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Lennart ist mit seiner Mutter im Sony Center am Potsdamer Platz verabredet. Ihr Chef und ihre gesamte Abteilung haben dort ein Meeting mit Investoren, danach möchte sie mit ihm shoppen gehen. Angeblich brauchen sie noch Sachen für die neue Wohnung.

Von dem modernen Berlin hat Lennart bisher nicht viel gesehen. Was für eine Gegend! Ein Gefühl, als wäre er in New York: Glastürme, Stahl, ein ovaler Platz. Kinos, Restaurants, Cafés. Kameras, Bühnen, flackernde Werbetafeln. Business-Leute mit Aktentaschen, asiatische Touristen in Schwärmen, Jugendliche im Selfiefieber. Alles unter diesem spektakulären Zeltdach.

Da oben hat der Chef seiner Mutter den teuersten Konferenzraum angemietet, den man in Berlin bekommen kann, die sogenannte Bel Étage. Er lässt potenzielle Geldgeber aus der ganzen Welt einfliegen und in Luxussuiten unterbringen, wirbt aber für möglichst simple Verfahren zur Energiegewinnung aus Biomasse. Kraftstoffe aus Algen, das hört sich schon so eklig an. Damit soll für die Ärmsten der Armen erschwingliche Energie produziert werden. Der Typ sieht sich selbst als Visionär, vielleicht ist er auch nur größenwahnsinnig.

Die Bel Étage hat eine Terrasse, bestimmt stehen sie gerade da oben und schauen auf ihn und die anderen Leute hinunter. Irgendwie gefällt ihm die Vorstellung nicht, er kann nicht mal sagen, warum.

Sie sind in einem Donut-Laden verabredet, die ganze Einrichtung ist hip und rosa, es gibt merkwürdige Spezialitäten wie gesalzenen Caramel Latte. Kaffee mit Salz, würg. Bekäme er hier spontane Sehstörungen, wüsste er nicht mal, ob sie von seiner Migräne kämen oder von der Umgebung.

Lennart bestellt einen Donut und knabbert lustlos daran rum. Zum Glück dauert es nicht lange, bis seine Mutter aufkreuzt. Sie hat ein elegantes Kostüm und hohe Schuhe an. Kaum zu glauben, dass sie vor drei Wochen noch Vogelkäfige ausgemistet hat.

»Alles okay mit dir?«, fragt sie. »Du bist sehr blass.«

»Musste eine Tablette nehmen, war aber kein Problem.«

Sie sieht ihn skeptisch an. »Ist es dir zu anstrengend, wenn du allein mit Bus und Bahn durch Berlin fährst?«

»Ich bin dreizehn und kein Baby mehr. Das klappt schon mit dem Bus.«

Mehr erzählt er lieber nicht von seinem Tag. Seine Mutter macht sich immer so schnell Sorgen, da wechselt er besser das Thema. »Sam hat mich auf dem Handy angerufen. Er meinte, ihr hättet eine Überraschung für mich. Er wollte nur wissen, ob ich am nächsten Donnerstag Zeit habe. Mehr hat er nicht verraten, scheint ja ein großes Geheimnis zu sein.«

»Wie schön, wenn das klappt. Du hast recht, im Grunde dürfen wir nichts darüber verraten. Sie führen eine Neuentwicklung vor, und wir haben gedacht, bei der Gelegenheit könntest du das FUTURE-Institut kennenlernen.« Sie bestellt bei der Kellnerin einen Espresso.

»Darf ich eine Freundin mitnehmen?« So ein Institut für Zukunftstechnologie ist bestimmt das Richtige für Mia.

Seine Mutter sieht ihn interessiert an. »Du hast hier in Berlin schon eine Freundin gefunden? Das ging ja schnell.«

Lennart merkt, wie er rot wird. Eigentlich ist Mia keine richtige Freundin, dafür kennen sie sich erst viel zu kurz. Sie ist ziemlich tough, macht seit Jahren den Kampfsport Wing Tsun. Daher auch ihr Selbstbewusstsein im Bus, als der betrunkene Jugendliche auf sie zukam. Manchmal schaut er sich heimlich Tutorial-Videos auf YouTube an und versucht sich selbst ein paar Techniken beizubringen. Wenn seine Mutter nur nicht so überängstlich wäre.

»Wer ist sie denn, deine Freundin?«

»Och, nur ein Mädchen, das auch eine Garage bei My Guard Storage hat.«

Seine Mutter hebt überrascht die Augenbrauen. »Was macht das Mädchen denn dort?«

Gute Frage, nicht leicht zu beantworten. Den halben Nachmittag hat er Mia geholfen, ihr Falkennest, wie sie die Garage mittlerweile nennt, einzurichten. Am Ende hatten sie die Spielwaren für den Kiosk ihrer Eltern im hinteren Bereich gestapelt und im vorderen Teil eine Art Computerwerkstatt eingerichtet.

»Ihre Eltern sind Vietnamesen, sie haben einen Kiosk, hier in Berlin nennt man das Späti. Mia hilft ihnen beim Schriftverkehr und hat da ein kleines Büro.« Ganz falsch ist es nicht, was er erzählt.

»Das finde ich aber nett. Sag ihr bitte, sie soll einen Personalausweis mitbringen. Ohne kommt man nicht in unser Institut rein.« Sie winkt wieder nach der Kellnerin, dabei hat sie ihren Espresso noch vor sich stehen. Wollten sie nicht shoppen gehen?

»Was machen wir hier überhaupt?«

Seine Mutter sieht auf die Uhr und trinkt den Espresso in einem Zug aus.

»Du hast recht. Lass uns gehen.«

So wie sie es sagt, spürt er gleich, dass was nicht stimmt. Sie ist zu nervös, das ist eine Falle.

»Wir gehen aber nicht wieder zu einem Psychotherapeuten, oder?«

Sie stopft ihr Handy in ihre Tasche und lässt sie zuschnappen. »Nein, kein Psychotherapeut.«

»Was dann?«

»Sie ist Heilpraktikerin, eine sehr nette Frau. Ich hatte schon einen Termin bei ihr, sie kennt sich mit Aura-Migräne bestens aus.«

Er wusste es! Lennart zieht sein Handy heraus. »Wie heißt sie?«

»Frau Herzig. Ihre Praxis ist direkt um die Ecke. Wir sind gleich da.«

Lennart gibt die Info ein und hat sofort einen Treffer. Naturheilpraxis mit Herz, das hört sich erst mal ungefährlich an. Doch dann stößt er auf ihr Spezialgebiet: Hypnose. Anzuwenden bei Depressionen, Ängsten, Phobien, Panikattacken und körperlichen Beschwerden wie … Weiter liest er nicht.

»Ich bin kein Psycho.«

»Das glaubt auch keiner.«

»Ich geh da nicht hin.«

»Die Hypnosetherapie ist eine der wirkungsvollsten Therapiemethoden, die es gibt«, erklärt sie, »harmlos und schmerzfrei. Du musst dich nur darauf einlassen.«

»Mach ich aber nicht.«

»Wie kannst du nur so stur sein! Harro hat mir erzählt, du hättest wieder ständig Probleme.«

»Harro hat was?« Dabei hat er dem alten Falkner vertraut.

»Versteh doch, Lennart, wir machen uns alle Sorgen.«

Lennart springt auf. »Vielleicht könnt ihr mich einfach in Ruhe lassen. Danke fürs Mitfahrangebot, ich nehme den Bus.«

Falcon

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