Читать книгу Ackerblut - Andre Rober - Страница 13

In seinem Auto suchte der Mann,

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der in der vorletzten Nacht unbehelligt in der Rechtsmedizin seinen Job verrich­tet hatte, eine geeignete Stelle, um zu telefonieren. Während der Fahrt kam dies für ihn nicht in Frage, denn wegen eines dummen und vermeidbaren Zufalls, von der Polizei unter die Lupe genommen zu werden, konnte er sich nicht leis­ten. In Freiburg hatte er am heutigen Tag schon einmal ver­sucht, seine beiden Kollegen zu erreichen, doch nun war er unterwegs in Richtung Kaiserstuhl, um sicherzugehen, dass seine Anrufe aus unterschiedlichen Funkzellen erfolgten – alles, um für den unwahr­schein­lichen Fall eines Auffliegens seiner Partner schwieriger zu orten zu sein. Jetzt sah er ein Schild, das auf den lokalen Golfclub hinwies, also setzte er den Blinker, bog links ab und suchte sich eine Stelle am hin­teren Ende des geschot­terten Platzes. Dort parkte er rück­wärts im Schatten einer Buche, vergewisserte sich, dass er al­les gut einsehen konnte und stellte den Motor ab. Dann zog er das Prepaidhandy aus seiner Jackentasche und drückte die Wahlwieder­holung. Doch auch diesmal melde­te ihm le­dig­lich die freundlich klingende Frauenstimme, dass die Gegenstelle derzeit nicht zu erreichen sei. Stirn­runzelnd steckte er das Mobiltelefon ein, startete den Wa­gen und bog wieder auf die Hauptstraße.

Als der riesige Faun Autokran den Renault Sattel­schlep­per einige Zentimeter anhob, trennte sich dieser wie er­wartet nicht von dem darunter eingeklemmten Au­to­wrack. Mit größter Vorsicht begutachteten die Ber­gungs­­spe­zia­listen der Feuerwehr die verkeilten Fahrzeuge und setzten hier und da einen gezielten Schnitt mit der Hy­drau­likschere, bis das Auto wieder zurück in seine ur­sprüng­liche Position sackte. Nachdem die Arbeiter sich und ihr Gerät in Sicherheit gebracht hatten, hob der Kran die Zug­maschine um etwa dreißig Zentimeter an, ohne dass sich der PKW darunter bewegte. Nach dem Okay der Feuer­wehr­männer hob der Kranfahrer den LKW weiter an und schwenkte die Ladung im Zeitlupentempo weg von den Trüm­mern des anderen Autos. Imke Gellert stand etwas ober­halb des Unfallortes und beobachtete die Ber­gung. Sämt­liche Unfallfahrzeuge waren schon in Richtung Titi­see-Neustadt abtransportiert worden. Auch die beiden an­deren Sat­tel­schlepper hatte man auf Tieflader gehoben und weg­ge­bracht. Der rumänische Auflieger stand etwas ab­seits und wartete darauf, abgeholt zu werden. Für die Zugma­schine stand ein weiterer Tief­lader bereit, der die Überreste in eine zertifizierte Fach­werkstatt bringen würde, um die genaue Unfallursache zu ermitteln. Interessiert verfolgten Im­ke und einige Kollegen, wie der Kran den R370 behut­sam weiter anhob und ebenso auf dem Tieflader wie­der absetzte. Während die schwere Ladung von Spezial­isten ge­sichert wurde, traten die Bestat­ter an die Reste des PKW. Ausgerüstet mit schulterlangen Gummihandschu­hen, lan­gen Schürzen und OP-Masken machten sie sich daran, die Überreste der Verunglückten in zwei Plastik­säcke zu pa­cken. Auch kleinere Teile wurden in mühsamer Arbeit aus dem Wrack geborgen. Metall­streben und Pedalerie wurden auf Zeichen der Bestatter von den Feuerwehrmännern zer­schnitten oder weggeflext, damit alle Gliedmaßen und ab­ge­rissenen Leichenteile ein­gesam­melt werden konnten. Im­ke wusste: Diese Arbeit brach­te auch die Hartgesottensten des Berufsstandes an ihre psychischen Grenzen. Nicht nur, dass entsetzlich entstellte, unkenntlich zugerichtete Körper­teile eingesammelt werden mussten. Für eine erste Iden­tifikation war es auch er­for­derlich, die Kleidungsstücke nach persönlichen Gegen­stän­den der Opfer zu durch­su­chen. Im besten Fall konnte ein Portemonnaie mit einem Aus­weis oder Führerschein sicher­gestellt werden. Aber auch Schlüssel oder Handys wur­den in nummerierte Tüten gepackt, um sie später zuor­dnen zu können. Zur gleichen Zeit, wie die Bestatter ihrem trauri­gen Metier nachgingen, machten sich Feuerwehrleute am Heck des Wagens zu schaf­fen, um das, was einmal der Kof­ferraum gewesen war, aufzustemmen und die Inhalte zu sichern. Kurz nachdem sie einen Teil des Daches weg­gebogen hatten und den Raum darunter in Augenschein nahmen, rief einer der Feuerwehrleute in Imkes Richtung:

