Читать книгу Ackerblut - Andre Rober - Страница 11
Bucur Enache musste wie immer
Оглавлениеkräftig an dem Ganghebel rütteln, bis er die störrische Stange in die richtige Position drücken konnte und endlich der gewünschte zweite Gang eingelegt war. Den Renault R390 kannte er bestens, schließlich fuhr er den Sattelschlepper seit nunmehr fast elf Jahren. Als sein Chef die Zugmaschine seinerzeit gekauft hatte, hatte sie knapp fünfzehn Jahre auf dem Buckel und streckenmäßig den Planeten schon fast fünfundzwanzigmal umrundet. Aber sie war gut gepflegt und für die Langstrecken, die das Unternehmen bediente, bestens geeignet. Auf seinen Fahrten über den Balkan, nach Polen, Weißrussland, ins Baltikum und später auch nach Deutschland, Frankreich und Italien hatten sich zusätzliche zwei Millionen Kilometer auf dem Tacho niedergeschlagen. Aber der Renault lief. Mitunter etwas zickig und mit erhöhtem Wartungsaufwand, aber er lief. Für sein Dafürhalten sogar exzellent, jedoch hatte er feststellen müssen, dass die Behörden in Westeuropa unglaublich pingelig in Bezug auf Verkehrssicherheit waren. Zweimal schon, einmal in Deutschland, einmal in Italien, hatten sie ihn aus dem Verkehr gezogen und nach einer oberflächlichen Kontrolle das Fahrzeug zunächst stillgelegt. Der Aufwand und der Ärger, ganz zu schweigen von dem Zeitverlust, waren erheblich gewesen. Das war auch der Hauptgrund dafür, dass er jetzt nicht auf der A8 unterwegs war, sondern um die einhundert Kilometer weiter südlich auf der B31. Auf den Bundesstraßen war die Gefahr einer Kontrolle seiner Einschätzung und Erfahrung nach einfach geringer. Es fehlte meistens einfach an Platz, um eine Kontrollstation mit Waage einzurichten und die LKW herauszuwinken, ohne einen Rückstau zu verursachen. Also investierten er und sein Chef immer etwas mehr Zeit in die Planung neuer Routen, um so wenige Kilometer wie möglich auf den Autobahnen zurückzulegen. Diese Strecke kannte er allerdings schon sehr gut. So gut, dass er den erhöhten Zeitaufwand beim Einlegen der Gänge mit einkalkulierte. Im Höllental gab es so manche Stelle, bei der selbst er sich nicht sicher war, ob die betagte Druckluftbremse den vierzig Tonnen ohne die Unterstützung der Motorbremse ausreichend Kraft für eine angemessene Verzögerung würde bereitstellen können. Wenn es kritisch wurde, musste der Gang sitzen. Die fünf Sekunden, die er mitunter „herumrühren“ musste, konnten im schlimmsten Fall schon zu viel sein. Also leitete er den Schaltvorgang immer rechtzeitig ein, um kein Risiko einzugehen.
»Lassen Sie uns gleich runtergehen«, empfing Schwarz Sarah und Bierman im Eingang zur Rechtsmedizin, nachdem die beiden Polizisten kurz nach dem Arzt mit ihrem Dienstwagen auf den Parkplatz gerollt waren. Er hielt ihnen die Tür auf.
»Nehmen wir doch die Treppe«, schlug er vor und übernahm die Führung. Weder Bierman noch Sarah drängten ihn auf dem Weg zu einer Stellungnahme, und so erreichten sie die Doppeltür zum Obduktionsraum, ohne miteinander zu sprechen. Zunächst durchquerte Schwarz den Raum und holte aus einem mit Milchglas abgetrennten Büroraum einen Stapel Blätter, den er Sarah überreichte und sich im Anschluss OP-Handschuhe überzog. Er nahm einen weißen Kittel von einem Haken und knöpfte ihn wortlos zu. Dann schob er einen Edelstahlwagen zu den Kühlfächern, öffnete ein Fach und zog eine Bahre samt der mit weißem Leinen bedeckten Leiche darauf. Bierman half ihm, das Gefährt so zu platzieren, dass die Bahre auf den Obduktionstisch unter die OP-Lichter geschoben werden konnte. Schwarz deckte die Leiche ab. Frau Schneiders gestern noch geöffnete Augen hatte er offensichtlich nach der Sektion geschlossen. Er nahm Sarah den Papierstapel wieder ab und stellte sich ans Kopfende der Leiche.
