Читать книгу Mission: Weisse Weihnachten - Andreas Benz - Страница 9

2

Оглавление

Maria Gerber sass in ihrem alten, mit geblümtem Stoff bezogenen Ohrensessel und löste den neuen Jahreskalender der Pro Senectute, den sie jedes Jahr im Dezember bekam, aus dem Zellophanpapier. Die kleine, zierliche Frau versank fast in dem voluminösen Fauteuil. Er war immer ihr Lieblingssessel gewesen und eines der wenigen Möbelstücke, die sie ins Altersheim mitgenommen hatte. Zu gross und umständlich war die Wohnung geworden, in der sie fast fünfundvierzig Jahre mit ihrem Mann gelebt hatte. Und jetzt war sie auch schon fast zehn Jahre hier im »Abendrot«.

Sie blätterte die zwölf Landschaftsbilder des Kalenders durch, und plötzlich kam ihr ein Satz in den Sinn, den sie als Kind häufig von ihrer Grossmutter gehört hatte: »Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit.« Ihre Grossmutter hatte das immer genau dann zu ihr gesagt, wenn sie entweder die Zeit vertrödelte oder wenn es ihr langweilig war und sie nicht wusste, wie sie die Zeit herumkriegen sollte. Sonntags, wenn sie lange ausschlief, fügte die Grossmutter noch den Zusatz an: »Das ist dem Herrgott den Tag gestohlen«, erinnerte sich Maria weiter und zupfte, versunken in vergangenen Zeiten, ein paar welke Blätter aus dem Blumenstrauss, der auf dem kleinen Tisch stand. Sie war sehr froh, dass sie immer noch so klar im Kopf war und sich noch an fast alles erinnern konnte. »Das Einzige, was einem im Alter bleibt, sind doch die Erinnerungen«, dachte sie etwas melancholisch.

Neben der Blumenvase lag eine Glückwunschkarte mit einer goldenen, in geschwungener Schrift geschriebenen Neunzig. Obwohl ihr der Krieg einen Teil ihrer Jugend geraubt hatte und sie ihren Traum, Architektur zu studieren, zum Wohl der Familie begraben musste, hatte sie doch ein schönes Leben gehabt. Jahrelang machte sie das Büro einer kleinen Baufirma, wo sie auch ihren Mann kennen lernte. Ein gelernter Maurer, der dort als Polier arbeitete. Es folgte die Heirat, und schon bald war sie schwanger. Leider war es eine sehr schwierige Schwangerschaft, und auch die Geburt verlief nicht ohne Komplikationen, was zur Folge hatte, dass das Neugeborene ihr einziges Kind blieb.

»Ja, ich kann, nein, muss doch zufrieden sein«, dachte sie. »Es war lange Zeit ein ganz normales Leben, bis an dem Tag, als …«

Ein Klopfen an der Zimmertür riss sie aus ihren Gedanken. Maria schaute kurz auf die alte Kuckucksuhr an der Wand, eine Erinnerung an ihre Hochzeitsreise in den Schwarzwald.

»Pünktlich wie immer«, dachte sie, zupfte ihre Strickjacke zurecht und rief: »Herein!«

Doktor Steiner betrat das Zimmer, und sofort fielen ihm die Blumen auf.

»Oh, da gratuliere ich aber herzlich«, sagte er und setzte sich auf einen Stuhl zu Maria an den Tisch.

»Haben Sie schön gefeiert?«

»Ja, danke, es war ganz nett.«

Es entstand eine unangenehme Pause.

Ohne Maria in die Augen zu schauen, zog der Arzt einen Umschlag aus seiner Tasche und sagte mit ernster Stimme: »Die Testresultate und der Laborbericht sind gekommen.«

Maria fiel der sachliche Ton des Mediziners auf, was sie als ungutes Zeichen deutete.

»Und?«, fragte sie.

Doktor Steiner presste seine Lippen zusammen und schüttelte nur den Kopf.

Mission: Weisse Weihnachten

Подняться наверх