»Wir bräuchten hier mal jemanden von der Polizei!«

Sie hob die Hand und ging hangabwärts, neugierig, was die Männer wohl gefunden hatten, das ihre Beurteilung er­forderte. Am Wrack angekommen, folgte sie mit ihren Blik­ken dem Zeigefinger des Feuerwehrmannes, der sie gerufen hatte. In dem Durcheinander von gequetschtem, defor­miertem Blech, Plastik und Filz konnte sie auch matt­glän­zende Metallteile erkennen. Schnell wurde ihr klar, dass es sich hier um zwei oder drei sehr stark beschädigte Alu­minium­koffer handelte. Einer war derart aufgerissen, dass Im­ke einen Teil des Inhaltes sehen konnte. Vor ihr lagen zwei Faustfeuerwaffen und sie konnte auch eine Ma­schi­nenpistole erkennen. Wegen der 9mm Patronen, die rund um eine aufgerissene Munitionsschachtel lagen, war sie so­fort sicher, dass es sich nicht um Softair oder Gotcha Waffen handelte. Ihr lief es kalt den Rücken herunter.

»Stopp!«, rief sie laut. »Die Arbeiten sofort einstellen, tre­ten Sie bitte alle von dem Fahrzeug zurück! Wir brauchen die Spurensicherung und die Kriminalpolizei!«

Sarah konnte die Freude in ihrem Gesicht nicht gänzlich un­­terdrücken, als sie die Tür zu ihrem Büro öffnete. Ihr Part­ner Bierman, der an dem rechten der beiden sich ge­gen­überstehenden Schreibtische in eine Akte vertieft war, nahm zunächst keine Notiz von ihr. Sie schloss die Tür und blieb provokativ, ohne ein Wort zu sagen mit der Klinke in der Hand stehen. Es dauerte immerhin eine halbe Minute bis Bierman ein wenig irritiert aufschaute.

»Lassen Sie mich raten, Sie möchten mir sicher etwas mit­teilen.«

Sarah nickte.

»Nichts Großartiges, aber ich freue mich darüber«, sagte sie.

»Na, dann mal los.« Wirklich neugierig klang Bierman al­ler­dings nicht.

Sarah zog ihre Heckler&Koch aus dem Halfter und ließ sie mit dem Abzugsbügel an ihrem Zeigefinger baumeln.

»Aha, Sie haben den Schießtest bestanden und Ihre Waffe er­halten. Dann kann ich Ihnen mein Leben ja nun beden­kenlos anvertrauen.«

Ob diese Feststellung einen etwas spöttischen Unterton ent­­hielt oder Bierman einfach ein wenig belustigt auf ihre kindliche Freude reagierte, konnte Sarah nicht entscheiden, dazu war ihr der Kollege einfach noch zu undurchsichtig. Als er aber gratulierte und jetzt sind wir ein vollwertiges Team hinzufügte, war sie sich sicher, dass er sie nicht hatte ver­äppeln wollen.

