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Freiburg im Breisgau, sechs Monate später

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Immer näher kamen sich die beiden Gesichter. Inmitten des lauten Tumultes, der sie umgab, zeigte der eine der bei­den Männer eine konzentrierte Wachsamkeit, während der andere durch den Sehschlitz seiner schwarzen Woll­mütze eine zunehmende Aggression erkennen ließ. Bis auf wenige Zentimeter hatte er seine Nase bereits der seines abwarten­den Gegenübers genähert, und wäre da nicht die Plexiglas­scheibe zwischen den beiden gewesen, hätte er auch vor ei­ner Berührung nicht zurückgeschreckt. Der Polizist, der den Schild zwischen sich und dem vermummten Mann hoch­hielt, ver­mied den direkten Blickkontakt: Er wollte den an­deren unter kei­nen Umständen provozieren, sei es durch ein Signal der Stärke, noch durch die Offensicht­lichkeit von Schwäche oder gar Angst. So lag seine Kon­zen­tration da­rauf, in einer Linie mit seinen Kollegen zu blei­ben und dem physischen Druck der Menschen vor ihnen standzu­hal­ten, ohne jedoch mit zuviel Dominanz den Schild der auf­gebrachten Menge entgegenzuschlagen. Wie lange eine Es­ka­­lation durch dieses Verhalten noch verhindert wer­den konn­te, stand für ihn jedoch in den Sternen.

Das Rufen um sie herum wurde lauter, die Stimmung im­mer explosiver. Plötzlich ging ein Wasserschwall mit der Härte einer Keule über den Mann mit der Wollmütze und seine ebenfalls vermummten Mitstreiter nieder.

Also doch die Wasserwerfer, dachte der Beamte und zog re­flex­artig die Schultern ein wenig nach oben. Der zwölf Bar star­ke Strahl trieb die Gruppe vor ihm mit großer Präzision nach hinten. Der Druck auf dem Schild ließ augenblicklich nach. Als klar war, dass sich niemand mehr der phalanx­ähn­lichen Linie der Uniformierten nähern würde, atmete auch der äußerlich immer noch gelassen wirkende Polizist auf und ließ seinen Schild fürs Erste sinken.

»Kann mir vielleicht jemand sagen, warum Gröber uns ins Sitzungszimmer bestellt hat?« Nico Berner knallte, nach­dem er sich mit einem kurzen Blick durch den Raum von der Abwesenheit seines Chefs überzeugt hatte, die Tür ins Schloss. Von den drei Beamten, die bereits an dem langen Be­s­prechungstisch saßen, zeigte zunächst keiner eine Re­gung. Dann lud ihn Thomas Bierman jedoch mit einer knap­pen Geste zum Sitzen ein. Der Kriminalhaupt­kom­mis­sar war kein Freund vieler Worte, deswegen sagte er nur:

»Die neue Kollegin!«

Nico Berner nahm neben Bierman Platz, ihm gegenüber sa­ßen seine Partnerin Karen Polocek und der dienstälteste Be­am­te des Dezernats, Hans Pfefferle.

»Aha«, murmelte Berner, »hoffentlich hat er sie nicht per­sön­lich ausgesucht.«

Allein der Tonfall ließ seine Skepsis bezüglich der neuen Kollegin und seine Abneigung gegen den Ressortleiter er­kennen. Henning Gröber war, ganz den Kli­schees eines Chefs entsprechend, ein cholerischer Opportunist, der sei­nem akademischen Titel zufolge über ein abgeschlos­senes Jura­studium verfügte. Was die polizeiliche Ermitt­lungs­arbeit anging, war er jedoch keine große Leuchte. Auch wenn er, bedingt durch die Umstruk­turierung der Ab­teilung und das Ausscheiden des allseits beliebten Lei­ters Peter Schmitthen­ner, von Beginn an einen schweren Stand hatte, so trug er durch seine Art keinesfalls dazu bei, die Vorurteile gegen seine Person abzubauen oder seine Unter­gebenen gar von seinen positiven Seiten zu überzeu­gen. Allerdings hatten die Ermittler um Thomas Bierman schnell begriffen, dass Henning Gröber kein Rückgrat besaß und sie im Prinzip wie unter der lockeren Führung von Peter Schmitthenner weiterarbeiten konnten. Ankündigun­gen und Drohungen lie­fen regelmäßig ins Leere und so hatte sich die Gruppe mit dem neuen Posten des Ressort­leiters und der Person Henning Gröber arrangiert.

»Soweit ich weiß, kommt sie irgendwo aus dem Norden und hat ihre Versetzung aufgrund der Härtefallregelung genehmigt ­be­kom­men,« teilte Pfefferle in seiner gewohnt gemüt­lichen Art mit. »Und da bei uns die Planstelle frei war und sie auch unbe­dingt zu uns wollte, lief das rei­bungslos durch. Mehr Infor­mationen habe ich auch nicht. Weißt du irgend­etwas, Thomas?«

KHK Bierman schüttelte den Kopf.