»Fangen wir mit der Todesursache an. Wie Sie wahrscheinlich gestern schon vermutet haben, wurde sie mit ihrem eigenen BH stranguliert. Die Würgemale stimmen mit dem spezifischen Muster des Büstenhalters überein, ebenso der Textilabrieb in den tiefen Einschnürungen.«
Er spreizte mit zwei Fingern die dunkle Haut am Hals der Toten, um den beiden Polizisten zu zeigen, wie tief diese Würgespuren waren.
»Zu diesem Zeitpunkt war sie bei Bewusstsein.«
Sarah unterbrach.
»Sie deuten damit an, dass sie zeitweise bewusstlos war?«
Schwarz nickte. Er hob den rasierten Schädel ein wenig an und deutete auf einen dunklen Fleck oberhalb des linken Ohrs.
»Das stammt von einem Schlag mit einem soliden, aber nicht aus Metall oder Stein gefertigten Gegenstand. Da ich auch keine Textilfasern daran gefunden habe, tippe ich auf einen Gummiknüppel oder ähnliches.«
Sarah und Bierman sahen sich das Mal an.
»Dieser Schlag war nicht tödlich, aber die Stelle und die Stärke lassen den Schluss zu, dass sie zumindest kurzzeitig das Bewusstsein verlor. Wie lange weiß ich nicht.«
Er legte den Kopf zurück auf die Stütze.
»Können Sie sagen, zu welchem Zeitpunkt dieser Schlag erfolgte?«, wollte Sarah wissen. »Wurde die Tat damit begonnen oder passierte es irgendwann zwischendurch?«
Schwarz schüttelte den Kopf.
»Kann ich nicht sagen. Mit viel Glück wurde die Tat damit eingeleitet und sie ist erst kurz vor der Strangulation aufgewacht.«
Sarah und Bierman sahen sich kurz an, sagten aber nichts.
»Zu den Verletzungen: Der Täter war genital und mammal fixiert. Ich konnte keine Spuren finden, die auf eine Paraphilie hindeuten. Es gab auch keine anale Penetration. Die Hämatome an den Brüsten stammen von kräftigem Einwirken ohne Werkzeug. Drücken, kneten quetschen, vermutlich mit den Händen.«
»Bissspuren?«, warf Bierman ein.
»Nein. Daher rechne ich bei den Abstrichen auch nicht mit Speichel.«
Er deutete auf die dunklen Verfärbungen unterhalb der Brüste über den Rippenbogen.
»Hier hat er sie oder besser sich festgehalten, während er den Coitus vollzogen hat. Er hat sehr, sehr kräftig zugepackt.«
»Dementsprechend hat sie während des erzwungenen Geschlechtsakts noch gelebt.«
Schwarz blickte auf und sah Sarah zum ersten Mal am heutigen Tag direkt in die Augen.
»Richtig. Alle Verletzungen entstanden prämortal, deswegen die starken Einblutungen.«
»Hautreste oder Schuppen an den Riemen des Büstenhalters?«
Schwarz blätterte einige Seiten weiter.
»Ich habe tatsächlich Abrieb gefunden, konnte das aber unter dem Mikroskop schon als Leder identifizieren. Der Täter hat meiner Meinung nach Wildlederhandschuhe getragen. Aber der BH ist natürlich in der KTU, falls sich noch etwas anderes darauf befindet.«
Er blätterte wieder zurück.
»Bleiben wir zunächst bei den Hämatomen.«
Er wies auf die blauen Flecke an der Innenseite der Oberschenkel.
»Hierbei handelt es sich um die typischen Male bei nicht einverständlichem, extrem harten Geschlechtsverkehr. Die Spuren entstehen beim wiederholten, sehr unbeherrschten, ekstatischen Eindringen in die Vagina durch die Hüften des Täters. Für gewöhnlich, wenn ein Opfer über einen längeren Zeitraum mehrfach missbraucht wird. Oder aber bei ausschweifender Gewalt.«
Sarah biss sich auf die Unterlippe, Bierman runzelte nachdenklich die Stirn.
»Jetzt wird es besonders unschön. Die Verletzungen im vaginalen Bereich sind sehr schwer. Sie haben das Blut gestern ja sicher gesehen. Die Details erspare ich Ihnen beiden, aber das ist das Schrecklichste, was ich bisher gesehen habe.«
Sarah sah an die Decke des Raumes und atmete tief durch.
»Kann es sein, dass der Täter ein Werkzeug dazu benutzt hat?«
»Ausschließen kann ich das nicht. Aber es spricht nichts zwingend dafür. Sollte es ein Werkzeug gewesen sein, war es nichts Scharfkantiges, auch nichts, was übermäßig lang oder übermäßig dick gewesen ist. Also kein Besenstiel oder ein Baseballschläger oder gar ein Messer. Angesichts der anderen Spuren würde ich mich wirklich auf den tatsächlichen Vollzug des Geschlechtsverkehrs in der Missionarsstellung festlegen. Aber eben sehr ex- und intensiv.«
»Spermaspuren? Fremdblut?«, kam Bierman Sarah mit seiner Frage zuvor. »Wenn er mit seinem Genital so wild am Werk war, dürfte er sich doch auch selbst Verletzungen zugezogen haben?«
Schwarz verneinte.