»Sechsunddreißig aus der vier mal zehn Serie. Zwei neu­ner, eine acht«, teilte Sarah ihr sehr respektables Ergeb­nis mit. »Und der schlechteste Schuss bei allen Übun­gen ei­ne ein­­zige sechs.«

»Nicht schlecht«, antwortete Bierman und Sarah ging an ihren Schreibtisch, auf dem immer noch zwei ungeöffnete Papp­kartons standen.

»Ich sollte mich wohl so langsam mal häuslich ein­richten«, stellte sie mit einem gespielt sorgenvollen Gesicht fest.

Gerade als sie die Pistole wieder in das Gürtelhalfter ge­steckt und einen der beiden Kartons geöffnet hatte, klin­gel­te das Telefon.

»Gröber«, nuschelte Bierman und das angewiderte Gesicht sprach Bände. Doch während des Gesprächs hörte er dem Res­sortleiter aufmerksam zu und legte schwungvoll den Hö­rer auf.

»Das häusliche Einrichten muss warten. Wir treffen uns im Besprechungszimmer mit den anderen. Er will ein Kurz­brie­fing mit uns machen. Anscheinend hat es bei einem Un­fall im Höllental einen Waffenfund gegeben.«

Sarah sah sich das Chaos auf ihrem Schreibtisch an, das sie so gerne in eine geordnete Arbeitsstätte überführt hätte. Nach eingehender Betrachtung der Gesamtsituation ent­schied sie, dass die Seite ihres Partners auch nicht besser aus­sah.

»Okay, dann lassen Sie uns gehen«, sagte sie, zog einen Col­­leg­eblock aus dem Durcheinander und steuerte wieder die Tür an. Bierman stand auf und folgte ihr zu dem Be­sprechungsraum, wo sich bereits der gleiche Kreis einge­funden hatte, wie bei ihrer Begrüßung zwei Tage zuvor.

»Ich möchte es ganz kurz halten«, kündigte Ressortleiter Grö­ber an, nachdem Sarah, Bierman und die Kollegen Po­lo­­cek, Berner und Pfefferle am Konferenztisch Platz ge­nom­­men hatten.

»Wie Sie vielleicht am Rande mitbekommen haben, ist es heute am frühen Morgen zu einer Massenkarambolage beim Gasthaus Sternen gekommen. Mehrere Tote und Ver­letzte, die Bergungsarbeiten sind auch jetzt noch im Gan­ge.«

Nico Berner rümpfte unverhohlen die Nase. Möglicher­wei­se rechnete er damit, dass sie bei den Uniformierten aus­hel­fen sollten und die ziemlich despektierliche Art, in der er die nächste Frage stellte, bestätigte den Anschein.

»Und was hat das mit uns zu tun?«

Gröber blieb sachlich.

»Bei der Bergung eines der zerstörten Fahrzeuge sind ne­ben den beiden toten Insassen auch Waffen gefunden wor­den. Wegen Personalmangels helfen wir an dieser Stelle aus.«

Thomas Biermans Gesichtsausdruck verfinsterte sich.

»Als ob wir nicht auch zu kämpfen hätten«, erboste er sich.

»Wir haben eine komplett unterbesetzte SOKO im Fall Mi­chelle Schneider, und für mich hat er Priorität. Wir spre­chen von Schwarz` Kollegin!«

Gröbers Gesicht wechselte innerhalb weniger Sekunden die Farbe. Doch der von allen erwartete Ausbruch blieb aus. Der Chef atmete dreimal tief durch und griff mit der Rech­ten in die Hosentasche.

»Bierman, Sie, Frau Hansen und Herr Pfefferle werden weiterhin an diesem Fall arbeiten. Frau Polocek und Herr Berner, Sie beide kümmern sich um den Waffenfund.«

Der sonst so ruhige Pfefferle stöhnte.

»Zwei Leute? Weil man eine Waffe gefunden hat?«

Auch wenn Sarah ihren Vorgesetzten noch nicht so gut kann­­te wie die anderen, vermutete sie richtig, dass Gröber mit dieser Maßnahme den anderen Dezernaten demons­trie­ren wollte, wie gut sein „Laden“ organisiert war.

»Ja, zwei Leute. Polocek, Berner, machen Sie sich auf den Weg. Die Aufräumarbeiten gehen nicht weiter, bis Sie und die Spurensicherung den Unfallort wieder freigeben.«

»Sofort?«, fragte Polocek etwas zögerlich.