»Nicht mehr als das, was du gerade gesagt hast.«

»Na, wenigstens handelt es sich um eine Kollegin«, stellte Karen Polocek fest. »Dann bekomme ich hier endlich mal etwas weibliche Unterstützung.«

»Als ob du die nötig hättest“, meinte Nico Berner, der sich bei der aufgeweckten und schlagfertigen Kollegin schon die ein oder andere verbale Ohrfeige geholt hatte, trocken. Er schaute auf die Uhr.

»Mal sehen, ob das so ein karriere­versessenes, lesbisches Mannweib ist. Ich würde ja allzu gerne...«

Was er allzu gerne würde, erfuhr niemand mehr, denn noch bevor Thomas oder Karen den sexistischen Rede­schwall unter Protest abwürgen konnten, öffnete sich schwung­voll die Tür zum Sitzungszimmer und die hagere, ausgemergelte Figur Henning Gröbers erschien zwischen den weißlackierten Zargen. Der Ressort­leiter trat nur halb in den Raum und hielt die Türe für seine Begleitung offen. Unter den abschätzigen Blicken der Tischrunde betrat eine etwa achtundzwanzigjährige schlanke Frau mit langen blon­den Haaren den Raum und sah sich offenen Blickes mit einer gewissen Neugier um. Und während Thomas Bier­man verblüfft die Augenbrauen hob und Nico Berner der Mund offen stehen blieb, sagte Gröber:

»Meine Dame, meine Herren, darf ich Ihnen Ihre neue Kollegin Sarah Hansen vorstellen?«

Mit ein wenig Herzklopfen folgte Sarah ihrem neuen Vorgesetzten Henning Gröber den Flur entlang. Gleich würde sie ihre neuen Kollegen kennenlernen. Nach all den Anstrengungen, die es gekostete hatte, endlich hier im K11 der Kriminalpolizei Freiburg angenommen zu werden, waren ihre neuen Partner ein erstes Indiz, ob sich all die Mühen gelohnt hatten. Der Leiter, den sie schon zuvor in zwei Gesprächen begutachten konnte, war freundlich aber auf irgendeine Art unangenehm gewesen. Allein seine War­nung vor ihrem neuen Partner Thomas Bierman, den er als ungehobelt, undiszipliniert und eigenbrötlerisch bes­chrie­ben hatte, war ihr seltsam aufgestoßen. Wobei diese An­merkung eher ihre bis dahin unterschwellige Abneigung gegen Gröber nährte, als ihren neuen Partner Bierman zu diskreditieren. Im Gegenteil, die Neugier auf den Mann, mit dem sie zumindest für die nächsten ein, zwei Jahre eng zusammenarbeiten sollte, wurde dadurch noch mehr ge­weckt. Auch die anderen Kommissare der Gruppe hatte Gröber kurz angesprochen und in groben Zügen soweit be­schrieben, dass sich Sarah sicher war, die vier Kollegen bei ihrer ersten Begegnung zu erkennen. Über keinen der anderen drei hatte Gröber etwas Negatives geäußert und zu guter Letzt auch Thomas Bierman bescheinigt, dass seine Erfolge überdurchschnittlich seien... und sie sich glücklich schätzen dürfe, im Kreis dieser erfolgreichen Gruppe ar­bei­ten zu können. Für Sarah wäre dies die übliche Lob­hu­delei des Chefs gegenüber der neuen Mitarbeiterin ge­we­sen, hätte sie sich nicht im Vorfeld über das Team er­kun­digt. So waren ihr bereits die zum Teil spektakulären Er­gebnisse zu Ohren gekommen, welche die ihrer Meinung nach höchst heterogene Gruppe in der Vergangenheit her­vor­gebracht hatte. Vielfalt schafft eben doch immer wieder Vorteile, dachte sie bei sich.

»So, hier wären wir.« Gröber hielt vor der mit Kleiner Sit­zungs­raum beschrifteten Tür an, wartete noch einige Se­kunden, als ob er Sarah Zeit zum Sammeln geben wollte, und drückte dann die Klinke herunter. Sarah versuchte, als sie den Raum betrat, so selbstbewusst wie möglich, gleich­zeitig jedoch offen und verbindlich zu wirken. Die kurze Vorstellung, die Henning Gröber an seine Mitarbeiter richtete, hörte sie indes nur beiläufig, weil sie sofort die vier Personen musterte, die an dem Konferenztisch saßen. An der linken Seite, der Tür am nächsten, saß ein überge­wichtiger Mann Ende fünfzig, der sie freundlich an­lächelte. Das musste Hans Pfefferle sein, der Dienstälteste, der so wie ihr Partner Thomas Bierman den Rang eines Krimi­nalhauptkommissars bekleidete. Sarah lächelte ein wenig verhalten zurück und wandte den Blick auf die neben Pfef­ferle sitzende Frau. Da sie die einzige weibliche Person im Team war, musste dies Karen Polocek sein, die Jüngste der Ermittlergruppe, der Gröber eine hervor­ragende Intuition und ein ziemliches Temperament be­scheinigt hatte. Die klei­ne, schwarzhaarige Frau grinste breit und hob die linke Hand zu einem kurzen freudigen Winken. Sarah erwiderte den Gruß mit einem einladenden Nicken, dann wanderte ihr Blick auf die andere Seite des Tisches, wo ein gutaus­sehender Mitdreißiger sie unver­wandt interessiert anstarrte und, als sich ihre Blicke trafen, Sarah süffisant lächelnd zu­zwinkerte.