»Spermaspuren kann ich jetzt schon fast sicher ausschließen. Es sei denn, die Menge war so gering, dass ich optisch nichts sehen konnte. Das und auch die Frage nach Fremdblut kann ich erst nach Auswertung der Abstriche machen.«
»Das heißt«, griff Sarah den Faden auf, »dass er entweder ein Kondom benutzt hat, oder aber nicht zum Orgasmus gekommen ist.«
»Für letzteres spricht die exzessive Gewalt. Vielleicht hat er mit aller Anstrengung versucht, zum Orgasmus zu kommen, dies jedoch nicht geschafft.«
Sarah nickte.
»Das würde dann möglicherweise auch erklären, dass sie im Anschluss erwürgt wurde, als eine Art Strafe, dass es nicht geklappt hat. Dann wäre eine dauerhafte Anorgasmie möglicherweise das antreibende Moment des Täters, der…«
»Stopp!«
Biermans Einspruch klang zwar hart, aber sein Gesichtsausdruck zeigte, dass er nicht genervt oder verärgert war.
»Bevor wir den Täter zu einem Serienkiller mit sexueller Dysfunktion machen, warten wir doch ab, ob die noch ausstehenden Informationen nicht auch einfachere Schlussfolgerungen erlauben.«
Jetzt lächelte er sogar.
»Ich weiß, dass Sie in Sachen Profiling über eine bessere Ausbildung und sogar über praktische Erfahrung verfügen. Aber vergessen Sie nicht: In den allermeisten Fällen sind die Dinge das, wonach sie aussehen. Und hier sehe ich im Moment eine Vergewaltigung mit anschließendem Vertuschungsmord. Vertuschung in dem Sinne, eine Zeugenaussage in Form einer Täterbeschreibung zu verhindern.«
Sarah starrte Bierman einige Sekunden an, dann lenkte sie ein.
»Ja, natürlich. Da sind wohl die Pferde mit mir durchgegangen.« Sie überlegte kurz.
»Konzentrieren wir uns auf das, was wir haben.« Bierman wandte sich an Schwarz.
»Das Ganze war für den Täter sicherlich körperlich sehr anstrengend. Er wird doch sicher ordentlich ins Schwitzen gekommen sein?«
»Davon ist auszugehen. Keine Sorge, ich habe von allen Hautregionen inklusive Gesicht Abstriche gemacht, die diesbezüglich untersucht werden. Und natürlich werden die Kleidungsstücke auch entsprechend behandelt.«
»Wie sieht es mit Spermizid aus?«, fragte Sarah.
»Die Ergebnisse kommen mit den anderen Laborbefunden. Eine Sache habe ich allerdings noch.«
Sarah und ihr Partner sahen Schwarz erwartungsvoll an.
»Bei der routinemäßigen Untersuchung der Fingernägel konnte ich Textilfasern sicherstellen. Ob auch Hautpartikel mit dabei sind, kann ich nicht sagen. Aber da ich mich nicht beherrschen konnte, habe ich, bevor die Probe an die KTU ging, schon mal draufgesehen. Die Fasern passen augenscheinlich zu keinem der Kleidungsstücke, die Frau Schneider am Tag ihrer Ermordung trug. Sie hat sich also wahrscheinlich gewehrt und dem Täter ans Jackett gefasst oder so ähnlich.«
»Und da Sie keine Abwehrverletzungen erwähnt haben, nehme ich an, dem Täter hat der Griff in seine Kleidung nichts ausgemacht«, stellte Bierman fest. »Dann werden wir auch keine Hautpartikel finden«. Er zuckte mit den Schultern. »Sonst noch irgendetwas?«
Schwarz schüttelte den Kopf.
»Also vielen Dank einstweilen.«
Der Rechtsmediziner zog den rechten Handschuh aus und schüttelte den beiden Polizisten die Hand.
»Ich melde mich mit jedem neuen Zwischenergebnis«, versprach er zum Abschluss. Auf dem Weg nach oben sah Sarah erschrocken auf ihre Armbanduhr.
»Oh«, sagte sie. Ich habe in zehn Minuten meinen Termin auf dem Schießstand, schaffen wir das noch?«
Bierman ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Jep«, sollte das einzige sein, was er dazu sagte.