»Haben Sie nicht zugehört? Ja, sofort! Ich erörtere das wei­tere Vorgehen im Fall Schneider mit Ihren Kollegen.«

Polocek und Berner erhoben sich und verließen wortlos den Raum. Gröber wandte sich an die verbleibenden drei Ermittler.

»Ich habe dafür gesorgt, dass Sie weitere acht Kollegen für die Sonderkommission zur Seite gestellt bekommen. Dann sind das insgesamt zwölf Beamte. Die Mel­dungen aus den Dezernaten liegen schon bei Frau Dörr. Pfefferle, Sie stellen das Team zusammen. Die Tech­niker bauen gerade alles Nö­tige im großen Besprech­ungs­raum auf. Und Sie, Frau Han­sen und Herr Bierman, be­richten mir jetzt mal von Ihren ersten gemeinsamen Tagen!«

Der Mann wusste nicht, zum wievielten Mal er am heuti­gen Tag die Wahlwiederholungstaste gedrückt hatte. In der Hoff­nung, dass diesmal das Gespräch entgegengenom­men würde, lauschte er auf das Piepen, das ihm sig­nal­isierte, dass die Nummer übertragen wurde. Doch er­neut ver­kün­dete die sanfte Frauenstimme: The number you have dialed is temporarily not available, please try again later.

Er runzelte die Stirn. Die zwei Stunden, innerhalb derer das Team gemäß Vorschrift zu erreichen sein musste, war mittlerweile um das Vierfache überschritten. Trotzdem zö­gerte er noch. Ein Blick auf den kleinen, nahezu unzer­stör­baren B&W Outdoorkoffer, der mit zwei Abus Vor­hänge­schlössern gesichert neben ihm auf dem Beifahrersitz stand, beruhigte ihn wieder. Wäre es zu dem Kommu­ni­ka­tions­ausfall gekommen, bevor er dessen Inhalt in der Rechts­medizin hatte sicherstellen können, hätte er sich die Pas­sivität nicht erlauben können. Jetzt aber, da er beide Phasen der Operation erfolgreich abgeschlossen hatte, konnte er seine Wartezeit rechtfertigen. Trotzdem war es jetzt an der Zeit, Lodz zu informieren. Er öffnete die Folie eines ori­ginal­verpackten Prepaidhandys und setzte den Akku ein. Dann griff er in die Innenseite seines Jacketts und holte einen un­scheinbaren Kugelschreiber hervor. Er betrachtete ihn kurz und brach dann das hintere Ende entzwei. Aus einem Bruch­stück lu­gte eine fabrik­neue SIM Card hervor, die er entnahm und in das Mobiltelefon einsetzte. Im darauf ge­speicherten Telefonbuch befanden sich nur zwei Num­mern, von denen er die untere auswählte. Diesmal dauer­te es nur wenige Sekunden, bis am anderen Ende jemand abhob.

»Adamcyk, wie kann ich helfen?«

»Der Einkauf war erfolgreich, aber der Vater hat seine bei­den Kinder verloren.«

»In Ordnung. Wir werden sie suchen.«

Ein Klicken im Lautsprecher und die Leitung war tot.

Der Mann lehnte sich in seinem Fahrersitz zurück.

Wir werden sie suchen.

Das bedeutete für ihn: jegliche Verbindung zu seinen bei­den Kollegen abbrechen und die Spuren vernichten. Er star­te­te den Motor und fuhr auf die Straße. Einen geeig­neten Platz fand er wenig später. Von der spärlich befahr­enen Stra­ße führte ein schmaler Feldweg zu einem kleinen Wäld­chen. Dort angekommen entnahm er dem eben be­nutzen Han­dy die SIM Card, ebenso dem Telefon, mit dem er Verbindung zu seinem Team gehalten hatte. Er packte die beiden Apparate und die Karten und begab sich hinter den mächtigen Stamm einer Eiche. Dort legte er die SIM Karten auf den Boden, die beiden Handys daneben. Dann griff er zu einem Taschenfeuerzeug. Dass sich im Inneren des Edel­stahlkorpus gegenüber herkömmlichen Feuerzeugen die fünf­zigfache Menge hochkomprimierten Gases befand, war dem Gerät nicht anzusehen. Er drehte die Flammengröße auf Maximum, betätigte den Zündknopf und richtete den 1000°C heißen Flammenwerfer zuerst auf die SIM Karten, dann auf die beiden Handys. Es dauerte nur wenige Sekun­den, bis von den Elektronikteilen nur noch ein schwarzer, übelriechender Klumpen aus verbranntem Plastik und Me­tall übrigblieb. Danach ließ er das Feuerzeug einige Minu­ten auskühlen, steckte es wieder ein und fuhr zurück Rich­tung Straße.