Oh shit, dachte sie innerlich. Er weiß um sein Aussehen und schämt sich nicht, sich als Macho zu geben. Folglich musste es sich bei ihm um Nico Berner handeln. Bei ihm wurde ihr Lächeln ein kaum spürbares Maß reservierter, bevor sie sich der letzten am Tisch sitzenden Person zuwandte. Ihr neuer Partner Thomas Bierman musterte sie. Seiner Miene konnte man lediglich eine gewisse Neugier entnehmen, sie war weder übermäßig freudig, noch in irgendeiner Weise feind­selig und wohl am ehesten als neutral zu bezeichnen. Einen kurzen Augenblick schien er zu über­legen, welche Art der Begrüßung wohl angemessen wäre. Dann nickte er kurz mit dem Kopf und es kam ein knappes Hallo über seine Lippen.

Aha, dachte Sarah bei sich, nicht sehr aufgeschlossen, so wie Gröber es beschrieben hat.

Nichtsdestotrotz ging sie um den Tisch herum auf ihren neuen Partner zu, lächelte charmant und streckte ihm die Hand entgegen.

»Hallo«, sagte sie. »Ich freue mich sehr, hier zu sein.«

Bierman schien etwas verunsichert, stand dann aber doch auf und schüttelte ihre Hand. Ein fester, sehr sachlicher Händedruck.

»Äh, ja, wir uns selbstverständlich auch.«

Sein Blick hielt dem ihren stand und Sarah glaubte in sei­nen Augen einen Funken freudiger Erwartung aufblitzen zu sehen, seine Mundwinkel zeigten die Andeutung eines Lächelns. Sarah nahm neben ihrem neuen Partner Platz und sah wie die anderen in gespannter Erwartung zu Gröber.

»Frau Hansen kommt aus Flensburg zu uns. Und wir dür­fen uns sehr freuen, eine junge und sehr kompetente Kolle­gin in unseren Reihen zu begrüßen. Frau Hansen war maß­geblich an den Ermittlungen zum Monster von Büsum beteiligt. Sie erinnern sich sicher an die Schlagzeilen vor ein paar Wochen.«

Sarah errötete leicht und versuchte, den Blicken ihrer neu­en Kollegen auszuweichen. Den psychopathischen Serien­mör­der, den sie und ihre Husumer Kollegen vor einigen Wochen zur Strecke bringen konnten, hatte die Presse erst im Nachhinein als Monster von Büsum bezeichnet, da erst während der Ermittlungen klargewor­den war, dass er im Laufe der Jahre mindestens sieben junge Frauen entführt und getötet hatte. Dass dieser Fall auch hier im Südwesten bekannt geworden sein musste, entnahm sie den Reak­tio­nen der Kollegen. Während Nico Berner einen aner­ken­nenden Pfiff von sich gab und Hans Pfefferle beein­druckt mit dem Kopf nickte, hob Karen Polocek den Dau­men und flüsterte ein Wow in Sarahs Richtung.

Lediglich Thomas Bierman regte sich nicht und Sarah ver­mutete, dass er über diesen Sachverhalt bereits Bescheid wuss­te. Gröber, von dem Interesse, auf das die Worte bei seinen Mitarbeitern stießen sichtlich beflügelt, ergriff die Chance, die Ansprache fortzuführen.

»Auch wenn wir Ihnen hier im Schwarzwald solch spekta­kuläre Fälle nicht bieten können, so bin ich doch zuver­sichtlich, dass Sie sich hier wohlfühlen werden. Die Stadt und Regio bieten auch in der Freizeit…«

Sarah schaltete ab. Wie immer ihr neuer Vorgesetzter jetzt die Vorzüge Südbadens beweihräuchern würde, sie wollte alles selbst herausfinden und erkunden. Vielmehr musterte sie ihre Kollegen und erkannte an deren Mienen, dass auch sie ganz offensichtlich den Worten des Chefs kein Interesse entgegenbrachten. Karen Polocek, mit deren Blicken sich die ihren trafen, lächelte verschmitzt und verdrehte leicht die Augen nach oben. Sarah grinste wissend zurück. Als Gröber schließlich nach zwei Minuten fertig war, sah sie sich genötigt, aufzustehen und ihm für den herzlichen Em­pfang zu danken und auch ihrerseits der Zusammen­arbeit freudig entgegenzusehen. Dann war die Vorstellung been­det und Gröber ließ die Ermittler allein.

Ackerblut

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