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Es war der Wasserwerfer, dessen

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Einsatz die Stim­mung bei der Demonstration eskalieren ließ. Anfangs wurden die Teilnehmer von dem kalten Strahl nur in die Flucht geschla­gen. Jetzt war die Wasserfontäne, die gezielt auf die Perso­nen gerichtet wurde, welche sich den Polizeihundert­schaften näherten, so hart und konzentriert, dass die Men­schen förm­lich weggespült wurden. Kleidung zerriss, mit aufge­schlagenen Knien und gebrochenen Rippen traten die Ge­troffenen den Rückzug an. Manch einer konnte nur noch durch den Matsch kriechen, um zurück in den Schutz der skandierenden Menge zu gelangen. Der Uniformierte in der ersten Reihe, dem die Demonstranten mehrfach sehr nahe­gekommen waren, blickte skeptisch auf den gepan­zerten Wasserwerfer. Immer wieder lösten sich einige Men­schen aus dem Pulk, deren Versuch, sich den Einsatz­kräften zu nähern, sofort mit einem Schwall Wasser abge­straft wurde.

Warum musste die Situation derart entgleiten? fragte sich der Polizist. Die Demonstration bot zwar einiges an Konflikt­po­tential, war bis zu diesem Zeitpunkt aber friedlich ver­lau­fen. Und das Anliegen der aufgebrachten Menge war dur­chaus hehr.

Gegen die Sammlung privater Daten!

Stopp dem Zugriff der Geheimdienste!

Keine totale Überwachung!

Recht auf Anonymität!

Das Volk wird verkauft!

Mein Privatleben gehört mir!

Die Plakate und Banner waren mannigfaltig und zielten al-le auf dasselbe Thema ab: die zunehmende Überwachung der Kommunikation und des öffentlichen Raumes sowie die Speicherung der Daten seitens der Behörden. Entfacht wor­den war die Diskussion, als die EU-Länder als Reaktion auf die Anschläge auf die Züge in Madrid weitgehende Maß­nahmen angekündigt hatten. Neben der Vorrats­daten­spei­cherung, dem Ausbau der öffentlichen Überwachung und des verbesserten Informationsaustausches zwischen den Ge­heimdiensten, war es auch die Neuausrichtung des Joint Situation Center kurz JSC, die den Unmut der Kritiker her­vorrief. Der Polizist war gut informiert. Allzu gerne wäre er auf der anderen Seite der sich immer mehr verhär­tenden Fronten, denn auch seiner Meinung nach war die Konzen­tration und Vernetzung von privaten Daten eine sehr diffu­se, jedoch ernstzunehmende Bedrohung der freien Gesell­schaft. Insofern konnte er nicht verstehen, warum in dieser Härte gegen die Demonstranten vorgegangen wurde. Jen­seits der schlammigen Wiese waren auch Mütter mit Kin­derwagen, Jugendliche, ältere Menschen, ein Quer­schnitt aus allen Bevölkerungsgruppen, die mit ihrer Anwe­senheit und ihrer Stimme der Sorge um eine Zukunft in Freiheit und ohne staatliche Kontrolle Ausdruck verleihen wollten.

Anke Werth konnte sich inmitten der skandierenden Men­ge kaum bewegen. Das Gedränge war so dicht, dass sie keine Chance hatte, darüber zu bestimmen, wohin sie ihre Schritte lenkte. Immer wenn die Masse versuchte, den kal­ten, harten Wasserfontänen auszuweichen, wurde sie mit­ge­rissen; mal in die eine, mal in die andere Richtung. An­fangs, als der Kontakt zu den anderen Demonstranten noch eher locker war und sie, einer Art Schwarmintelligenz fol­gend, selber aktiv in Deckung gegangen war, fand sie das Ganze noch ein wenig belustigend. Ineinander gehakt ver­mittelten die gemeinsame Bewegung und die Sprech­chöre eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl im Kampf gegen ei­nen überlegenen Gegner. Aber jetzt, da sie keine Kontrolle mehr über ihren Körper hatte, missfiel ihr die Situation zu­sehends. Nur zwei Meter neben ihr konnte sie beob­achten, wie eine junge Frau mit einem bunten Kopftuch über ihrem Rastafari scheinbar lautlos schrie und mit den Armen ver­suchte, sich an den Schultern der sie Umgebenden nach oben zu drücken. Auf ihrem geröteten Gesicht machte sich zu­sehends Angst, ja fast Panik breit, während sie, genau wie Anke, in dem Getümmel umhergewirbelt wurde. In der Mas­se wurde die missliche Lage der jungen Frau offen­kun­dig nicht wahrgenommen, nur Anke schien ihr Schick­sal nicht gleichgültig zu sein. Ihre Blicke trafen sich. Für Anke war klar: Sie würde sich nicht ohne dieses Mädchen aus dem Gerangel zurückziehen. Unter dem Ein­satz ihrer Ellen­bogen und mit lautem Schreien arbeitete sie sich das kurze Stück nach vorne. Sie nutzte die erste Chance und griff nach dem Ärmel der ihr unbekannten Frau, die mitt­lerweile wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stand.