Als Karen Polocek und Nico Berner am Höllental eintra­fen, war die Straße ab der Ausfahrt Burg-Birkenhof immer noch gesperrt. Lediglich Anwohner der dahinterliegenden Häuser durften an dieser Stelle weiter auf der B31 fahren. Glücklicherweise funktionierte die Umleitung über Sankt Märgen und den Thurner so gut, dass sie nur unwesentlich mehr Zeit bis zu der Ausleitung gebraucht hatten. Da jen­seits der Absperrung bereits alle Fahrer ihr Fahrzeug ge­wendet und das Höllental verlassen haben mussten, tra­fen die beiden Ermittler eine vollkommen leere Straße an, auf der Nico Berner mit unverhohlener Freude dem Merce­des Kombi die Chance gab, zu zeigen, was er konnte. Karen Po­locek, die sich in der ein oder anderen Kurve krampfhaft an dem Griff über der Beifahrertür festhielt, nahm die Situa­tion trotzdem gelassen.

»Kann es sein, dass dein Date gestern Abend geplatzt ist, oder hat man dir im Fitnessstudio wieder Testosteron un­ter­gejubelt?«, fragte sie spöttisch. »Wenn du so weiter­ fährst, endet unsere Fahrt noch im Acker!«

Berner ließ sich jedoch nicht abhalten, alle drei Spuren der B31 auszunutzen und alles aus dem Auto herauszuholen. Un­ter dem Ruckeln des einsetzenden Antiblockiersystems brachte er das Fahrzeug schließlich wenige Meter vor den Einsatzkräften zum Stehen – nicht ohne das ein oder andere Stirnrunzeln oder Kopfschütteln der Kollegen und Feuer­wehrleute zu provozieren. Hätten sie nicht schon bei Ab­fahrt das Blaulicht auf den zivilen Mercedes gesetzt, wä­ren sie sicher mit einer Hasstirade empfangen worden. Ber­ner und Polocek stiegen aus und bahnten sich den Weg zu dem schwarzen Autowrack, das von Technikern der Spu­ren­si­cherung in ihren weißen Overalls umgeben war. Gera­de als sie ankamen, reichte einer der KTUler eine Tüte an einen weiteren Beamten, in der sich ganz offensichtlich eine Pis­tole befand.

»Hallo Kollegen«, begrüßte Berner alle Anwesenden. »Kön­nen Sie mir gleich mal geben.«

Mit einem Nicken gab der Mann die Pistole an Berner wei­ter. Unter der Sicherheitsbrille und dem Mundschutz des Tech­nikers konnten er und Polocek ein blasses Ge­sicht er­ken­nen. Erst jetzt sahen die beiden Ermittler die ent­setzlich zugerichteten Körper zweier Menschen auf ausge­breiteten Planen liegen. Hier konnte man mit schon­ungs­loser Klar­heit erkennen, was die kinetischen Kräfte des au­ßer Kon­trol­le geratenen LKW mit den beiden Insassen an­gerichtet hatten. Die Bestatter waren mit ihrer Arbeit immer noch nicht fertig. Eben reichte einer der Männer seinen Kollegen ein nicht zu identifizierendes Stück Knochen, an dem blu­tiges Fleisch hing. Ohne das Fundstück näher zu betrachten, legte er es zu den Überresten auf die Plane, die mit Nr. 2 be­schriftet und offenbar dem Beifahrer zugeordnet war. Ber­ner und Polocek sahen sich an und in ihren Blicken war das Mitgefühl für die Bestatter zu erkennen. Obwohl sie selbst im Job immer wieder mit furchtbaren Situationen kon­frontiert wurden, dieser An­blick stellte das meiste bei Weitem in den Schatten.

