Читать книгу Ackerblut - Andre Rober - Страница 7

»Der Tote heißt Herbert Meyer.

Оглавление

Um genau zu sein, Pro­fes­sor Doktor Herbert Meyer. Er ist hier in Freiburg gemel­det und hat, unseren bisherigen Ermittlungen zufolge, einen Lehrstuhl an der Fakultät für Mikrosystemtechnik inne. Nach Verwandten wird derzeit noch gesucht.« Tho­mas Bier­man warf mit Hilfe eines Beamers ein Bild des Per­sonalausweises an die Leinwand, den die KTU ihnen nach akribischer Tatortaufnahme überreicht hatte. Mehrere Stun­den waren Sarah und Bierman auf dem Feld geblieben, um die Informationen aufzunehmen, die Schwarz und die Kol­legen von der Technik schon geben konnten. Erst als klar war, dass nichts auf die Anwesenheit einer zweiten Person hindeutete, hatten sie den Weg ins Präsidium ange­treten. Dort hatte Pfefferle sie abgefangen und ihnen mitgeteilt, dass er selbst sowie Berner und Polocek sie mangels an­derer Arbeit unterstützen würden. Jetzt saßen alle im Be­sprechungsraum und horchten den Aus­führungen Bier­mans.

»Der Tote weist, sofern das im bekleideten Zustand fest­zustellen ist, keine offensichtlichen äußeren Verletzungen auf, was ebenso wie das Nichtvorhandensein anderer ver­dächtiger Spuren darauf schließen läßt, dass er entweder gestolpert ist, oder aber etwas anderes seinen Zusammen­bruch hervorgerufen hat.«

»Wie kann es sein, dass keine weiteren Spuren gefunden wur­den?« warf Karen Polocek ein. »Da waren doch an die viertausend Demonstranten!«

Bierman sah Sarah aufmunternd an, die auch sogleich das Wort ergriff.

»Die Demonstration fand etwas abseits dieser Stelle statt. Deswegen haben wir die Vermutung, dass Meyer entweder überhaupt nicht an der Demo teilgenommen hat und bereits vorher dort zu Tode gekommen ist, oder aber sich aus der Menschenmenge zurückgezogen hat. Vielleicht weil ihm schlecht geworden ist? Vielleicht, weil er einen Schwindel­anfall hatte? Dr. Schwarz zufolge könnte es sich bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt genau so abgespielt haben. Die genaue Todeszeit und die Ergebnisse der Obduktion wer­den Aufschluss geben.«

Polocek nickte zufrieden. Bierman setzte seinen Vortrag fort.

»Da es laut Schwarz unter Umständen sehr schwierig sein wird, festzustellen, ob Meyers Tod direkt mit den Ein­satz­kräften in Verbindung gebracht werden kann, sei es durch den Druck bei Einkesselung von Aufrührern oder durch den Einsatz der Wasserwerfer, werden wir auf alle Fälle Folgendes tun: Hans, du besorgst die Einsatz­protokolle und den Funkverkehr der Kollegen aus Stuttgart. Und auch die Viedeoaufzeichnungen. Karen, Nico, ihr seht bitte nach, ob wir noch weitere Personalien vor Ort aufgenommen haben. Besucht diese Personen und findet heraus, ob es Zeugen gibt, die irgendetwas gesehen haben. Frau Hansen, wir bei­de ermitteln im Umfeld des Opfers und erkundigen uns bei behandelnden Ärzten, ob Vorerkrankungen bestanden ha­ben et cetera. Noch Fragen?«

Die Ermittler sahen sich kurz gegenseitig an und schüt­telten dann den Kopf.

»Also gut.«, sagte Bierman. »Dann an die Arbeit!«

»Guten Abend, Zimmer 432 bitte« Sarah lehnte sich an den Tresen der Rezeption. Der Concierge griff in den Schrank und überreichte Sarah mit einem freundlichen Lä­cheln den Schlüssel zu ihrem temporären Obdach.

»Bitte schön, keine Post für Sie. Noch irgendwelche Wün­sche?«

»Können Sie mir bitte eine Flasche trockenen Riesling aufs Zim­mer bringen lassen?«

