Читать книгу Ackerblut - Andre Rober - Страница 9
Die beiden Männer in dem
Оглавлениеschwarzen Land Rover warteten geduldig, bis das Fahrzeug, das ihnen eben am Telefon beschrieben wurde, um die Ecke bog und, die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30km/h peinlich genau einhaltend, an ihnen vorbeischlich. Erst als die Fahrerin an der nächsten Kreuzung den Blinker rechts setzte, startete der Mann hinter dem Steuer des Geländewagens den Motor und fuhr los. Nicht dass er damit gerechnet hätte, dass die Fahrerin des vorausfahrenden Wagens ihn sonst bemerkt hätte – sie war ja schließlich kein Profi – aber die Macht der Gewohnheit ließ sich nicht so leicht abschütteln. Ohne sich dem Auto weniger als fünfzig Meter zu nähern, folgte er dem Zielobjekt Richtung Süden. Das Lörracher Kennzeichen ließ darauf schließen, dass die Verfolgte entweder den Weg über den Schauinsland nach Todtnau oder über die Autobahn in Richtung Lörrach einschlagen würde. Beide Strecken boten mehrere Optionen, den Auftrag mit geringem Risiko zu erledigen. Sollte es nicht während der Fahrt gelingen, würden sie die Mitarbeiterin der Rechtsmedizin bis nach Hause verfolgen und dort einen alternativen Plan entwickeln.
»Autobahn«, sagte sein Beifahrer, als der Fiat am Basler Tor rechts auf die Ausfallstraße in Richtung Eugen-Keidel-Bad abbog. Tatsächlich fuhr der Wagen vom Zubringer Süd auf die A5 nach Basel. Außer der Verfolgten war kein Auto zu sehen. Der Fahrer fasste einen Entschluss.
»Wir nehmen eine Notausweiche. Die Rastplätze stehen um diese Zeit voll mit LKW.«
Der Beifahrer nickte und bediente das Navi in der Mittelkonsole.
»In etwa zwölf Kilometern«, sagte er und drehte sich zum Rücksitz. Er öffnete einen Koffer und entnahm ihm eine Polizeikelle. Er testete kurz die Beleuchtung und nickte dem Fahrer aufmunternd zu. Einige Minuten fuhren sie schweigend weiter, dann setzte der Fahrer zum Überholen an. Rechtzeitig vor der Nothaltebucht ließ der Beifahrer die Seitenscheibe hinunter und schwenkte die Kelle, während der Fahrer sukzessive die Geschwindigkeit verringerte. Aufmerksam beobachtete er im Rückspiegel, wie die Fahrerin des Pandas ebenfalls langsamer wurde und ihnen gehorsam über den Seitenstreifen in die Haltebucht folgte. Kaum war der Land Rover zum Stillstand gekommen, stiegen die beiden Männer aus und gingen betont langsam auf den Opel zu. Während der Fahrer so tat, als würde er auf einem Notizblock das Kennzeichen notieren, trat der Beifahrer an die Fahrertür. Das Fenster hatte die Frau bereits heruntergekurbelt, im Schein seiner Taschenlampe meinte der Mann zu erkennen, dass sie leicht nervös, jedoch nicht ängstlich war.
»Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben?«
»Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht. Ich habe mich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten.«
»Ihr rechtes Rücklicht ist kaputt. Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte.«
Der Mann wählte bewusst einen nicht sehr freundlichen, aber auch nicht unverschämten Ton. Die Frau nahm ihre Handtasche vom Beifahrersitz und kramte eine Weile darin herum. Schließlich fand sie ihr Portemonnaie und zückte einen rosafarbenen Euro-Führerschein, den sie dem Mann hinhielt. Während er diesen entgegennahm, versuchte Michelle Schneider, sich aus der Situation herauszureden.
»Sehen Sie, wenn ich das gewusst hätte, wäre ich natürlich an eine Tankstelle gefahren und hätte eine neue Birne gekauft. Aber ich habe das nicht bemerkt und der TÜV ist gerade mal vier Monate her. Können Sie nicht…«
»Die Fahrzeugpapiere«, unterbrach der Mann, behielt den Führerschein in der Linken und streckte die Rechte Michelle entgegen.
»Die müssen wohl im Handschuhfach sein…«, stotterte sie, löste den Sicherheitsgurt und beugte sich hinüber zum Beifahrersitz.
»Stop!«
Michelle hielt inne.
»Steigen Sie bitte aus.«
Sie zögerte einen Moment, seufzte hörbar, stieg aus, schlug die Tür zu und blieb daneben stehen.
