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Mein Schuh in Pakistan

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oder: Was Sie schon immer über Kleidercontainer wissen wollten…

Die junge Frau am Telefon wirkt locker und voller Tatendrang. Als ich sie am Montagmorgen in ihrem Büro aufsuche, erlebe ich eine Art „Unternehmerin des Jahres“. Zumindest stelle ich mir genau das darunter vor. Sie ist knapp fünfzig und sprüht vor Tatendrang. Das steht an diesem Tag im krassen Gegensatz zu mir. Ich bin aber irgendwie entschuldigt, es ist schließlich mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub.

Als Bauingenieure haben sie und ihr Mann nach der Wende eine eigene Firma gegründet und viel Geld verdient, sich ein Anwesen errichtet, ein weiteres als Vermietobjekt erworben.

„Und dann war plötzlich Schluss. Über fünfzig Beschäftigte hatte das Unternehmen in seiner Blütezeit. Aber es begann das, was Ende der Neunziger überall passierte. Die Kunden begannen zu tricksen, zahlten nicht mehr oder verspätet. Der Betrieb war nicht mehr zu halten. Zum richtigen Zeitpunkt kam die Flut. So makaber das klingt, aber in unserem Fall hat uns das die Existenz gesichert.“ Der Bürgermeister bat sie seinerzeit, ihren nunmehr freien großen Lagerplatz innerhalb des Betriebsgeländes als Spendensammelplatz zur Verfügung zu stellen. „Als alle versorgt waren, lagen etwa noch 50 Prozent der gesammelten Spenden, insbesondere Kleiderspenden auf dem Hof. Sämtliche potenzielle Abnehmer wie Rotes Kreuz, Kinderheime u. ä. waren versorgt. Da meinte unser Steuerberater, das genau sei die Geschäftsidee. Wir knüpften Kontakte zu Exportfirmen und tatsächlich kam der Betrieb wieder ins Laufen. Wir beschäftigen heute fünf Angestellte und stellen Altkleidersammelcontainer in der Region auf. Städte sind besonders wichtig, da die Leute auf dem Land ihre Sachen solange tragen, bis sie auseinander fallen. Das trifft besonders auf Schuhe zu. In der Stadt dagegen laufen viele Büroangestellte herum, die ihre Schuhe auch schon mal nach einem viertel Jahr in die Container werfen. Und das rechnet sich dann, denn verkauft wird nur, was in Ordnung ist und im Ausland auch wieder Absatz findet.“

Die Firma ist nun auf ihren Namen zugelassen und sie managt das Büro. Ihr Mann dagegen ist nur noch auf Reisen. „Wir verkaufen bis nach Pakistan und all die Länder dort. Große Firmen leisten sich ein Management allein für die Transportabwicklung. Das ist zwar eigentlich nötig, da alle Nasen lang Frachtpapiere oder gleich ganze Container wegkommen, aber als kleine Firma können wir uns das nicht leisten. Deshalb fährt mein Mann viel durch die Gegend, um vor Ort den Absatz zu sichern und selbst zu kontrollieren.“

Also, alles läuft bestens, sie haben viel zu tun und verdienen auch wieder ordentlich Geld.

„Wissen Sie“, sagt sie zu mir, „am liebsten wäre ich eine einfache Angestellte. Sie glauben gar nicht, wie man sich im eigenen Betrieb selbst ausbeutet. Das würde man keinem Angestellten zumuten. Es gibt praktisch keine freie Zeit, nicht abends und nicht am Wochenende. Alles dreht sich nur ums Geschäft, auch die Themen mit dem eigenen Mann erschöpfen sich letztlich damit. Vor der Wende hätte ich mir nie vorstellen können, ohne meinen Mann in den Urlaub zu fahren. Seit wir das Geschäft haben, geht es gar nicht anders. Einer muss immer da sein. Wir haben das auch anders probiert. Da ist jedoch zu viel auf der Strecke geblieben. Und es gibt nichts Schlimmeres, als wenn sie einmal einen Kunden verprellt haben. Also fährt jeder für sich. Man erholt sich tatsächlich, auch vom Partner, der ja Kollege, Chef und Revisor in einer Person ist. Aber, ob ich mich noch einmal für diesen Weg entscheiden würde, möchte ich stark bezweifeln.“

Kaum vermessen – schon vergessen

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