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Über den Mendelkamm ins Felsenreich der Brenta

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Mit dem Zug in Terlan angekommen, nehmen wir unseren Weg wieder auf und tauchen in den dunklen Wald ein. Schattig und tropfend empfängt er uns. Es geht steil bergan. Unser Weg führt in einer kleinen Schlucht zur Ruine Festenstein und weiter bis zur Gaider Scharte. Dort oben begrüßt uns eine andere Welt.

Waren die Hänge zum Etschtal herbstlich bunt, sind die sanften Waldhänge Richtung Sankt Felix und ins Nonstal weiß verschneit. Der Blick zur Brenta beunruhigt uns: weiße Gipfel und Wolken. Ob wir da noch durchkommen werden? Die eingezeichnete Quelle von Val ist trocken. In der Nähe finden wir etwas Wasser und in einem kleinen Fichtenwäldchen einen windgeschützten Zeltplatz: Für die Nacht ist Sturm angesagt.

In der Morgendämmerung packen wir das leicht überfrorene Zelt zusammen und machen uns auf den Weg. Bald erreichen wir die Furglauer Scharte und werden oben von der Sonne beschienen. Im Norden steht drohend eine graue Föhnwalze über den Sarntaler Alpen, rückt vor, weicht zurück. Trotz der Sonne fährt uns der Nordföhn eisig in die Knochen. Über einen Fußweg erreichen wir die Hotelsiedlung am Mendelpass. Vielleicht wäre es sinnvoll, den Mendelkamm entlang nach Süden zu gehen? In der Brenta müssten wir bis rund 2500 Meter Höhe aufsteigen. Mit unseren schweren Rucksäcken sind wir langsam. Das könnte bei den winterlichen Verhältnissen gefährlich werden. Der Wetterbericht gibt den Ausschlag: Für die nächsten Tage ist stabiles, herbstliches Hochdruckwetter angesagt. Wir versuchen, unsere Route durch die Brenta fortzusetzen. Auf einem beschaulichen Wanderweg erreichen wir zusammen mit vielen Tagesausflüglern die Malga Romeno mit der kleinen Alpini-Kapelle. Hinter der Alm auf dem Forstweg zum Nonstal sind wir wieder alleine. Schließlich kommen wir zu den traumhaften Wiesen der Malga di Sanzano mit einem herrlichen Ausblick auf die verschneite Brenta. Leider sind die Brunnen trocken. Trotz traumhafter Zeltmöglichkeiten bleibt nur der Abstieg zur Baíta del Vescovo. Dort steht ein Brunnen mit dem Warnhinweis »aqua non potabile – cisterna«. Aber das Wasser riecht frisch und abgekocht ist es trinkbar.


Neugierige Ziegen am Wegrand


Überbleibsel des Sommers – verblühtes Edelweiß

Durch schattigen Hochwald zieht der Weg in das enge, schluchtartige Trockental von Dermullo. Kleine Felswände sind dicht mit Efeu überwachsen, manchmal sind Bachkolke zu erkennen. In Coredo erreichen wir das weite Becken des Nonstales. In einem kleinen Laden decken wir uns mit Lebensmitteln ein. Zwar müssen wir so schon jetzt einen schweren Rucksack tragen, aber es ist Montag. Den »giorno di chiusura« kennen wir bereits von anderen Touren. In Italien ist es üblich, dass an einem Tag, mindestens an einem Nachmittag in der Woche, alle Läden eines Ortes geschlossen haben. Was mit dem Auto nur einen kleinen Umweg bedeutet, ist zu Fuß schnell eine mehrstündige Wanderung. Durch Apfelplantagen steigen wir nach Dermullo ab. Überall herrscht Hochbetrieb, die Ernte läuft auf vollen Touren. Alles ist geprägt von den Äpfeln. Jeder freie Platz wird mit großen, grünen Plastikkisten vollgestopft: in mehreren Reihen, oft zehn Meter hoch und 100 Meter lang. Schließlich finden wir am Hauptplatz von Tuenno einen Gasthof und sind froh, bereits eingekauft zu haben: Die Läden sind geschlossen.


