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Als alles begann (02-03/2015)

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Nach reiflicher Überlegung hatte ich mich dazu entschlossen, meinen Job aufzugeben. Die Ent­scheidung fiel mir nicht leicht, doch mein alter Vorsatz, mich zu verändern, wenn ich „einmal auf die 50 zugehe“, koinzidierte mit einem bereits einige Zeit andauernden Zustand der Überarbeitung. Gespräche waren geführt, Mög­lichkeiten ausgelotet, im Privatleben diskutiert worden. Ich würde mir eine Teilzeitbeschäf­tigung suchen und mich parallel über die Mög­lichkeiten zur Finanzierung eines alten Traums informieren, der Aufnahme eines Romanistik­studiums an der Universität. Dazu hatte ich ein halbes Jahr Zeit, so lange lief mein Arbeits­vertrag. Ich würde meine Aufgaben ordentlich übergeben, wollte einen „guten Abgang machen“ und vereinbarte parallel dazu, wie in jedem Frühjahr, Termine für einige Vor­sorge­untersuchungen. Vorsorge beim Zahnarzt – ok. Vorsorge bei der Frauenärztin – ok. Check-up beim Hausarzt – ok. Danach Zeit für die beiden gebuchten Kurse bei der Volkshoch­schule, Antike Kulturen und Grundlagen der Philo­sophie von Descartes. So dachte ich mir das.

Von der gynäkologischen Praxis wurde ich zwecks Abklärung einer Auffälligkeit in der rechten Brust zur Mammographie geschickt. Meiner Ansicht nach handelte es sich wie bereits öfter um eine harmlose Zyste, die mit Flüssigkeit gefüllt war und erfahrungsgemäß mit der Zeit wieder verschwinden würde. Die Mammo­graphie ergab einen „unauffälligen mammo­gra­phischen Befund bei dichtem Drüsen­gewebe“ mit der Bezeichnung BI-RADS 0. Das heißt Breast Imaging Reporting and Data System mit einer Codierung von 1 bis 5, wobei 1 unauf­fällig und 2 gutartig war. 0 war also gar nichts. Um auf Nummer sicher zu gehen, bekam ich einen Termin zur Stanzbiopsie, um das Gewebe unter­suchen zu lassen. Mir sollte es recht sein, ich nahm meine Vorsorgetermine schließlich ernst. Über die entnommenen „Würmchen“, bezeich­net als sechs grau-gelbe Stanzzylinder, musste ich schmunzeln.

Zwei Wochen nach meiner Kündigung erhielt ich einen Anruf aus der Frauenarztpraxis. Die entnommene Gewebeprobe war bösartig. Ich stand mit dem Mobiltelefon am Ohr regungslos im Besprechungszimmer und spürte förmlich, wie das unheimliche Wort in mich einsickerte wie schwere Tinte in Löschpapier. Die Nach­richt war weder schlimm noch schockierend, sie war surreal, betraf nicht mich, sondern die neben mir, mein anderes Ich. Ich hatte die Ge­webeprobe nicht ernst genommen – die ganze Zeit war ich mir sicher gewesen, dass die bei der Vorsorge nicht als flüssigkeitsgefüllte Zyste, sondern als zackiges Etwas definierte Stelle sich als harmlos erweisen würde. Mit keinem Ge­danken hatte ich die Möglichkeit einer schlech­ten Nachricht in Erwägung gezogen, die mich von meinen Zukunftsplänen abhalten könnte.

Während sich eine meiner jungen Kolleginnen einen Spaß erlaubte und mich mit einem „Ätsch, beim privaten Handygebrauch ertappt!“ foppte, versuchte ich tapfer zu lächeln, mich zu beherr­schen und gleichzeitig mein Bedauern darüber, die Volkshochschulkurse sicherlich wieder stor­nieren zu müssen, zu überspielen. Mechanisch machte ich mich auf den Weg ins Büro, um erst einmal weiterzuarbeiten, um später zu über­legen, machte aber nach drei Schritten kehrt, ging zurück ins Bespre­chungszimmer, schloss die Tür und versuchte meinen Lebensgefährten anzurufen. Der war leider nicht erreichbar, ich schrieb eine kurze SMS, klopfte bei meinem Chef und faselte etwas von früher gehen und Arzttermin, er nickte und schon klingelte mein Mobiltelefon, keine fünf Minuten später stand das Auto meines Lebens­gefährten vor dem Ein­gang und wir fuhren – nicht nach Hause, aber an den Fluss, der viele Geheimnisse kennt: an die Balinger Eyach.

YOHO oder das Geheimnis des Unsichtbaren

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