»Hören Sie, bitte, die Papiere sind im Handschuhfach und es ist doch nur ein kaputtes Rücklicht. Ich…«
»Öffnen Sie bitte den Kofferraum.«
»Den Kofferraum? Aber ich…«
»Den Kofferraum, jetzt!«
Der scharfe Ton veranlasste Michelle sich in Bewegung zu setzen und um das Auto herumzugehen. Um die Frau nicht unnötig nervös zu machen, folgte der Mann ihr in gebührendem Abstand. Ohne zu bemerken, dass beide Rücklichter rot leuchteten, öffnete sie den Kofferraumdeckel, wandte sich dem Mann wieder zu und sagte in leicht trotzigem Ton:
»Bitte schön, wie Sie wünschen.«
Der zweite Mann, den sie über die Diskussion mit dem vermeintlichen Polizisten völlig vergessen hatte, tauchte lautlos hinter ihr auf. Noch bevor sie auch nur bemerkte, dass er hinter ihr stand, holte er mit einem Totschläger aus und traf mit dem Hartgummi präzise eine Stelle hinter und oberhalb der Ohrmuschel. Sofort sank sie bewusstlos zusammen und schlug hart auf den Asphalt. Unmittelbar darauf schritt der zweite zur Fahrertür, lehnte sich hinein und schaltete das Licht aus. Anschließend durchsuchten die beiden Männer, ohne sich abzusprechen, Kofferraum, Handtasche und Passagierraum nach Dokumenten oder Aufzeichnungen, die sie vielleicht aus der Rechtsmedizin mitgenommen hatte. Als sie nach professioneller Erledigung wieder am Heck des Wagens zusammentraten, fragte der Beifahrer:
»Raubmord oder Sexualverbrechen?«
Der Angesprochene überlegte kurz.
»Sexualverbrechen. Ist unter diesen Umständen wahrscheinlicher.«
Der Beifahrer nickte und schritt zur Tat. Er zog sich ein Paar alte Lederhandschuhe über, packte die bewusstlose Frau unter den Achseln und schleppte sie an den Rand der Parkbucht.
»Dort drüben im Gebüsch?«
Der Fahrer sah kurz auf.
»Ja, dort ist gut. Wälze sie ein wenig hin und her, die Spuren müssen auf wildes, gewaltsames Handeln hindeuten.«
Der Beifahrer legte die Frau an der bezeichneten Stelle ab, wälzte sie in die eine und in die andere Richtung, knickte einige Zweige und schleifte sie noch einige Male über den Boden. Während er in der Folge der Frau mit Gewalt die Bluse zerriss und den BH mit einem Taschenmesser aufschnitt, trat der Fahrer an den Kofferraum des Land Rover, wählte einen von drei identisch aussehenden Aluminiumkoffern aus und öffnete ihn. Er nahm eine Packung mit Kondomen, packte eines aus und stülpte es über einen sehr stattlichen Plastikpenis. So ausgerüstet ging er hinüber zu seinem Partner, der soeben einen Schuh der Frau ins Gebüsch geworfen hatte und jetzt dabei war, ihre Jeans möglichst brutal herunterzureißen.
Das grün-weiße Licht der Hinweise zu den Notausgängen reichte ihm aus, um sich in dem Gebäude zu orientieren. Das Nachtsichtgerät hatte er im Auto gelassen. Er mochte dieses Gadget nicht. Es war schwer und er musste seine Brille absetzen, um es zu tragen. Natürlich verfügte es über eine einstellbare Dioptrie-Korrektur, jedoch musste er, wenn er das Gerät absetzte, zunächst seine Brille hervorkramen und aufsetzen. Und das konnte ihn, wenn die Umstände ungünstig waren, im Falle einer Konfrontation um die entscheidenden Sekundenbruchteile bringen. Kontaktlinsen wären eine Alternative, und nicht zum ersten Mal nahm er sich vor, in den kommenden Tagen dieses Thema anzugehen. Da er mit einer Taschenlampe riskierte, entdeckt zu werden, begnügte er sich mit den Gegebenheiten. Zunächst suchte er das zweite Obergeschoss auf. Er zählte die Türen, die auf der linken Seite des Korridors abgingen, und blieb vor der sechsten stehen. Wenn er sich nicht irrte, musste dies das Büro der Frau sein, die eben die Rechtsmedizin verlassen hatte. An der Tür oder dem Rahmen war keine elektronische Zugriffssicherung angebracht, also drückte er langsam die Klinke herunter. Der Eingang öffnete sich und er glitt durch einen schmalen Spalt in den Raum. Als er die Tür schloss war er sehr dankbar über den glücklichen Umstand, dass unmittelbar gegenüber der Bürotür in dem Flur einer der Rettungsweghinweise angebracht war, dessen Schein durch das Oberlicht drang und den Raum hinreichend ausleuchtete. