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„Eine Frau voll männlichen Geistes“

Friederike Caroline Neuber

Name: Friederike Caroline Weißenborn, verh. Neuber(in)

Lebensdaten: 8. März 1697 in Reichenbach/Vogtland – 29. November 1760 in Laubegast bei Dresden

Genre: Allroundkünstlerin, Theaterprinzipalin und -reformerin

Besonderheit: erste bedeutende Frau auf deutschen Bühnen

Wenn die junge Friederike Caroline eines wollte, dann weg aus ihrem Vaterhaus, in dem nur Gewalt und Unterdrückung herrschten, fort in die Welt der Bücher und des Theaters. Erst beim zweiten Anlauf sollte dies glücken und die nächsten 45 Jahre verbrachte sie mit ihrem Mann als Wanderschauspielerin. Auch wenn nicht alle ihre Wünsche in Erfüllung gingen, so war sie doch eine der großen Persönlichkeiten der deutschen Theatergeschichte des 18. Jhs.

Wer war das?

Friederike Caroline wurde als einzige Tochter der Eheleute Weißenborn im Vogtland geboren. Ihr Vater war Gerichtsinspektor, später Notar, und führte in seinem Haus ein strenges Regiment. Als die Tochter 8 Jahre alt war, starb ihre Mutter und die Nachbarn munkelten, dass der gewalttätige Vater, der beide regelmäßig misshandelte, daran nicht ganz unschuldig sei. Friederike hatte bis dahin nur die Grundlagen im Lesen, Schreiben und Rechnen, aber auch der französischen Sprache von ihrer Mutter erlernen können. Von jetzt an erzog der strenge Vater sie zu seiner Assistentin und willfährigen Gehilfin. Sie erlernte so den Juristenjargon, der ihr später beim Verfassen von Bitt- und Dankesbriefen von großem Nutzen sein sollte.

Mit 15 Jahren verliebte sie sich in einen Mitarbeiter ihres Vaters, einen schwachen Mann, der nicht in der Lage war, sein Versprechen von Flucht und Ehe in die Tat umzusetzen. Das junge Paar wurde nach wenigen Tagen festgenommen und für 13 Monate ins Gefängnis gesteckt, woraus sie erst ein königlicher Erlass August des Starken wieder befreite. Vier Jahre später floh die verzweifelte Friederike erneut, diesmal mit dem fahrenden Schauspieler Johann Neuber, und nun mit vergleichsweise glücklichem Ende – beide schlossen sich der Spiegelberg’schen Komödiantengesellschaft an und heirateten zwei Jahre später.

Was hat sie berühmt gemacht?

1725/27 erhielt „die Neuberin“, wie man sie jetzt nannte, Gelegenheit, nach dem Ende der Haack-Hoffman’schen Truppe diese neu nach ihren Vorstellungen zu organisieren und zu leiten. Zwar war ihr Mann auf dem Papier der Chef, aber in Wahrheit hielt sie die Fäden in der Hand. Sie hatte die Vision von einem völlig erneuerten deutschen Schauspiel, dessen Ziel es war, hauptsächlich deutsche Stücke zu spielen. In Ermangelung solcher orientierte man sich aber auch an ausländischen Vorbildern bzw. bot übersetzte Stücke, meist aus dem Französischen, an. Vor allem aber sollte das Niveau deutlich gehoben werden – das Treiben des allgegenwärtigen „Hanswurst“, einer sehr populären Burleskenfigur, die vor keinem zotigen Witz zurückschreckte, sollte ein für alle Mal beendet werden. Die Neuberin wollte ihre Schauspieler zu vollwertigen Bürgern machen und verordnete ihnen daher strenge Disziplin, Moral und tadelloses Benehmen. Bald stachen ihre Mitglieder, für die sie wie eine Mutter wirkte, positiv aus der Masse der verachteten Fahrenden heraus und wurden öffentlich nicht nur für ihre Spielleistungen gelobt.

„Eine Frau voll männlichen Geistes“

In der Denkweise des 18. Jhs. bedeutete das Verhalten der Friederike Caroline Neuber, dass sie alles das tat, was man normalerweise von einem Mann erwartete. Sie war, zumindest im Rahmen der ihr gebotenen Möglichkeiten das, was wir heute eine „emanzipierte Frau“ nennen würden: gebildet und intelligent, eine talentierte Theaterfrau in allen Bereichen bis hin zu Tanz und Dichtkunst, lebenshungrig und dabei höchst moralisch, undiplomatisch und kühn bis hin zu fast größenwahnsinnig, wenn es um ihre Vision einer Theaterreform ging. Ihr Vater hatte es nicht geschafft, diesen unbändigen Geist und Lebenswillen in seiner Tochter zu unterdrücken – umso weniger konnten es das harte Leben als Chefin einer wandernden Theatertruppe, die das ganze Jahr über von Auftritt zu Auftritt unterwegs war und dabei der Missgunst ihrer Mitmenschen und auf den unbefestigten Straßen den Unbillen der Witterung ausgeliefert war. Wäre die Stimmung in den deutschen Fürstentümern damals schon ein wenig liberaler gewesen, hätte sie mehr als das schon Außerordentliche leisten können.


