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Im Speisesaal roch es, wie es jeden Morgen roch. Der Duft von abgestandenem Filterkaffee, der schon seit Stunden in Glaskrügen auf Heizplatten vor sich hin köchelte, hing in der Luft. An allen Tischen wurde Butter und Marmelade auf labbriges Brot gestrichen, und einige der Alten tunkten das so bestrichene Brot sodann in den Milchkaffee. Wahrscheinlich ein Ritual aus einer Zeit, als das Brot noch härter war und sich die zweiten Zähne zu verabschieden begannen.

Am Tisch mit der Nummer elf wurde an diesem Morgen nichts geredet. Oder noch präziser, es herrschte eine sehr angespannte Stimmung. Frida hatte den Hahn ihrer Sauerstoffflasche voll aufgedreht und war kampfbereit, doch alle anderen bevorzugten es, ihren Blicken auszuweichen. Maria war sich sicher, dass die gedrückte Stimmung mit ihrer Diagnose zu tun hatte, und war froh, als Herr Huber – Hauswart, Fahrer und Mädchen für alles im »Abendrot« – an ihren Tisch trat.

»Frau Gerber, wir müssen«, meinte er und nickte den anderen zur Begrüssung zu.

Maria wischte sich den Mund mit der Papierserviette ab und stand auf.

»Wohin gehst du?«, wollte Frida wissen, ein wenig beleidigt, dass ihre Freundin sie nicht informiert hatte.

»Herr Huber fährt mich zum Arzt. Irgendwelche Spritzen.«

»Soll ich mitkommen?«, fragte Frida, aber Maria winkte ab.

»Bin ja bald zurück.«

Sie hängte sich bei Huber ein, und das ungleiche Paar ging zum Ausgang des Speisesaals.

Frida schaute zu Hans hinüber, der sein Brot pedantisch genau bestrich, als sei es ein Gemälde. Als Maria ausser Hörweite war, brach sie das Schweigen.

»Und, wollen wir ihr jetzt helfen oder nicht?«

Hans, der immer noch stocksauer auf Frida war, sagte, ohne von seinem kleinen Kunstwerk aufzuschauen: »Warum sollten wir, wir sind ja miese, alte Feiglinge.«

Dann biss er langsam und übertrieben genüsslich in sein Brot.

Frida merkte, dass sie etwas zurückrudern musste, und wählte einen beschwichtigenden Ton: »Ach, kommt schon. Ich bin eine senile alte Kratzbürste und …«

Inge unterbrach Fridas Selbstkasteiung: »Es ist ja nicht, dass wir nicht wollten …«

»… aber schau uns doch an«, ergänzte Luky, »wir gehören zwar zu den Rüstigsten hier, aber auch nur an einem guten Tag.«

Frida nickte und war froh, dass ihre Freunde so nachsichtig mit ihr waren. Sie schaute Hans an, und ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, was ihm nicht verborgen blieb, ihn aber eher an die biblische Schlange denken liess als an ein Friedensangebot.

»Schon, aber jetzt mal rein theoretisch«, begann Frida wieder, immer noch mit einem Lächeln, »Hans, du mit deiner Fantasie, was denkst du denn?«

Hans wischte mit dem kleinen Finger, an dem er den goldenen Siegelring trug, sorgsam die Brotkrumen vom Tisch.

»Gebt mir noch bis heute Abend Zeit. Wir treffen uns um acht im ›Rössli‹ in der Kegelbahn. Luky, könntest du im Büro Bescheid sagen?«

»Klar, ich lasse meinen Charme spielen.«

Luky, der als Einziger nichts gegessen hatte, stand auf, zog eine Schachtel Zigaretten aus seiner Jacke und meinte, dass es jetzt Zeit für sein richtiges Frühstück sei. Er füllte seine Tasse nochmals mit schwarzem Kaffee und ging zum Ausgang.

Der Nebel schien sich in den Bäumen festgekrallt zu haben und tauchte das ganze Zürcher Oberland in ein graues, fahles Licht. Das lag wohl daran, dass der Zürichsee so nahe war, dachte Luky, als er die Nebelschwaden beobachtete. Es machte ihm zu schaffen, dass der graue Deckel oft tagelang nicht verschwand. Er zündete sich eine Zigarette an und nahm einen Schluck des heiss dampfenden, aber scheusslichen Kaffees. Er machte ein paar Schritte ums Haus herum und sah dort Paul, der in seinem Rollstuhl sass und in Richtung Bachtel schaute, der nur undeutlich im Nebel zu erkennen war. An klaren Tagen mit etwas Föhn konnte man von hier aus sogar den Bachtelturm sehen, Ziel vieler Schulreisen und Ausflügler. Luky ging zu Paul, zog seine Schachtel Zigaretten aus der Jacke und streckte sie ihm hin.

»Willst du auch eine?«

Paul reagierte nicht, und Luky klopfte ihm auf die Schulter.

»Hey, auch eine?«

Paul kippte in seinem Rollstuhl nach vorn. Sein Gesicht war ganz weiss und trotz dem kalten Wetter von Schweiss bedeckt.

»Scheisse, Paul, was ist los?« Luky kniete sich neben ihn und versuchte, ihm in die Augen zu schauen. »Ich hole den Arzt!«

Paul schüttelte ganz leicht den Kopf, hob seinen Blick und sagte so leise, dass ihn Luky beinahe nicht verstand: »Danke … danke, Luky. Du … warst immer mein bester … Bobfahrer …«

Die beiden Männer schauten sich in die Augen, ohne ein weiteres Wort zu wechseln. Luky kämpfte mit den Tränen, und dann sah er, wie die Augen von Paul ganz kurz zu leuchten begannen, bevor sie sich für immer schlossen.

Es war genau dieses Leuchten, das Luky jeweils in Pauls Augen gesehen hatte, wenn sie gemeinsam mit dem »Bob« über die Ziellinie gerast waren und die Goldmedaille gewonnen hatten. Luky setzte den leblosen Paul aufrecht in den Rollstuhl, schob ihm die rot-hellblau-weisse Kappe aus der Stirn und wischte ihm den Schweiss und etwas Speichel aus dem Gesicht.

»Ja«, sagte Luky traurig und entschlossen zugleich, »wir sind doch alles miese, alte Feiglinge.«

Mission: Weisse Weihnachten

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