Berner wandte sich mit der Beweismitteltüte an seine Kollegin, die außer einem etwas gequältem Schlucken äu­ßer­lich nicht auf die Szenerie reagierte.

»Eine G&J HFP im Kaliber 9mm«, sagte Polocek. »Und«, sie drehte die Tüte in Berners Hand etwas ins Sonnenlicht, »die Seriennummer ist entfernt. Professionell, würde ich sagen. Sieht nach Flex mit anschließender Säurebehandlung aus.«

Auch Berner sah sich die Waffe genauer an.

»Sie haben noch mehr?«, fragte er, nachdem er Polocek mit einem Nicken zugestimmt hatte.

»Da drüben in dem Plastikcontainer«, antwortete der blei­che Kol­lege und deutete auf eine transparente Ikea-Box.

Die beiden Ermittler gingen zu der Box, in der weitere Beu-­ tel mit Fundstücken aus dem Fahrzeug lagen. Gut sichtbar war eine MaPi 5 , ebenfalls von G&J und eine weitere HFP. Nach kurzer Begutachtung durch Polocek war klar, dass auch bei diesen beiden Waffen die Seriennummern mit handwerklichem Können entfernt worden waren.

»Zumindest ist eines sicher», meinte Berner trocken. »Grö­ber hat uns nicht umsonst hergeschickt. Waffen mit ver­schleierter Herkunft, eine davon fällt unter das Kriegs­waf­fengesetz… Hier ist etwas oberfaul, wenn du mich fragst.«

Karen Polocek antwortete nicht, sondern untersuchte das Magazin der Maschinenpistole. Durch die Tüte hindurch drückte sie zwei Patronen heraus.

»Megafaul, würde ich sagen«, gab sie schließlich von sich. »Das Magazin ist abwechselnd mit Vollmantel und Hohl­spitz­geschossen geladen. Da weiß jemand, was er tut.«

Berner nahm die Munition ebenfalls in Augenschein.

»Eine Waffe für Notsituationen. Für den ungeplanten Ein-satz, wenn man nicht weiß, ob man hohe Durchschlagskraft oder hohe Mannstoppwirkung braucht. Mir wird ganz an­ders, wenn ich daran denke, was die beiden vorgehabt ha­ben könnten.«

»Auf alle Fälle waren es Profis. Personenschutz? Behör­de?«, stellte Polocek in den Raum.

»Werden wir herausfinden. Auf keinen Fall deutsche Be­hörde. Der Wagen war meines Erachtens einmal ein Land Ro­ver. Unsere Behörden fahren G-Klasse oder M-Klasse be­zie­hungsweise gepanzerte Limousinen von Audi, BMW oder Mercedes. Keine ausländischen Fabrikate.«

Berner runzelte die Stirn.

»Organisiertes Verbrechen? Russische Mafia? Das kann ja hei­ter werden.« Polocek hatte kaum ausgesprochen, als ei­ner der Mitarbeiter der Spurensicherung mit zwei weiteren Tüten auf sie zukam.

»Das dürfte Sie sicher interessieren.«

Er übergab der Ermittlerin die beiden durchsichtigen Be­weis­mittelbeutel. Noch bevor sie sie in den Händen hielt, war ihr klar, dass es sich bei dem Inhalt um Ausweise han­delte. Als sie diese genauer untersuchte, musste sie un­will­kürlich schnauben. Berner, der hinzugetreten war, sah sich die Do­ku­mente ebenfalls an und erkannte sofort den Grund für Polo­ceks Reaktion. Sie hatten Diplomatenpässe in der Hand, aus­gestellt von der Republik Polen.

»Das wird ja immer besser«, murmelte er. »Jetzt haben wir aber was an der Backe!«

Seinem Gesicht nach zu urteilen, sah er bereits Berge von Pa­pierkram, die es zu erledigen galt. Doch zunächst pfiff er die Kollegen von der SpuSi zurück.

