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Ein „kleines empfindliches stolzes Geschöpf “

Charlotte Ackermann

Name: Maria Magdalena Charlotte Ackermann

Lebensdaten: 23. August 1757 in Straßburg – 10. Mai 1775 in Hamburg

Genre: Bühnenschauspielerin in Tragödie und Komödie

Besonderheit: ihr Tod mit 17 Jahren löste eine Massenhysterie unter ihren Fans aus

Man möchte meinen, dass Starkult und dementsprechende Massenhysterie ein modernes Phänomen sind – doch die Geschichte der jung verstorbenen Charlotte Ackermann belehrt einen eines Besseren. Schon Ende des 18. Jhs. trauerte eine ganze Stadt, Hamburg, um die Tote und man wollte ihr sogar ein Denkmal errichten. Was zeichnete diese Schauspielerin vor allen anderen aus?

Wer war das?

Charlotte Ackermann war der jüngste Spross einer Schauspielerdynastie. Sowohl von väterlicher – Konrad Ernst Ackermann – als auch mütterlicher Seite – Sophie Charlotte Schröder – war sie entsprechend vorbelastet und zeigte schon sehr früh außergewöhnliches Talent. Mit4 Jahren stand sie zum ersten Mal in einer Komödie von Molière auf der Bühne und als sie mit nur 17 Jahren starb, hatte sie ganze dreizehn Berufsjahre hinter sich. Dies wirft ein Schlaglicht auf das Leben in einer solchen Schauspielerfamilie: Den Kindern blieb fast nichts anderes übrig, als den Eltern im Beruf nachzufolgen. Sie wuchsen zwischen Karren und Kulissen auf, wurden baldmöglichst selbst zu Aufgaben vor oder hinter der Bühne herangezogen und die Eltern erwarteten irgendwann nichts anderes mehr als das gehorsame Mittun am Familienbetrieb. So war es auch bei Charlotte, die in ihren letzten Lebensmonaten offenbar Probleme mit ihrer Mutter, der Prinzipalin, hatte, für die sie funktionieren musste, ob sie wollte oder nicht: „Ich thue alles, was man von mir verlanget, und man ist dennoch nicht mit mir zufrieden… . Ihre Kälte ist erstaunlich und ich kann es nicht ertragen.“ In ihrer älteren Schwester Dorothea hatte sie eine Vertraute, während ihr Stiefbruder vor allem Bühnenleistung forderte. So spielte sie pro Jahr in über 35 Stücken; dies setzt eine immense Gedächtnisleistung voraus.

Was hat sie berühmt gemacht?

Immerhin trat die Ackermann’sche Schauspieltruppe während der meisten Zeit von Charlottes Wirken schon im festen Haus am Hamburger Gänsemarkt auf, sodass ihr ein Leben auf der Landstraße – abgesehen von gelegentlichen Gastspielen – erspart blieb. Wie die meisten damaligen BühnenkünstlerInnen war sie für das Theater umfassend ausgebildet: Sie tanzte im Ballett, spielte in Dramen und es ist anzunehmen, dass sie auch singen konnte und Französisch sprach – obwohl sie angeblich einmal bemerkte, dass sie „die französische Sprache verabscheue“. Bereits mit 12 Jahren spielte sie die jugendliche Liebhaberin und man war begeistert von ihrer natürlichen Spielweise. Zwei Jahre später agierte sie als Hauptfigur in der Premiere von Lessings Emilia Galotti, einem Stück mit dem sich Charlotte – glaubt man den edierten Briefen – im Laufe der nächsten Jahre mehr als üblich identifizierte. Das zentrale Thema dieses „bürgerlichen Trauerspiels“ war ein Vater, der seine Tochter tötet, um die Familienehre zu erhalten – also im wahrsten Sinne ein Ehrenmord. Charlotte steigerte sich so sehr in die schwierige Rolle der Emilia hinein, dass sie erst wieder durch den Applaus des Publikums aus ihrer Trance „geweckt“ wurde. Das Publikum aber sah sie als die perfekte Verkörperung der Emilia an und nannte sie teilweise auch außerhalb des Theaters bei diesem Vornamen.

Ein Baron als Stalker?