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Schreibtisch, wo mitten auf der Platte ein kleiner Stapel Papiere lag. Als er sie aufnahm und näher ans Licht hielt, erfüllte sich seine Hoffnung. Es handelte sich um Ausdrucke von Röntgenbildern, die ganz offensichtlich für den morgigen Tag vorbereitet waren. Er faltete die Handvoll Blätter zweimal und steckte sie in seine Seitentasche. Dann kniete er sich zu Boden und ertastete den Minitower des Computers. Dort, wo das Stromkabel eingesteckt war, legte er seitlich und hinten seine Hand auf – die Umgebung des Netzteils war kalt. Sie hatte also nicht am PC gearbeitet. Das war ein gutes Zeichen, so musste er sich zumindest hier nicht um die Vernichtung von Spuren kümmern. Er kontrollierte noch den Postausgangskorb, ließ seinen Blick prüfend durch das gesamte Büro schweifen und trat anschließend wieder auf den Gang. Sein nächstes Ziel war der Kühlraum, dessen Lokalisierung dank der ordnungsgemäßen Beschriftung des Aufzugstastenfeldes sehr leichtfiel. Ebenso schätzte er den Umstand, dass diese sensible Etage durch einen einfachen Knopfdruck anzusteuern war und nicht durch einen Schlüssel gesichert wurde. Die Benutzung der Treppe hätte, wenn auch nur geringfügig, die Gefahr der Entdeckung von außen erhöht. Er wusste: Es war mitunter die Summe der unbedachten Kleinigkeiten, die ein Vorhaben zum Scheitern bringen konnten. Als sich die Aufzugstüren wieder öffneten, blickte er im Licht der Notausgangsbeleuchtung erst nach links, dann nach rechts. Die Edelstahl-Doppeltür am Ende des Ganges schien der Eingang des Kühlraumes zu sein, und als er deren Klinke niederdrückte, öffnete sie sich wider Erwarten und im Inneren des Raumes sprangen sechs Neonröhren an. Sofort ließ er den Blick schweifen und schloss die Tür hinter sich, nachdem er festgestellt hatte, dass der Raum keine Fenster hatte. An den quadratischen Schubfächern dankte er der deutschen Tugend, alles sorgfältig und sofort zu erledigen, und öffnete die Klappe, die handschriftlich mit Herbert Meyer beschriftet war. Er zog die Bahre zu etwa einem Drittel aus der dunklen Kammer und schlug das weiße Leintuch bis zu den Schultern zurück. Mit einem Griff brachte er die Röntgenbilder aus seiner Tasche zum Vorschein und studierte sie eingehend.
Genau da, wo es sein soll!
Er griff erneut in seine Tasche, förderte diesmal ein Corduraetui zutage, öffnete dessen Reißverschluss und legte es dem Leichnam auf die Brust. Er entnahm eine 10ml Glasspritze und schraubte eine großkalibrige Kanüle auf. Dann ging er neben der Bahre in die Knie, griff nach seiner Taschenlampe und untersuchte den äußeren Gehörgang der nun auf Augenhöhe liegenden Leiche. So wie es ihm beigebracht worden war, stach er mit der dicken Nadel am oberen Rand durch das Trommelfell und schob sie etwa eineinhalb Zentimeter tief ein. Als er behutsam an dem Kolben zog, füllte sich dieser langsam mit einer Mischung aus einer trüben, gelblichen Flüssigkeit und Blut. Er schraubte die Spritze vorsichtig ab, und beließ die Kanüle im Gehörgang. Mit seinen Fingern nestelte er in seiner Tasche bis er ein unspektakuläres, in etwa der Größe eines Zigarettenpäckchen entsprechendes Kästchen herausholte. Er drückte auf einen Knopf und fuhr damit einige Male an der vollen Spritze entlang. Nichts geschah. Ob es richtig funktionierte? Er hielt das Gerät an das Ohr des verstorbenen Herbert Meyer und sofort begann eine grüne LED rhythmisch zu blinken. Damit war klar, dass der Detektor in seiner Hand sehr wohl funktionierte, er bei seinem ersten Versuch den gesuchten Gegenstand aber noch nicht in seine Spritze gesaugt hatte. Er schnalzte mit der Zunge und sah sich um. An der Wand links der Kühlfächer befand sich ein Edelstahlwaschbecken, in das er, ohne zu zögern, die Spritze entleerte, bevor er sie wieder vorsichtig an die Kanüle schraubte, die sich noch immer im Ohr des Toten befand. Er schob die Nadel noch etwas tiefer ein und füllte die Spritze erneut. Abermals nahm er den Detektor zur Hand und prompt blinkte er grün, als er ihn an der Spritze vorbeiführte. Neugierig hob er das Gefäß gegen das Licht, doch im inneren der Flüssigkeit war nichts zu erkennen. Zufrieden schraubte er einen Verschluss auf die Glasspritze, zog die Kanüle aus dem Gewebe und verstaute beides in dem Etui. Schließlich riss er ein Papiertuch aus dem mit Kimberly Clark beschrifteten Handtuchspender, verzwirbelte ein Ende und reinigte damit das Ohr der Leiche. Er deckte Kopf und Schultern wieder zu und schob Meyer zurück in die dunkle, kalte Röhre. Zu guter Letzt spülte er noch das Edelstahlbecken mit etwas Wasser durch und verließ den Kühlraum.