»Stopp, Leute! Es handelt sich um Diplomaten. Wir dürfen hier zunächst keine Beweismittel mehr sichern, bis wir das Einver­ständnis des polnischen Konsulates oder Unterstüt­­zung der polnischen Behörden haben!«

Allgemeines Stöhnen bei den Einsatzkräften zeugte von dem Unmut, den diese Nachricht auslöste. Denn nicht nur die Spurensicherung würde bis auf Weiteres vor Ort blei­ben müssen, auch für die Bergungseinheiten, die Feuerwehr und die uniformierten Kollegen bedeutete der Fund, dass der Einsatz jetzt ein offenes Ende hatte. Ja, selbst die Stra­ßensperre und die Umleitung mussten weiter bestehen, bis der Unfallort vollständig geräumt war. Berner wandte sich an eine junge Kollegin, die interessiert in der Nähe stand.

»Haben Sie in Ihrem Fahrzeug einen Scanner?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Aber in dem Kastenwagen dort drüben ist einer.«

Sie folgte Berner zu dem Fahrzeug, während Po­locek ihr Mobiltelefon zückte.

»Ja, Helen? Wir schicken dir gleich zwei polnische Diplo­ma­tenpässe per Mail. Die Inhaber sind unter den To­des­opfern hier beim Unfall im Höllental. Kontaktiere doch bitte die Behörden und sag uns Bescheid, wie das weitere Vorge­hen ist. Super, danke!« Sie gesellte sich zu Berner, der gera­de mit Gummihandschuhen dabei war, die Pässe wieder in die Tüten zu packen.

»Jetzt heißt es warten«, meinte sie und setzte sich auf die Trittstufen des Kastenwagens. Sie beobachteten, wie alle an den Arbeiten Beteiligten etwas Entspannung suchten, sich im Schatten hinsetzten, eine rauchten, oder mit den Handys ihre Familien oder Lebensgefährt*innen anriefen.

Polocek griff in ihre Tasche, förderte eine Tüte Eu­kalyp­tusbonbons zutage und bot ihrer Kollegin und Nico Berner davon an. Beide griffen zu, und als sie sich selbst eines der Bonbons in den Mund schob, registrierte sie, dass im Radio des Polizeiwagens John Lennons Imagine lief – was in einem krassen Kontrast zu den schrecklichen Bildern stand, die sie immer noch im Kopf hatte. Nachdem sie alle schwei­gend auch noch What a wonderful World, My Day, Crocodile Rock und Somethin‘ Stupid gehört hatten, klingelte Poloceks Telefon.

»Das ist Helen«, informierte sie. »Das ging jetzt aber ver­dammt schnell.« Mit dem Mobiltelefon am Ohr stand sie auf und entfernte sich einige Meter von dem Einsatz­fahr­zeug. Als sie nach wenigen Minuten zurückkam, war­tete Nico Berner bereits mit neugierigem Blick.

»Es wird immer bizarrer«, begann Polocek. »Die Polen ha­ben nach ein paar Minuten zurückgemeldet, dass es kei­ne Diplomatenpässe mit diesen Seriennummern gäbe und dass die Nummern auch nicht in den Algorithmus passten, mit de­nen die echten Ausweise erstellt würden.« Sie klappte das Handy zu und ließ es in ihre Tasche fallen.

»Sie behaupten, dass es sich nur um Fälschungen handeln kann und lassen uns deswegen freie Hand bei der Bear­beitung des Falles.«

Nico Berner zerbiss den letzten Rest seines Bonbons.

»Oder aber sie verleugnen ihre Mitarbeiter, deren Mission angesichts der sichergestellten Waffen mehr als zweifelhaft war. Beides höchst nebulös. Ich wette, dass weder Finger­ab­drücke noch DNA-Vergleiche etwas bringen.« Er wandte sich an die wartenden Kollegen.

»Okay Leute, es geht wieder los! Wir machen da weiter, wo wir vorhin aufgehört haben!«

Von der Anstrengung des Tages gezeichnet, aber mit er­kennbar hoffnungsvoller Stimmung, begaben sich die Helfer wieder auf ihre Positionen und nahmen die Arbeit wieder auf. Auch Berner und Polocek fanden sich bei dem zer­störten Land Rover ein, beobachteten die KTUler bei der Arbeit und nahmen Fundstücke in Augenschein. Einer der Beamten, der am Kofferraum zugange war, rief die beiden zu sich.