»Halt dich fest«, rief sie und versuchte mit ihrem linken Arm eine kleine Lücke offenzuhalten, die sich für einen Mo­ment gebildet hatte. Noch bevor der Wollpullover, in des­sen dicke Fasern Anke ihre Finger krallte, der Belas­tung nach­gab, schaffte es der Teenager ihrerseits, Ankes Hand­gelenk zu fassen. Sofort zog Anke sie zu sich und machte bereits einen Schritt rückwärts, prallte jedoch mit dem Rü­cken gegen eine Mauer von Demonstranten. Un­fass­bar! Es gab immer noch jede Menge Menschen, die weiter in die entgegengesetzte Richtung drückten, um an die Front der Ausein­andersetzung zu gelangen. Bilder von der Love Pa­rade in Duisburg kamen Anke in den Sinn. Auch in ihr stieg nun Panik auf. Immerhin konnte sie die junge Frau, die um Luft rang und einen Arm auf ihre offensichtlich schmer­zende Brust drückte, an der Schulter fassen. Kaum fühlte sie Ankes Umarmung, knickten ihr die Knie ein und sie drohte, zu Boden zu sinken.

»Wir müssen hier raus«, schrie Anke dem Mädchen ins Ohr. Ein dankbarer Blick und eine merklich erhöhte Kör­per­­spannung gaben ihr zu erkennen, dass die junge Frau sich nicht aufgegeben hatte. Gemeinsam stemmten sie sich ge­gen die nachrückenden Demonstranten und Anke tat alles, um die Reihen zu durchbrechen ohne den Kontakt zu ihrem Schützling zu verlieren.

Nach etwa zehn Minuten hatten sie sich durch das Ärgste hindurchgewühlt. Es befanden sich immer noch sehr viele Men­schen um sie herum, jedoch mussten sie sich nicht mehr mit den Ellenbogen den Weg bahnen, sondern konn­ten meist schon mit einem festen Blick die Reihen öffnen und sich ge­gen den Strom fortbewegen. Erst als sie nur noch vereinzelt auf jemanden trafen, schlugen sie den Weg zum Rand des Feldes an. An einem tiefen Wassergraben sanken sie schließlich Arm in Arm zu Boden. Die junge Frau weinte bitterlich und musste zwischendurch heftig hus­ten. Anke strich ihr über die Rastalocken und sprach be­ruhi­gend auf sie ein.

»Ist ja gut, es ist vorbei! Du hast es geschafft!«

Das Mädchen nickte, hob den Kopf und lehnte ihn an An­kes Schulter. Bis auf die verquollenen Augen war sie sicht­lich entspannter, die angestrengte Röte war einer der Er­schöpfung geschuldeten Blässe gewichen. Anke betrach­tete das hübsche Gesicht des Teenagers. Sie war bestenfalls sieb­zehn Jahre alt, hätte somit Ankes Tochter sein können. Mit ein wenig Stolz über ihre erfolgreiche Rettungsaktion lä­chel­te sie verhalten, während sie weiter Augen, Nase und Mund des Mädchens studierte. Nach einer Weile öffnete sie die Augen und musste ebenfalls lächeln.

»Glaubst du, du bist verletzt? Soll ich dich zu einem Arzt bringen?«, fragte Anke.

Mit einem Kopfschütteln richtete sich die junge Frau auf und setzte sich auf ihre Fersen.

»Ich bin okay«, sagte sie und tastete ihre linke Seite und die Brust ab.

»Ein paar blaue Flecke, fürchte ich, aber mehr nicht.«

Sie lehnte sich ein wenig zurück und sah sich um.

