Читать книгу Falcon - Andrea Rings - Страница 6
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ОглавлениеMia hat die Nase voll von diesem Typen, der seit Stunden den Internetzugang im Späti ihrer Eltern blockiert. Ausgerechnet am Prime Day! Da zählt jede Minute, wenn man gerade dabei ist, die Komponenten für einen neuen Rechner zusammenzustellen.
»Wird Zeit, dass ich ein eigenes Büro bekomme«, meckert sie ihre Mutter an und wirft dem Kunden einen bösen Blick zu.
»Er gehört zu Onkel Phongs Leuten, die umsonst …« Ihre Mutter flüstert es nur, den Rest kann Mia sich denken. Sie kennt diese Typen. Früher hatten sie einen brutalen Gesichtsausdruck, heute tragen sie Anzug und Krawatte, und ihre feingliedrigen Finger huschen nur so über die Tastatur. Sie zwingen Leute, geschmuggelte Zigaretten oder Waren zu überteuerten Preisen abzunehmen, und versprechen dafür Schutz. Seit Neuestem installieren sie sogar Kameras, damit sie den Warenverkehr und die Einnahmen besser überwachen können. Natürlich wird es so dargestellt, als sei das eine ganz besondere Dienstleistung. Zum Glück hält Onkel Phong seine Familie größtenteils aus seinen Geschäften raus, doch kleine Gefälligkeiten erwartet er schon. Wie zum Beispiel den kostenlosen Internetzugang für seine Leute.
Neugierig stellt sie sich hinter den Mann. Auf dem Bildschirm sieht man die Aufnahme aus einem anderen Späti. Sie kann den Kassenbereich genau sehen, die Frau hinter der Theke ist auch Asiatin. Oft sind das fleißige Leute, die mit der gesamten Familie arbeiten müssen und den Laden bis Mitternacht offen halten. Davon können sie dann gerade so leben, denn die angeblichen Beschützer kassieren den Löwenanteil der Einnahmen.
»Ist was?«, fragt der Typ mit einem scharfen Unterton.
Mia stemmt die Hände in die Hüften. »Nö, wollte nur mal sehen, wen Sie heute so erpressen.«
Er sieht ihre Mutter an. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr euch eine derart freche Göre leisten könnt. Auch wenn Phong dein Schwager ist.«
»Mai …«, sagt ihre Mutter streng.
»So heiß ich nicht!«
In dem Moment kommt ihr Vater von hinten in den Laden, er trägt eine Kiste mit Chips und Keksen. »Was ist hier los?«
»Deine Tochter Mai riskiert eine große Lippe«, sagt der Typ, dessen Laptop das Lan-Kabel belegt. »Sie ist schlecht gelaunt, weil ich euren kostenlosen Service nutze.«
Was für ein Idiot! Mia könnte ihm sofort an die Gurgel gehen. »Ich heiße Mia, und den Namen hab ich mir selbst ausgesucht. Das bedeutet nämlich die Widerspenstige.«
Ihr Vater verdreht die Augen. »Kommst du bitte mit nach hinten, Mai.« Es ist eine Aufforderung, keine Frage.
Der unsympathische Typ ruft ihnen hinterher: »Ja, mach ihr klar, wie schlecht ihre Aufsässigkeit bei deinen Kunden ankommt.«
Mia folgt ihrem Vater ins Hinterzimmer. Er schließt die Tür, damit niemand im Laden hören kann, was gesprochen wird.
