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»Wenn Sie da drinnen

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gleich von Mr. Bond heftigst be­schmust werden, lassen Sie es am besten einfach gesche­hen… Widerstand ist ohnehin zwecklos.«

Mit einem leicht verlegenen Lächeln im Gesicht versuchte Sarah, die Worte des Gerichtsmediziners zu deuten. Ihr Blick fiel auf Thomas Bierman, der sie ausdruckslos fixierte. Doch bevor sie durch eine übereilte Nachfrage oder einen Kommentar in eine etwas peinliche Situation hinein­manövrierte öf­fne­te Schwarz die Tür zu seinem Büro. Heraus stürzte ein sicher an die 50 Kilogramm schwerer, tapsiger Berner­ Sen­nen­mischling, der sich sogleich schwanz­wedelnd an Sarahs Beine warf und sie fast zu Boden stieß.

»Darf ich vorstellen: Mr. Bond.«

Jetzt war sogar auf Thomas Biermans Gesicht ein leichtes Lä­cheln zu erahnen, als auch er freudig von dem Fell­mon­ster begrüßt wurde.

Sarah gelang es irgendwie auch bei der zweiten Kuschel­attacke des riesigen Tieres nicht das Gleichgewicht zu ver­lieren und streichelte den freundlich dreinblickenden Hund hinter den Ohren.

»Der ist aber süß«, sagte sie und ging neben Mr. Bond in die Hocke. »Wie alt ist er denn?«

Sofort bekam sie einen nassen Schmatzer ins Gesicht ge­drückt, lachte laut auf und versuchte, das Tier ein wenig auf Distanz zu halten.

»Noch kein Jahr,« sagte Schwarz und machte eine besorgte Miene. »Da sind noch ein paar Zentimeter drin, ich weiß.«

Bierman beobachtete Sarah beim Spiel mit dem Tier.

»Zu Hause mal wieder keiner bereit, sich um Mr. Bond zu kümmern?«, fragte er.

»Meine Frau ist mit anderen Legasthenietherapeutinnen auf einer Fortbildung im Schwarzwald, die drei Mädels sind in der Schule, und meine Schwiegermutter, die sich die­­se Woche um Haus und Familie kümmert, lehnt jede Be­schäftigung mit Mr. Bond ab. Sie ist eher so der Katzentyp.«

Schwarz‘ Mimik drückte sein Missfallen mehr als deutlich aus und ließ keinen Zweifel daran, dass er den Hundetyp in jeder Hinsicht als angenehmeren Genossen ansah.

»Vorsicht», lächelte Sarah, die diese Botschaft genauestens ver­standen hatte. »Wenn ich meine eigene Wohnung be­zie­he, werde ich mir wahrscheinlich auch eine Katze anschaf­fen.«

Schwarz tat entsetzt und musterte Sarah eindringlich. Dann schien er zu einem Ergebnis gekommen zu sein.

»Sie sind nicht der Katzentyp«, konkludierte er. »Sie sind der ich-schaffe-mir-eine-Katze-an-weil-sich-ein-Hund-nicht-mit-dem-Berufsleben-vereinbaren-lässt–Typ. Das geht in Ord­nung.«

Beide lachten. Bierman, der etwas unbeteiligt daneben stand, versuchte, das Gespräch in eine professionelle Rich­tung zu lenken.

»Haben Sie schon was zu unserem Herrn Meyer zu sa­gen?«

Schwarz zuckte die Schultern.

»Ich weiß nicht, was Dr. Schneider gestern noch gemacht hat. Ehrgeizig wie sie ist, könnte ich mir vorstellen, dass sie tatsächlich zumindest die äußere Beschau schon durch­ge­führt hat. Sie ist aber noch nicht aufgetaucht, lassen Sie mich mal sehen.«

Er umrundete seinen Schreibtisch, gefolgt von dem schwanz­wedelnden Mr. Bond, der spielerisch in das Hosen­bein des Rechtsmediziners biss und versuchte, ihn aufzu­halten.

»Das müssen Sie ihm aber noch abgewöhnen«, lachte Sarah.

»Nicht ich, meine Frau. Der Hund kam ins Haus mit dem Versprechen, dass sie und die Mädels sich um alles küm­mern würden. Jetzt, ein knappes Jahr danach, hat sich aller­dings die Realität in aller Härte offenbart.«

Er setzte sich an seinen PC, tippte ein wenig und fuhr mit der Maus über ein Pad der Rothaus-Brauerei.

»Nein, sie hat noch keine Befunde eingestellt. Dann wird es wohl noch bis heute Nachmittag dauern, bis wir etwas zur Todesursache sagen können. Tut mir leid. Ich gehe aber gleich runter und fange an.«

Er schaltete den Monitor aus und erhob sich. In diesem Moment klingelte Biermans Mobiltelefon. Er hob die Hand, um Schwarz noch kurz zum Warten zu bewegen und klapp­te sein Handy auf.

