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Juli 2016

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Morgen Abend gehe ich mit meiner Freundin essen. Gestern und heute habe ich mir frische Salatzutaten klein geschnippelt und das Ganze jeweils mit getoastetem Kräuterbutterbrot ver­drückt, einmal in der Variante „mit geräucher­tem Fisch“ und einmal „mit Oliven mediterran“. Davor habe ich mit meiner Mutter Kaffee ge­trunken. Davor habe ich meinen Rucksack und ein paar Wanderutensilien für die Wochenend­tour nach Österreich zusammengesucht. Davor habe ich Bewerbungen geschrieben. Ach ja, gestern habe ich Sport getrieben und werde das morgen auch tun, bevor ich eventuell weitere Bewerbungen schreibe, Wäsche zusammenlege, einkaufen gehe und – nein, kochen brauche ich dann ja nichts. Wie schön.

Langweilige Abfolge? Genau! Ich schreibe Be­werbungen, treibe Sport, lese, koche, trage Wäsche hin und her, gehe einkaufen, kümmere mich um viele kleine Dinge. Ebenfalls habe ich regelmäßige Verabredungen, die natürlich nicht langweilig sind, und ebenso häufige Arzttermine, die aber bald weniger werden. Ab und zu mache ich eine kurze Reise. Ich lese, ich schreibe. Für all diese Dinge habe ich genügend Zeit. Die zahlreichen Auswahlmöglichkeiten, meinen Tag zu gestalten, ohne dabei Arbeitszeitenregelungen oder Feierabendtermine berücksichtigen zu müssen, sind Zeichen eines Zustands, nach dem ich mich lange gesehnt habe und um den ich sicherlich auch beneidet werde: Freiheit! Und nun behaupte ich: langweilig! Nicht dass mir wirklich langweilig wäre, ich bin gut beschäftigt und gehe meist gutgelaunt durch den Tag. Aber irgendwie stehe ich außerhalb des Geschehens und suche nach Inhalt. Klar, ich könnte ein Buch schreiben, meine Jobsuche intensivieren, ein Studium beginnen und nebenher jobben, eine super Hausfrau werden, mich selbständig machen, ein Biogemüsebeet anbauen, mich stär­ker als bisher in einer NGO engagieren, etwas Kreatives lernen. Aber das alles ist es nicht, oder es ist zu viel, oder, oder, oder. Mir fehlt eine Aufgabe, bei der mein Tun Bestätigung findet.

So sieht also mein Seelenzustand nach einein­halb Jahren Arbeitspause aus. Ich war fast ein Workaholic und war anschließend total über­rascht, wie schnell ich Abstand zu meinem Berufsleben fand. Jetzt arbeite ich daran, wieder zu jener Welt zu gehören. Das hätte ich so nicht erwartet, oder wenigstens nicht so schnell.

Manchmal kommen auch zu viele Termine zu­sammen, und ich fühle mich nicht gerade ge­stresst, bin aber froh, dass ich mich danach wieder ausruhen kann. Immerhin spüre ich noch die Nachwehen einer anstrengenden Therapie in Form von Vergesslichkeit und dem Gefühl, dass manche Dinge anstrengender sind als zuvor. Am Alter allein kann das nicht liegen … Doch ich bleibe dabei: Die Fülle der Möglichkeiten wirkt erschlagend, ich spüre keine grundsätzliche Motivation für die Dinge; ich tue sie einfach, lasse mich treiben, um mangels einer wirklichen Aufgabe irgendwie beschäftigt zu sein, und für teure Selbstverwirklichungstrips wie ausge­dehnte Reisen oder Mega-Events in den Berei­chen Kunst, Kultur und Bildung reicht es finan­ziell sowieso nicht. Ich lebe in einer Art Korsett, habe gleichzeitig zu wenig und zu viel Spiel­raum. Was also tun?

Meine Ra(s)tlosigkeit lässt mich mit Aufräum­arbeiten am Computer beginnen, und hier stoße ich auf meine Aufzeichnungen aus dem Jahr 2015. Die tagebuchartigen Einträge beginnen mit der vielversprechenden Aussage Die Fülle der alltäglichen Erlebnisse macht aus unserem Leben ein einziges großes Abenteuer. Es lebe die Schöpfung. – Stop, woher habe ich denn das? Ich kann kaum glauben, dass ich mir vor nicht allzu langer Zeit solch einen beglückenden Satz einfallen ließ, während ich momentan vor Unentschlossenheit fast vergehe und mich auf nichts wirklich kon­zentriere.

Es ist wohl das Beste, der Reihe nach zu erzäh­len … sei es als reine Meditationsübung, als be­reinigender Rückblick oder – ein schöner Ge­danke – als Ermutigung für Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist, denn im Februar 2015 bekam ich die Diagnose „Brustkrebs“ vor den Latz geknallt. Und ich hatte wider Erwarten eine gute Zeit damit.

YOHO oder das Geheimnis des Unsichtbaren

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