Ungeduldig tippte der Mann auf das Lenkrad des Land Rover. Nachdem die Tat reibungslos und ohne Zeugen abgelaufen war, wollte er die Parkbucht so schnell wie möglich verlassen, um in einer anderen Funkzelle Bericht erstatten zu können. Die Handvoll Autos, die während der letzten zwanzig Minuten an ihnen vorbeigekommen waren, hatten die beiden unbeleuchteten Autos in der Parkbucht offensichtlich nicht interessiert, respektive nicht einmal bemerkt. Das Stück Stoff, an dem sie die Hände der Toten kräftig gerieben hatten, um so Textilfasern unter den Fingernägeln zu platzieren, packte sein Beifahrer in den Koffer. Diese scheinbare Gegenwehr des Opfers sollte bis ins Detail das Szenario des Sexualmordes untermauern. Der Koffer samt seinem Inhalt würde später so gründlich vernichtet werden, dass keinerlei Spuren zurückblieben. Und in dem Ersatzkoffer, den sie in Empfang nehmen würden, würden ein anderer Stoff, Kondome einer anderen Marke und auch ein Hartgummipenis eines anderen Kalibers zu finden sein. Überhaupt jedes Ausrüstungsteil würde sich in Größe, Material, Hersteller oder Funktionsprinzip von jenem unterscheiden, das sich im aktuellen Koffer befand. Der Austausch würde am morgigen Tag an einer unscheinbaren Adresse in Stuttgart erfolgen.
Hinter sich nahm er eine Bewegung wahr. Der Kofferraumdeckel schloss sich langsam unter leisem Summen. Noch ehe er ins Schloss schnappte, öffnete sich die Beifahrertür und sein Partner stieg ins Auto. Wortlos startete er den Wagen und fuhr wieder auf die Autobahn auf.
Die Suche nach dem Röntgenraum hatte nur sehr kurz gedauert und wie er vermutet hatte, fand er dort einen PC-Tower, dessen Netzteil noch ein wenig wärmer war, als die der drei anderen Geräte. Er verfolgte die Kabel zu einer der vier Tastaturen und steckte den feuerzeuggroßen Brute-Force-Generator wieder ein. An dem Bildschirm klebte ein pinkfarbener PostIt, der ihm freundlicherweise Login und Passwort der Anlage verriet. Er fuhr das Gerät hoch, orientierte sich. Das endgültige Löschen der Bilder war innerhalb weniger Minuten erledigt und eine Wiederherstellung wäre nicht einmal ihm selbst möglich gewesen. Dann durchsuchte er den Rechner nach einer Backup Software und stieß prompt auf ein Programm, das in regelmäßigen Intervallen auf einen Server und zusätzlich auf eine NAS-Platte sicherte. Diese beiden Medien von Spuren zu beseitigen würde etwas aufwändiger sein. Zuerst versuchte er es mit dem Network Assisted Storage Device. Es gelang ihm, ein Netzlaufwerk zu verbinden und so konnte er nach den Sicherungsfiles suchen und mit ihnen genau so verfahren wie mit den lokalen Daten zuvor. Eine Verbindung zum Server herzustellen, erwies sich als schwieriger und er musste den Passwortknacker zur Ermittlung des Administratorenkennworts doch noch zum Einsatz bringen. Erwartungsgemäß dauerte es aber nur zehn Minuten, bis er sich aufschalten konnte. Auf die mangelnde Fantasie der Menschen bei der Passwortwahl war einfach Verlass! Auch auf dem Server vernichtete er alle Spuren der Bilder, sah sich auf dem Gerät noch ein wenig um und loggte sich befriedigt aus dem System aus.