»Ja?«

Schwarz und Sarah wandten sich wieder dem verspielten Berner Sennenhund zu, während Bierman das Telefonat führte.

»Wo?«

Er sah auch zu dem Tier, das sich auf den Rücken warf und sich von Sarah am Bauch kraulen ließ.

»Bin gerade bei ihm.« Er warf Schwarz einen ernsten Blick zu und deutete auf das Telefon.

»Okay, wir sind gleich da.« Nachdem er das zusammenge­klappte Handy in seine Jackentasche gesteckt hatte, richtete er sich an Dr. Schwarz.

»Herr Meyer muss wohl noch eine Weile warten. Wir ha­ben einen Leichenfund an der A5. Opfer ist weiblich, wahr­scheinlich ein Sexualdelikt. Fundort ist eine Notpark­lücke südlich der Ausfahrt Bad Krozingen. Sie fahren selbst?«

Schwarz nickte.

»Fahren Sie ruhig schon mal vor, ich brauche noch ein paar Minuten.«

Sarah und Bierman hoben beide die Hand und verließen Schwarz‘ Büro.

»Was wissen wir bis jetzt?«, fragte Sarah, als sie den Aufzug ansteuerten.

»Nicht viel mehr, als ich Schwarz gerade gesagt habe«, ant­wortete Bierman und drückte den Rufknopf des Aufzugs.

»Die Frau ist wohl erst vor wenigen Minuten entdeckt wor­den. Ein Mitarbeiter der Autobahnmeisterei hat in einer Parkbucht, die nur für Notfälle vorgesehen ist, ein verlas­sen­es Fahrzeug gefunden und sich daraufhin ein wenig um­gesehen. Als er die Leiche fand, hat er wohl direkt die Kripo in Freiburg angerufen.«

Sie traten in den Aufzug.

»Anfrage bei der Zulassungsstelle?«

»Läuft in diesem Moment. Ich bekomme die Daten auf das Handy.« Der leicht genervte Blick Biermans auf sein Telefon ließ Sarah vermuten, dass er im Aufzug keinen Empfang hatte. Als sie diesen verließen, piepste das Handy prompt und Bierman öffnete im Gehen die Nachricht. Auf den Treppenstufen zum Parkplatz hielt er inne.

»Das darf doch nicht wahr sein!«, entfuhr es ihm. Sarah registrierte seinen besorgten Gesichtsausdruck.

»Was ist?«

Bierman sah zögernd zurück in das Gebäude. Dann wandte er sich seiner Partnerin zu.

»Das Fahrzeug ist auf Michelle Schneider aus Lörrach zu­gelassen.«

Sarah runzelte die Stirn, den Namen hatte sie heute schon einmal gehört. Mit einem Mal wurde sie blass.

»Schwarz‘ Assistentin?«

Bierman nickte.

»Ich frage mich gerade, ob wir ihm hier schon etwas sagen, oder uns erst am Tatort davon überzeugen, ob die Tote wirk­lich Michelle Schneider ist.«

Sarah überlegte nicht lange.

»Ich würde sagen, wir fahren hin. Vielleicht ist sie es ja nicht.«

»Also los!«

Auf der Fahrt sprachen die beiden Kollegen kein Wort mit­einander und auch, als sie das Fahrzeug der KTU über­holten, wies Bierman nur wortlos auf den Transporter. Sarah ihrer­seits, die verstanden hatte, was er ihr zeigen wollte, quittier­te dies mit einem bloßen Nicken. Schon sehr früh konnten sie das Blaulichtgewitter mehrerer Einsatzwa­gen erkennen, als sie sich der beschriebenen Parkbucht näherten. Da sie selbst das Blaulicht aufs Dach gesetzt hatten, verzichtete Bier­man darauf, bei dem Kollegen in der Einfahrt zu halten und ihre Ausweise zu zeigen. Er stoppte den Kombi in ge­bührendem Abstand zu dem gelben Fiat Panda, der am Rand der Parkbucht stand. Absper­rungen wa­ren keine vorhanden, lediglich die Besatzungen der Strei­fenwagen hatten sich locker verteilt und bildeten einen großzügigen Halbkreis um den Wagen und das Ge­strüpp dahinter. Das Fahrzeug der Autobahnmeisterei stand nahe dem Ende der Ausbuchtung, der Fahrer wurde gerade von einem wei­teren Polizisten befragt.

»Möchten Sie lieber hierbleiben?« Biermans Angebot, Sarah bei diesem Sexualdelikt zu schützen, löste ambivalente Ge­füh­le bei ihr aus. Einerseits registrierte sie den Anflug von Empathie bei ihrem neuen Partner. Auf der anderen Seite war sie innerlich empört, dass er ihre Professionalität angesichts eines weiblichen, möglicherweise übel zuge­richteten Opfers infrage stellte. Aber da sie seine Sorge zu schätzen wusste, entschied sie, neutral zu reagieren.

