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DAS LEBEN

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Als ich neun Jahre alt war, zogen wir um in ein neues Viertel. Reihe an Reihe moderner neuer Häuser für Familien, die es zu etwas gebracht hatten. Und wir gehörten dazu.

Früher hatte meine Mutter manchmal Kuchen, Saft oder Eiscreme hergestellt und an die Läden rund um den Basar verkauft. Nun musste sie das nicht mehr. Ein erfolgreicher Mann musste seine Frau nicht arbeiten lassen.

Mein Vater hatte das Grundstück gekauft, die Bauarbeiten persönlich überwacht und vieles selber gemacht. Ich fand die Baustelle furchtbar aufregend. An den Tagen, an denen ich nachmittags schulfrei hatte, flehte ich meinen Vater deshalb an, mich mitzunehmen.

Und obwohl mein Vater erst skeptisch war, belehrte ich ihn eines Besseren. Ich räumte Schutt weg, putzte Fenster und Räume, strich die Wände und malte mir dabei in Gedanken unsere schöne Zukunft in dem wunderbaren neuen Haus aus, so schön wie das neue Viertel mit dem verheißungsvollen Namen Jian, Leben.

Bismillah, ein neues Leben lag vor uns.

Die ersten Stunden im neuen Haus verbrachten mein Bruder und ich allein. Mein Vater hatte uns vorab abgesetzt und war dann zurückgefahren, um den Rest der Familie abzuholen. Wir standen am Herd in der neuen modernen Küche, machten uns ein Mittagessen aus Instantnudeln und waren glücklich.

Es gab zwei Badezimmer im Haus. Im oberen Bad befand sich eine Toilette im marokkanischen Stil, auf die man sich setzen und mit Wasser aus einem Schlauch säubern konnte. Unsere Kinderzimmer hatten flauschige Teppiche, moderne Betten und Kleiderschränke. Ich teilte das Zimmer mit meinem großen Bruder, hatte aber einen eigenen Schreibtisch und durfte mir zum Einzug einen kleinen Goldfisch kaufen, der in seinem hübschen neuen und glänzenden Glas auf meinem Tisch seine Runden zog und mich begeisterte.

Alle unsere Nachbarn waren ebenfalls gerade eingezogen. Neben uns wohnte eine nette Familie vom Land. Sie legten einen großen Rasen und Blumenbeete um das Haus an. Als ihnen die Pflanzen nicht schnell genug wuchsen, holten sie eine Wagenladung Dung. Der Geruch hing tagelang in der ganzen Straße und zog in unser schönes neues Zuhause. Wir mussten für eine Woche zu meinen Großeltern ziehen, um nicht stinkend in der Schule aufzutauchen.

In der neuen Schule kannte mich niemand. Wenn ich versehentlich etwas umstieß, lachte ich frech. Ich entschuldigte mich nicht mehr, wenn mir die Antwort auf eine Frage laut rausplatzte, ohne dass ich mich vorher gemeldet hatte. Und wenn ich den Faden verlor, tat ich so, als sei mir die Schule einfach egal. Ich wurde vom Klassentrottel zum Klassenclown und fand dadurch endlich Freunde.

Ich war nicht stark und sportlich, aber Konfrontationen gewohnt. Wenn Lehrkräfte ungerecht waren und zu streng straften, war ich der Einzige, der sich traute, den Mund aufzumachen. Und als wir Arabisch als Fremdsprache in der Schule bekamen, wollten alle plötzlich gerne neben mir sitzen. Ich hatte so viel im Koran gelesen, dass die leichten arabischen Anfängertexte lächerlich einfach für mich waren. Ein neues Leben hatte begonnen.

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