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RENNBAHNWEG


Beim Mieterbeiratsstammtisch am Rennbahnweg in der Donaustadt ist viel los – und der Schmäh rennt auch. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Stammtisch sind Ansprechpartner für die Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner des Baus, der in den 1970ern auf einer ehemaligen Aushilfsrennbahn des Wiener Trabvereins als damals größte Wohnsiedlung Österreichs erbaut wurde. Die Vielstimmigkeit ihrer Erzählungen verdichtet sich zu einem der reflektiertesten Einblicke in Geschichte und Gegenwart des Lebensraums Gemeindebau:

„Wenn ich mich erinner, wie ich als Kind mit Toilette draußen gewohnt hab, nur Kaltwasser, zu viert auf Zimmer/Kabinett, dann wohn ich heute im Luxus. Ich habe später auch auf 200 Quadratmetern in einem Haus in Hietzing gewohnt, aber die Bausubstanz war nicht so gut wie jetzt im Gemeindebau …“

„Wir ham vorher gwohnt auf Zimmer/Küche, vier Personen, zwei 15-, 16-Jährige, Klo am Gang. Die Mutti hat in der Waschkuchl im vierten Stock Wasser geheizt. Luxus is die richtige Beschreibung dessen, was wir dann gehabt haben, als wir in den Gemeindebau gezogen sind …“

„Bei meiner Oma gab’s noch ein Tröpferlbad, da konnte man wählen zwischen Brausebad und Wannenbad. Die Wannen waren herrlich, gusseisern. Das war toll damals. Und heute sind die Leute angfressen, wenn sie kein verfliestes Bad haben …“

„Die Kostenunterschiede zwischen Gemeindebauten und privat sind enorm. Wir leben hier schon sehr sozial. Keine Provision, keine Kaution, und der Quadratmeterpreis ist nach wie vor viel geringer …“

„Man soll nicht vergessen, wenn man über die heutige Jugend am Rennbahnweg schimpft: Wir selber waren auch laut, und genauso is die Jugend heute halt laut. Gemeinde heißt für mich ‚gemeinsam‘. Daran sollte man denken und für die Kinder auch was übrig haben …“

„Von 1919 bis heute hat sich der kommunale Wohnbau enorm entwickelt. Alles ist grüner und freundlicher geworden – da red ich von den Bauten, noch nicht von den Leuten …“

„Der Quadratmeter-Preis von 8,90 Euro, den wir jetzt haben, ist wirklich nicht teuer. Was das Problem ist, sind die niedrigen Löhne – aber dafür kann der Gemeindebau nix …“

„Heute kapseln sich die Leute alle ein. Nicht einmal die vier Leute am gleichen Gang kennen einander, sondern verstecken sich voreinander. Ich bring bei 60 Wohnungen auf meiner Stiege vielleicht noch fünf zsamm, die ich beim Namen kenn. Das war früher anders, da hamma mit vielen Kontakt gehabt. Aber heit is a jeder nur mit dem Handy beschäftigt und kaner redt mehr mitanand …“





„Auf meiner Stiege helfen wir uns untereinander, wenn’s nötig ist. Da wohnen auch einige ältere Leute, die sich schon lang kennen. Die, die neu dazugekommen sind, haben den Kopf in den Sand gesteckt. Aber ich hab das umgedreht, ich geh selber auf die Leute zu …“

„Ist es nicht ein Fehler gewesen, das Multikulturelle nicht schon viel früher in den Gemeindebau zu bringen? Dadurch war keiner daran gewöhnt, an die dunklen Augen, an die andere Kleidung. Früher hat man alle mit anderer Nationalität woanders einquartiert und die Gemeindebauten ‚sauber‘ gehalten. Und als dort aber kein Platz mehr war, hat man die Leute auch in den Gemeindebau gebracht, und darüber waren dann plötzlich alle erschrocken, weil sie es nicht gewohnt waren …“

„Da ist zu viel in kurzer Zeit passiert, sodass die Leute sich überrannt gefühlt haben. Das hat sich jetzt aber geändert …“

„Der Fehler wurde schon in den 70er-Jahren bei den Gastarbeitern gemacht: Die hat man in Zinshäusern am Stadtrand einquartiert, weil man gemeint hat, die gehen eh wieder zurück. Dadurch hat man die ghettoisiert und versäumt, die Leute rechtzeitig auch in den Gemeindebauten zu integrieren …“

„Was bei der Diskussion übersehen wird: Österreich war immer schon ein Vielvölkerstaat. Die k. u. k. Monarchie hatte ihre Grenze in Mexiko. Und im Grunde waren wir selber überall Ausländer …“

„In jedem Fall hat man sicher lang vergessen, die Leute im Gemeindebau zu betreuen. Und das war ein Fehler der Politik, nicht der Gemeindebauten …“

„Keine Privatisierung. Ich will, dass jeder eine Wohnung hat. Ich will meine Wohnung nicht kaufen, die soll für alle frei zugänglich sein. In Berlin müssen sie die Wohnungen jetzt retour kaufen, weil der Mietschacher so ein Wahnsinn ist …“

„Ich würd mir wünschen, dass die Leute mehr aufeinander zukommen. Auf unserer Stiege haut das hin, dass die Nachbarin, wenn sie B1-Prüfung hat, rüberkommt und man gemeinsam übt. Und dass die ane a Kopftüachel trogt – na, um Gottes Willen. Was die privat für eine Religion hat, is mir egal, und meine Oma hat auch eines getragen …“

Wiener Wohnwunder

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