Wie bei jeder Schauspielerin gab es auch bei Charlotte Ackermann Gerüchte über Liebschaften und Skandale, die von ihr selbst heftig abgestritten, von ihrer Mutter aber zumindest zum Teil geglaubt wurden. Eine entsprechende „Affäre“ geben die fiktiven Briefe wieder, die nur kurz nach ihrem Tod anonym vom gescheiterten „Dichter“ Rathleff veröffentlicht (Die letztern Tage der jüngeren Demoiselle M. M. Ch. Ackermann. Aus authentischen Quellen zum Druck befördert), aber schon von Zeitgenossen als Fiktion entlarvt wurden. Darin wird sie von einem Baron, der angab, in sie verliebt zu sein, verfolgt: „ich muss das Mädchen besitzen, es koste auch, was es wolle“. Charlottes Reaktion schwankt zwischen grober Ablehnung zu Anfang und etwas, das sie selbst später als Liebe bezeichnen sollte – gerade das klingt in den Briefen schon selbst wie eine Schauspielhandlung: So bittet Charlotte eine Freundin, sich als Mann zu verkleiden und den Baron aufzusuchen, wiederum ihn zu bitten, ihr keine Vorwürfe mehr zu machen usw. usw. usw. Bald kam heraus, dass Rathleff ganze Passagen aus einem französischen Roman abgeschrieben hatte, doch bezeichnend ist dieses Machwerk schon für die Rolle, die einer jungen, hübschen Schauspielerin im 18. Jh. zugewiesen wurde.

Mit 17 Jahren starb Charlotte Ackermann plötzlich, wohl an Überforderung – ihr Bruder hatte sie auf der Bühne mit den Worten „Dich soll das Wetter holen!“ stehen lassen, sie musste für zwei spielen bzw. improvisieren und war allein mit dem überkritischen Publikum konfrontiert. Dabei erhitzte sie sich stark vom Tanzen und Umherspringen, nach der Vorstellung riss sie die Fenster auf, trank viel kaltes Wasser und verkühlte sich postwendend – am nächsten Morgen konnte sie schon nicht mehr aufstehen und starb bald darauf. Mutmaßungen über einen Selbstmord sind nicht zu beweisen – auch wenn Rathleff in seinen erfundenen Briefen einige gute Gründe ersinnt. Dort ist auch von Vorahnungen die Rede, die die junge Frau wenige Wochen vor ihrem Tod gehabt haben soll: „Mein Leben flattert dahin, und ich wünsche bald aus einem Traume zu erwachen, um nie wieder zu Träumen“; „Seit einiger Zeit sehe ich alles in einem traurigen Lichte.“ Sollten das die Vorzeichen einer – damals natürlich noch unbekannten – Depression gewesen sein? Oder war an ihrem Tod ein Reitunfall schuld, den sie am 30. März 1775 erlitten hatte? Bei Rathleff ist von Symptomen die Rede, die als schwere Gehirnerschütterung gedeutet werden könnten. Sollten Hirnblutungen dazu gekommen sein, so könnten diese noch nach Wochen tödliche Folgen gehabt haben, was damals ebenfalls in seinem Zusammenhang noch unbekannt war.

Ihr Begräbnis wurde zu einem Ereignis sondergleichen: „Die Dichter rasen um das Grab“, junge Leute küssen der aufgebahrten Leiche auf den Mund „aus welchem bereits ein eckelhafter Geifer lief “ – es war also eine fast „moderne“ Massenhysterie mit Scharen von Menschen, die in Trauerkleidung ins Theater kamen, von Dutzenden Nachrufen in der Lokalpresse und eben mit baldiger Herausgabe des angeblich echten Briefwechsels des Idols. Schließlich waren 4000 Trauernde zugegen, als sie vier Tage nach ihrem Tod in der St. Petri-Kirche bestattet wurde.

Was bleibt?

Abgesehen von den bemerkenswerten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Charlotte Ackermann – heute würde man sie als Kinderarbeit beschreiben – erinnern nur einige idealisierte Kupferstiche und verschiedene beinahe zeitgenössische Publikationen an die junge Schauspielerin. Ihr Schicksal wurde jedoch ab der Mitte des 19. Jhs. dreimal zum Thema historischer Romane (1854 von Otto Müller, 1929 von Albert Petersen, 1965 von Eva Maria Merck). Das bald nach ihrem Tod geplante und vorfinanzierte Denkmal wurde jedoch von der Stadt Hamburg verboten und nie errichtet.

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