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Bucur Enache musste wie immer

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kräftig an dem Gang­he­bel rütteln, bis er die störrische Stange in die richtige Posi­tion drücken konnte und endlich der gewünschte zweite Gang eingelegt war. Den Renault R390 kannte er bestens, schließlich fuhr er den Sattelschlepper seit nunmehr fast elf Jahren. Als sein Chef die Zugmaschine seinerzeit gekauft hatte, hat­­te sie knapp fünfzehn Jahre auf dem Buckel und stre­cken­mäßig den Planeten schon fast fünfundzwanzigmal um­rundet. Aber sie war gut gepflegt und für die Lang­strecken, die das Unternehmen bediente, bestens geeignet. Auf seinen Fahrten über den Balkan, nach Polen, Weiß­russ­land, ins Baltikum und später auch nach Deutschland, Frank­reich und Italien hatten sich zusätzliche zwei Millio­nen Kilometer auf dem Tacho niedergeschlagen. Aber der Re­nault lief. Mitunter etwas zickig und mit erhöhtem War­tungsaufwand, aber er lief. Für sein Dafürhalten sogar ex­zel­lent, jedoch hatte er feststellen müssen, dass die Behör­den in Westeuropa unglaublich pingelig in Bezug auf Ver­kehrssicherheit waren. Zweimal schon, einmal in Deutsch­land, einmal in Italien, hatten sie ihn aus dem Verkehr ge­zogen und nach einer oberflächlichen Kontrolle das Fahr­zeug zunächst stillgelegt. Der Aufwand und der Ärger, ganz zu schweigen von dem Zeitverlust, waren erheblich ge­­wesen. Das war auch der Hauptgrund dafür, dass er jetzt nicht auf der A8 unterwegs war, sondern um die ein­hundert Kilometer weiter südlich auf der B31. Auf den Bun­des­straßen war die Gefahr einer Kontrolle seiner Ein­schätzung und Erfahrung nach einfach geringer. Es fehlte meis­tens einfach an Platz, um eine Kontrollstation mit Waage einzurichten und die LKW herauszuwinken, ohne einen Rückstau zu verursachen. Also investierten er und sein Chef immer etwas mehr Zeit in die Planung neuer Routen, um so wenige Kilometer wie möglich auf den Au­to­­bahnen zurückzulegen. Diese Strecke kannte er aller­dings schon sehr gut. So gut, dass er den erhöhten Zeit­aufwand beim Einlegen der Gänge mit einkalkulierte. Im Höl­lental gab es so manche Stelle, bei der selbst er sich nicht sicher war, ob die betagte Druckluftbremse den vierzig Ton­nen oh­ne die Unterstützung der Motorbremse ausrei­chend Kraft für eine angemessene Verzögerung wür­de be­reit­stellen können. Wenn es kritisch wurde, mus­ste der Gang sitzen. Die fünf Sekunden, die er mitunter „herum­rüh­ren“ musste, konnten im schlimmsten Fall schon zu viel sein. Also leitete er den Schaltvorgang immer recht­zeitig ein, um kein Risiko einzugehen.

»Lassen Sie uns gleich runtergehen«, empfing Schwarz Sa­rah und Bierman im Eingang zur Rechtsmedizin, nach­dem die beiden Polizisten kurz nach dem Arzt mit ihrem Dienstwagen auf den Parkplatz gerollt waren. Er hielt ihnen die Tür auf.

»Nehmen wir doch die Treppe«, schlug er vor und über­nahm die Führung. Weder Bierman noch Sarah drängten ihn auf dem Weg zu einer Stellungnahme, und so erreichten sie die Doppeltür zum Obduktions­raum, ohne miteinander zu sprechen. Zunächst durchquerte Schwarz den Raum und holte aus einem mit Milchglas abgetrennten Büroraum ei­nen Stapel Blätter, den er Sarah überreichte und sich im An­schluss OP-Handschuhe überzog. Er nahm einen weißen Kit­tel von einem Haken und knöpfte ihn wortlos zu. Dann schob er einen Edelstahlwagen zu den Kühlfächern, öffnete ein Fach und zog eine Bahre samt der mit weißem Leinen be­deckten Leiche darauf. Bierman half ihm, das Gefährt so zu platzieren, dass die Bahre auf den Obduktionstisch unter die OP-Lichter geschoben werden konnte. Schwarz deckte die Leiche ab. Frau Schneiders gestern noch geöff­nete Au­gen hatte er offensichtlich nach der Sektion ge­schlossen. Er nahm Sarah den Papierstapel wieder ab und stellte sich ans Kopfende der Leiche.

