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DIE LIEBENDEN
ОглавлениеDer kleine Gangster und ich kommen kichernd in der Wohnung an, die er zusammen mit seiner Cousine und ihrem Mann bewohnt.
Er ist als Kind von einem Querschläger erwischt worden und hat erlebt, wie sein Wohnort in Schutt und Asche gelegt worden ist. Er wirkt hart mit seiner coolen Attitüde und den vielen Narben im Gesicht. Aber wenn wir zusammen sind, ist er albern und kindlich.
Wir poltern kreischend in sein Zimmer, wo seine Freundin, die Schülerin, auf dem Sofa hockt und eine Serie guckt. Sie trägt ein weites T-Shirt und Jogginganzug und hat ihre langen blonden Haare auf ihrem Kopf zu einem Dutt hochgedreht.
»Moin, wie geht es dir?«
»Ich mache dir einen guten arabischen Tee«, sagt der kleine Gangster und verschwindet in der Küche.
Die Schülerin ist jung und klug. Ich mag sie gern und weiß, dass der kleine Gangster sie über alles liebt. »Geht es euch gut?«, frage ich sie.
»Ja, schon, solange wir alleine sind«, seufzt sie, stellt den Ton des Fernsehers runter und schüttet mir ihr Herz darüber aus, dass sie sich in Anwesenheit seiner arabischen Freunde oft wie ein Fremdkörper fühlt. »Immerhin kennen einige jetzt schon meinen Namen. Aber meistens bin ich nur ›die Deutsche‹.«
»Sie sind nur neidisch, dass er eine feste Freundin hat. Die können davon doch nur träumen.«
»Ach Quatsch«, sagt sie missmutig. »Für die bin ich doch eine Hure, mit der man nur zusammen ist, bis man eine ›richtige‹ Frau findet.«
Ich versichere ihr, dass er sie liebt.
»Das weiß ich. Aber wird er jemals wirklich zu mir stehen?«
»Er steht doch sogar zu mir!«
»Jaja, du bist zwar ein Kāfir, aber trotzdem ein Bruder.«
»Du bist doch auch eine Schwester«, sage ich.
»Na, glücklicherweise bin ich das nicht«, lacht sie. »Lieber Hure als Schwester. Ich ziehe garantiert kein Kopftuch an, damit sie mich respektieren.«
»Sharaf, Ehre!«, sage ich und mache ein feierliches Gesicht.
Der kleine Gangster ist für mich da, wenn ich es mit allen anderen verbockt habe. Er verteidigt mich selbst dann, wenn Leute ihn deswegen bedrohen. Er verzeiht mir alles. Und er ist der Grund dafür, dass ich Muslime nie pauschal hassen werde. Aber sein Freundeskreis erfüllt trotzdem jedes Klischee.
»Ich habe den Spieler mal gefragt, was Ehre ist«, erzähle ich ihr. »Er meinte, es sei das Wichtigste im Leben, konnte mir aber nicht wirklich erklären, was Ehre ausmacht.«
»Aber er weiß vermutlich genau, wann seine Ehre gekränkt ist«, sie verzieht das Gesicht. »Wenn seine Schwester, Mutter oder Frau ihm Schande macht.«
»Ja, die Ehre der Männer liegt zwischen den Beinen der Frauen, das ist zum Kotzen. Aber es tut natürlich gut, zu Hause den geilen Macker zu spielen, wenn man sonst immer der letzte Arsch ist.«
»Wo bleibt mein ehrenhafter Mann eigentlich so lange?«, fragt sie. Wir horchen auf und hören ihn in der Küche auf Arabisch mit dem Mann seiner Cousine streiten.
»Wie lange soll diese Person noch in unserem Haus sein?«, brüllt der Mann.
»Oh Shit, ich glaube, er ist sauer, weil ich hier bin.« Ich übersetze ihr den Wortwechsel.
»Nein, es geht bestimmt um mich. Hier können wir nicht sein, weil ich eine Hure bin. Bei meinen Eltern geht es nicht, weil er ein Kanake ist.«
Der kleine Gangster kommt rein und serviert uns den Tee. Er setzt sich neben die Schülerin, sie krault ihm seinen roten Bart.
»Ihr seid wie Romeo und Julia!«
»Na, hoffentlich nimmt unsere Liebesgeschichte ein besseres Ende!«, sagt sie.
»Das liegt in deiner Hand, Habibi«, sage ich dem kleinen Gangster. »Liebe statt Ehre!«
Er küsst sie sanft in den Nacken.