»Bevor wir das eintüten, wollen Sie sicher schon mal einen Blick darauf werfen!«

Bei näherem Hinsehen wurde den Ermittlern klar, dass ihr Kollege von einem der Aluminiumkoffer sprach, dessen De­ckel durch den Unfall weggerissen worden war. Trotz der Wucht des Aufpralls lagen einige Gegenstände gut sicht­bar auf dem Boden des Behältnisses. Neben zwei Paar Gummi­handschuhen, einem Paar aus Wildleder und di­verser Stoff­fetzen zog eine Tüte die Aufmerksamkeit der bei­den Po­lizisten auf sich. Darin befand sich, deutlich zu erkennen, ein Hartgummipenis mitsamt darübergestülptem Kondom. Beides war blutverschmiert, desgleichen ein Paar Latex­hand­schuhe, die ebenfalls in der Tüte lagen.

»Was zum Teufel ist das?«, zischte Polocek und Berner schüttelte entsetzt den Kopf. »Was ist bloß passiert, bevor die beiden von dem Rumänen plattgemacht wurden?«

Still warteten die beiden, bis ein weiterer KTUler ein Schild mit der Nummer 63 neben den Koffer gestellt und mit sei­ner Digitalkamera aus verschiedenen Winkeln einige Auf­nah­men gemacht hatte. Nachdem ein letztes Mal der Blitz aufgeleuchtet hatte und der Mann in Weiß das Ergebnis auf dem Kontrollmonitor mit einem Nicken und einem zu­frie­denen Grunzen abgesegnet hatte, holte er eine Be­weis­mit­teltüte hervor, drehte sie auf links und stülpte sie über seine rechte Hand. Geschickt nahm er den Penis aus dem Koffer, zog die Tüte zu und reichte sie Polo­cek. Diese nahm sie ent­gegen, warf jedoch nur einen ober­flächlichen Blick darauf und reichte sie an Berner weiter, der mit den Schultern zuckte und sie dem Kollegen zu­rückgab. Sie wandten sich wieder der Kiste mit den ander­en Be­weismitteln zu. Eine Tüte mit einem unver­sehrt wir­kenden Handy erregte Ber­ners Interesse.

»Ist das das einzige Mobile, das Sie gefunden haben?«, frag­te er den nächststehenden Kollegen.

»Nein, schauen Sie mal in die andere Kiste. Da ist noch ei­nes. Noch nicht mal ausgepackt.«

Karen Polocek angelte den Karton aus der anderen Box.

»Okay, die beiden Handys haben Vorrang. Bei dem ge­brauch­ten möchte ich wissen, wem dieser Anschluss gehört, wel­che Nummern in den letzten vier Wochen angerufen wur­den, beziehungsweise welche Nummern angerufen ha­ben. Vielleicht können Sie noch andere Daten extrahieren. Bei dem neuen ermitteln Sie bitte anhand der IMEI, wo und wann es verkauft wurde. Das und alles andere in unser Büro.«

Der Mann im Schutzanzug nickte geflissentlich. Berner deu­tete auf den Hartgummipenis.

»Davon wüssten wir bitte, wer der Hersteller ist und wo man die Dinger kaufen kann. Und eine komplette Blutana­lyse, also Blut­grup­pe, DNA und Toxikologie. Wir brauchen soviele Infos, wie wir kriegen können.«

»Geht in Ordnung, wir schicken alles ans LKA-Labor nach Stuttgart.«

»Ist bereits eine Halterabfrage des Unfallfahrzeuges ver­anlasst worden?«, fragte Karen Polocek.

»Die Kollegen in Blau wollten das eigentlich erledigen.« Der Gefragte deutete auf den Einsatzwagen der Verkehrs­polizei.

»Gut«, entgegnete Berner. Dann lass uns das einsammeln, was wir mitnehmen können, und zurück zum Präsidium fahren. Die werden ganz schön Augen machen…«

Ackerblut

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