heißt… Oh Ihr Vertreter Schaitans auf Erden... Oh ungläubige Götzenanbeter… bald… sehr bald kommt der Tag auch zu euch. Der Tag, an dem ihr für all euere Sünden bestraft werdet. Ihr habt diesen Krieg gegen uns begonnen… und… wir werden ihn zu Ende führen.
Der Sieg kann nur unser sein!“
Der Kanzler stand auf und schaltete den Fernseher aus. Er drehte sich zu den Anwesenden und ließ seine Blicke über sie wandern.
„ Kann mir jemand sagen, weswegen ich das Gefühl habe, heute mehr als genug Blödsinn gehört zu haben? Mir tut nicht die Zeit Leid, in der Sie hier gesessen haben, sondern meine Zeit, in der ich meinen sensiblen Augen und Ohren so einen Schwachsinn zugemutet habe. Daher schlage ich nach so vielem Gequatsche vor, unseren Körper mit einer ordentlichen Kaffeepause zu belohnen“, bemerkte er. Dann hielt er kurz inne und sprach weiter: „Wer dagegen ist, möge bitte seine Hand heben.“
Absolute Stille. Alle Hände blieben unten.
„ Somit wurde mein Antrag einstimmig angenommen, Euer Ehren. Wo bleibt denn der Kaffee? Wir müssen uns beeilen, bevor Herr Dingsbums auch noch unseren Kaffee bombardiert.“
Eine Welle von Gelächtern brach auf einmal los und erfüllte den ganzen Raum, als hätten die Teilnehmer dieser Runde auf den letzten Satz des Kanzlers gewartet.
Sie marschierten wie die Gänse hintereinander in den Kaffeeraum.
Dieser Videofilm löste bei vielen Nationen eine Welle der Angst, der Unsicherheit und Empörung aus.
Politiker einiger westlicher Staaten sahen zwar darin nichts Anderes als leere Worte eines geistig verfallenen Mannes. Für andere war Al-Charufi jedoch viel gefährlicher denn je. Aggressiv. Unberechenbar.
In den Reihen der Regierungskritiker und der Bevölkerung wurden zunehmend Stimmen laut, die sich fragten, woran die Suche nach Al-Charufi immer noch scheiterte. Gerade die Staaten, die über das beste Know-how und modernste Techniken verfügten, mussten vor einem einzigen, morbiden Menschen den Hut abnehmen. Dass es ihnen bis dato nicht gelungen war, diesen Terroristen zu fassen, stieß in weiten Teilen der Erde auf Unverständnis.
Die Suche nach ihm seit über einem Jahr war für die Katz. Die Verantwortlichen verschleuderten Unsummen an Steuereinnahmen für nichts und gar nichts. Man wusste nicht einmal mit Gewissheit, wo sich Al-Charufi derzeit aufhielt.
Nach der Ausstrahlung des Videofilmes mit Al-Charufis Ansprache mussten die englischen Fernsehsender kurzfristig ihr Programm ändern, da sie die Sendefolge aufgrund des ersten Jahrestages vom 20. Mai 2001, an dem das ITMC Opfer eines Anschlages wurde, bereits festgelegt und alle Vorbereitungen getroffen hatten.
Nun meldete sich Al-Charufi zu Wort und mischte die Karten neu. Kein Sender konnte es sich leisten, ihn zu ignorieren. Daher schob man einen Bericht von etwa zwanzig Minuten dazwischen, in dem der Werdegang Al-Charufis unter dem Namen „Der Henker von London“ ausgestrahlt wurde.
In einem fünfzehnminütigen Programm sandte ein deutscher Sender verschiedene computeranimierte Szenen aus, in denen ein erneuter Anschlag auf eine große Stadt simuliert wurde. Explosion, Feuer, Zerstörung, Verletzte, Tote, Zerstörung… Bilder eines Infernos.
Einige Hauptstraßen Londons wurden am Nachmittag des 20. Mai 2002 für etwa eine Stunde dem öffentlichen Verkehr gesperrt. An vielen Ecken patrouillierten Polizisten mit Maschinengewehren im Anschlag.
Die kleineren Kreuzungen sicherte man mit einem torähnlichen Plastikhindernis.
Die Bewohner Londons waren auf ein solches Aufgebot von Hundertschaften nicht gewohnt. Die Sicherheitskräfte enthielten ihnen die nötigen Informationen.
Auf einmal rollten schwarze Limousinen mit verdunkelten Fenstern in Begleitung von Sicherheitskräften auf Londons Straßen. Sie kamen aus allen Richtungen und fuhren zu einem geheim gehaltenen Ort.