»Heute ist Prime Day, und ich brauch noch Sachen für den neuen Rechner, die sind bis zu vierzig Prozent günstiger«, sprudelt es aus ihr heraus, »da kommt dieser Schutzgeldfuzzi von Onkel Phong und blockiert über Stunden unser Internet!«
Ihr Vater verschränkt die Arme. »Er hat leider recht. Du riskierst eine große Lippe, das wird sich dein Onkel nicht gefallen lassen. Wenn er sein Gesicht verliert, haben wir nichts zu lachen.«
»Aber …«
»Nichts aber. Das muss aufhören.«
»Ich denke, ich soll mit dem neuen Rechner eine Internetseite für den Späti einrichten und unseren Steuerkram darüber regeln.«
»Ja, schon.«
»Dann brauch ich auch gutes Netz. Unser WLAN funktioniert nicht mal.«
Ihr Vater schüttelt den Kopf. »Man kann nicht immer mit dem Kopf durch die Wand. Du musst ein wenig klüger sein, Mai.«
Wie sie es hasst, so genannt zu werden. Mai bedeutet Mandelblüte, das klingt brav und lieblich, geradezu ekelhaft. Zum Glück kennt an ihrer Schule niemand diesen Namen. Sie hat allen erklärt, in ihren Unterlagen sei ein Buchstabendreher. Und im Wing Tsun-Verein hat sie einfach die Anmeldepapiere gefälscht. Ist keinem aufgefallen.
»Ich glaube, es ist besser, wenn du keinen neuen Rechner im Laden aufbaust.«
Was soll das denn schon wieder? Der alte Laptop hängt sich ständig auf, es war ausgemacht, dass sie endlich den Rechner mit Octa-Core-Prozessor bekommt, von dem sie seit Ewigkeiten träumt. Ihre Eltern haben versprochen, die Hälfte der Kosten zu übernehmen, wenn sie ihn auch für den Laden einsetzt.
»Mach nicht so ein Gesicht«, sagt ihr Vater lächelnd, »ich habe mir überlegt, wir haben doch diese Garage gemietet. Da ist es warm und trocken, wir lagern da nur Spielsachen und Elektronik. Im Prinzip könnte man dort einen Computerarbeitsplatz einrichten. Ist nicht sehr komfortabel, aber ruhig.«
»Ehrlich?« Mia spürt, wie ihr Tränen in die Augen steigen. Ihr Paps ist doch der Beste. »Ein eigenes Büro für mich?«
Als er nickt, fällt sie ihm um den Hals. »Du wirst sehen, ich bau dir die tollste Internetseite, die ein Späti je gehabt hat. Und dann richte ich dir einen Warenkorb ein, und wir bieten einen Lieferservice an. Die kaufen das Zeug wie verrückt, und mit dem Online-Geschäft werden wir ganz unabhängig von der Familie, dann sind wir frei.«
Er klopft ihr auf den Rücken. »Es gefällt mir, wenn du dich für unser Geschäft einsetzen möchtest. Aber mach dir nicht zu viele Hoffnungen, die Familie gehört nun mal dazu. Und egal was du tust, es wird jemanden geben, der versucht, dir das Leben schwer zu machen. Du musst deinen Verstand einsetzen und deinen vorlauten Mund hüten.«
Mia löst sich von ihrem Vater und schaut ihm in die Augen. »Und immer schön brav und lieblich sein, nicht wahr? Fleißig und gut erzogen.«
»Natürlich, so verlangt es die Tradition, meine kleine Mandelblüte. Klugsein bedeutet auch, nicht aus der Deckung zu gehen, im Hintergrund zu bleiben.« Er tippt mit dem Finger auf die Lippen und schaut sich im Raum um.
Gibt es hier auch Kameras? Oder Abhörsysteme?
»Ein Büro in einer Garage kann eine kluge Entscheidung sein«, sagt er bedeutungsvoll. »Und außerdem wirst du dann unsere Kunden weniger nerven«, fügt er lächelnd hinzu.
Mia ist sprachlos, eigentlich hat sie geglaubt, ihre Eltern würden sich die Erpressungen ihres Onkels ohne Widerstand gefallen lassen.
»Eins musst du mir versprechen, mein Kind.« Wenn er so redet, erwartet er von ihr eine Verbeugung und keine Widerworte.
»Ich höre, mein Vater.«
»Wir haben dir einmal den Namen Mai gegeben. Auch wenn er dir nicht gefällt, dürfen wir als deine Eltern dich immer noch so nennen.«
»Ja, Vater«, sagt Mia folgsam, »ich würde mich freuen, wenn du mich so nennst.«