Friederike Caroline Neuber als Medea auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost (Erstausgabetag: 16. 11. 1976).

Förderung erhoffte sich die Neuberin durch den Kontakt mit Johann Christoph Gottsched und seiner Deutschen Gesellschaft, die ähnliche Ziele wie sie selbst verfolgten: Hebung des Niveaus des deutschen Theaters durch Übersetzungen und Neudichtungen nach französischem Vorbild, Abkehr vom Stegreifspiel hin zu sorgfältig geprobten Ensemblestücken und – am Wichtigsten – zugleich „Verbannung“ des Harlekins oder der Hanswursten, welche damals noch zur großen Begeisterung der Zuschauer die Bühnen beherrschten. Doch die anfängliche Euphorie verflog schnell; Gottsched lieferte nicht wie vereinbart, regelmäßig, die „neuen“, besseren Stücke und das Publikum konnte mit den steifen, in Alexandrinern gereimten Bühnenspielen in französischer Tradition sowieso wenig anfangen. Deshalb musste die Neuberin sich weiterhin mit dem gängigen Repertoire durchschlagen, um überhaupt überleben zu können. Erst viele Jahre später fand sie im jungen Lessing (übrigens ein Gegner Gottscheds) einen wirklich kongenialen Dramatiker, der aber an ihrem Ruin nichts mehr ändern konnte und erst später als Dramaturg in Hamburg wirkliche Wirkung erzielen konnte. Die Neuberin war ihrer Zeit um mindestens zwei Generationen voraus und hätte mit großer Genugtuung die Theaterarbeit eines gereiften Lessing, eines Goethe und Schiller betrachtet, hätte sie sie noch erleben können.

Der sterbende Cato in barockem Hofkostüm?

Im Zuge seiner Reformbestrebungen forderte Gottsched z. B. auch, die Kostüme in jedem Stück genau an der Zeit zu orientieren, in der die Handlung spielte. Antike Dramen wären seiner Vorstellung nach in antiken Kostümen zu spielen – heute eine gängige Praxis, die im modernen Theaterbetrieb oft schon wieder zugunsten anachronistischer Kostümierungen aufgebrochen wird (z. B. Don Juan im Business-Anzug). Im 18. Jh. war dies dagegen eine absolute Revolution, gegen die sich selbst die sonst Verbesserungen so zugängliche Neuberin sträubte. Sie wollte an ihren prächtigen Hofkostümen festhalten: Die Schauspieler der Renaissance und des Barock kostümierten sich mit abgelegten Gewändern von Höflingen und reichen Bürgern, die sie geschenkt bekommen oder günstig erworben hatten. Mit etwas Flitterkram aufgeputzt, waren sie das perfekte Bühnenkostüm, denn auch das Publikum liebte leuchtende Farben und glitzernde Verzierungen. Und sollte einmal Not ausbrechen, konnte man diese Gewänder immer für etwas Essbares zu Geld machen. Doch schließlich ließ sich die Neuberin doch auf Gottscheds Vorschlag ein und ließ den Sterbenden Cato im „authentisch“ römischen Gewand aufführen. Das Publikum amüsierte sich köstlich und die Vorstellung wurde vor allem anderen zu einem Lacherfolg – nicht unbedingt erwünscht bei einem so tragischen Stück. Besondere Heiterkeit erweckten die mit fleischfarbenen Lappen umwickelten Füße der Darsteller, die Nacktheit symbolisieren sollten, denn selbstverständlich durfte damals aus Gründen der Schicklichkeit niemand barfuß auf die Bühne.

Ihr Leben lang träumte die Neuberin von einem festen Theater, das den über Land ziehenden Thespiskarren ablösen sollte, und von einem Theaterbetrieb, der durch ständige Einkünfte unabhängig wäre von adeligen Gönnern. Mehrmals in ihrer Karriere hatte sie die vernichtende Erfahrung machen müssen, dass nach dem Tod eines solchen Gönners oder einer Gönnerin sämtliche Privilegien und Zuwendungen nichtig wurden und ihre Truppe wieder im wahrsten Sinne „auf der Straße stand“. Sogar als sie 1740/41 einen Ruf nach St. Petersburg erhielt, vernichtete der Tod von Zarin Anna nach knapp einem Jahr alle Träume von einer internationalen Karriere – die Truppe musste fast mittellos nach Sachsen zurückkehren.

Was bleibt?

Auch wenn die Neuberin letztendlich mit ihrer Theaterreform scheiterte und auch scheitern musste, so hatte sie doch den Grundstein für bedeutende Veränderungen in der deutschen Theaterlandschaft gelegt. Zwar starb sie verarmt, kinderlos und krank ohne eigene Bleibe, doch schon wenige Jahre nach ihrem Tod wurde ihr an ihrem Sterbeort ein Denkmal errichtet – noch immer gab es Menschen, die sich an sie erinnerten und die einstmals gefeierte Prinzipalin nicht vergessen hatten.

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