Anke beobachtete sie, wie sie erst die tobende Menschen­menge betrachtete, dann das freie Feld in Augenschein nahm und schließlich mit müden Augen in den Wasser­graben starrte. Zuerst schien es Anke nur ein Blick ins Leere zu sein, doch dann bemerkte sie eine Ver­änderung im Ausdruck ihres Gegenübers. Ein kaum wahrnehmbares Stirnrunzeln, dann wurde ihr Blick fester, so, als ob etwas ihr Interesse erregt hatte, sie aber noch nicht in der Lage war, zu erkennen um was es sich dabei handelte. Neugierig ver­folgte Anke die Nuancen im Mienenspiel des Mädchens, dessen Augen nun eindeutig etwas fixierten. Als die Un­gläubigkeit aus dem Gesicht gewichen war und sich zuneh­mend Entsetzen breitmachte, spürte Anke, dass der Teen­ager ihre Hand förmlich zerquetschte. Sie folgte dem Blick hin zu einer Stelle, die sich um die fünfundzwanzig Meter ent­fernt im Wasser des etwa anderthalb Meter tiefen Gra­bens befand. Erst konnte sie nicht erkennen, was die junge Frau derart erregte. Doch dann erkannte sie die Sohlen zwei­er Stiefel, die in ihre Richtung zeigten. Anke legte die Hand auf den Mund! Was sie zuerst für einen Ast gehalten hatte, in dem sich eine Tüte oder ein Stück Stoff verfangen hatte, identifizierte sie nun als einen Arm, der seltsam abgewinkelt an der Böschung aus dem Wasser her­ausragte. Nun war es eindeutig: Im Wasser lag, mit dem Ge­sicht nach unten, ein menschlicher Körper!

»Thomas?« Helen Dörr, Gröbers Sekretärin und die gute Seele der Abteilung, steckte den Kopf in den Besprechungs­raum, wo immer noch Bierman, Polocek und Berner bei­sammensaßen und Sarah einen Einblick in die polizeiliche Arbeit in der Breisgaumetropole gaben. Natürlich war auch der ein oder andere Tipp zur Wohnsituation, zu Gastro­nomie oder Freizeitaktivitäten zur Sprache gekommen. Ge­ra­de hatte sich Nico Berner Sarah als ihr persönlicher Be­glei­ter für das städtische Nachtleben angeboten, als das Klop­fen Berner fürs Erste vor der Peinlichkeit einer höf­li­chen aber sehr bestimmten Abfuhr bewahrte.

»Ja, Helen, was gibt’s?« Bierman unterbrach Berners Rede­fluss mit einer rüden Geste seiner rechten Hand.

»Wir haben einen Todesfall bei der Großdemo am Flug­platz.« Helen betrat das Besprechungszimmer.

»Nachdem die Situation eskaliert war und die Menge mit Was­serwerfern aufgelöst wurde, fand sich in einem der Abwas­sergräben eine männliche Leiche. Jetzt werden natürlich die Ru­fe laut, die Einsatzpolizei hätte den Tod verschuldet. Ziem­lich aufgeheizte Stimmung da draußen.«

Nico Berner verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Helen fuhr fort.

»Das Einsatzteam der Schutzpolizei, das die Demo betreut hat, kommt aus Stuttgart, so dass nichts dagegenspricht, wenn wir die ersten Ermittlungen durchführen. Gröber möch­te, dass du«, sie wandte sich an Bierman, »Frau Han­sen mitnimmst und ihr zwei alles in die Wege leitet.«

Bierman stand auf.

»Okay.«

Er richtete seinen Blick auf Sarah.

»Sind Sie bereit? Fehlt noch was in Ihrer Ausrüstung?«

Sarah erhob sich ebenfalls.

»Meine Waffe habe ich noch nicht, die bekomme ich mor­gen. Ich muss noch auf dem Schießstand den sicheren Um­gang demonstrieren und die erforderlichen Schieß­ergeb­nisse erreichen. Ansonsten bin ich vorbereitet.«

Sie schob ihren Stuhl an seinen Platz.

»Aber ich glaube nicht, dass ich sie jetzt brauchen werde, oder?«

Bierman schüttelte den Kopf.

»Sicher nicht.«

Er packte seine Unterlagen zusammen und steckte sie in eine speckige Ledertasche.

»Und Sie müssen hier nochmal den Umgang mit der Schuss­waffe unter Beweis stellen, obwohl Sie schon in Schles­wig-Holstein bei der Polizei waren? Seltsam.«

»So wollen es wohl die Vorschriften. Außerdem hatte ich in Schleswig-Holstein die Sig Sauer P225 und hier wird seit kurzem die Heckler und Koch P2000 ausgegeben.«

Bierman zuckte mit den Schultern.

»Habe mir auch sofort eine H&K geben lassen, auch wenn die alten P5 weiterbenutzt werden sollten.«

Er steuerte die Tür an. Sarah folgte ihm aus dem Raum, den er, ohne sich von den anderen zu verabschieden, ver­ließ.

Ackerblut

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