Dass hinter diesen massiven Sicherheitsmaßnahmen ein kurzfristig einberaumtes Round-Table-Gespräch für eine Gruppe von höherrangigen Offizieren, Terrorexperten und Regierungsvertretern aus England, Frankreich und Deutschland steckte, erfuhren Londons Bewohner erst ab dem Zeitpunkt, ab dem das BBC mit der Live-Übertragung Gesprächs begonnen hatte.
Mit solchen Sicherheitsvorkehrungen wollte man das Leben der Konferenzteilnehmer auf jeden Fall schützen und einen möglichen Anschlag auf sie verhindern.
Für einen Vertreter der USA war es nicht möglich kurzfristig in London zu erscheinen. Daher wurde ein amerikanischer Drei-Sterne-General namens John R. McKinsey per Satellit dazugeschaltet.
Das etwa eine Stunde dauernde Gespräch brachte nur kontroverse Meinungen und warf mehr Fragen als Antworten auf.
Welche Möglichkeiten hatte Al-Charufi, erneut einen Anschlag auszuüben? Wie glaubhaft waren seine Botschaften vom Videoband? Welche Länder unterstützten ihn bei der Beschaffung von Waffen? Bekam er noch finanzielle Unterstützung von der königlichen Familie, deren Mitglied er war? Gab es Beamte oder Offiziere aus den eigenen Reihen, die mit ihm kollaborierten und als seine Agenten fungierten, damit er alle nötigen Informationen erhielt?...
Die Teilnehmer der Konferenz vermieden allerdings die heiklen Fragen, deren Antworten bei der Bevölkerung eine Unruhe oder Panik auslösen konnten. Sobald eine Frage diesen äußerst sensiblen Bereich auch nur ansatzweise tangierte, beantwortete man sie mit einem eloquenten Wortwirrwarr, um sie dann als erledigt ad acta zu legen.
Gegen Ende der Sendung wurden alle Ungereimtheiten geglättet und es gab einen einstimmigen Beschluss, der von dem englischen Pressesprecher verkündet wurde:
„In der Vergangenheit haben wir sicherlich einige Fehler gemacht. Aus diesen Fehlern haben wir allerdings gelernt und unsere Schwachstellen beseitigt, sodass ein erneuter Anschlag auf eine wichtige Einrichtung oder große Stadt Europas nie mehr möglich sein wird. Wir setzen unser Wissen, unsere Erfahrungen und die modernsten Nachrichtentechniken ein, um jedem terroristischen Akt rechtzeitig zu begegnen und ihn zu verhindern. Die Sicherheit unserer Bürger und unseres Landes ist unser oberstes Ziel und hat die größte Priorität.“
Kaum war diese Sendung zu Ende, kontaktierte der US-Präsident die Regierungsvertreter von England, Frankreich, Deutschland, aber auch Italien und Russland und lud sie zu einem Sondermeeting ins Weiße Haus ein. Alle Vertreter sagten ihm zu.
Um 18 Uhr des 22. Mai 2002 empfing der US-Präsident seine Gäste mit einem Glas Champagner im Weißen Haus.
„Meine Herren“, begann er mit seiner Tenorstimme. „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie meiner kurzfristigen Einladung gefolgt sind. Für mich ein Beweis dafür, dass wir künftig miteinander intensiver im Kontakt bleiben und auch kooperieren müssen. Ich erhebe mein Glas auf Ihr Wohl, auf eine unerschütterliche Freundschaft und hoffe auf ein gutes Gelingen unseres Treffens.“
Er erhob sein Glas und nahm einen Schluck.
Kaum hatten jeder der Gäste an seinem Glas genippt, so begann eine Unterhaltung der Staatsmänner in einer lockeren Atmosphäre. Alle redeten durcheinander und erkundigten sich vor allem nach dem gegenseitigen Befinden. Dieser Teil der Zusammenkunft lief wie üblich nach dem Schema F.
Nach etwa zehn Minuten warf der US-Präsident einen Blick auf seine Uhr.
„Meine Herren, darf ich Sie bitten, mich ins Oval Office zu begleiten?“, sagte er und schritt voran.
Oval Office, das Büro des Präsidenten, befand sich im westlichen Flügel des Weißen Hauses. Mit einer Länge von 10,9 Metern und Querachse von 8,8 Metern, sowie einer Deckenhöhe von 5,6 Metern handelte es sich um einen imposanten Raum. Drei große Fenster hinter dem Präsidentenschreibtisch schauten nach Süden. Eine Tür im Osten des Oval Office führte direkt in den Rosengarten des Weißen Hauses.