»Fangen wir mit der Todesursache an. Wie Sie wahrschein­lich gestern schon vermutet haben, wurde sie mit ihrem ei­genen BH stranguliert. Die Würgemale stimmen mit dem spe­zifischen Muster des Büstenhalters überein, ebenso der Textilabrieb in den tiefen Einschnürungen.«

Er spreizte mit zwei Fingern die dunkle Haut am Hals der Toten, um den beiden Polizisten zu zeigen, wie tief diese Wür­gespuren waren.

»Zu diesem Zeitpunkt war sie bei Bewusstsein.«

Sarah unterbrach.

»Sie deuten damit an, dass sie zeitweise bewusstlos war?«

Schwarz nickte. Er hob den rasierten Schädel ein wenig an und deutete auf einen dunklen Fleck oberhalb des linken Ohrs.

»Das stammt von einem Schlag mit einem soliden, aber nicht aus Metall oder Stein gefertigten Gegenstand. Da ich auch keine Textilfasern daran gefunden habe, tippe ich auf einen Gummiknüppel oder ähnliches.«

Sarah und Bierman sahen sich das Mal an.

»Dieser Schlag war nicht tödlich, aber die Stelle und die Stär­ke lassen den Schluss zu, dass sie zumindest kurzzeitig das Bewusstsein verlor. Wie lange weiß ich nicht.«

Er legte den Kopf zurück auf die Stütze.

»Können Sie sagen, zu welchem Zeitpunkt dieser Schlag er­folgte?«, wollte Sarah wissen. »Wurde die Tat damit begon­nen oder passierte es irgendwann zwischendurch?«

Schwarz schüttelte den Kopf.

»Kann ich nicht sagen. Mit viel Glück wurde die Tat damit eingeleitet und sie ist erst kurz vor der Strangulation auf­gewacht.«

Sarah und Bierman sahen sich kurz an, sagten aber nichts.

»Zu den Verletzungen: Der Täter war genital und mammal fixiert. Ich konnte keine Spuren finden, die auf eine Pa­raphilie hindeuten. Es gab auch keine anale Penetration. Die Hämatome an den Brüsten stammen von kräftigem Ein­wirken ohne Werkzeug. Drücken, kneten quetschen, ver­mutlich mit den Händen.«

»Bissspuren?«, warf Bierman ein.

»Nein. Daher rechne ich bei den Abstrichen auch nicht mit Speichel.«

Er deutete auf die dunklen Verfärbungen unterhalb der Brüste über den Rippenbogen.

»Hier hat er sie oder besser sich festgehalten, während er den Coitus vollzogen hat. Er hat sehr, sehr kräftig zuge­packt.«

»Dementsprechend hat sie während des erzwungenen Ge­schlechtsakts noch gelebt.«

Schwarz blickte auf und sah Sarah zum ersten Mal am heu­tigen Tag direkt in die Augen.

»Richtig. Alle Verletzungen entstanden prämortal, deswe­gen die starken Einblutungen.«

»Hautreste oder Schuppen an den Riemen des Büstenhalters?«

Schwarz blätterte einige Seiten weiter.

»Ich habe tatsächlich Abrieb gefunden, konnte das aber un­ter dem Mikroskop schon als Leder identifizieren. Der Täter hat meiner Meinung nach Wildlederhandschuhe ge­tra­gen. Aber der BH ist natürlich in der KTU, falls sich noch etwas anderes darauf befindet.«

Er blätterte wieder zurück.

»Bleiben wir zunächst bei den Hämatomen.«

Er wies auf die blauen Flecke an der Innenseite der Ober­schenkel.

»Hierbei handelt es sich um die typischen Male bei nicht einverständlichem, extrem harten Geschlechtsverkehr. Die Spuren entstehen beim wiederholten, sehr unbeherrschten, ekstatischen Eindringen in die Vagina durch die Hüften des Täters. Für gewöhnlich, wenn ein Opfer über einen län­geren Zeitraum mehrfach missbraucht wird. Oder aber bei aus­schweifender Gewalt.«

Sarah biss sich auf die Unterlippe, Bierman runzelte nach­denklich die Stirn.

»Jetzt wird es besonders unschön. Die Verletzungen im va­gi­nalen Bereich sind sehr schwer. Sie haben das Blut gestern ja sicher gesehen. Die Details erspare ich Ihnen beiden, aber das ist das Schrecklichste, was ich bisher gesehen habe.«

Sarah sah an die Decke des Raumes und atmete tief durch.

»Kann es sein, dass der Täter ein Werkzeug dazu benutzt hat?«

»Ausschließen kann ich das nicht. Aber es spricht nichts zwin­g­end dafür. Sollte es ein Werkzeug gewesen sein, war es nichts Scharfkantiges, auch nichts, was übermäßig lang oder übermäßig dick gewesen ist. Also kein Besenstiel oder ein Baseballschläger oder gar ein Messer. Angesichts der an­­deren Spuren würde ich mich wirklich auf den tat­sächlichen Vollzug des Geschlechtsverkehrs in der Missio­narsstellung festlegen. Aber eben sehr ex- und intensiv.«

»Spermaspuren? Fremdblut?«, kam Bierman Sarah mit sei­ner Frage zuvor. »Wenn er mit seinem Genital so wild am Werk war, dürfte er sich doch auch selbst Verletzungen zu­ge­zogen haben?«

Schwarz verneinte.

