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„Es fühlt sich zusammen an“
„Backbone“ heißt der Verein für mobile Jugendarbeit im 20. Bezirk, in dem die beiden jungen Frauen Valona und Habibe einander kennengelernt haben, als sie ungefähr 13 Jahre alt waren. Damals gab es am Freitagnachmittag hier jede Woche den Mädchentag, „und das war für mich immer ein Tag, wo ich hier meine zweite Familie treffe. Ich wusste jahrelang nicht, was man an einem Freitag anderes machen soll als das“, sagt Habibe lachend. „Wir haben hier gemeinsam gekocht, uns unterhalten, Tanzsessions gemacht und über das Leben gelacht. Das war wichtig für uns“, erzählt sie von den glücklichen Zeiten, die sie mit Valona und einer Handvoll anderer Mädchen hier zugebracht hat.
„Die Betreuer waren dabei, aber irgendwie ein Teil von uns. Und irgendwann hatten wir uns so viel Vertrauen verdient, dass wir auch den Schlüssel bekommen haben“, ergänzt Valona, die inzwischen selber als Streetworkerin des „Fairplay“-Programmes für Backbone aktiv ist.
Habibe kam mit ihren Eltern und Geschwistern mit zehn Jahren aus Bulgarien nach Österreich, in der Anfangszeit schliefen sie zu fünft in einem Zimmer. „Als wir dann eine Gemeindebauwohnung bekommen haben, war das eine extreme Erleichterung, denn im Vergleich zu unserer ersten Wohnung ist sie uns riesengroß vorgekommen.“
Zehn Jahre lang hat Habibe mit ihrer Familie im Gemeindebau gewohnt, vor einem Jahr ist sie in ihre erste eigene Wohnung, eine SMART-Wohnung der Stadt Wien, umgezogen. Nach der Schule hat die 25-Jährige eine Lehre als Zahntechnikerin gemacht, studiert jetzt nach einer Berufsmatura aber auch noch Europäische Wirtschafts- und Unternehmensführung.
Valona wiederum wohnt in einer eigenen Gemeindebauwohnung, seit sie 19 ist; bereits mit 16 hat sie sich dafür angemeldet. „Das war damals ganz neu, dass man sich schon so früh anmelden kann und dafür dann fix eine Wohnung bekommt, wenn man alt genug ist. Für mich war immer klar, dass ich in eine Gemeindewohnung will, jetzt wohne ich seit sechs Jahren im Goethehof. Die allererste Wohnung, die mir angeboten wurde, wäre eine Kategorie D in der Brigittenau gewesen, aber da hätte man zu viel investieren müssen.“
Dass gutes Wohnen keine Selbstverständlichkeit ist, lernte Valona schon in ihrer Kindheit: „Ich bin in Oberwart aufgewachsen und musste alle paar Jahre umziehen, weil meine Eltern nicht so gut Deutsch konnten und immer nur befristete Mietverträge bekommen haben. Deshalb war die Wohnsicherheit, die der Gemeindebau bietet, für mich ganz wichtig.“
Einig sind sich Valona, die neben ihrer Arbeit bei Backbone an der PH Wien studiert, und Habibe darüber, dass es das Soziale ist, das den Gemeindebau von anderen Wohnformen unterscheidet: „Die Leute schauen aufeinander. Es fühlt sich einfach zusammen an“, sagt Valona. „Ich verstehe mich am besten mit meinem Nachbarn, der Pensionist ist“, ergänzt Habibe. Sie meint damit aber nicht ihren derzeitigen Nachbarn, sondern einen aus dem Gemeindebau, in dem sie ihre Jugend verbrachte.
Beiden ist es aufgrund ihrer Kindheitserfahrungen besonders wichtig, dass angemessener Wohnraum für alle erschwinglich ist. „Ich wünsche mir wirklich sehr, dass es das weiterhin gibt und dass es leistbar bleibt. Es darf nicht wie in München enden, dass man sein halbes Gehalt für die Miete ausgeben muss“, bringt es Valona auf den Punkt.
Und als Besucher denkt man: Wenn die Jugendlichen bei Backbone lernen, ihre Ansichten so klar und selbstbewusst zu artikulieren, wie Habibe und Valona es tun, dann trägt der Verein seinen Namen wohl zu Recht.
Beim wöchentlichen Mädchentag hat Habibe als Jugendliche viele Freundinnen gefunden