Читать книгу YOHO oder das Geheimnis des Unsichtbaren - Andrea Schatz - Страница 11
Wachstum
ОглавлениеNach erfolgter Standortsicherung und der damit verbundenen Vermeidung eines krassen Kulturschocks – man stelle sich nur vor, während der Auswanderungsreise gegen aggressive Magensäfte seine Frau stehen zu müssen – wurde ich, die gemütliche Cellula, plötzlich überrumpelt.
Ohne dass ich in Eigenregie hormonelle Düngemittel zugegeben oder meine Geduldmaxime in Frage gestellt hätte, kam mir Odyssea auf die Schliche. Ich mochte noch so gut getarnt sein, gegen das Riesenvieh von Ultraschallkopf mitsamt klebriger Masse hatte ich keine Chance. Ich zog mich vorsichtig aus meinem Liegestuhl in den Schatten einer Drüse zurück, doch es wurde so lange gesucht und gedrückt und umher geschoben, bis meine hippe gezackte äußere Aufmachung zum Vorschein kam. Ich war entlarvt!
Zeitgleich ließen mir die Botenstoffe ausrichten, dass Odyssea inzwischen Nägel mit Köpfen gemacht hatte und die ersten Schritte in Richtung ihrer wahren Selbstverwirklichung ging. Da wurde ich zum ersten Mal wirklich wütend! Wie viel Energie hatte ich darauf verschwendet, ihr klarzumachen, dass es Zeit für eine Veränderung war, und nun kam sie mir einfach zuvor! Ihre zähe Unentschlossenheit hatte mich doch förmlich gezwungen, aktiv zu werden!
Sollten meine Anstrengungen umsonst gewesen sein? Aus Enttäuschung und Wut nahm ich mir vor, meinem zweiten Vornamen – Karzinoma – ab sofort mehr Gewicht zu verleihen. Ich musste einfach klarstellen, dass sich eine Cellula Karzinoma nicht so leicht aus dem Konzept bringen ließ. Ehre, wem Ehre gebührt!
Schnell realisierte ich, dass mein Ziel erreicht war: Die Wirtin hatte endlich ihren Untermieter erkannt. Kichernd und stolz begann ich von der Eröffnung eines effizienten Milchwerks (mit Optionen für weitere Niederlassungen in der Biobranche) zu träumen.
Trotz meiner Freude vergingen die folgenden Tage in einer Art seltsamem Sog. Ich begann, mich in Odyssea hineinzuversetzen. Dabei konnte ich nicht immer neutral bleiben. Es war, als spürte ich zeitgleich ihr Neben-sich-Stehen und In-sich-Gehen. Da waren ihr erster Umgang mit Diagnose und Prognosen sowie Überlegungen zu Organisatorischem. Es war kein Zusammenbruch ihres Weltbildes zu erkennen, was mich ehrlich freute. Im Gegenteil schien mir ihre Haltung eher pragmatisch, realistisch und doch sensibel sich selbst und ihrer Umgebung gegenüber.
Sicherlich spielte Odysseas philosophische Ader eine Rolle bei ihrer ruhigen Reaktion auf meine Intervention. Vor kurzem hätte ich mich deswegen noch beleidigt beschwert, doch seltsam, ich fühlte mich ihr irgendwie verbunden. Dieser für mich ungewohnte ganzheitliche Ansatz wunderte mich, und gleichzeitig wollte ich ihn nicht wahrhaben, da nicht als Voraussetzung zur objektiven Feldforschung geeignet.
In dem sich nun ergebenden Bild konnten wir beide existieren, ohne uns im Wege zu stehen. Diese Erkenntnis hätte ich auch als friedliche Cellula gewinnen können. Ich fragte mich, ob meine Kopierwut ein Trugschluss gewesen war. Woher der Drang zu zackigem Outfit und unkontrollierter Vermehrung? Aus falschem Ehrgeiz?