Читать книгу Ich geh dann mal meinen eigenen Weg - Andreas Gauger - Страница 11
ERWACHSENE KLEINKINDER
ОглавлениеSolange wir aus der Perspektive des kleinen Kindes, das wir einmal waren, emotional auf unsere Eltern reagieren, sind wir nicht erwachsen. Aus kindlicher Sicht wirken die Eltern häufig überlebensgroß – selbst dann, wenn wir mittlerweile einen guten Kopf größer sind und die Eltern sich kaum noch aus eigener Kraft fortbewegen können.
Auch das Emotions- und Verhaltensrepertoire, mit dem wir auf unsere Eltern reagieren, befindet sich nicht selten auf dem Niveau von (Klein-)Kindern. Da viele Menschen auch als Erwachsene noch aus dem kindlichen Ichanteil heraus reagieren, sind sie in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt. Da ist es dann nicht besonders weit her mit souveränen Verhaltensweisen. Wir werden bockig wie Sechsjährige, erzittern unter den strengen Blicken unseres 78-jährigen klapprigen Vaters, als könnte er uns jeden Moment zerquetschen, reagieren wütend auf die Einladung zum Kaffee, weil wir schon wieder das Gefühl haben, unsere Eltern wollten über unsere Zeit bestimmen und uns Vorschriften machen, oder wir meinen immer noch, uns rechtfertigen zu müssen, wenn wir mal eine Einladung der Eltern ablehnen.
Natürlich gibt es jede Menge Eltern, deren eigenes kindliches Verhalten genügend Anlass gibt, um ebenfalls weiterhin mit kindlichen Gefühlen auf sie zu reagieren. Nur erwachsen können wir uns dann nicht nennen.
Gleichzeitig stehen wir abseits davon im »normalen« Leben unsere Frau oder unseren Mann. Viele machen die Erfahrung, dass sie durchaus gelassen selbst mit noch so schwierigen Mitmenschen umgehen können, wohingegen manchmal schon ein zuckender Mundwinkel eines Elternteils ausreicht, um sie innerlich aus der Fassung zu bringen.
Tatsächlich besteht die Kunst manchmal darin, erwachsen zu werden, obwohl es die eigenen Eltern noch nicht sind. Zumindest nicht in jedem Kontext.