»Kein Problem, machen wir unsere Arbeit.«

Sie gingen zum Kofferraum und nahmen sich aus einer Plas­­tik­box blaue Überstreifer für die Schuhe und die obli­gatorischen Handschuhe. So ausgerüstet näherten sie sich der Stelle, wo eine Bluejeans achtlos hingeworfen auf dem Grasstreifen lag. Das Gestrüpp dahinter war deutlich sicht­bar niedergetreten.

»Noch vor der KTU?«, fragte der nächststehende Beamte mit einem etwas süffisanten Unterton. Sarah spürte deut­lich, wie sich Biermans Körper anspannte und er tief die Luft einsog. Davon überzeugt, dass die Reaktion ihres neu­en Partners alles andere als erfreulich sein würde, kam sie Bierman kurzerhand zuvor. Aber auch sie wollte der schnip­pi­schen Art des Beamten nicht mit allzu großer Freund­­lichkeit begegnen.

»Wir machen unseren Job, machen Sie einfach nur Ihren.« Ein verblüffter Seitenblick Biermans bestätigte ihr, dass sie den richtigen Tonfall getroffen hatte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, steuerten sie die Leiche an, die unweit des Asphalts zwischen zwei niedergedrückten Sträuchern lag. Schweigend besahen sich die beiden den Tatort. Die Frau lag mit gespreizten Beinen auf dem Rücken. Ein schwar­­zer Slip hing zerrissen über einem Ast, darunter lag ein verschnürter Turnschuh. Der zweite Schuh war nicht zu sehen, die Socken hatte die Tote noch an den Füßen. Eine geöffnete Sportjacke lag unter der Frau, ihre Bluse war ge­walt­sam aufgerissen und hing noch in den Ärmeln der Jacke. Der schwarze Spitzen-BH war der Frau, die mit weit geöffneten Augen in den Himmel starrte, um den Hals ge­wickelt. Sarah wagte nur einen kurzen Blick auf die nackten Brüste und den Oberkörper, der etliche blaue Flecke auf­wies. Als er kurz im Schritt des Opfers hängen blieb, konnte sie sehen, dass die Oberschenkel blutverschmiert und eben­falls mit Hämatomen übersät waren. Sarah wandte den Kopf ab und fragte nur.

»Ist sie es?«

»Ja, das ist Frau Schneider.« Auch Bierman drehte sich weg. Schweigend begutachteten sie die Umgebung der Lei­che und bekamen nicht mit, wie der Einsatzwagen, den sie kurz zuvor überholt hatten, auf dem Haltestreifen zum Stehen kam. Erst als sich hinter ihnen die Mitarbeiter der KT in ihren weißen Schutzanzügen näherten, wandte sich Bierman an Sarah.

»Kommen Sie, Frau Hansen, wir räumen das Feld und fangen Schwarz ab. Er sollte vorgewarnt sein, bevor er sie sieht.«

»Standen die beiden sich nah?« Für Sarah war die Vor­stellung, einen langjährigen Kollegen auf diese Art zu ver­lieren, ein furchtbarer Gedanke, auch wenn sie selbst bereits schreckliche Verluste hatte erleiden müssen.

»Ich glaube nicht. Eine rein professionelle Beziehung.«

Sarah bohrte nach.

»Wie lange arbeiteten die beiden denn schon zusammen?«

Bierman zuckte die Schultern.

»Ein knappes Jahr oder so. Nicht allzu lange.«

Sie richteten den Blick auf einen Kombi, der sich mit ge­setz­­tem Blinker auf der rechten Spur dem Tatort näherte.

»Das ist er«, sagte Bierman, trat einen Schritt vor und hob den Arm. Kurz darauf kam Schwarz neben ihm und Sa­rah zum Stehen.

»Und, haben Sie den Täter schon verhaftet? Werden meine Dienste überhaupt noch gebraucht?«

Schwarz stieg aus und sah die beiden erwartungsvoll an. Dass Bierman auf seine laxe Begrüßung nicht einging, schien ihn zu verwirren. Stattdessen ergriff Sarah in infor­mativem Ton das Wort.

»Herr Dr. Schwarz, bevor Sie den Leichnam in Augen­schein nehmen, sollten Sie wissen, dass es sich um Ihre Kol­legin Michelle Schneider handelt. Sie wurde schrecklich zu­gerichtet.«

Schwarz runzelte die Stirn und schwieg einen Moment.

»Ist die Identifizierung eindeutig?«, fragte er.

Bierman bestätigte.

»Ja, leider. Wir wurden schon auf der Fahrt informiert, dass sie die Halterin dieses Panda ist. Deswegen waren wir gerade schon bei der Leiche, es ist eindeutig Frau Schnei­der.«

Schwarz schluckte, sah zu dem Fiat und schien zu über­legen.

»Okay«, sagte er. »Dann sehe ich sie mir mal an. Morgen bei mir in der Rechtsmedizin für die Besprechung?«

»Neun Uhr bei Ihnen.« entgegnete Bierman, reichte dem Rechts­mediziner die Hand und ging in Richtung des silbernen Mer­cedes.

Ackerblut

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