Читать книгу Mission: Weisse Weihnachten - Andreas Benz - Страница 15

8

Оглавление

Inges Zimmer auf der Westseite des Hauses war im Verhältnis zu den anderen recht grosszügig. Auf dieser Seite des Gebäudes waren früher einmal die Zimmer der Herrschaften und nicht die der Bediensteten. Die lagen auf der Ostseite. Die Einrichtung war eine wilde Mischung aus Boudoir und Brockenhaus. Viel roter Samt und alte Möbel. Überall verstreut lagen Kleider herum. Aus einem alten Plattenspieler tönte ein Chanson, und auf einem Tisch brannten als einzige Lichtquelle Kerzen in einem grossen Leuchter. Inge sass an einem Theaterschminkspiegel, der von Glühbirnen eingerahmt war. Mit einem Wattebausch entfernte sie die Schminke aus ihrem Gesicht und summte das Lied leise mit. Sie war mit ihren Gedanken irgendwo, aber sicher nicht im Altersheim Abendrot, als es klopfte.

»Wer ist da?«, fragte sie.

Durch die geschlossene Tür war die Stimme der Kunz zu hören: »Ich bins, ich muss mit Ihnen reden.«

Inge verdrehte die Augen und sagte: »Das kann sicher bis morgen warten. Gute Nacht.«

Von draussen wurde die Türklinke hinuntergedrückt, aber Inge hatte vorsorglich abgeschlossen. Eilig versteckte sie eine Flasche Wodka unter ein paar Kleidungsstücken und drückte sich Zahnpasta direkt aus der Tube in den Mund. Jetzt klopfte es energischer.

»Machen Sie auf, die Türen sollen doch nicht abgeschlossen werden!«

Inge erinnerte sich, dass das zu Beginn des legendären Club Med dessen Motto war. Das musste wohl in den Sechzigerjahren gewesen sein. Damals hatte sie das ja noch interessant gefunden, in einem Hotel zu wohnen, in dem niemand die Zimmertür abschloss, ganz im Gegensatz zu hier. Aber damals waren die nächtlichen Besucher auch um einiges attraktiver gewesen als heute. Inge öffnete die Tür und liess die Kunz eintreten. Sofort fiel der Blick der Heimleiterin auf den Kerzenleuchter, sie stürmte darauf zu und pustete hektisch alle Kerzen aus.

»Das ist ja die Höhe: brennende Kerzen! Das geht gar nicht!«, rief sie empört.

Die beiden Frauen standen jetzt im Dunkeln. Daniela Kunz tastete sich zum Eingang zurück und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Inge stand da, in ihrem bodenlangen Morgenrock, ein Frotteetuch um den Kopf gewickelt, die Hände vor der Brust verschränkt.

»Und, was gibt es denn so Dringendes, das nicht bis morgen warten kann?«, fragte sie gelangweilt.

Die Kunz zeigte zur Mitte des Zimmers und sagte: »Frau von Hellbach, diese Hälfte des Zimmers müssen Sie bis Ende des Monats freiräumen.«

Inge konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte.

»Und warum sollte ich so etwas Verrücktes tun?«

»Weil wir ein zweites Bett reinstellen werden. Frau Kramer, eine nette Frau, wird Ihre Zimmergenossin.«

»Kommt nicht infrage«, rief Inge beinahe panisch, »auf gar keinen Fall! Das wird nie passieren, nur über meine Leiche!«

Die Kunz lächelte süffisant und meinte: »Wir müssen alle unsere Opfer bringen. Oder wie würden Sie sagen? The show must go on! Gute Nacht, Frau von Hellbach, und weg mit den Kerzen!« Die Leiterin blieb in der Tür stehen und drehte sich nochmals um. »Und wenn ich Sie noch einmal mit auch nur einem Tropfen Alkohol hier im Haus erwische, liefere ich Sie in die Geschlossene ein. Haben wir uns verstanden?«

Inge brachte keinen Ton hervor. Entsetzt liess sie sich auf ihr Bett fallen. Das alles konnte nur ein fürchterlicher Albtraum sein. Sie schaute aus dem Fenster zum Mond hoch und schickte ein Stossgebet in Richtung Nachthimmel.

Alle Fenster des Altersheims waren dunkel, nur in einem brannte noch Licht. Hans sass tippend an seiner Hermes Baby. Normalerweise flossen die Worte nur so aus ihm heraus, und oftmals kam er mit Schreiben kaum nach. Aber das heute war etwas ganz anderes, hatte nichts mit seiner Fantasie zu tun, sondern sollte ein real umsetzbarer Plan werden: wie sie gemeinsam mit Maria in die Berge fahren könnten. Er las, was er getippt hatte, schüttelte den Kopf, riss das Papier aus der Maschine, zerknüllte es frustriert und warf es in Richtung Papierkorb. Dort lagen schon mehrere frühere und ebenfalls gescheiterte Versionen seines Entwurfs.

Das würde eine lange Nacht werden.

Mission: Weisse Weihnachten

Подняться наверх