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Klinikaufenthalt (03/2015)

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Früh am nächsten Morgen fuhren wir in die Klinik. Ich sollte eigentlich als erste an der Reihe sein und beichtete der Praktikantin, die sich um mich und meinen Blutdruck kümmerte, mein schlechtes Gewissen, weil ich am Abend zuvor – als Trost vor dem Gang unters Messer – eine ganze Packung Kekse verdrückt hatte, die mir nun schwer im Magen lagen. Sie amüsierte sich köstlich und vertraute mir an, dass ich seit dem Vortag in der Rangliste von Platz 1 auf 3 gerückt sei und einer angemessenen Verdauungszeit der Kekse somit nichts im Wege stünde. Also erst Warten, dann kurze Hektik, weil ich nochmal ins Brustzentrum zum Ultraschall gerufen wurde – man wollte prüfen, ob die Drahtmarkierung des Tumors erfolgt war, da nicht in der Akte auf­geführt, aber es handelte sich um einen Lese­fehler, denn auf diese Markierung wurde bei mir verzichtet, weil die Chirurgin den Tumor auch so finden würde. Ich war zum ersten Mal stolz auf ihn, der so problemlos auszumachen war. Dafür hielt ich noch einen netten Plausch mit dem Arzt vom Dienst, der zuerst meine Gynä­kologin dafür lobte, den Tumor aufgespürt zu haben und mir anschließend tief in die Augen schaute: „Das Ding werden Sie los“. Dann begann er über den Seelenzustand des Unglückspiloten der in den französischen Alpen zerschellten Maschine zu philosophieren und schlussfolgerte, dass ein solcher Blackout einem Arzt während der Operation möglichst nicht passieren sollte. Mein Beifall war ihm sicher. Endlich durfte ich mich umziehen und wurde ins OP-Vorzimmer (Betäubungszimmer?) gefah­ren. Dort gab es Gelächter, weil ich einzelne Kunststoffteile der technischen Appa­rate aus meiner Zeit im Vertrieb eines Pro­duzenten technischer Kunststoffteile erkannte und die Namen der Kunststoffgranulate zitierte. Das beru­higende Gesicht der Chirurgin beugte sich über mich, grüßte freundlich und versprach, dass alles gut werde. Ich wollte noch weitere Kunststoff­teile aufzählen, doch dazu kam ich nicht mehr, denn die berüchtigte Maske näherte sich meinem Gesicht, die Beatmung wurde freund­licherweise mit gebührendem Sicherheits­abstand durch­geführt und schwupps, schon war ich im Land der Träume. Und zwar so lange, bis mir jemand zurief, ich dürfe jetzt wieder tanzen. War alles schon vorbei? Als Weckruf erklangen die Beatles. Ich antwortete ins Blaue hinein, dass ich grundsätzlich nicht tanze und stattdessen lieber in die Bar ginge, „ganz wie früher“, und jemand lachte laut. Irgendwann erwachte ich erneut und sah in das gutmütige Gesicht meines Lebens­gefährten. Oh wie schön! Vorsichtig tastete ich nach der Operationsstelle und war froh, auf einen wunderbar weichen, beschützen­den und vor allem hügeligen Wundverband zu stoßen. Das war mehr als beruhigend. Ich hatte also im Schlaf mein Zimmer bezogen und teilte dieses mit einer Frau aus Kamerun, die als erstes wissen wollte, auf welcher Seite ich operiert wurde, und einer Frau aus der Bodenseegegend mit russischen Wurzeln, der ich zuraunte, dass ich Gogol und Dostojewski liebte. Die dritte im Bunde war meine Bettnachbarin und ärgerte sich gerade über eine steinharte Kiwi. Das Personal staunte darüber, dass ich schon so munter war, und bot mir Zwieback an. Ich verspürte keine Schmerzen und kurz darauf bestätigte mir die Chirurgin, dass alles sehr gut gelaufen sei. Als ich mich bei ihr bedankte, fragte sie mich ernsthaft wofür. Na denn prost, ich biss in den Zwieback.


Es folgten Krankenhausroutine und der Besuch meiner staunenden Mutter (weil ich so fit war), hier ein Treffen auf einen Kaffee mit meiner Wartezimmer-Bekanntschaft vom Vor-Vor-Tag, dort Einblicke in Patientinnengeschichten, wegen Spaziergängen durch die Flure verpasste Visiten, die Fürsorge der pragmatischen Schwestern, chaotische Essenszusammen­stellungen, weil ich am Aufnahmetag keine Geduld gehabt hatte, vernünftige Kreuzchen auf den Bestellzettel zu setzen. Da wir dreimal mit dem Sternzeichen Skorpion auf dem Zimmer vertreten waren, hörte ich aus Gründen persön­licher Wertschätzung MP3-Songs der Scorpions. Aus Gewohnheit schaute ich dauernd auf die Armbanduhr, nur um festzustellen, dass dieses rosa Ding mit der Nadel auf dem linken Hand­rücken keine echte Uhr war. Menschen, die zwei Tage zuvor in den Wartezimmern noch Fremde waren, wurden zu Vertrauten in Pyjamas und Nachthemden. Die Drainagen mit der Wund­flüssigkeit konnten bald entfernt werden. Dank­bar für meine Mobilität setzte ich mich auf dem Balkon in die Sonne, las meinen Text für den bereits erwähnten Schreibwettbewerb noch einmal durch und fand ihn richtig fade. Ich wusste ja, dass ich damit keinen Blumentopf gewinnen würde.

Am vierten Tag durfte ich nach Hause mit der Auflage, keine Fenster zu putzen. Aber hallo! Ausgerechnet ich. Zudem galt, Sport nur in Maßen und für den Oberkörper nur die vor­ge­gebenen Physioübungen auszuführen. Das histologische Ergebnis aus der Operation sollte in einer guten Woche folgen (das nannte sich dann postoperatives senologisches Kolloquium). Mit einem Termin zur Ganzkörperszintigraphie (zum Ausschluss von Anreicherungen im Skelett; mein Zahnarzt fiel mir ein), Broschüren über Selbsthilfegruppen und psychoonko­lo­gische Unterstützung kehrte ich heim. Kaum die Haustür geschlossen, rief der Sozialdienst der Klinik an, dem ich aufgrund der schnellen Ent­lassung durch die Lappen gegangen war. Es war sehr beruhigend zu erleben, wie die Abläufe Hand in Hand erfolgten, denn nun war ich auch über Krankenfahrten, die Anschluss­heil­behandlung und viele weitere Möglichkeiten informiert. Alles in allem fand ich den ersten Klinikaufenthalt meines Lebens ganz ordentlich.

YOHO oder das Geheimnis des Unsichtbaren

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