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Sarntaler Alpen: zwischen Haflingern und Steinmandln
ОглавлениеWir brechen früh auf, Sterzing schläft noch. Wir wollen auf den Zinseler, doch zuerst müssen wir die Autobahnzufahrt hinter uns bringen. Von einem Wanderparkplatz führt ein schmaler Waldweg bergan. Die Bäume werden weniger und wir erreichen das Mandlseitejoch. Von hier geht es nur noch wenig ansteigend zum Gipfel des Zinseler. Ein herrlicher Blick zurück auf Sterzing und die Stubaier Alpen entschädigt uns für 1600 Höhenmeter mühevollen Aufstieg. Sanft absteigend kommen wir bequem zum Penser Joch und tauchen in eine andere Welt ein: Viele Motorradfahrer, einige Mountainbiker und die Besatzungen etlicher Wohnmobile bevölkern die Gasthausterrasse. Den Trubel lassen wir bald wieder hinter uns. Über Pfadspuren kommen wir zum Astenberg und steigen Richtung Seebergsee ab. Hier grasen Haflinger, die Pferderasse, die in diesem Gebirgsstock ihren Ursprung hat.
Morgens ist der Himmel grau verhangen. Dem »Hufeisenweg« folgen wir nach Süden, zur Hörtlanerscharte. Auf die üppigen Wiesen folgt karges Blockgelände. Der Nebel wird dichter, der Wind heftiger. Es ist kalt und klamm. Wir entschließen uns zu einer Brotzeit mit heißem Tee in der Flaggerschartenhütte. Bald beginnt es zu regnen, sodass wir den Aufenthalt in einer warmen Hütte einer Regenwanderung vorziehen, obwohl noch früher Vormittag ist.
Am nächsten Tag ist der Himmel wie blank gefegt, flott erreichen wir das Tellerjoch. Unter uns, zwischen Wiesen, liegt Durnholz. Sein schlanker Kirchturm spiegelt sich im See. Über den aussichtsreichen Höhenweg wandern wir zum Latzfonser Kreuz. Ein hübsches, kleines Kirchlein steht am Felsvorsprung, einem der höchsten Wallfahrtsorte der Alpen. Wir haben einen weiten Blick in die Dolomiten. Der Ort strahlt Ruhe und Kraft aus. Wir ziehen über die leicht abfallende Jocherer Alm weiter zum sagenumwobenen Schwarzsee am Fuße des Villanderer. Nahe dem Ufer stellen wir unser Zelt auf.
Am frühen Morgen auf der Hohen Reisch, bei den Stoanernen Mandln
Weite Jocherer Almen in den Sarntaler Alpen; im Hintergrund die Geislerspitzen
Morgens steigen wir zu einer kleinen Scharte, zur Pestkapelle »Am Toten« auf. Von dort führt der Weg auf den Villanderer. Auf der Sarner Scharte stehen etliche Steinmandl, große und kleine. Und natürlich ein Kreuz, weniger Gipfel- als vielmehr Wetterkreuz mit drei Querbalken. Wetterkreuze prägen diese Landschaft. In vielen anderen Regionen der Alpen selten geworden, sind sie Ausdruck des tiefen Glaubens im Sarntal. Nach einer Biwakhütte führt unser Weg steil und schattig über grobes Geröll abwärts. Der Weg ist recht gut in den schroffen Hang gebaut. Trotzdem strengt das Gehen an, kostet viel Konzentration. Schließlich kommen wir nach Sarnthein, das größte Städtchen in diesem Gebirgsstock.