»Spermaspuren kann ich jetzt schon fast sicher aus­schlie­ßen. Es sei denn, die Menge war so gering, dass ich op­tisch nichts sehen konnte. Das und auch die Frage nach Fremd­blut kann ich erst nach Auswertung der Abstriche ma­chen.«

»Das heißt«, griff Sarah den Faden auf, »dass er entweder ein Kondom benutzt hat, oder aber nicht zum Orgasmus ge­kommen ist.«

»Für letzteres spricht die exzessive Gewalt. Vielleicht hat er mit aller Anstrengung versucht, zum Orgasmus zu kom­men, dies jedoch nicht geschafft.«

Sarah nickte.

»Das würde dann möglicherweise auch erklären, dass sie im Anschluss erwürgt wurde, als eine Art Strafe, dass es nicht geklappt hat. Dann wäre eine dauerhafte Anorgasmie möglicherweise das antreibende Moment des Täters, der…«

»Stopp!«

Biermans Einspruch klang zwar hart, aber sein Ge­sichts­ausdruck zeigte, dass er nicht genervt oder verärgert war.

»Bevor wir den Täter zu einem Serienkiller mit sexueller Dys­funktion machen, warten wir doch ab, ob die noch aus­stehenden Informationen nicht auch einfachere Schluss­folgerungen erlauben.«

Jetzt lächelte er sogar.

»Ich weiß, dass Sie in Sachen Profiling über eine bessere Aus­­bildung und sogar über praktische Erfahrung verfügen. Aber vergessen Sie nicht: In den allermeisten Fällen sind die Dinge das, wonach sie aussehen. Und hier sehe ich im Mo­ment eine Vergewaltigung mit anschließendem Vertu­schungs­­mord. Vertuschung in dem Sinne, eine Zeugen­aussage in Form einer Täterbeschreibung zu verhindern.«

Sarah starrte Bierman einige Sekunden an, dann lenkte sie ein.

»Ja, natürlich. Da sind wohl die Pferde mit mir durchge­gang­en.« Sie überlegte kurz.

»Konzentrieren wir uns auf das, was wir haben.« Bierman wandte sich an Schwarz.

»Das Ganze war für den Täter sicherlich körperlich sehr an­stren­gend. Er wird doch sicher ordentlich ins Schwitzen gekommen sein?«

»Davon ist auszugehen. Keine Sorge, ich habe von allen Hautregionen inklusive Gesicht Abstriche gemacht, die dies­­bezüglich untersucht werden. Und natürlich werden die Kleidungsstücke auch entsprechend behandelt.«

»Wie sieht es mit Spermizid aus?«, fragte Sarah.

»Die Ergebnisse kommen mit den anderen Laborbefunden. Eine Sache habe ich allerdings noch.«

Sarah und ihr Partner sahen Schwarz erwartungsvoll an.

»Bei der routinemäßigen Untersuchung der Fingernägel kon­n­te ich Textilfasern sicherstellen. Ob auch Hautpartikel mit dabei sind, kann ich nicht sagen. Aber da ich mich nicht beherrschen konnte, habe ich, bevor die Probe an die KTU ging, schon mal draufgesehen. Die Fasern passen augen­scheinlich zu keinem der Kleidungsstücke, die Frau Schnei­der am Tag ihrer Ermordung trug. Sie hat sich also wahr­scheinlich gewehrt und dem Täter ans Jackett gefasst oder so ähnlich.«

»Und da Sie keine Abwehrverletzungen erwähnt haben, neh­me ich an, dem Täter hat der Griff in seine Kleidung nichts ausgemacht«, stellte Bierman fest. »Dann werden wir auch keine Hautpartikel finden«. Er zuckte mit den Schul­tern. »Sonst noch irgendetwas?«

Schwarz schüttelte den Kopf.

»Also vielen Dank einstweilen.«

Der Rechtsmediziner zog den rechten Handschuh aus und schüttelte den beiden Polizisten die Hand.

»Ich melde mich mit jedem neuen Zwischenergebnis«, ver­sprach er zum Abschluss. Auf dem Weg nach oben sah Sa­rah erschrocken auf ihre Armbanduhr.

»Oh«, sagte sie. Ich habe in zehn Minuten meinen Termin auf dem Schießstand, schaffen wir das noch?«

Bierman ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Jep«, sollte das einzige sein, was er dazu sagte.

Ackerblut

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