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DIE INTEGRATION

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»Kannst du mir erklären, was in diesem Brief steht«, fragt der Pädagoge mich im Videochat.

Ich übersetze ihm das Schreiben.

»Unglaublich, dass ich dir jetzt helfen kann«, sage ich. »Du hast mir damals das Leben gerettet.«

Er ist immer noch genauso freundlich wie damals im Beratungszentrum. Ein belesener, weltoffener Mensch mit viel Humor und Wärme. Er ist seit wenigen Wochen in Deutschland und wohnt mit seiner Frau in einer Flüchtlingsunterkunft. Er ist engagiert und hilft, so viel er kann.

Er hat schon damals im Irak eine Fluchtgeschichte gehabt, als politisch Verfolgter aus dem Iran. Erzählt hat er mir das aber erst jetzt, viele Jahre später. Auch dass er nicht sonderlich gläubig ist, erfahre ich erst jetzt.

»Sonst hätte ich sicher nicht als Pädagoge arbeiten dürfen«, erklärt er mir. »Ich habe das für mich behalten. Mir war wichtiger, dass ich helfen kann. Ich erzähle es auch hier im Camp nicht, sonst werde ich fachlich nicht ernst genommen. Und es spielt für mich keine Rolle. Die Menschen sollen sich bei mir geborgen fühlen.«

Wir verabschieden uns herzlich. »Tschüss, bis zum nächsten Mal«, bringe ich ihm bei. »Grüß deine Frau von mir.«

Ich lege auf und setze mich zu meiner Freundin auf den Balkon. »Das war mein alter Pädagoge aus dem Beratungszentrum. Es ist komisch für mich, dass ich ihm jetzt helfen kann. Er wird mich sicher schnell überholen, aber im Moment bin ich plötzlich besser integriert als er.«

»Ja, mangelnde Integration kann man dir nicht vorwerfen«, nickt meine Freundin und zeigt auf das Bier vor mir.

»Mit der Flucht verlierst du deinen Status, deine Identität und Individualität. Egal, ob du früher Bürgermeister, Politikerin oder Tagelöhner warst, egal ob du Ex-Muslim oder Islamist bist, in Deutschland bist du erst mal nur Flüchtling. Und dann lässt sich alles, was du tust, offensichtlich anhand einer Integrationsskala bewerten. Wie ich das Wort Integration hasse.« Ich nehme einen Schluck aus der Flasche. »Du bist nicht einfach erfolgreich oder sympathisch, sondern gut integriert. Sprachtalent, Fleiß, Erfolg und Nettigkeit werden als kulturelle Integration betrachtet. So als wenn man alles Gute nur in Deutschland gelernt hat. Schwierigkeiten haben auf keinen Fall etwas mit der Flucht zu tun, sondern gelten als von ›Zuhause‹ mitgebracht.«

»Ja, Geflüchtete haben keine sozialen Probleme, sondern Integrationsprobleme«, sagt sie.

»Als ob der Spieler, der kleine Gangster und ihre Kumpels so leben wie im Mittleren Osten! Es ist weder in Syrien, Afghanistan noch Irak geachtet, Drogenverkäufer, Taschendieb, Glücksspieler oder Stricher zu sein. Wenn ihre Eltern davon wüssten, wären sie entsetzt. Aber wenn du so jung allein in ein fremdes Land geschickt wirst, weil du deine Familie retten sollst und die geplante Familienzusammenführung nie klappt, dann ist deine Ausgangslage hoffnungslos. Wenn du die Sprache nicht gut genug lernst für Erfolg in der Schule, du aber auch keine Berufsausbildung mitbringst, dann integrierst du dich eben nicht in die Mittelschicht, sondern in ganz andere Zusammenhänge.«

»Wie geht es dem Spieler eigentlich?«

»Der ist jetzt tatsächlich zurück zu seinen Eltern ins Zeltlager gegangen«, sage ich.

»Und hat alle Probleme mitgenommen, die er hier bekommen hat«, stellt sie fest.

»Als Flüchtling bist du irgendwie immer eine öffentliche Person, denn dein Handeln hat politische Bedeutung. Wenn ich mein Leben voll im Griff habe, gut in der Schule und liebenswürdig bin oder beruflichen Erfolg habe, löse ich Jubel aus. Wenn ich ein Scheißtyp bin oder einfach nur mein Leben verbockt habe, bestätige ich die Vorurteile der anderen. Die meisten Geflüchteten sind aber weder sensationell toll noch total schrecklich. Und vor allen Dingen sind sie überhaupt nicht alle gleich.«

»So wie du ist jedenfalls vermutlich kaum jemand.«

Kafir

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