DER KRISTALLPALAST – DAS MOLYBDÄNBERGWERK AN DER ALPEINER SCHARTE UND SEINE TRAURIGE GESCHICHTE
Molybdän ist ein wichtiger Stahlveredler, der für Werkzeuge und Waffen nötig ist. Die meisten im Zweiten Weltkrieg bekannten Lagerstätten waren im Zugriffsbereich der Alliierten, sodass kleine unwirtschaftliche Vorkommen für das Dritte Reich wichtig wurden. Das Molybdänerz im Umkreis der Alpeiner Scharte wurde deshalb ab 1941 versuchsweise abgebaut. Es wurden ca. 400 Meter Stollen in den Berg gesprengt und eine fast fünf Kilometer lange Seilbahn gebaut. Reste davon sind noch immer sichtbar. Der Anfang eines völlig vereisten Stollens ist mit Vorsicht und ausreichendem Licht begehbar. Wie lange der Bergbau betrieben und ob dort bereits Erzkonzentrat gewonnen wurde, ist nicht geklärt. Die meisten Quellen gehen aktuell davon aus, dass die eigentliche Erzförderung bei Kriegsende noch nicht aufgenommen wurde. Ein gewinnbringender Bergbaubetrieb in Friedenszeiten ist nicht möglich.
Der Abbauversuch im Permafrost in rund 2800 Meter Höhe, unter den Steilwänden von Schrammacher und Fußstein, war schwierig und gefährlich. Besonders Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter wurden unsäglichen Mühen ausgesetzt. Doch die Quellenlage ist unklar. Sicher ist, dass am 11. November 1943 eine große Lawine das Barackenlager im Stollenbereich und die Seilbahn zerstörte und bis vier Meter hoch verschüttete. Ein Arbeiter konnte sich befreien und auf Skiern Hilfe holen. Trotz Schneefall und Sturm konnten 50 Opfer lebend geborgen werden. Dennoch starben mindestens 35 Menschen.
Nebel und Regen an der Flaggerschartenhütte: Grund genug für einen Ruhetag
Es ist erst Mittag, im Café genießen wir einen frischen Apfelstrudel. Beim Bummel durch den Ort sehen wir im Infokasten des Tourismusvereins, dass für den folgenden Tag eine Wanderung auf die Hohe Reisch – unser nächstes Ziel – geplant ist. Wir entschließen uns deshalb trotz der bereits zurückgelegten Strecke für den Weiterweg und steigen noch mal auf. Arg verschwitzt kommen wir bei der Auener Alm an. Wir stärken uns mit Holundersirup und Kuchen. Hier, im sumpfigen, moorigen Boden zwischen Alm und Auenjoch, ist es schwer, einen Zeltplatz zu finden.
Kurz nach Sonnenaufgang erreichen wir die Hohe Reisch mit ihren über 100 »Stoanernen Mandln«. Es gibt große und kleine, dicke und dünne. Den Legenden nach ist dies ein verrufener Ort. Hier haben Hexen und Teufel Orgien gefeiert und Gewitter gemacht. Der Platz wurde erstmals 1540 in den Akten eines Hexenprozesses urkundlich erwähnt. Unser Weg führt uns weiter zum Möltner Kaser und Joch. Am frühen Vormittag begegnen uns die ersten Wanderer. Haflinger weiden auf den Wiesen. Immer mehr Wege ziehen sich durch den lichten Lärchenwald, mehr, als in unserer Wanderkarte verzeichnet sind. An mächtigen Bäumen vorbei erreichen wir das Tschaufenhaus mit Ausflugs- und Biergartenstimmung. Bis hierher führt eine Straße. Deshalb ist der Abstieg ins Etschtal wieder einsam, der kleine Fußweg wächst bereits zu. Ab und an queren wir die Straße, kommen tiefer. Die ersten Kastanienbäume und Weinberge tauchen auf. Wir sind in Terlan. Im ersten Café legen wir eine Pause ein und genießen Kaffee und Kuchen. Wir erfahren, dass hier auch Zimmer vermietet werden. Wozu noch lange nach einer Bleibe suchen?
Verlandungszone am Schwarzsee, Sarntaler Alpen
Am Ruhetag in Terlan bekommt Wolfgang eine Grippe. An ein Wandern mit Fieber ist nicht zu denken. Erst im Oktober des gleichen Jahres können wir weitergehen. Der Jahrhundertsommer ist vorüber und ein Wettersturz Ende September hat in den Hochlagen bereits viel Neuschnee gebracht.