Handgeknüpfte Portugieser aus Neuseelandwolle bedeckten den gesamten Boden und sahen wie neu aus, obwohl sie inzwischen vier Präsidenten erlebt hatten.
Der Schreibtisch des Präsidenten wurde aus dem Holz des britischen Polarschiffes HMS Resolute gebaut. Daher erhielt er den Namen Resolute Desk. Dieser Tisch war ein Dankesgeschenk der britischen Königin Victoria an die USA, da die amerikanischen Walfänger das im Eis stecken gebliebene Polarschiff geborgen und der britischen Krone zurückgegeben hattn.
Das restliche Mobiliar im Raum entstammte derselben Holzsorte, nämlich amerikanischem Mahagoni mit ausgezeichneten Maserungen.
Der Präsident ließ seine Gäste Platz nehmen, bevor er sich an das nördliche Ende des Besprechungstisches setzte. Auf dem Tisch standen gekühlte Getränkeflaschen.
Mit den Worten, „Meine Herren“, begann er seine Rede. „… gerne möchte ich mich bei Ihnen noch einmal bedanken, dass Sie den weiten Weg nicht gescheut und meiner Einladung gefolgt sind. Ich wünschte, wir hätten uns wegen einer erfreulicheren Angelegenheit getroffen.“ Seine Stimme klang klar und sicher. Er blickte dabei jeden seiner Gäste einzeln an.
Der deutsche Kanzler klatschte höflich in die Hände, woraufhin auch die anderen zu applaudieren begannen. Das gefiel dem amerikanischen Präsidenten, sodass er zufrieden lächelte.
„Wir müssen möglichst schnell handeln, um gemeinsam unter dem Namen „Der Henker von London“ bekannten Al-Charufi und seine Waffenbrüder hinters Gitter zu bringen und unsere Länder wieder sicherer zu machen. Keine einzige Regierung auf der Welt kann sich ein Volk leisten, das wegen Angst auf die Straße geht. Ein beängstigtes Volk ist eine tickende Bombe.“
Der amerikanische Präsident legte eine kleine rhetorische Pause ein und rechnete mit erneutem Beifall.
Nachdem dieser jedoch ausblieb, räusperte er sich einige Male. Er tat so, als ob die Pause wegen seiner belegten Stimme notwendig gewesen war und sprach dann unbeirrt weiter.
„Wir dürfen nicht warten und zusehen, wie Aggressoren und Terroristen unser Schicksal bestimmen und …“
„Grausam“, dachte der russische Präsident, der gelangweilt auf seinem Stuhl saß und das Fenster anstarrte.
Ein gellender Blitz erfüllte den Raum mit einem bläulich-weißen Licht. Der kurz danach folgende, ohrenbetäubende Donner erschreckte alle. Sie drehten ihre Köpfe instinktiv zum Fenster hin. Der Himmel verdunkelte sich innerhalb weniger Minuten. Nach einem zweiten Blitz und Donner ließen die regengeschwängerten Wolken ihre dicken Tropfen auf die Erde.
Die Köpfe drehten sich wieder zum Präsidenten, der mit seiner Ansprache fortfuhr.
Außer dem russischen Präsidenten hörten alle ihm aufmerksam zu und nickten bestätigend immer wieder mit dem Kopf.
Der russische Präsident griff danach das Wort und warf, ohne einen Namen konkret zu nennen, den westlichen Staaten vor, dass sie den Waffenhandel undiszipliniert betreiben und sich dann wundern, wenn diese Waffen gegen sie gerichtet werden. Er forderte einen gut durchdachten und vor allem wohl dosierten Waffenhandel unter Aufsicht einer internationalen Kommission.
Trotz einer lebendigen Diskussion, bei der alle Anwesenden sich gegenseitig Fehler bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vorwarfen, war die Stimmung insgesamt anerkennenswert, sodass nach knapp zwei Stunden sie einstimmig beschlossen, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ihre Kräfte zu vereinen und miteinander wesentlich enger zu kooperieren.
Außerdem einigten sie sich in der Frage der aktuellen Drohungen vonseiten Al-Charufis auf die Gründung einer international tätigen Spezialeinheit unter dem Namen „SUFAC“ (special unite for Al-Charufi), die von London aus operieren und somit den Hauptsitz dort haben sollte.
Das Motto der SUFAC lautete:
„CATCH AL-CHARUFI,
DEAD OR ALIVE“
- T E I L III -
Niemand entkommt dem Schicksal