»Einen Durbacher, selbstverständlich!«

»Danke sehr!«

Sarah nahm den Aufzug. Für die Treppen fehlte es ihr nach diesem ersten Arbeitstag an Motivation. In ihrem Zimmer angekommen, entledigte sie sich erst ihrer Jacke und der Schu­he, ging zu ihrem Koffer, den sie bei ihrer Ankunft am gestrigen Abend noch nicht hatte ausräumen können, und suchte sich etwas Bequemes zum Anziehen. Mit einer Baum­woll-Jogginghose, Kuschelsocken, einem T-Shirt und einem Hoodie begab sie sich ins Bad. Bevor sie sich in den Wohlfühlklamotten auf das Bett lümmelte, nahm sie noch den Weinkühler mit der geöffneten Flasche entgegen, zei­chnete auf der Rechnung ab und drückte dem Pagen drei Euro in die Hand. Sie schenkte sich ein Glas ein, legte sich auf das Bett und begann, den Tag zu resümieren. Eigentlich war alles sehr gut verlaufen. Die Kollegen waren alle in Or­dnung. Bierman, ihr Partner, etwas verschlossen, aber si­cher eine interessante Perönlichkeit. Karen schätzte Sarah als offenherzig und empathisch ein, Nico Berner als ein we­nig arrogant und machomäßig. Aber auch er war keinesfalls unsympathisch. Pfefferle mochte sie sehr, er verkörperte so etwas wie den Großvater, der mit seiner gutmütigen Art alles zusammenhielt. Bei Gröber hatte sie im ersten Moment Abneigung verspürt und sie fragte sich, wie manche Men­schen es schafften, ohne viel zu sagen oder zu tun, gleich einen negativen Eindruck zu hinterlassen. Nichts­destotrotz, alles in allem bewertete sie ihre neue Situation als überaus gut. Vor allem, wenn man bedachte, dass sie schließlich ge­wissen Umständen in ihrer Heimat entfliehen wollte, in der Hof­fnung in der Ferne ihre Geschichte besser aufarbeiten zu können.

Als hätte das Schicksal ihre Gedanken mitgelesen, klingelte in diesem Moment Sarahs Handy und im Display blinkte vollkommen unpersönlich Mutter im Rhythmus des Tons.

Sarah verdrehte die Augen, nahm einen Schluck Wein und nahm das Gespräch entgegen.

»Hansen«, meldete sie sich, vielleicht um unterbewusst zu sig­nalisieren, dass ihre Mutter nicht allgegenwärtig war, auch nicht als gespeicherter Kontakt auf ihrem Handy, wo Walburg Hansen durch einen bloßen Anruf eine nicht er­wün­schte Präsenz entwickeln konnte. Diese Präsenz und die damit verknüpften Reaktionen, die sie unweigerlich bei Sarah auslöste, waren ein Grund für ihren Weggang gewesen. Sie hatte festgestellt, dass die Gefühle und Stimmungen sie weniger hart überfluteten, wenn eine räumliche Distanz zu ihrer Mutter bestand.

»Schatz, ich bin es! Ich habe mir ja solche Sorgen gemacht! Warum hast du denn gestern nicht angerufen?«, klang die Stimme weinerlich aus dem Mobiltelefon.

Der Kloß, der augenblicklich von Sarahs Hals Besitz er­griff, ließ sich nicht leicht wegschlucken, doch es gelang ihr, mit neutralem Tonfall und ohne Zittern in der Stimme zu antworten.

»Ich bin gestern erst sehr spät hier angekommen, es war viel Verkehr und bereits dunkel und ich war einfach hunde­müde«, sagte sie und biss sich auf die Lippen, weil sie au­tomatisch in die Verteidigungsrolle geschlüpft war. Das konn­te sie so nicht stehen lassen!

»Außerdem habe ich dir gesagt, dass ich sicher sehr viel zu tun haben werde und nicht weiß, wann ich dich erreichen kann«, fügte sie deswegen noch hinzu und wurde inner­lich drei Zentimeter größer.

»Ach, deswegen bist du auch den ganzen Tag nicht dran­gegangen«, stellte ihre Mutter fest, und Sarah war froh, das Handy den Tag über im Hotelzimmer gelassen zu haben.

»Ja genau. Und ich hatte auch gesagt, dass du mich bitte nur in Notfällen anrufen sollst. Aber gut… wie geht es dir denn? «

Die folgende halbe Stunde bereute Sarah jede ein­­zelne Minute, Waldburg Hansen diese Frage gestellt zu ha­ben, denn das Lamentieren über ihre Einsamkeit, ihre Trauer und das öde Grau, in dem sie ihre letzten Lebensjahre jetzt fristen würde, zogen sie tiefer in eine schlech­te Stimmung, als sie es sich selbst eingestehen woll­te. Doch sie war zu mü­de, um ihrer Mutter die positiven Seiten ihres Lebens vorzuhalten oder sich mit einem men­talen Panzer zu um­geben und auf eine Diskussion einzusteigen, die, wenn es schlecht lief, zu einem emotio­nalen Fiasko an beiden Enden der Leitung führen konnte. Also beschränkte sie sich, wäh­rend sie ihren Wein trank, darauf, brav den aktiven Zuhörer zu mimen und ihrer Mut­ter am Ende des Telefonats eine gute Nacht zu wünschen.

Ackerblut

Подняться наверх