Morgenstimmung an der Malga Tassullo mit Dolomitenblick

Am nächsten Tag beginnen wir unsere Wanderung wieder im herbstlichen Wald. Bis zu unserem geplanten Ziel haben wir 1500 Höhenmeter vor uns, in ostseitig orientierter und sonniger Lage. Nach dem steilen Wald öffnet sich die Landschaft und eine mit einzelnen Bäumen und Hütten bestandene, hügelige Almfläche breitet sich aus. Immer freier wird der Blick, über dem Mendelkamm sind die Hochgipfel der Dolomiten aufgereiht. Wir machen einen Abstecher auf den Monte Peller. Lange sitzen wir am Gipfel in der milden Herbstsonne. Der Wind der letzten Tage hat sich gelegt. Der Blick reicht weit nach Norden, die Kette der Zentralalpen liegt wie eine weiße Perlenschnur vor uns aufgereiht. Irgendwo dort drüben, ewig weit weg, muss der Olperer stehen, unsere Wegmarke. Wie weit wir schon gekommen sind! Und im Südosten können wir im Dunst den Monte Baldo erahnen, unseren letzten Berg. Dahinter sind die Alpen zu Ende. Auf dem Weg zur Malga Tassullo queren wir immer wieder kleine Schneefelder, aber im Vergleich zu den Vortagen ist schon viel Schnee weggeschmolzen. Der offene Biwakraum im Almgebäude ist wärmer als ein Zelt und sehr gemütlich, sodass wir ihn gerne nutzen.


Der pure Luxus: Zeltküche mit Tisch und Bank (Baito del Vescovo)

Je weiter wir am nächsten Tag in den Piano della Nana eindringen, desto karger wird die Landschaft. Bald liegt eine geschlossene Schneedecke vor uns. Zu allem Überfluss ist der Weg in der Karte falsch eingezeichnet. So können wir die entscheidende Rinne zum Passo di Omet nur mit Mühe und einigen Umwegen finden. Etliche vereiste Stellen erfordern unsere ganze Aufmerksamkeit. Schließlich erreichen wir die Ostseite des Kammes und erblicken unter uns ein dichtes Wolkenmeer. Vom Mendelkamm, selbst von der Paganella, ist nichts zu sehen. In der Sonne wird der Schnee bereits weich und wir müssen steile, verschneite Rinnen queren. Hier liegt schon Lawinenschnee – Warnung genug. Wir sind froh, heil in den flachen Böden des Pra Castrón di Tuenno anzukommen. Als am Weiterweg ein größerer Schneerutsch abgeht, fällt uns die Entscheidung leicht: Wir steigen zum Lago Tovel ab und durch das wildromantische Tal zur Malga Flavona auf. Der dichte, schattige Wald begleitet uns die meiste Zeit. Schließlich verschwindet die Sonne hinter dem Hauptkamm der Brenta, es wird empfindlich kühl. Am Rand des Waldes schlagen wir unser Zelt auf, in unmittelbarer Nähe der Malga. Der Biwakraum ist bereits von einer Gruppe belegt.

Morgens ist im Zelt alles klamm und dichter Nebel umfängt uns. Doch bald nach dem Aufbruch erreichen wir die Nebelgrenze. Die Ostwände der Pietra Grande beginnen zu leuchten. Die Welt bekommt Struktur. Die ersten Sonnenstrahlen wärmen uns, während wir höher steigen. Vom Passo della Gaiarda offenbart sich unserem Blick ein unermessliches Wolkenmeer. Wo sich vorgestern Berge über Berge, Kette um Kette ausbreiteten, ist nur gleißende Watte zu sehen. Durch eine Traumlandschaft aus Blöcken, Latschen und leuchtenden Lärchen kommen wir zum Passo del Clamer. Unterwegs finden wir kein Wasser. Deshalb halten uns selbst die eindrucksvollen Wände der Cima Brenta nicht. Vielleicht finden wir im Bach weiter unten Wasser. Doch erst einmal müssen wir den obersten Wegabschnitt bewältigen – steil, vereist und ausgesetzt ziehen die Pfadspuren über Schrofen in die Tiefe. Endlich kommen wir am Bach an. Er plätschert tatsächlich munter in der Sonne dahin. Ohne Durst läuft sich der Fahrweg nach Molveno leichter. In diesem Touristenstädtchen übernachten wir in einem Luxushotel – so spät im Jahr haben die meisten Hotels bereits geschlossen.


In der „einsamen Brenta“, der Turrion Basso am Campo Flavona

Sehr zeitig gehen wir ein Stück die Uferstraße entlang, bevor uns der alte Pfad zum Monte Gazza führt. Das Wetter ist trist. Durch klammen Hochwald steigen wir an. Bei der ersten Brotzeit stellen wir fest, dass unsere Ausweise noch im Hotel liegen. Vergessen! Also laufe ich ohne Gepäck zurück – was macht schon eine »Dreingabe« von 600 Höhenmetern aus? Maria wartet beim Gepäck, die Kälte kriecht durch die Kleidung. Der Wind peitscht Nebelschwaden über die steinigen Almflächen. Die weidenden Schafe beneiden wir nicht. Erst nach einer geraumen Weile erreichen wir die Waldgrenze und sind vor der steifen Brise geschützt. Je tiefer wir gehen, desto mediterraner wird der Wald. Steineichen und Perückensträucher säumen unseren Weg. Endlich kommen wir zum idyllisch gelegenen Castel Toblino. Es ist geschlossen – Ruhetag. So trotten wir die Straße entlang nach Ponte Sarche.

Alpentreks

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